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Der Schauermann: Historischer Thriller
Der Schauermann: Historischer Thriller
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eBook211 Seiten2 Stunden

Der Schauermann: Historischer Thriller

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Über dieses E-Book

"Die Bestie lebt!!!"

Nackte Angst macht sich breit, als im Hamburger Hafen im heißen August des Jahres 1892 eine schöne junge Frau grausam ermordet wird. Beunruhigende Gerüchte machen die Runde – ist wirklich ein Vampir für ihren Tod verantwortlich?

Polizei-Offiziant Lukas Boysen glaubt nicht an einen Blutsauger als Täter. In einer Stadt, die unter einer schlimmen Cholera-Epidemie leidet, gleicht die Kriminalermittlung einem Tanz auf dem Vulkan. Als Boysen eine heiße Spur aufnimmt, wird er schon bald von seinen Vorgesetzten gestoppt. Mächtige Interessengruppen scheinen den Mörder schützen zu wollen. Der Fahnder kommt einem furchtbaren Geheimnis auf die Spur.

 

Boysen ist ganz auf sich allein gestellt. Unterstützung bekommt er nur von der resoluten jungen Schönheit Anna Dierks, die Zeugin eines Mordversuchs geworden ist. Zwischen Hurenhäusern und Opiumhöhlen, Schiffs-Laderäumen und eleganten Bürgersalons kommt es zu einer atemberaubenden Mörderjagd durch das choleraverseuchte Hamburg.

SoKo Hamburg - ein Fall für Heike Stein:

 

  • Tote Unschuld
  • Musical Mord
  • Fleetenfahrt ins Jenseits
  • Reeperbahn Blues
  • Frauenmord im Freihafen
  • Blankeneser Mordkomplott
  • Hotel Pacific, Mord inklusive
  • Mord maritim
  • Das Geheimnis des Professors
  • Hamburger Rache
  • Eppendorf Mord
  • Satansmaske
  • Fleetenkiller
  • Sperrbezirk
  • Pik As Mord
  • Leichenkoje
  • Brechmann
  • Hafengesindel
  • Frauentöter
  • Killer Hotel 
  • Alster Clown
  • Inkasso Geier

Ein Fall für Jack Reilly

 

  • Das Tangoluder
  • Der gekreuzigte Russe
  • Der Hindenburg Passagier
  • Die Brooklyn Bleinacht
  • Die Blutstraße

Der Autor

Martin Barkawitz schreibt seit 1997 Krimis, Thriller, Horror, Romantik, Western, Steam Punk und Fantasy. Er gehört u.a. zum Jerry Cotton Team. Von Barkawitz sind mehrere hundert Heftromane, Taschenbücher und E-Books unter diversen Pseudonymen erschienen.

Aktuelle Informationen, ein Gratis-E-Book und einen Newsletter gibt es  auf meiner Homepage: Autor-Martin-Barkawitz.de

 

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum14. Jan. 2019
ISBN9783739630397
Der Schauermann: Historischer Thriller

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    Buchvorschau

    Der Schauermann - Martin Barkawitz

    Inhalt

    Nackte Angst macht sich breit, als im Hamburger Hafen im heißen August des Jahres 1892 eine schöne junge Frau grausam ermordet wird. Beunruhigende Gerüchte machen die Runde – ist wirklich ein Vampir für ihren Tod verantwortlich?

    Polizei-Offiziant Lukas Boysen glaubt nicht an einen Blutsauger als Täter. In einer Stadt, die unter einer schlimmen Cholera-Epidemie leidet, gleicht die Kriminalermittlung einem Tanz auf dem Vulkan. Als Boysen eine heiße Spur aufnimmt, wird er schon bald von seinen Vorgesetzten gestoppt. Mächtige Interessengruppen scheinen den Mörder schützen zu wollen. Der Fahnder kommt einem furchtbaren Geheimnis auf die Spur.

    Boysen ist ganz auf sich allein gestellt. Unterstützung bekommt er nur von der resoluten jungen Schönheit Anna Dierks, die Zeugin eines Mordversuchs geworden ist. Zwischen Hurenhäusern und Opiumhöhlen, Schiffs-Laderäumen und eleganten Bürgersalons kommt es zu einer atemberaubenden Mörderjagd durch das choleraverseuchte Hamburg.

    Möchten Sie den Thriller Killerschiff von Martin Barkawitz kostenlos lesen?

    Nähere Infos gibt es hier: www.autor-martin-barkawitz.de

    Prolog

    Hamburg, 20. August 1892

    Das Mondlicht glitzerte auf den trägen Wellen der Elbe.

    Marie Stevens war sternhagelvoll und hatte sich im Wald verirrt. Jedenfalls glaubte sie das. Doch in Wirklichkeit ragten keine Baumstämme in den finsteren Himmel, sondern die zahllosen Segelschiffmasten des Hamburger Hafens.

    Die zwanzigjährige Prostituierte bekam einen Schluckauf. Sie musste sich am Steintwietenhof gegen eine Mauer lehnen, um nicht zu stürzen. Beiläufig bemerkte sie, dass ihre üppigen Brüste aus der nachlässig geschnürten Korsage quollen. Marie brachte ihr Äußeres wieder halbwegs in Ordnung. Trotz ihrer Trunkenheit war sie jetzt wieder einigermaßen bei Verstand. Sie wollte nicht von den Udels aufgegriffen und als »liederliche Frauensperson« im Polizeigewahrsam ins Stadthaus geschafft werden.

    »Ich – hick – sehe den Wald vor lauter Bäumen nicht«, sagte sie laut zu sich selbst und kicherte albern. Wie ein Taucher, der aus der tiefen See Richtung Wasseroberfläche gleitet, kam die blonde junge Frau nun ein wenig zu sich. Marie begriff nun auch, dass sie sich am Hafenrand aufhielt. Doch wo genau sie sich befand, wusste sie nicht. Das Mädchen stammte aus dem Hannoverschen und lebte erst seit einem Jahr in der großen Hafenstadt an der Elbe.

    Marie raffte ihre Röcke und stolperte mit unsicheren Schritten über die Niederbaumbrücke bei der Kehrwiederspitze. Dabei wäre sie beinahe gegen einen abgestellten Handkarren gelaufen. Das Freudenmädchen war schon wieder durstig. Sie hoffte, irgendwo in einem der großen dunklen Gebäude vor ihr eine gemütliche Seemannskneipe zu finden.

    Marie blieb einen Moment lang stehen, um nach Luft zu schnappen. Sie schaute hinunter auf das mondbeschienene Wasser des Kehrwiederfleets, in dem eine eiserne Tjalk sich in der Dünung wiegte. Der Wind hatte aufgefrischt, und die Prostituierte zog sich ihr gestricktes Umlegetuch enger um die schmalen Schultern. Beim Anblick des schaukelnden Schiffes wurde ihr übel, beinahe hätte sie sich übergeben müssen. Marie setzte ihren Weg fort.

    Es klapperte, als ein Bäckerlehrling in seinen Holzpantinen und seiner karierten Hose an ihr vorbeieilte. Schmunzelnd registrierte Marie seinen lüsternen Seitenblick auf ihr Dekolleté, das trotz des züchtigen Umlegetuchs immer noch gut zu erkennen war. Das moderne elektrische Licht machte schon seit zehn Jahren im Hafen die Nacht zum Tag, daher konnte der Junge auch in finsterster Nacht Maries weibliche Reize nicht übersehen.

    Das Freudenmädchen lachte und pfiff auf vier Fingern hinter dem Bäckerlehrling her.

    »Wenn du deine Pfennige für mich sparst, mache ich dir einen Sonderpreis, Kleiner!«, plärrte Marie ihm hinterher, bevor der Schluckauf ihr einstweilen wieder die Sprache verschlug. Sie brauchte jetzt wirklich dringend einen Rumgrog.

    Der Lehrling machte sich aus dem Staub, ohne ihre Bemerkung zu quittieren. Wahrscheinlich wartete sein Meister bereits auf ihn, und er würde eins hinter die Löffel kriegen, wenn er zu spät kam.

    Drüben am Sandtorhöft wurde die Ladung eines mächtigen Dampfers gelöscht. Hunderte von Schauermännern waren damit beschäftigt, die Waren aus dem Schiffsbauch zu holen und an Land zu schaffen. Marie stellte sich vor, wie es wäre, wenn jeder dieser Kerle auch nur fünf Reichsmark für ihre Liebesdienste zahlte ... Dann könnte sie wie eine Königin in das ärmliche Dorf zurückkehren, aus dem sie stammte.

    Dieser Gedanke entlockte ihr ein schrilles Kichern. Marie schaute an den Fassaden der Warenspeicher hoch, die von Giebeln, Erkern und Zinnen gekrönt wurden. Ihr wurde klar, dass sie sich verlaufen hatte. In diesem Teil des Hafens gab es keine Schänken. Hier befanden sich nur die Warenlager der Pfeffersäcke. Es roch nach Anis und Estragon, nach Tabak und Zimt und nach allerlei Gewürzen, von denen Marie noch niemals gehört hatte.

    Plötzlich spürte sie, dass sie nicht mehr allein auf der Straße war.

    Marie drehte sich um. Der Mann war scheinbar aus dem Nichts erschienen. Die Prostituierte hatte ihn jedenfalls nicht kommen sehen. Normalerweise fürchtete sie sich nicht vor Kerlen, obwohl sie schon einige schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Doch bei diesem Mann witterte sie instinktiv die Gefahr, die von ihm ausging.

    Er stieß ein dumpfes Knurren aus, das besser zu einem Tier als zu einem menschlichen Wesen gepasst hätte.

    »Was willst du?« Maries Stimme war lauter und schriller als je zuvor. »Lass mich in Ruhe, du! Ich schreie ...!«

    Und dann tat sie es wirklich. Doch der Mann ließ sich davon nicht beeindrucken. Er jagte auf das Freudenmädchen zu. Marie versuchte, davonzulaufen. Doch das bodenlange Kleid und die Unterröcke bremsten ihre Geschwindigkeit, außerdem war sie betrunken.

    Eine leichte Beute für die wilde Bestie.

    In den letzten Minuten ihres Lebens lernte Marie echte Todesangst kennen. Ihr Schrei verstummte, weil die Furcht ihr die Kehle zuschnürte. Im Hafen gab es viel Gesindel, und Marie hatte schon mit richtigen Dreckskerlen zu tun gehabt. Doch dieser Mann – falls es ein Mann war – übertraf alles. Die Prostituierte begriff, dass sie keine Chance mehr hatte. Es war nicht die Frage, ob sie sterben würde, sondern nur, wie lange es bis zu ihrem sicheren Tod dauerte.

    Marie fiel in ein Meer von Schmerzen. Sie sah rot und erkannte, dass es ihr eigenes Blut war. Dieser Teufel in Menschengestalt bearbeitete sie mit Tritten und Schlägen. Schließlich verlor sein Opfer das Bewusstsein.

    Marie war schon ohnmächtig, als sie von dem Mörder totgebissen wurde.

    1. Kapitel: Die Brooktorwache

    »Wir melden uns ab«, sagte Polizei-Offiziant Lukas Boysen und schob sich ein Stück Kautabak in den Mund. Die Turmuhr von St. Katharinen schlug die zwölfte Nachtstunde, und bisher war der Dienst auf der Brooktorwache eher ruhig gewesen.

    »Alles klar, bis später«, gab Constabler Brügge zurück, bevor er die Stahlfeder erneut ins Tintenfass tunkte, um an seinem Bericht weiterzuarbeiten.

    Boysen trug als Offiziant die Verantwortung für die Wache mitten auf der Wandrahminsel im Hafen, die mit 20 Constablern besetzt war. Die Vorgesetzten erwarteten von ihm, dass er im Wachlokal hocken blieb wie die Spinne im Netz – Gesäßfleischarbeit. So pflegte Boysen den Stubendienst jedenfalls selbst zu nennen, und er war kein Freund der Tätigkeit am Schreibpult.

    Also nutzte er jede Gelegenheit, um höchstpersönlich durch sein Revier zu patrouillieren. In dieser Nacht wollte er gemeinsam mit Constabler Enno Okkinga auf Streife gehen, einem schweigsamen Friesen mit einem langen Pferdegesicht.

    Boysen strich seinen dunkelblauen Waffenrock glatt. Er platzierte den hohen Helm mit Kugelspitze, Hamburger Wappen und Polizeistern auf seinem knochigen Schädel. Okkinga folgte seinem Beispiel. Die beiden Ordnungshüter traten aus der Brooktorwache hinaus in die milde Sommernacht. Im Gleichschritt wandten sie sich zunächst nach Osten, Richtung Holländischer Brook. Boysen legte die linke Hand auf die Glocke seines Säbels, den er am schwarzen Koppel trug. Die rechte Hand spielte mit dem Dienststock. Okkinga hingegen hatte beide Hände um seinen Dienststock geklammert und die Arme hinter dem Rücken verschränkt, wie es seine Gewohnheit war. Der Friese ging leicht gebückt, als ob er einen zentnerschweren Kartoffelsack schleppen müsste.

    »Bin mal gespannt, wie viele Auswanderer uns heute über den Weg laufen«, meinte Boysen, um etwas zu sagen. Seit Jahren strömten tausende und abertausende von Menschen nach Hamburg, um sich von dort aus nach Amerika einzuschiffen. Die meisten von ihnen kamen aus Russisch-Polen und der Ukraine. Sie sprachen kein Deutsch und wollten so schnell wie möglich Europa verlassen, denn ihr Geld reichte meist nur für die Passage nach New York. Den Aufenthalt in Hamburg konnten sie sich eigentlich gar nicht leisten.

    Okkinga erwiderte nichts, aber daran hatte sich Boysen schon gewöhnt. Der pferdegesichtige Friese war unglaublich mundfaul. Aber Boysen ging trotzdem gern mit ihm auf Patrouille, denn er wusste Okkingas Zuverlässigkeit und Genauigkeit zu schätzen. Außerdem erwies sich der stille Mann als ein harter Kämpfer, wenn sie in eine Schlägerei gerieten. Und das kam nicht gerade selten vor.

    Am Holländischen Brook gab es noch ein paar düstere Ecken, die von den neuen elektrischen Straßenlampen nicht ausgeleuchtet wurden. Aus der Finsternis tönte den beiden Ordnungshütern ein unterdrücktes Keuchen entgegen.

    Boysen griff zu seiner Blendlaterne. Seine andere Hand glitt in die Tasche des Waffenrocks und umfasste den Griff seines Bulldogg-Revolvers. Schusswaffen gehörten eigentlich nicht zur Ausrüstung des Hamburger Constabler Corps. Lediglich die Patrouillen in den ländlichen Außenbezirken der Stadt waren mit Karabinern ausgerüstet. Boysen, der es mit den Dienstvorschriften ohnehin nicht so genau nahm, hatte sich seinen Sechsschüsser privat gekauft. Er wollte sich nicht von irgendeiner zweibeinigen Hafenratte niederknallen lassen, ohne sich wehren zu können.

    Der Offiziant ließ den Lichtkegel seiner Blendlaterne langsam in die Richtung wandern, aus der die verdächtigen Geräusche gekommen waren. Seinen Revolver hielt Boysen schussbereit. Doch gleich darauf entspannten sich die beiden Ordnungshüter und begannen zu lachen.

    Von dem heftig kopulierenden Pärchen auf den gestapelten Jutesäcken ging ganz gewiss keine Lebensgefahr aus.

    »Wenn es am Schönsten ist, soll man aufhören!«, rief Boysen. Er dachte nicht daran, die Blendlaterne von den gespreizten Schenkeln des Mädchens und den stoßenden Hüften des Jünglings abzuwenden. Der Milchbart wandte den beiden Männern sein gerötetes Gesicht zu.

    »Verdammte Udels!«, schimpfte er. Aber gleich darauf – ob nun vor Aufregung oder weil die Zeit ohnehin gekommen war – beendete er die lustvolle Vereinigung. Das Mädchen war vielleicht 17 oder 18 Jahre alt. Sie zerrte ihren Rock über ihre weißen Schenkel und blickte beschämt zu Boden.

    Der Offiziant kam einen Schritt auf sie zu und hob mit dem Zeigefinger ihr Kinn.

    »Schau mir ins Gesicht!«, forderte Boysen. »Hat der Kerl dir Gewalt angetan?«

    »He, was soll das? Warum mischt ihr euch ein?«, protestierte der Junge und wollte Boysen angehen. Okkinga packte ihn und drehte ihm die Arme auf den Rücken.

    »Nein, ich ... Jan ist mein Verlobter. Wir wollen heiraten«, stammelte die Deern. Boysen nickte langsam. Vor seinem geistigen Auge lief das Leben der beiden jungen Leute ab. Er kannte ihre Schicksalswege genau, weil sie denen von tausenden anderer junger Hamburger zum Verwechseln ähnlich waren. Das Mädchen lebte gewiss bei ihren Eltern, gemeinsam mit mindestens sechs bis acht Geschwistern. Der Junge logierte wahrscheinlich als Schlafbursche bei einer Vermieterin, vermutlich bei einer alten Witwe. Er hatte kein Geld für ein eigenes Zimmer, geschweige denn für eine Wohnung. Daher musste das Liebespaar sich im Freien treffen, wenn es seiner Lust freie Bahn lassen wollte.

    Aber irgendwann würde der Jüngling doch ein paar Pfennige mehr Löhnung bekommen, seine blasse Deern ehelichen und mit ihr einen Stall voller Kinder zeugen, die sie sich eigentlich gar nicht leisten konnten. Das ist der Lauf der Welt, dachte Boysen fatalistisch. Er drehte den Kopf zur Seite und spuckte braunen Tabaksaft auf das Kopfsteinpflaster.

    »In Ordnung, ihr dürft gehen. Aber lasst euch heute Nacht nicht noch einmal von uns erwischen. Sonst müssen wir euch wegen öffentlicher Unzucht einsperren.«

    Boysen brachte Okkinga durch eine Geste dazu, den jungen Mann loszulassen. Dieser taumelte vorwärts und legte den Arm schützend um die Schultern seiner Freundin. Er murmelte etwas vor sich hin, das gewiss keine Freundlichkeit war.

    Der Offiziant beachtete das Pärchen nicht weiter. Die beiden waren im Grunde harmlos, das wusste er selbst. Der Junge und das Mädchen eilten Hand in Hand Richtung Wandrahmsteg davon.

    Boysen und Okkinga setzten ihren Rundgang zwischen den Warenspeichern fort.

    »Ja, man müsste auch mal wieder ablassen«, sagte der Friese plötzlich. Seine Stimme hatte einen träumerischen Unterton.

    Boysen hob eine Augenbraue und warf dem Constabler einen überraschten Seitenblick zu. Okkinga redete kaum, wenn er nicht direkt angesprochen wurde. Da Boysens Untergebener nun sogar freiwillig das Wort ergriff, war das ein Beweis dafür, dass Okkinga einen wirklich starken inneren Druck verspüren musste. Der Anblick des kopulierenden Pärchens hatte den friesischen Ordnungshüter offenbar auf Ideen gebracht. Dafür hatte Boysen vollstes Verständnis.

    »Hast Recht, Okkinga«, meinte der Offiziant. »Wir schauen nachher noch bei Frau Lehmkuhl nach dem Rechten.«

    Mit dieser Antwort gab sich der Friese einstweilen zufrieden und nickte vor sich hin. Nun erweckte Okkinga wieder den Eindruck, im Gehen zu schlafen. Doch wenig später wurde die Streife mit dem nächsten Problem konfrontiert.

    Am St. Annen-Ufer war ein leckes Ruderboot an Land gezogen worden. Es ruhte kieloben direkt an der Kaimauer. Boysen ging in die Knie und leuchtete mit seiner Blendlaterne unter das Boot. Zwischen das Straßenpflaster und die Reling waren große Holzkeile getrieben worden.

    »Da liegt einer drunter«, sagte Boysen zu Okkinga. Und er rief laut: »Rauskommen, aber sofort! Hier ist die Polizei!«

    Zur Bekräftigung seiner Worte schlug der Offiziant mit seinem Dienststock auf den hölzernen Boden des Wasserfahrzeugs. Nun bemerkten die Ordnungshüter, dass mindestens sechs Personen unter das Boot gekrochen waren, darunter mehrere Kinder. Weinen, Wehklagen und Gejammer erklangen.

    »Rauskommen, sonst werde ich ungemütlich!«, drohte Boysen. Er drosch weiter auf den Bootsrumpf ein. Die zerlumpten Schläfer kamen hervorgekrabbelt. Sie redeten wild durcheinander. Die Kleinen klammerten sich zitternd an die Röcke der Mutter, die einen Säugling auf dem Arm trug. Das Gesicht des Mannes war von einem schwarzen Bart zugewuchert. In hündischer Ergebenheit kniete er vor Boysen und duckte sich, als ob er einen Schlag erwartete.

    »Poschalsta ... poschalsta«, wimmerte der Bärtige. Das war jedenfalls das einzige von seinen Wörtern, das Boysen verstand. Der Mann war garantiert ein Auswanderer, und er bat die Beamten auf Russisch um irgendetwas. Worum? Boysen wusste es nicht, aber er konnte es sich denken.

    »Ihr könnt hier nicht im Freien übernachten«, sagte er lahm. Dabei wusste der Offiziant, dass die zerlumpte Familie ihn nicht verstand. Sie wollten nicht Deutsch lernen, sondern nach Amerika auswandern, wo sie sich ein besseres Leben erhofften. Hamburg war die letzte Station auf ihrer Irrfahrt quer über

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