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Wallensteins Tod: Maiwalds dritter Fall
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Wallensteins Tod: Maiwalds dritter Fall
eBook211 Seiten2 Stunden

Wallensteins Tod: Maiwalds dritter Fall

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Über dieses E-Book

In Altdorf bei Nürnberg wird zur Zeit des Festspiels ein Toter in der Löwengrube gefunden. Er trägt das Kostüm Wallensteins, in seiner Brust steckt ein Säbel. Beate Maiwald, Kommissarin aus Gotha, die zusammen mit ihrem Kollegen Klaus Hubertson ihren Urlaub in Altdorf verbringt, sollte es nicht, tut es aber trotzdem: Sie ermittelt auf eigene Faust. Immerhin geht es um Beates Heimatstadt, sie kennt einige der Verdächtigen, und vor allem kennt sie das zweite Opfer …
SpracheDeutsch
HerausgeberSpielberg Verlag
Erscheinungsdatum22. Apr. 2014
ISBN9783954520299
Wallensteins Tod: Maiwalds dritter Fall

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    Buchvorschau

    Wallensteins Tod - Ursula M. Muhr

    Wallenstein-Festspiele

    Wallensteins Tod

    Die Luft flirrte unter den Bäumen der Löwengrube und in ihrem ungewissen Schatten schien es fast, als würde der Säbel nach dem tödlichen Stoß noch in der Brust des Mannes zittern. Aber das war nur die Wirkung des trügerischen Lichts. Die Waffe bewegte sich nicht mehr, der Leichnam in der altmodischen Uniformjacke war kalt. Wer immer dem Mann den Säbel ins Herz gestoßen hatte, war längst über alle Berge. Das getrocknete Blut auf der weißen Hemdbrust und dem breiten Spitzenkragen bildete einen erstaunlich kleinen dunklen Fleck. Seltsam friedlich wirkte das alles, harmlos wie auf einer Theaterbühne. Als hätten sich die Schauspieler nur kurz in die Kantine zurückgezogen, während der Tote, eine naturgetreu gestaltete Wachspuppe, liegen geblieben war für die nächste Szene. Gleich würden Männer in dunklen Anzügen und schweren Umhängen herantreten, ein Medikus vielleicht und der Hauptmann der Wache, und über den Toten hinweg in düsterer Gelassenheit ihrer Pflicht nachgehen.

    Aber es kamen keine Schauspieler in barocker Kostümierung. Zwei Jogger in kurzen Hosen und knappen T-Shirts liefen den Weg vom Lenzenberg herunter. Sie sprangen hintereinander aus dem gleißenden Sonnenlicht in das Halbdunkel des Waldes, um auf ihrem morgendlichen Lauf die Löwengrube zu durchqueren. Von dort wollten sie weiter durch das Schwarzachtal bis nach Rasch – doch beim Anblick des Toten blieben sie beide stehen wie vom Blitz getroffen. Denn irgendwie sah es eben doch schrecklich aus, und vor allem gehörte ein Mann in einer mit Tressen besetzten Samtjacke und einem Säbel in der Brust nicht in den Wald. Schon gar nicht an einem Montagmorgen im Juli. Die Luft war voller Vogelgezwitscher, der Himmel blau wie Seide. Ein Idyll. Eine Leiche hatte hier nichts verloren. Das flirrende Sonnenlicht, das durch die Blätter fiel, verlieh der Szene eine eigentümliche Lebendigkeit, die mit der Realität nichts zu tun hatte. Der Tote lag mit Sicherheit schon seit einigen Stunden am Wegrand über der Schlucht. Schräg hinter ihm öffnete sich düster der Eingang zu einer Höhle, oder besser einer Galerie. Der Wanderweg nach Prackenfels führte durch sie hindurch, die drei Bogenfenster in der Höhlenwand gaben den Blick über eine schroffe Schlucht frei, die ein Bach in den Sandstein gegraben hatte. Vor ein paar hundert Jahren hatte man hier Steine zum Bau der Universität Altdorfina gewonnen, später wurde in den aufgelassenen Steinbruch eine Kegelbahn gebaut. Ein idyllischer Ort zum Feiern, bis in die heutige Zeit. Nur ein paar alte Bierkeller der Altdorfer Hopfenbauern lagen in der Nähe. Der einzige Nachbar, dessen Haus unmittelbar über dem Zugang zu einem Felsenkeller gegenüber der Höhlengalerie stand, hatte zwar einige Verbotsschilder aufgehängt, aber herumliegende Bierflaschen und andere Hinterlassenschaften bewiesen, dass vergnügungssüchtiges Partyvolk sich immer wieder darüber hinwegsetzte.

    Jetzt lag also einer von ihnen tot vor dem Höhleneingang, unmittelbar über einer Quelle, die leise plätschernd ein kleines Becken füllte, bevor sich der Bach seinen Weg in die Schlucht bahnte. Eigentlich hätte es nicht allzu viel gebraucht, um den Toten ganz hinunterzuschieben. Aber das hätte seine Entdeckung auch nicht verzögert, denn sehr tief wäre er nicht gefallen. Vor allem von dem Pfad auf der gegenüberliegenden Seite der Schlucht wäre er schon von weitem sichtbar gewesen. Vermutlich hatte sich der Täter deshalb die Mühe gespart.

    Die beiden Jogger waren wohl die Ersten, die an diesem Morgen hier vorbeikamen. Jetzt standen sie keuchend und immer noch wie angewurzelt an der Stelle, wo sie ihren Lauf bei dem erschreckenden Anblick unterbrochen hatten. Für einen Moment hatten sie gehofft, es handle sich um eine optische Täuschung. Sie kamen aus dem Sonnenlicht in das Halbdunkel unter den Bäumen, da konnten einem die Augen schon einen Streich spielen. Beide blinzelten nervös, der Mann wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn. Aber als seine Begleiterin halblaut ›Scheiße‹ vor sich hin murmelte, musste er einsehen, dass der Tote vor der Höhle wohl doch keine Täuschung war.

    Der Mann war groß und breitschultrig, hatte nur leider etwas zu viel Bauch, um wirklich athletisch zu wirken. Die Frau neben ihm war zierlich, mit blonden kurzen Haaren, deutlich älter als ihr Begleiter und entschieden besser trainiert. Ihr war der Lauf von der Stadt bis hierher nicht im Geringsten anzumerken, während er keuchend nach Luft schnappte.

    Sie starrten immer noch auf die Leiche. Der Mann war blass geworden, alle Röte der offensichtlich ungewohnten sportlichen Betätigung war aus seinem Gesicht gewichen. Die Frau schien weniger erschrocken. Sie holte tief Luft. »Du bleibst, wo du bist«, sagte sie dann ruhig und ging langsam auf den Toten zu, wobei sie sehr genau darauf achtete, wo sie ihre Füße hinsetzte. Dann beugte sie sich über den Körper und legte zwei Finger an seinen Hals, um nach dem Puls zu fühlen. Dabei wusste sie längst, dass das eine nutzlose Geste war. Und richtig, der Leichnam war kalt.

    »Hast du dein Handy dabei?«, fragte sie leise.

    Der Mann schüttelte den Kopf. »Darf ich dich daran erinnern, dass du mich mit einem schrecklichen Tod bedroht hast, wenn ich es wage, die fränkische Idylle mit Handygeklingel zu stören?«, murrte er. Sie nickte abwesend. »Vielleicht ist dort oben jemand daheim«, sagte sie und deutete auf das Haus über dem Felsenkeller. »Wenn nicht, dann lauf zurück und bring die Polizei auf den Weg. Ich bleibe hier, damit niemand durch den Tatort trampelt. Sie sollen sich beeilen. Wahrscheinlich brechen bei diesem Wetter bald jede Menge Wanderer hier durchs Unterholz.«

    Er nickte nur. Mit ein paar raschen Schritten war er bei dem Gartentor am Waldrand, an dem sie vor ein paar Minuten so tatendurstig vorbeigerannt waren und läutete mehrmals. Nichts rührte sich.

    »Niemand da!«, rief er seiner Begleiterin zu und machte sich resigniert auf den Weg zurück in die Stadt. Leider ging es jetzt erst einmal ein gutes Stück bergauf, was ihm wieder die Röte ins Gesicht trieb. Er keuchte schon nach wenigen Metern. Die Idee zu dem Lauf war vermutlich nicht auf seinem Mist gewachsen.

    Als er die Steigung hinter sich hatte, musste er sich entscheiden – er konnte entweder nach links oder nach rechts an der Autobahn Nürnberg-Regensburg entlanglaufen, in beiden Richtungen würde er nach ein paar hundert Metern auf eine Unterführung stoßen. Nach kurzem Zögern entschied er sich für die linke Variante. Er kannte sich noch nicht besonders gut in seinem Urlaubsort aus, denn er war erst vor drei Tagen angekommen. Aber wenn er sich nicht sehr täuschte, dann war das der kürzere Weg zur Innenstadt.

    Als er an der Polizeidienststelle im alten Pflegschloss von Altdorf ankam, war er schweißgebadet. Für einen Moment blieb er vor der Tür stehen und wartete, bis sich sein Atem einigermaßen beruhigt hatte. Er war frustriert bis auf die Knochen. So schlimm hatte er sich seinen ersten Trainingslauf wirklich nicht vorgestellt. Aber schließlich gab er sich einen Ruck und läutete. Nach dem Surren des Türöffners und seiner lapidaren Aussage, er möchte bitte einen Leichenfund melden, ging er in das Gebäude hinein. Er stieg die Stufen der hochherrschaftlichen Treppe nach oben und berichtete dem diensthabenden Beamten kurz und sachlich, was sie im Wald gefunden hatten. Dabei erwähnte er auch, wer die Wache bei der Leiche übernommen hatte: Beate Maiwald, seit vielen Jahren Kriminalhauptkommissarin in der Mordkommission von Gotha, derzeit auf Urlaub in ihrer Heimatstadt. Sie war gekommen, um nach Jahren wieder einmal die Festspiele zu Ehren des berühmtesten Studenten der ehemaligen Universität Altdorf zu sehen. Wallenstein, der jetzt tot im Wald an der Löwengrube lag. Oder besser gesagt, dort lag der Darsteller des wilden Junkers. Sie hatten beide am Vortag das Festspiel und den anschließenden Umzug besucht. Da war Wallenstein noch quicklebendig gewesen, hatte seine Rolle mit Bravour gespielt und im Festzug würdig vom Rücken seines Pferdes herab den applaudierenden Zuschauern zugewinkt. Am Abend war er ihnen noch einmal über den Weg gelaufen, leicht torkelnd von dem vielen Bier, das er aus einem langen, gebogenen Trinkhorn im Lauf des Tages genossen hatte. Er erinnerte sich, dass Beate gesagt hatte: »Hut ab, diese Darsteller müssen eine Kondition haben wie Granitgrabsteine. Das ist echt hart – den ganzen Tag von früh bis spät auf dem Marktplatz, jede Menge Termine mit Presse und Promis, dann zwei Aufführungen spielen und zum Schluss noch der Festzug, das Ganze an fünf Wochenenden bei jedem Wetter – also, ich möchts nicht machen.« Er hatte sich ein bisschen darüber gewundert, dass Beate ausgerechnet die Kondition der Darsteller hervorhob, denn er wusste, dass sie selbst enorm belastbar war. Sie ließ so manchen jüngeren Kollegen bei anstrengenden Ermittlungen alt aussehen. Aber in einem war er gern bereit, ihr recht zu geben – er hätte es auch nicht machen wollen. Auch nicht, wenn er endlich seine alte Kondition wieder aufgebaut haben würde. Klaus Hubertson, Kommissar im Team von Beate Maiwald in der Mordkommission 1 in Gotha, hatte eine lange Rekonvaleszenz hinter sich. Er war selbstkritisch genug um zuzugeben, dass er sich dabei ziemlich hatte hängen lassen. Anstatt im Kraftraum zu arbeiten, hatte er es meistens vorgezogen, mit einem Tablett voller Junkfood vor dem Computer zu sitzen. Daher der Bauch. In Kürze sollte er seinen Dienst wieder aufnehmen. Zu allem Überfluss hatte ihm vor ein paar Tagen seine Freundin den Laufpass gegeben. Da hatte ihm Beate kurzerhand zwei Wochen Frankenurlaub verordnet, inklusive Fitnessprogramm. So war er aus dem thüringischen Gotha hierher gekommen. Und Beate hatte ihm geschworen, ihn jeden Tag gehörig in den Hintern zu treten, um ihn auf Trab zu bringen. Sie ließ keine Ausrede gelten und machte ihm drastisch klar, dass seine Probleme nicht nur mit seinem Körper zu tun hatten. Bei seinem letzten Einsatz war mehr kaputt gegangen, als nur sein Fuß – der Zwischenfall, bei dem ihn ein Betrunkener angeschossen und schwer verletzt hatte, hatte auch sein Selbstwertgefühl beschädigt, seine Sicherheit, sein berufliches Selbstverständnis.

    Jetzt also ein Toter im Wald anstatt Fitness und ländlicher Frieden. Das war wirklich fatal. Er ahnte, dass sich Beate, obwohl sie im Urlaub war und hier keinerlei Berechtigung zum Ermitteln hatte, kaum davon abhalten lassen würde, ihre neugierige Nase in alles Mögliche hineinzustecken.

    Klaus Hubertson verließ die Polizeistation und setzte sich auf eine Bank auf dem Schlossplatz gleich neben dem Studentenbrunnen. Aus einem Trinkhorn plätscherte das Wasser in einem starken Strahl in das Gesicht eines lachenden Studenten, der ein dralles Schankmädchen mit Maßkrügen im Arm hielt. Leider traf der Wasserstrahl nicht genau den Mund, sondern die Wange des Mannes, was dem Ensemble eine etwas seltsame Note gab. Aber nach einiger Überlegung kam Hubertson zu dem Entschluss, dass es noch irritierender aussähe, wenn das Wasser aus dem aufgerissenen Mund des Studenten wieder heraussprudeln würde.

    Ein Einsatzwagen verließ den Parkplatz und fuhr stadtauswärts. Die Beamten würden den Tatort absperren und dort auf die Kollegen der Kripo und der Spurensicherung aus Schwabach warten. Beate würde ihnen bei ihrer Arbeit sicher genauestens auf die Finger sehen. Viel Spaß, Kollegen, dachte Hubertson. Er selbst verspürte nicht die geringste Lust, in den Wald zurückzulaufen und sich am Gerangel um Kompetenzen zu beteiligen. Er wollte eigentlich nur seine Ruhe haben. Das nahm er als eindeutiges Indiz dafür, dass er noch lange nicht wirklich auf dem Damm war.

    Beate hatte sich inzwischen in einiger Entfernung der Leiche auf einen Felsbrocken gesetzt und musterte immer wieder die Umgebung. Gegenüber der Galerie, vor der der Tote lag, war der Eingang zu einem früheren Bierkeller. Beate erinnerte sich, dass der Felsenkeller in ihrer Kindheit immer mit einem Eisengitter versperrt gewesen war. Jetzt stand die Tür offen und hing verrostet und schief in den Angeln. Sie lächelte, als sie daran dachte, welch gruselige Märchen die Kinder sich damals über diese Gänge zugeraunt hatten – dass sie bis in die Stadt unter die ehemalige Universität führen würden, dass man sich in ihrem verwirrenden Gangsystem verlaufen könnte, dass ein Verrückter darin wohnte, der von einigen Leuten nachts heimlich mit Essen versorgt würde – Kindergeschichten eben. Aber diese Geschichten waren das Salz in der Suppe ihrer Streunereien durch die Schluchten der Umgebung gewesen und machten ihre Spiele erst so richtig spannend.

    Beate schüttelte die Erinnerungen ab. Sie sah sich um und prägte sich ein, was ihr alles auffiel: Das wenige Gras vor dem Eingang in die Galerie war niedergetrampelt und es lagen überall Zigarettenstummel herum. Außerdem zwei zerknüllte Papiertaschentücher und eine lange weiße Feder, die vermutlich zur Kappe des Toten gehörte. Im Kampf war sie wohl abgefallen, jetzt lag sie zertreten im vorjährigen Laub. Unmittelbar vor der Galerie stand eine halbleere Bierflasche, daneben lagen weitere Flaschen, einige davon waren zerbrochen.

    Es deutete alles auf eine Feier hin. Der Anzahl der Flaschen nach zu schließen, waren aber entweder nur wenige Gäste da gewesen oder das Fest hatte nur sehr kurz gedauert.

    Beate zählte die Flaschen und die Flaschenhälse – es waren acht. Acht Leute, die nach dem ersten Bier schon wieder heimgingen, weil die Feier ein abruptes Ende genommen hatte? Oder nur zwei, die sich hier getroffen, gestritten und schließlich duelliert hatten? Wieso war überhaupt der Säbel scharf? Beate war sich absolut sicher, dass die Waffen der Darsteller stumpf waren, Theaterrequisiten, mit denen man keinen größeren Schaden anrichten konnte als mit jedem beliebigen Eisenstab. Hatte hier womöglich ein richtiges Duell stattgefunden? Waren diese jungen Leute dumm genug (in Beates Augen waren Duelle ein Ausdruck von erheblicher Dummheit), sich allen Ernstes hier zu duellieren?

    Sie hätte gern die Leiche näher untersucht, wagte es aber nicht einmal, die Kappe hochzuheben, die dem Toten übers Gesicht gerutscht war. Auf keinen Fall wollte sie riskieren, mit den zuständigen Kollegen von der Kripo Schwabach gleich Probleme zu bekommen. Insgeheim hatte sie die Hoffnung, dass man sie wenigstens inoffiziell an den Ermittlungen beteiligen würde, soweit das möglich war. Nicht, dass Beate es ohne ihre Arbeit nicht ausgehalten hätte. Aber das hier war ihre Heimatstadt, und das Wallensteinfestspiel war so eine Art Herzensangelegenheit für sie. Schon als Mädchen mit acht oder neun Jahren war sie im Volk mitgelaufen, sie erinnerte sich nur zu gut. Die Kinder und Frauen der Stadt mussten im letzten Akt des Festspiels, in dem Altdorf von den Wallensteinischen Truppen belagert wird, schreiend vor Angst in den Universitätshof laufen. Draußen donnerten die Kanonen, die Kirchenglocken läuteten Sturm, und wenn auch Beate in der Rückschau den Schrei ›Der Feind! Der Feind! Alles ist verloren!‹ eher ein bisschen albern fand, so erinnerte sie sich doch lebhaft an das Gänsehautgefühl, das in dieser Szene jeden erfasste, ob Darsteller oder Zuschauer. Mit Ausnahme völliger Zyniker, setzte sie in Gedanken hinzu. In der neuen Inszenierung, die sie am Vortag mit ihrem Kollegen besucht hatte, war diese ergreifende Szene allerdings nicht mehr vorgekommen. Die Bewohner der Stadt waren alle bereits auf der Bühne und feilschten, kauften und plauderten auf einem fiktiven Wochenmarkt, als der Feind über die Stadt hereinbrach. Da gab es also kein ängstliches Hereindrängen der Schutzsuchenden mehr und logischerweise war auch der Aufschrei ›Alles ist verloren!‹ gestrichen worden. Beate fand es schade, Hubertson allerdings warf ihr vor, rückwärtsgewandt und kleinkariert zu sein. Ihm hatte die pralle Marktszene gut gefallen.

    Beate hob lauschend den Kopf, vom Tal her war Motorengeräusch zu hören. Gleich darauf schlugen Autotüren zu und Stimmen klangen herauf. Hoffentlich sind das die Kollegen, dachte sie. Sie hatte nicht die geringste Lust, eine Gruppe tatendurstiger Wanderer vom Tatort

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