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Ein glühend Messer
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eBook267 Seiten3 Stunden

Ein glühend Messer

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Über dieses E-Book

Was als unbeschwerter Kurzurlaub am Meer mit der jungen Geliebten Laura gedacht war, endet für den verheirateten Schriftsteller Ned Stowe in einem Alptraum. Eines Abends nämlich begegnet er in einem abgelegenen englischen Hafen dem skrupellosen Lebemann Charles Hammer, der Neds Nöte durchschaut und eine perfekte Lösung vorschlägt: einen Pakt zur Beseitigung von Neds neurotischer Ehefrau und zum Mord an einem Onkel, der Hammers beruflicher Karriere im Wege steht. Der Plan für einen perfekten Doppelmord mit vertauschten Opfern scheint zunächst brilliant, doch die Dinge entwickeln sich weit dramatischer und ganz anders, als die beiden Männer das zunächst erwartet hatten.

Nicholas Blake, ein Pseudonym des englischen Lyrikers Cecil Day-Lewis (1904-1972), zählt zu den klassischen Autoren des englischen Kriminalromans. 'Ein glühend Messer' liegt hier erstmals in deutscher Übersetzung vor.
SpracheDeutsch
HerausgeberElsinor Verlag
Erscheinungsdatum7. Nov. 2013
ISBN9783939483267
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    Smooth-talking Stuart Hammer meets Ned Stowe and immediately recognizes him for unhappy and desperate. Ned loves his mistress but is married to sharp tongued Helena, who has the money that keeps Ned from divorcing her. Stuart is an employee of his uncle's thriving business but wants to be the boss himself. When Stuart presents his plan to fix both his and Ned's problems, Ned jumps at the chance, as his unhappiness keeps him from considering the fact that he isn't a killer and that he really can't keep his mouth shut.Does this plot sound familiar? Published in 1958, the author (Cecil Day-Lewis) includes a note explaining that it wasn't until after publication that he heard of Patricia Highsmith's Strangers on a Train, published eight years earlier. This was an engaging tale of double murder, with one man so comfortable with murder, and the other being his polar opposite.

Buchvorschau

Ein glühend Messer - Nicholas Blake

Blake

1. KAPITEL

IM «NELSON ARMS»

Charles Hammer hatte an einem Samstag im August des Jahres 1955 gerade an der Theke des «Nelson Arms» Platz genommen, als ihm schlagartig klar wurde, wie er den perfekten Mord begehen könnte.

Eine Stunde vor Einbruch der Nacht war er mit der Flut in die Flußmündung eingefahren. Die Möwe hatte er am Heck vertäut, so daß sie sich beim Einsetzen der Ebbe drehen und in Richtung Meer weisen würde, denn er spürte kein großes Verlangen, die Nacht in einem Fluß zu verbringen, der bei niedrigem Wasserstand kaum mehr sein dürfte als ein tiefer Graben im Watt. Wäre ihm nicht das Bier ausgegangen, er hätte sich ohnehin nicht in diesen tückischen Kanal hineingewagt – einen Wasserlauf, der ihm vollkommen fremd war. Doch laut Karte lag eine halbe Meile flußaufwärts ein Dorf, und wo ein Dorf war, konnte eine Kneipe nicht fehlen.

Mit einer leeren Bierkiste in der Hand kletterte Charles Hammer also ins Beiboot der Möwe. Seit er, angetrieben vom Hilfsmotor, in jenen gespenstischen Fluß hineingeglitten war, hatte er weder ein menschliches Wesen noch die Spur einer menschlichen Behausung ausmachen können. Im verblassenden Licht war selbst hier nichts zu sehen als Wasser, Dünen und aschgraues Gras. «Verdammtes gottverlassenes Nest», fluchte er vor sich hin, während die Strömung ihn in Richtung Brackham Staithe trieb. Bald kam er an eine scharfe Biegung des Gewässers, und die Möwe verschwand aus dem Blickfeld. Er schaute nach links und entdeckte ungefähr hundert Meter entfernt eine Reihe von Lichtern. Die Fahrrinne weitete sich zu einem Becken, an dessen Ränder sich eine geisterhafte Schar kleiner Boote drängte. Charles bahnte sich seinen Weg hindurch und legte am nördlichen Ufer des Flusses an.

«Brackham Staithe», höhnte er. «Das Seglerparadies. Na, Prost Mahlzeit. Aber vielleicht für Schmuggler ganz praktisch.»

Da er – aus freien Stücken – stets allein unterwegs war, hatte Charles Hammer sich Selbstgespräche angewöhnt. Tatsächlich liebte er diese Konversation mit sich selbst, und er zog sie beinahe sämtlichen anderen Unterhaltungen vor – ein Umstand, von dem seine zahlreichen Bekannten und Zechkumpane glücklicherweise nichts ahnten.

Brackham Staithe war alles andere als ein Seglerparadies. Von gelegentlichen Gästen abgesehen, fuhren hier nur Einheimische mit ihren Booten hinaus. Der Ort war also ziemlich ausgestorben, außer an Wochenenden, wenn nautisch begabte Besucher ihre kleinen Boote zwischen den schlecht markierten Sandbänken der Salzwasserlagunen hindurchzumanövrieren suchten.

Da es ein Samstagabend war, hatten sich Scharen von Wassersportlern im «Nelson Arms» eingefunden. Sie löschten dort den höllischen Durst, der beim Segeln im Salzwasser aufkommt, und überall herrschte jene ein wenig künstliche Ausgelassenheit, die immer dann um sich greift, wenn Menschen beieinanderstehen, die jenseits ihres Freizeitvergnügens nichts mit ihrem Gegenüber verbindet. Die Männer trugen Strickjacken, Shorts oder fleckige Hosen; die Frauen waren von der Sonne verbrannt und schienen eher aus Tauen denn aus Fleisch und Blut geformt; und dann gab es da noch ein oder zwei jener höchst exotischen Mädchen, die stets im Gefolge von Hobbyseglern aufkreuzen und die mit ihrer Leinenkleidung und den lackierten Fingernägeln wirken, als seien sie soeben den Seiten der Vogue entsprungen.

In diesem Gedränge nahm fast niemand Notiz von Charles Hammer. Die Einheimischen hielten ihn für einen Gast des «Nelson Arms», und die wenigen Besucher sahen in ihm wohl einen Einheimischen. Ein ungewöhnlich schönes Mädchen mit kupferfarbenem Haar, das gegenüber der Tür bei einem Mann saß, warf einen ganz flüchtigen Blick auf die untersetzte, breitschultrige Gestalt, die gerade in den Raum trat; fast unbewußt registrierte sie Hammers Piratenbart, sein rotbraunes Gesicht und die Klappe, die er über einem Auge trug.

Charles drängte sich zur Theke vor und bestellte dort ein Glas Bier und zwei Dutzend Bierflaschen, um seine Kiste aufzufüllen. Während er sein Glas leerte, schaute er sich um: Dielen und Kiefernholz; Holzstühle und Sitzbänke; Schilder mit Werbung; Bierpfützen auf den Tischen. Eng und verraucht und nichtssagend – passend genug für diese Binnenschiffer, dachte er. Mit ein wenig Chrom und rotem Leder könnte man daraus sogar etwas machen: ein paar Schiffslaternen statt dieser grellen nackten Glühbirnen; die Werbung an der Wand dort drüben dürfte ruhig hängenbleiben … mit den Schiffen in voller Fahrt … die Leute mögen diesen alten Plunder.

Charles bemerkte einen Öldruck mit dem Bildnis des Admirals, nach welchem der Pub benannt war, über der Theke.

«Der Schutzpatron hat immer alles im Blick, was?»

«Entschuldigen Sie …?» fragte der Wirt.

Charles wies mit dem Kopf auf das Bild. «Nelson.»

«Oh, richtig. Er stammt ja aus dieser Gegend. Aus Burnham Thorpe drüben. Ihr erster Besuch hier?»

«Ja. Wie bitte? Oh ja. Ich bin …»

Charles vergaß seine Antwort. Über dem Öldruck hing nämlich ein breiter Spiegel in einem solchen Winkel, daß man die gegenüberliegende Seite des Raumes betrachten konnte. Zunächst hatte jene rothaarige Dame, die so dicht an den Kerl auf der Bank gerückt war, Charles’ Aufmerksamkeit erregt; nun aber besah er sich diesen Mann ein wenig genauer. Nie zuvor war ihm ein Mann begegnet, der offensichtlich so vollkommen am Ende seiner Kräfte angelangt war. Ein Irrtum war ausgeschlossen: Charles Hammer hatte seine Erfahrungen bei der Küstenwache und bei den Polizeikräften in Palästina gesammelt, und er verstand sich auf die Signale des Körpers, die andeuteten, daß jemand dem Zusammenbruch nahe war. Das Paar verständigte sich beinahe flüsternd; das Gespräch floß schon geraume Zeit dahin, drehte sich, so schien es, im Kreis, seit Stunden schon, womöglich seit Wochen und Monaten. Charles lehnte an der Theke, die blauen Augen fast wie im Traum auf das Paar gerichtet, und so lauschte er ihrem Gespräch. Natürlich war bei diesem Lärm kein Wort zu vernehmen – doch Charles, der allerlei bemerkenswerte Fertigkeiten besaß, verstand sich aufs Lippenlesen.

Er hatte diese Kunst als Kind erlernt, im Krankenhaus, wo er lange Zeit lag, taub nach einem Schädelbasisbruch. Und er praktizierte diese Technik noch als Mann, da sie ihm das Gefühl von Macht gab: Charles Hammer liebte nämlich die Macht, und obwohl er sich durch sein entschlossenes Auftreten reichlich Macht zu verschaffen wußte, war er doch unersättlich und niemals damit zufrieden. Seit er vor fünf Jahren den Posten eines Personalleiters in der Fabrik seines Onkels in den Midlands angenommen hatte, fand er reichlich Gelegenheit, inmitten der lärmenden Maschinen von seiner Gabe Gebrauch zu machen. Das gehörte zu einem knabenhaften Charakterzug, ebenso wie die ausgelassene Freude am Unerkanntsein, am Tragen von Bart und mittlerweile unnötiger Augenklappe während seines Urlaubs auf See. Weil dieser Wesenszug ihm vollkommen natürlich war, wirkte diese Knabenhaftigkeit auch so vollkommen entwaffnend – und war deshalb nur um so gefährlicher.

Charles Hammer blickte also auf die Lippen des bleichen Mannes; er hörte förmlich die rauhe Stimme, die von äußerster Erschöpfung zeugte.

«… Aber Liebling, wir haben das doch schon hundertmal durchgesprochen. Ich kenne Miriam. Sie würde sich niemals freiwillig von mir scheiden lassen. Dafür genießt sie ihr Katz-und-Maus-Spiel viel zu sehr. Weiß sie erst, daß ich mich von ihr losreißen möchte, wird sie nur um so heftiger an der Schnur zerren.»

«Armer Ned! Also hat sie dich am Haken?»

«Vermutlich. In gewisser Hinsicht, ja. Wenn … wenn man zehn Jahre mit jemandem zusammengelebt hat …»

«Also gut, dann bleibt wohl kein anderer Ausweg als …»

«Aber nein! Laura, ich werde dich niemals aufgeben! Ich lebe doch nur noch, wenn ich in deiner Nähe bin. Alles andere ist so unwirklich. Möchtest du denn, daß ich dich aufgebe?»

«Ach Ned, ich bitte dich! Du weißt doch, wie sehr ich dich liebe. Aber es quält mich eben auch … dieses Versteckspiel kann ich kaum noch ertragen. Unser Leben ist so schmutzig und unordentlich.»

Der Mann hob die Augen; ganz kurz nur streifte der Blick seinen Beobachter Charles Hammer. Nach längerem Schweigen setzte das Mädchen seine Lippen wieder in Bewegung.

«Trotzdem verstehe ich nicht, warum du sie nicht einfach verlassen kannst. Wir hätten endlich Klarheit. Und selbst wenn sie eine Scheidung oder eine Trennung verweigert, hättest du zumindest …»

«Ach, laß doch, das haben wir ja schon ein Dutzend Mal erörtert.»

«Immerhin habt ihr zwei ja keine Kinder.»

«Aber immerhin habe ich auch kein geregeltes Einkommen. Das vergißt du dabei gern. Falls ich sie verlasse, wird sie mit tödlicher Sicherheit alles so drehen, daß in Zukunft ich für ihren Unterhalt zahlen muß. Wovon würden wir beide dann leben?»

«Ach Liebling, wenn dein Theaterstück erst auf die Bühne kommt …»

«Wenn, wenn, wenn!» Das Gesicht des Mannes nahm einen wilden, finsteren Ausdruck an. Seine Lippen zuckten; hastig strich er eine Locke seines dunklen Haars zurück, die über seine zerfurchte Stirn gefallen war. Seine Augen starrten durch den Raum in Charles Hammers Richtung, ohne irgend etwas wahrzunehmen. «Ich wünschte, sie wäre tot», behauptete er.

«Oh Ned, so etwas darfst du doch nicht sagen!»

«Du wünschst es doch auch, meine Liebe, du doch auch.» Die beiden blickten einander tief in die Augen. Unbekümmert wirkte er während dieser Worte, und so schien sein Gesicht um Jahre jünger und außerordentlich charmant. Das Mädchen griff nach seiner Hand und preßte ihre Oberschenkel eng an die seinen, und auf ihrem Gesicht zeichneten sich die unterschiedlichsten Empfindungen ab: Triumph, Verwirrung und Zärtlichkeit waren deutlich auszumachen. Offenbar zählte sie zu den ungewöhnlichen Frauen, in denen sich Unschuld und Erfahrung auf eine kaum beschreibbare Weise mischen. Charles Hammer bemerkte so etwas nicht; er war scharfsinnig, aber vollkommen unsensibel. «Sie braucht weniger Geschwätz und mehr Einsatz im Bett», flüsterte er. «Und ich glaube kaum, daß dieser Bursche ihr das bieten kann.»

Er wandte sich wieder an den Wirt. «Bleiben viele Leute über Nacht?»

«Ja, wir sind über das Wochenende komplett ausgebucht.»

«Kenne ich dieses rothaarige Mädchen da drüben nicht von irgendwo her? Eine Schauspielerin. Wie heißt sie noch gleich?»

«Das dürfte Mrs. Saunders mit ihrem Mann sein. Gestern abend angereist. Sie bleiben bis Montag. Also Schauspielerin ist sie? Kaum zu glauben! Ein so ruhiges, freundliches Paar.» Laut keuchend reckte der Wirt den Hals in die Höhe, um über die Köpfe seiner Gäste hinwegzuschauen.

«Na ja, zumindest dachte ich, ich hätte sie einmal irgendwo auf der Bühne gesehen», antwortete Charles ausweichend. Er blickte wieder zu den beiden hinüber und achtete auf die Lippen des bleichen Herrn.

«Ich würde jedenfalls keinen Finger rühren, um ihr das Leben zu retten. Ein hoffnungsloser Fall. Wäre sie ein Tier, hätte man sie schon längst von ihrem Leiden erlöst.» Er zitterte am ganzen Körper.

«Ich will dich, Ned», hauchte das Mädchen. «Vergessen wir sie doch heute abend einfach.»

«Dann geh schon mal nach oben, Liebes. Ich muß noch ein wenig frische Luft schnappen – die Luft ist so stickig hier unten. Dauert auch nicht lange.»

Charles Hammer blickte sich um. Er kannte hier niemanden, und niemand kannte ihn. Er verabschiedete sich flüchtig vom Wirt, griff nach seiner Bierkiste und verließ kurz vor «Mr. Saunders» das Lokal.

«Entschuldigen Sie», bat er einen Augenblick später, «könnten Sie mir wohl beim Kistentragen helfen? Habe da gestern meinen Arm ein wenig ausgerenkt.»

«Aber selbstverständlich», antwortete Ned. «Schöner Abend heute, nicht wahr?»

Unbewegt ragten die Masten der kleinen Segelschiffe in die Luft; das bei Ebbe zum Meer hin weichende Wasser wisperte und gluckste um die Boote, die an ihren Tauen zerrten und allesamt in die gleiche Richtung blickten, wie eine Herde Schafe. Kein Mensch war mehr am Ufer zu sehen. Im Licht des Viertelmondes schimmerte der Schlick neben der Fahrrinne wie ein Schokoladenpudding. Die Männer verstauten die Kiste an Bord.

«Muß erst einmal die Beine ausstrecken», begann Charles Hammer. «Meine Yacht liegt ein paar hundert Meter flußabwärts. Sie segeln?»

«Auf kleinen Booten ja, gelegentlich. Aber nicht auf dem offenen Meer. Vielleicht kann ich mir morgen mal ein Boot leihen.»

«Zigarette? Ach so, ich heiße Hammer, Charles Hammer.»

«Vielen Dank.» Ned behielt seinen Namen für sich. Er atmete tief ein und genoß das köstliche nächtliche Aroma aus Wasser, Schlamm, Dünen, Gras und Teer, bevor er Charles Hammer Feuer gab und sich selbst eine Zigarette anzündete. In einem der Zimmer im ersten Stock des «Nelson Arms» ging ein Licht an: Jetzt würde Laura sich für die Nacht fertigmachen. Ned lächelte ins Dunkle; er würde noch ein wenig länger hier draußen bleiben, um die Vorfreude zu steigern. Der Fremde spazierte den Uferweg entlang, weg vom Pub, Ned an seiner Seite. Ihre Schritte blieben auf dem Gras unhörbar. Schließlich fanden sie eine etwas marode Bank.

«Sie bleiben länger?» fragte Hammer, nachdem sie Platz genommen hatten.

«Ich weiß es noch nicht. Meine Frau muß Montag morgens nach London zurück. Ich könnte noch ein paar Tage dranhängen. Momentan arbeite ich freiberuflich.»

«Sie Glückspilz.» Einer exotischen Pflanze gleich, schien Charles im Dunkeln aufzublühen. «Ich meine», fuhr er fort, scheinbar einer Eingebung folgend, doch weiterhin mit gedämpfter Stimme, «wenn Sie ein paar Tage nichts zu tun haben, möchten Sie mich vielleicht auf der Möwe begleiten?»

«Nun ja …»

«Etwas seltsamer Vorschlag von einem völlig Fremden, ich weiß. Aber mein Partner ist krank geworden; mußte ihn letzten Mittwoch an Land absetzen. Normalerweise ist die Möwe auch von einem Mann gut zu segeln; aber jetzt, wo ich den Arm ausgerenkt habe …»

«Ich weiß nicht, ob ich Ihnen eine große Hilfe wäre», antwortete Ned zögerlich. Doch die Vorstellung reizte ihn durchaus. Jedenfalls ließe sich auf diese Weise die Rückkehr zu Miriam noch ein wenig hinauszögern.

«Kein Problem. Wenn Sie ein kleines Boot segeln können, werden Sie den Rest schnell lernen.» Charles Hammer schwieg einen Moment und überlegte, wie er die Sache am besten einfädeln könnte. Offenbar war dieser Bursche so eine Art Studierter, dachte er; da war es ratsam, dick aufzutragen. Du mußt seine romantische Ader anstechen; diese Schreibtischhelden träumen doch immer davon, Männer der Tat zu sein.

«Schon mal das Schmuggeln ausprobiert?» fragte er unvermittelt.

«Schmuggeln? Nun … nein.»

«Hätten Sie da moralische Bedenken?»

«Ich – ich habe noch nie darüber nachgedacht. Hängt davon ab, glaube ich.»

«Wie meinen Sie das?» Das glühende Ende der Zigarette brachte Charles Hammers blaue Augen zum Leuchten; sie waren fest auf Ned gerichtet.

«Hm, für mich wären Drogen wohl die Grenze. Ab da wird es schmutzig.»

«Richtig. Aber Uhren, Branntwein – solche Sachen?»

«Oh, das halte ich für annehmbar. Ich verspüre durchaus anarchistische Neigungen.»

Die Stille der Nacht, das bleiche Mondlicht, die Gegenwart des Fremden, der seiner Sache so sicher schien, und die aufgewühlte Stimmung, in der Ned selbst sich befand – dies alles verlieh dem Gespräch etwas Unwirkliches. Vom Pub her wehte gedämpftes Stimmengewirr herüber, und auf einem Hof jenseits des Dorfes bellte ein Hund: Laute wie aus einer Traumwelt.

«Gut, ich will mit offenen Karten spielen», begann Charles beiläufig. «Am Mittwoch erwarte ich eine Lieferung aus Holland. Beim Segeln könnte ich ein wenig Hilfe gebrauchen. Natürlich bekämen Sie Ihren Anteil; nicht unter fünfzig Pfund, vielleicht etwas mehr. Nervenkitzel ist gratis. Und womöglich Stoff für eine Geschichte – Sie sind doch Schriftsteller? Aber alles ohne großes Risiko; die Sache ist wasserdicht. Sind Sie dabei?»

Hammers Auftreten und seine Stimme wirkten so mitreißend, daß Ned glaubte, er müsse zumindest ein wenig symbolischen Widerstand leisten.

«Und warum gerade ich? Ich meine, Sie kennen mich doch überhaupt nicht. Ich könnte gleich morgen zur nächsten Zollbehörde laufen.»

Hammer schmunzelte. «Menschenkenntnis. Ausschuß erkenne ich sofort. Sie sind in Ordnung.»

Ned verspürte eine absurde Genugtuung. «Okay, ich mache mit», erklärte er.

«Guter Mann. Wie heißen Sie übrigens?»

«Edwin Stowe … Saunders. Oder einfach Ned.»

«Doppelname? Stowe-Saunders?»

Da ließ sich nichts mehr kaschieren. «Hier unten bin ich Saunders», erwiderte Ned und errötete ein wenig.

«Verstehe. Sie müssen das nicht erklären.» Charles Hammer schlug einen geschäftsmäßigen Ton an. Er teilte Ned mit, wo und wann er ihn am Montagabend an Bord nehmen und wie Ned die Stelle am besten finden würde. Außerdem schlug er einen Ausweichtermin ein paar Stunden später vor, nur für den Fall, daß einer von ihnen vorher verhindert wäre. Und er riet Ned, nichts mitzubringen als Rasierer, Zahnbürste und Turnschuhe: Pullover, wasserfeste Jacken und Stiefel gab es auf der Möwe.

«Und noch etwas. Nur um Sie und mich so gut wie möglich zu schützen. Niemand darf wissen, daß Sie mich begleiten. Ich wiederhole: niemand; dazu rechne ich auch … ähm … Mrs. Saunders. Compris

«Aber natürlich.»

«Da ist nichts natürlich, alter Knabe.» Hinter dem leutseligen Ton Hammers blitzte kalte Härte auf. «Sobald Sie diesen Ort verlassen, müssen Sie Ihre Spuren verwischen. Lassen Sie sich etwas einfallen – ein paar freie Tage vielleicht, um die Kirchen von Norfolk zu besuchen, oder sonst etwas –, jedenfalls muß es ihre vorübergehende Abwesenheit erklären, und man darf keine Verbindung zu unserer kleinen Expedition herstellen können. Sie haben mich nie getroffen und nie von mir gehört – klar?»

«Klar.»

«Sie können es sich ja noch anders überlegen. Wenn Sie zu unseren beiden Rendezvous nicht erscheinen, weiß ich halt, daß Sie ihre Meinung geändert haben. So etwas kommt vor.»

«Ich werde dort sein», erwiderte Ned, leicht gereizt.

Charles warf einen Blick auf seine Armbanduhr. «Ich muß aufbrechen, bevor die Fahrrinne austrocknet. Nein, nicht gemeinsam. Geben Sie mir drei Minuten Vorsprung. Bis bald, Ned.»

Die untersetzte Gestalt verschwand im Dunkeln. Als Ned ein paar Minuten später zum «Nelson Arms» zurückschlenderte, hörte er das leise Platschen der Ruder, während das Boot an ihm vorüberglitt. Da bemerkte er mit Schrecken, daß er während der letzten Viertelstunde nur ein einziges Mal an Laura gedacht hatte, nämlich als der Fremde «Mrs. Saunders» erwähnte.

«Ich bin noch hier», machte sich Laura bemerkbar.

«Ja, Schatz. Tut mir leid.»

«Denk doch nicht immer darüber nach. Es ist ein so schöner Tag, und er ist ja noch nicht vorbei. Vergiß sie doch jetzt einfach, Liebling.»

«Ja, mach ich.» Aber Ned hatte überhaupt nicht an Miriam gedacht. Die ungewöhnliche Begegnung am vergangenen Abend wollte ihm einfach nicht aus dem Kopf. Er hatte sie nicht geträumt, und doch besaß alles die plastische Unwirklichkeit eines Traumes, der beim Erwachen albern wirkt und dennoch wie eine Vorahnung.

Ned ließ den Sand der Düne durch die Finger rinnen. Schmuggeln? Wäre ich ein Schmuggler, würde ich dann wohl einen vollkommen Fremden in einem Pub ansprechen, ihm meinen Namen und den Namen meines Bootes nennen (aber gut, die mögen falsch gewesen sein), und würde ich ihn dann einfach mir nichts, dir nichts bitten, mich zu begleiten? Ein geradezu abenteuerliches Risiko. Oder etwa nicht? Natürlich könnte Charles Hammer alles abstreiten, wenn ich jetzt zur Polizei ginge. Dann stände mein Wort gegen seines. Aber woher will er so genau wissen, daß ich nicht gleich die Behörden alarmiere, damit sie ihn bei der Rückkehr mit der Schmuggelware in Empfang nehmen? Sehe ich denn wie ein Gangster aus?

Ned bemerkte, daß er die letzten Worte tatsächlich laut ausgesprochen hatte.

«Manchmal ja», bestätigte das Mädchen. «Worum geht’s denn?»

«Ach, um nichts.»

«Eine Art verhaltene Spannung», fuhr sie träumerisch fort, «wie bei einem Topf mit kochendem Wasser unter dem Deckel. Ich habe das letzte Nacht schon bemerkt.»

«So zurückhaltend war ich doch hoffentlich nicht?»

«Das meine ich nicht.» Laura hatte den Kopf geneigt und wandte ihn nun zur Seite; ihr schönes kupferfarbenes Haar fiel wie ein Schleier über eine ihrer Wangen.

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