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Belladonnas Schweigen: Leo Schwartz ... und die Selbstjustiz
Belladonnas Schweigen: Leo Schwartz ... und die Selbstjustiz
Belladonnas Schweigen: Leo Schwartz ... und die Selbstjustiz
eBook333 Seiten4 Stunden

Belladonnas Schweigen: Leo Schwartz ... und die Selbstjustiz

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Über dieses E-Book

Ein selbsternannter Helfer in der Not geht in Altötting um. Es dauert nicht lange, und die neue Tageszeitung AÖ News berichtet reißerisch über diesen Mann, den sie fortan nur noch Guten Geist nennt. Durch den Schmierenjournalismus einer übereifrigen Reporterin wird die Bevölkerung aufgehetzt. Die AÖ News unterstützen den Guten Geist und werden gegenüber der Polizei immer ausfälliger und respektloser. Daran ändert sich auch nichts, als es die Kripo mit drei Toten zu tun hat, die alle augenscheinlich auf das Konto des Guten Geistes gehen. Als sich eine radikale Opposition in Altötting bildet, eskaliert die Situation. Nur die Kastler Hure Belladonna hat den Guten Geist erkannt. Aber sie schweigt beharrlich…
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum24. Okt. 2015
ISBN9783738044560
Belladonnas Schweigen: Leo Schwartz ... und die Selbstjustiz
Autor

Irene Dorfner

Irene Dorfner - Die Autorin wurde 1964 in Reutlingen/Baden-Württemberg geboren und ist auch dort aufgewachsen. Die gelernte Großhandelskauffrau lebt seit 1990 mit ihrer Familie in Altötting/Bayern. 2013 hat sie ihren ersten Krimi veröffentlicht, kurz darauf erschien der nächste Fall. Seitdem widmet sie sich ausschließlich dem Schreiben von Krimis/Thriller. Aus der Leo-Schwartz-Reihe sind bisher 30 Fälle erschienen - und ein Ende ist nicht in Sicht...

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    Buchvorschau

    Belladonnas Schweigen - Irene Dorfner

    Impressum

    Copyright ©2015 Irene Dorfner

    Copyright 2. Auflage 2017 – ©Irene Dorfner

    Copyright 4. überarbeitete Auflage 2021 –

    ©Irene Dorfner, Postfach 1128, 84495 Altötting

    All rights reserved

    www.irene-dorfner.com

    Lektorat: FTD-Script Altötting

    EarL und Marlies Heidmann, Spalt

    VORWORT

    „Dass die Menschen immer mehr sein wollen als sie sind, 

    ist eine der stärksten Quellen unseren Elends."

    Johann Jakob Wilhelm Heinse

    (deutscher Schriftsteller, Gelehrter und Bibliothekar 1746-1803)

    Ich wünsche ganz viel Spaß beim Lesen des 13. Falles mit Leo Schwartz & Co.!!

    Liebe Grüße aus Altötting

    Irene Dorfner

    ANMERKUNG:

    Die Personen und Namen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

    Der Inhalt des Buches ist reine Fantasie der Autorin. Auch hier sind Ähnlichkeiten rein zufällig. Die Örtlichkeiten wurden den Handlungen angepasst.

    …und jetzt geht es auch schon los:

    1.

    „Verdammt, ist das heiß heute," stöhnte Leo Schwartz. Der 50-jährige gebürtige Schwabe hatte dienstfrei und sich dummerweise dazu bereiterklärt, seiner Vermieterin und Ersatzmutter Tante Gerda beim Anlegen ihres Gemüsebeetes zu helfen. Der Hofhund Felix hatte sich in den Schatten verzogen und machte das, was er außer Essen am liebsten tat: schlafen.

    „Bitte Leo, ich bekomme Fronleichnam Besuch von meinen Walking-Freunden und möchte, dass mein Garten tipptopp aussieht. Wir sind doch auch fast fertig, den Rest schaffen wir locker in einer Stunde." Natürlich untertrieb die 73-jährige Tante Gerda schamlos, denn sie hatten noch nicht einmal die Hälfte der Arbeit geschafft. Die liebenswerte, gutmütige und ehrliche alte Dame sah ihn mit ihren großen, braunen Rehaugen an und sofort bereute er seinen dummen Spruch. Natürlich half er ihr gerne, aber warum musste es dazu so heiß sein? Jammern half nichts. Er arbeitete weiter und nach drei (!) Stunden waren sie endlich fertig. Tante Gerda strahlte übers ganze Gesicht. Leo duschte ausgiebig und machte sich auf nach Altötting, um sich dort nach der anstrengenden Arbeit auf dem Kapellplatz einen Cappuccino zu gönnen. Natürlich hatte er Tante Gerda eingeladen, aber sie hatte für den morgigen Besuch noch viel zu viel vorzubereiten und war rasch im Haus verschwunden.

    Auf dem Kapellplatz herrschte ein reges Treiben. Von allen Seiten trafen neue Gruppen ein und vermischten sich mit den anderen Wallfahrern und Touristen. Vor und um die Gnadenkapelle hatten sich riesige Menschentrauben gebildet, die alle noch versuchten, in das winzige Innere der berühmten Wallfahrtskirche zu gelangen, um dort die Schwarze Madonna bewundern zu können. Viele waren hier, um ihr persönliches Anliegen und ihre Bitten vorzubringen, andere waren nur neugierig. Leo zog wegen seines eigentümlichen Kleidungsstils auch heute wieder viele Blicke auf sich, denn neben den üblichen Jeans und Cowboystiefeln trug er ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck einer Rockband aus den 80er-Jahren, die außer ihm keiner mehr kannte. Das wäre nicht so schlimm gewesen, wenn die Abbildung auf dem T-Shirt nicht mit einem riesigen Totenkopf in neongelb umrandet gewesen wäre; und dieser auffällige Totenkopf passte für viele Gläubige nicht an diesen ehrenwerten Ort. Leo war das vollkommen gleichgültig und er bemerkte die abschätzenden und abfälligen Blicke nicht. Oder war er mittlerweile sogar daran gewöhnt? Er gönnte sich noch ein Weißbier, denn auch am morgigen Feiertag Fronleichnam hatte er frei. Und das bei diesem Wetter! Er hatte das Glas noch nicht ganz leer, als er spürte, dass auf der rechten Seite des Kapellplatzes etwas vor sich ging, das hier nicht her passte. Die Passanten wurden unruhig und dann hörte er mehrere Frauen schreien. Leo sprang auf und lief zu dem Geschehen, das er noch nicht deuten konnte. Was war da los? Dann sah er einen Mann, der an der Handtasche einer alten Frau zerrte. Die alte Dame klammerte sich an den Schultergurt ihrer Tasche, aber der Dieb war kräftiger, riss die Tasche an sich und dabei fiel die alte Dame der Länge nach hin. Ohne sich umzudrehen, rannte der Dieb davon. Leo war nur noch wenige Meter entfernt, aber der Dieb rannte nicht in seine Richtung, sondern lief direkt auf die Gnadenkapelle zu; es war offensichtlich, dass er in der Menschenmenge untertauchen wollte. Die alte Frau war völlig geschockt, als Leo zu ihr durchdringen konnte. Immer mehr Schaulustige hatten sich um das Diebstahlopfer versammelt, unfähig, irgendetwas zu tun. Er hatte sein Handy schon in der Hand und wollte den Notarzt rufen, als er bemerkte, dass etwas an der Gnadenkapelle vor sich ging, was ebenfalls nicht hierhergehörte. Zum Glück war er mit seinen 1,90 m im Vorteil und konnte über die meisten Schaulustigen hinwegsehen. Sah er richtig? War da eine Art Comicfigur?

    „Rufen Sie den Notarzt und die Polizei," rief er laut in die Menge und hoffte darauf, dass zumindest einer seiner Anweisung Folge leistete. Er rannte zur Gnadenkapelle und stand schließlich vor einem Mann Ende 20, der ihn anstrahlte und triumphierend die geklaute Handtasche in die Höhe hielt. Von dem Dieb war weit und breit nichts zu sehen. Leo betrachtete den Mann genauer. Er war 1,75 m groß, korpulent und trug einen Schlafanzug mit Turnschuhen, über dem ein breiter Handwerkergürtel hing, der mit den wildesten Utensilien bestückt war: Ein gelbes Plastikschwert, mehrere Schlüssel, Plastikringe und ein echter Hammer. Die Augen waren mit einer schwarzen Farbe umrandet und er hatte eine große Brillenfassung ohne Gläser auf der Nase. Das Ganze toppte ein Trachtenhut mit einem riesigen Gamsbart.

    „Papiere," sagte Leo außer Atem und zeigte seinen Ausweis.

    Der Mann schien ihn nicht zu verstehen.

    „Haben Sie einen Ausweis dabei?"

    „Martin-Man hat die geklaute Handtasche," rief er laut, strahlte immer noch und hielt die Handtasche in die Höhe.

    Erst jetzt erkannte Leo, dass er vor einem kranken Mann stand. Was sollte er tun? Leo entschied, einen Arzt zu rufen. Gerade, als er wählen wollte, rannte eine ältere Frau aufgeregt auf ihn zu.

    „Das ist mein Sohn, sein Name ist Martin Mahnstein. Hat er etwas angestellt?"

    „Ganz im Gegenteil. Eine Handtasche wurde geklaut und so wie ich das beurteilen kann, hat Ihr Martin sie dem Dieb entreißen können. Ich wollte nur seine Personalien feststellen."

    „Martin tut niemandem etwas. Er spielt gerne einen Superhelden und nennt sich Martin-Man. Normalerweise verlässt er nie alleine das Haus, aber heute ist er mir ausgebüchst. Ich habe nur einen kurzen Moment nicht aufgepasst. Sein Ausweis ist zuhause. Wenn Sie möchten, werde ich ihn holen." Frau Mahnstein verschwieg lieber, dass ihr Martin in seinem selbst kreierten Superhelden-Kostüm immer wieder verschwindet. Die Polizei hatte ihn sogar schon drei Mal aufgegriffen und zuhause abgeliefert. Aber das hier vor allen Leuten zuzugeben, war ihr zu peinlich. Sie würde am liebsten ihren Martin an die Hand nehmen und so schnell wie möglich von hier verschwinden.

    „Danke, den Ausweis brauche ich nicht. Ihre Angaben genügen."

    Leo spürte, dass Frau Mahnstein die Situation sehr unangenehm war. Es hatten sich noch mehr Menschen eingefunden, die nach anfänglicher Bewunderung nun in Gelächter verfielen. Immer mehr zeigten auf Martin und machten sich über ihn lustig, was Leo vor allem direkt vor der Gnadenkapelle absolut unangebracht fand.

    „Sperren Sie den Idioten endlich ein!" Diese und ähnliche Zurufe kamen aus allen Richtungen und Leo wurde immer wütender.

    „Halten Sie endlich den Mund, jetzt ist Schluss!, schrie er in die Menge. „Sie sollten sich schämen! Es war tatsächlich einen kleinen Moment ruhig geworden, aber dann mehrten sich die Stimmen wieder und auch die Beschimpfungen und Sticheleien nahmen zu. Leo gab auf, das hatte keinen Sinn, mit der Vernunft der Menschen war nicht zu rechnen. Ein Idiot fing immer mit den Pöbeleien und Beschimpfungen an, andere folgten. Leo beachtete die Menschen nicht mehr und musste sich dazu zwingen, nicht hinzuhören. Leo nahm Martin den Hammer ab und übergab ihn seiner Mutter, das schien ihm sicherer.

    „Geben Sie mir bitte die Handtasche."

    Martin war irritiert. Warum sollte er dem Fremden die Tasche geben? Das Lächeln war verschwunden und er wurde unsicher. Seine Mutter tätschelte ihm die Wange.

    „Das hat Martin-Man sehr gut gemacht. Der Mann ist von der Polizei. Sei so lieb und gib ihm die Handtasche."

    Leo zeigte nochmals seinen Ausweis und dann endlich gab ihm Martin die Tasche.

    „Vielen Dank Martin-Man. Komm mit, dann können wir beide die Tasche an die Besitzerin zurückgeben."

    Leo ging mit Martin und dessen Mutter zum inzwischen eingetroffenen Notarztwagen, der vor einem Devotionalienladen stand und dessen Angestellte darüber überhaupt nicht begeistert waren, denn so konnten die Kunden das Geschäft nicht betreten und waren dazu auch noch abgelenkt. Die Verkäuferinnen sahen unentwegt auf die Uhr. Gerade jetzt und vor ihrem Geschäft musste der Notarztwagen stehen. Das Geschäft mit Andenken, Kerzen, Weihwasser, Rosenkränzen und dem sonst üblichen Nippes war auch so schon hart genug. Hoffentlich war das hier bald beendet und der Eingang des Geschäfts war wieder frei zugänglich, sonst würden sie vom Chef wieder einen riesigen Anschiss kassieren, wenn die Einnahmen nicht seinen Erwartungen entsprachen. Inzwischen waren auch zwei Streifenwagen mit vier Kollegen eingetroffen, die auf Leos kurze Anweisung hin die Befragung der Passanten übernahmen.

    Das Diebesopfer war sichtlich mitgenommen und saß im Notarztwagen. Ein Arzt kümmerte sich um die Frau und ihr Mann hielt ihr dabei die Hand.

    „Hier haben wir Ihre Tasche. Sie können sich bei dem jungen Mann bedanken. Er hat sich mutig für Sie eingesetzt und dem Dieb die Tasche entrissen."

    Die alte Frau war zuerst über Martins Aussehen erschrocken, aber als sie ihre Handtasche erkannte, strahlte sie. Sie holte ihre Geldbörse hervor und gab Martin einen 50 €-Schein.

    „Vielen Dank," sagte sie nur und lehnte sich wieder zurück, die Aufregung war zu viel für sie.

    Martin war irritiert und starrte auf den Geldschein in seiner Hand. Was sollte er damit machen?

    „Martin versteht nicht, was Geld bedeutet. Für ihn ist das nur Papier. Außerdem ist er gerne ein Superheld und die verlangen nie etwas für ihre Taten," erklärte Frau Mahnstein ruhig, aber immer noch beschämt. Sie wollte weg hier, so schnell wie möglich, denn sie bemerkte, dass auch hier immer mehr Menschen stehenblieben, über ihren Sohn sprachen und sich über ihn lustig machten. Auch Leo spürte die Blicke und hörte das eine oder andere abfällige Wort hinter vorgehaltener Hand und hätte nicht übel Lust gehabt, jedem Einzelnen die Meinung zu geigen. Aber das brachte nichts, seine Aufmerksamkeit galt nun einzig und allein Martin und seiner Mutter. Er musste beide aus der Situation bringen.

    „Martin-Man hat eine Belohnung verdient. Was hältst du davon, wenn wir beide in den Spielzeugladen in der Bahnhofstraße gehen? Du darfst dir für deine mutige Tat etwas aussuchen. Hast du Lust? Natürlich nur, wenn deine Mutter einverstanden ist. Frau Mahnstein zögerte. „Keine Sorge, ich bringe ihn gleich nach dem Spielzeugladen nach Hause.

    Eigentlich wollte Frau Mahnstein so schnell wie möglich mit ihrem Sohn nach Hause gehen. Das alles hier und die Tatsache, dass ihr Sohn in seiner Verkleidung in der Öffentlichkeit auftrat, setzte ihr ganz schön zu. Aber als sie sah, wie ihr Martin strahlte und Leos Hand nahm, konnte sie nicht anders und willigte ein. Voller Scham und vor allem voller Sorgen ging sie nach Hause in die Trostberger Straße, die nur wenige Gehminuten vom Kapellplatz entfernt war.

    Als der Notarztwagen wegfuhr und die Menschenmenge sich auflöste, konnten nun auch die Verkäuferinnen des Devotionaliengeschäfts endlich aufatmen.

    Während sich Martin mit großen Augen im Spielzeugladen umsah, hielt ihm Leo dabei den Rücken frei. Ausnahmslos alle Erwachsenen starrten Martin an und zogen ängstlich ihre Kinder zur Seite. Auf den einen oder anderen Spruch reagierte Leo sehr empfindlich und wies die jeweilige Person deutlich zurecht. Nur die Kinder hatten kein Problem mit Martin und behandelten ihn ganz normal. Martin stand unschlüssig vor dem Regal mit seinen geliebten Actionfiguren und konnte sich nicht entscheiden. Seine Augen wanderten von einer zur anderen Figur und wieder zurück. Leo hatte großen Spaß an Martins kindlicher Freude und drängte ihn nicht, er hatte jede Zeit der Welt. Endlich griff Martin zu und sah Leo fragend an.

    „Diese willst du haben? Martin nickte. „Bist du dir ganz sicher?

    „Die will ich. Hast du so viel Geld?"

    Statt einer Antwort nickte Leo und sie gingen zur Kasse, wo Martin nur ungern die Figur aus der Hand gab. Sobald der Preis eingetippt war, nahm er die Figur sofort wieder an sich. Die 50 € reichten nicht ganz, aber Leo legte gerne den Differenzbetrag drauf. Nach wenigen Minuten standen sie vor Martins Elternhaus in der Trostberger Straße. Das Haus war aus den 50er-Jahren und wirkte sehr farblos. Man sah, dass schon lange nichts mehr am Haus gemacht wurde. Aber der kleine Vorgarten war sehr hübsch angelegt und gefiel Leo ausnehmend gut. Er sah sogar noch besser aus als der von Tante Gerda, was er ihr aber nie sagen würde.

    Frau Mahnstein sah aus dem Fenster im ersten Stock. Sie hatte nach ihrem Sohn Ausschau gehalten und war nun beruhigt, als sie ihn und den freundlichen Polizisten erblickte.

    „Schau mal Mama, was mir Leo gekauft hat," rief Martin und hielt dabei seine Actionfigur in die Luft.

    „Sehr schön Martin. Kommt rauf, ich habe Kakao gemacht."

    Martin ging durch die Gartentür ums Haus und stieg die Kellertreppe nach unten. Sie passierten dabei einen kleinen Garten, in dem ein Sandkasten, ein Fußballtor und viele Spielsachen lagen. In diesem Garten führte eindeutig Martin das Regiment, denn Leo bemerkte nicht eine Blume oder einen Zierstrauch, von denen es im Vorgarten nur so wimmelte. An der Kellertür hing eine künstliche Pflanze, hinter der Martin einen Schlüssel hervorzog.

    „Du darfst niemandem sagen, dass hier der Schlüssel ist, das hat die Mama verboten. Aber die Polizei darf das natürlich wissen."

    Leo folgte Martin die Treppe nach oben. Das Treppenhaus war schon älter, die Wände waren schon viele Jahre nicht mehr gestrichen worden und auch die Möbel waren sehr abgewohnt. Nicht nur das äußere Erscheinungsbild, sondern auch das Innere des Hauses bestätigte Leo, dass es an finanziellen Mitteln fehlte.

    Frau Mahnstein hatte den Tisch hübsch gedeckt und hatte für den Besuch extra Kuchen gekauft. Martin wusch sich die Hände und Leo tat es ihm gleich. Der junge Mann trank seinen Kakao, aß seinen Kuchen und spielte dann mit seiner Actionfigur.

    „Vielen Dank Herr Schwartz, Sie sind sehr freundlich. Es ist für Martin nicht die Normalität, dass man offen und freundlich auf ihn zugeht. Normalerweise macht jeder einen großen Bogen um ihn. Ich beichte lieber gleich, dass ich vorhin geschwindelt habe. Martin ist in der Vergangenheit mehrfach ausgebüchst, das wollte ich vor den ganzen Leuten nicht zugeben. Verzeihen Sie mir, dass ich Sie angelogen habe. Leo war überrascht von der Offenheit der Frau. Wie alt mochte sie sein? Über 60? Oder sogar 70? Ihre ganze Erscheinung war altmodisch und zweckmäßig. Die Kleidung und die fast weißen Haare, die sie zu einem dünnen Zopf gebunden hatte, machten sie älter, als sie war. Wenn er nicht gewusst hätte, dass die Frau Martins Mutter war, hätte sie auch locker die Großmutter sein können. Frau Mahnstein ahnte von diesen Gedanken nichts und wenn, wäre es für sie nicht wichtig gewesen. Das waren für sie nur Äußerlichkeiten, die für sie nicht im Vordergrund standen. Für sie gab es nur ihren Martin und die Sorge um ihn. Josefa Mahnstein war erleichtert, als Leo sie anlächelte, sie hatte sich wegen ihrer Lügen einem Polizisten gegenüber schon Sorgen gemacht. „Mein Junge kam viel zu früh zur Welt und die Ärzte haben falsch reagiert. Aber so spielt das Leben nun mal. Körperlich ist bei Martin zum Glück alles in Ordnung. Mein Martin ist ein herzensguter Mensch, der immer nur das Gute in allem und jedem sieht. Ich muss ihn vor den anderen, vermeintlich gesunden Menschen schützen, die meinen Jungen immer nur auslachen und ärgern. Trotz allem ist Martin ein Gottesgeschenk und um nichts in der Welt würde ich ihn hergeben. Die Frau sprach mit so einer Liebe, was Leo sehr ans Herz ging. „Martin ist jetzt 28 Jahre alt und seit seiner Geburt spare ich jeden Pfennig für seine Zukunft. Deshalb lasse ich auch im und ums Haus nichts herrichten, das kostet nur viel Geld und bringt später beim Verkauf auch nicht viel mehr. Wir bekommen nur sehr wenig Besuch und ich muss zugeben, dass ich mich für mein Haus vor Ihnen schäme Herr Schwartz. Aber ich muss sparen, und zwar so viel wie möglich. Wenn ich mal nicht mehr bin, soll mein Martin so viel Geld haben, dass er in einer sehr guten Einrichtung untergebracht werden kann, in der man sich perfekt um ihn kümmert."

    „Was ist mit Martins Vater?"

    „Er ist abgehauen, als klar war, dass Martin nicht gesund wird und Zeit seines Lebens auf Hilfe angewiesen ist. Er zahlte nie Unterhalt, angeblich hatte er nicht genug Geld."

    „Andere Familienmitglieder, die Sie unterstützen?"

    „Die können Sie vergessen, auch die wollen mit uns nichts zu tun haben. Außer klugen Ratschlägen kam da nie etwas. Sie schämen sich oder sind überfordert. Was auch immer, das Ergebnis ist dasselbe. Ich war schon immer allein für meinen Jungen da. Die Vorstellung, dass mir etwas passieren könnte, lässt mir nachts oft keine Ruhe. Aber noch bin ich da und wir führen ein perfektes Leben."

    „Wenn Sie erlauben, dann würde ich Martin ab und zu gerne besuchen."

    Martin sah Leo an. Er schien vertieft in sein neues Spielzeug, aber er hatte offenbar verstanden, was gesprochen wurde.

    „Du willst mein Freund sein?"

    „Ich bin dein Freund. Darf ich dich besuchen kommen?"

    Statt einer Antwort sprang Martin auf und umarmte Leo.

    „Machen Sie dem Jungen bitte keine Versprechungen, die Sie nicht halten können. Jede Enttäuschung setzt ihm sehr zu, er versteht das nicht."

    „Ich pflege meine Versprechen einzuhalten. Vielen Dank für Ihre Gastfreundschaft. Wir sehen uns wieder."

    Auf dem Nachhauseweg dachte Leo über Martin nach. Der Junge war ihm sofort ans Herz gewachsen. Die Begegnung mit ihm und das Gespräch mit der Mutter zogen ihn ganz schön runter. Noch vor wenigen Stunden hatte er sich über das heiße Wetter beschwert, was ihm jetzt echt idiotisch vorkam. Frau Mahnstein hätte allen Grund dazu, sich zu beschweren und mit ihrem Schicksal zu hadern, war aber trotzdem zufrieden. An ihr sollte man sich ein Beispiel nehmen. Er nahm sich fest vor, ihr zu helfen. Wie, wusste er jetzt noch nicht.

    Er hatte noch keine Lust darauf, nach Hause zu fahren, wo Tante Gerda doch nur rotierte und sich für ihren morgigen Besuch kaputt schuftete. Heute wäre der perfekte Tag für einen ersten Biergartenbesuch in diesem Jahr. Der Himmel zog sich zwar zu, aber es war noch warm genug. Fast 18.00 Uhr, seine Viktoria müsste eigentlich Feierabend haben. Er wählte ihre Handynummer und war bester Laune.

    „Biergarten hört sich verlockend an, aber daraus wird leider nichts. Wir haben einen neuen Mordfall."

    „Um was geht es?"

    „Irgend so ein Spinner hat sich bei einem Streit eingemischt und sich als Retter aufgespielt. Die Sache ist eskaliert und der vermeintliche Rächer hat zugestochen. Die Spurensicherung ist bereits vor Ort."

    Leo hatte angehalten, denn ihm wurde übel. Vor der nächsten Frage grauste ihm.

    „Wo ist der Tatort?"

    „Altötting in der Marienstraße, das ist in der Nähe vom Kapellplatz. Der Täter ist flüchtig. Wir haben mehrere Zeugenaussagen, vielleicht sind die brauchbar. Außerdem hat die Altöttinger Polizei einen Hinweis auf einen Typen gegeben, der schon als Retter in der Not aufgefallen ist. Der Fall wird ein Kinderspiel. Wir sind noch nicht mal am Tatort und haben schon einen Verdächtigen."

    „Wie heißt der Verdächtige?"

    „Warum willst du das wissen? Du hast heute und morgen frei, genieß die Zeit. Nächste Woche bekommst du alle Einzelheiten, wenn wir den Fall bis dahin nicht schon gelöst haben." Viktoria lachte, aber Leo wurde immer schlechter.

    „Der Name, Viktoria. Gib mir bitte den Namen!"

    „Na gut, wie du willst. Der Verdächtige heißt Martin Mahnstein."

    2.

    Leo wendete den Wagen und fuhr so schnell wie möglich zurück nach Altötting. Das konnte doch nicht wahr sein, das durfte einfach nicht sein. War Martin abermals ausgebüchst? Aber er war nicht gewalttätig. Und wie sollte er an ein Messer kommen?

    Viktoria staunte nicht schlecht, als ihr Kollege und Lebensgefährte Leo Schwartz vor dem Haus der Mahnsteins in der Trostberger Straße aus seinem Wagen stieg. Sie hatte ihm die Adresse nicht genannt. Sie ging auf ihn zu und erschrak, als sie sein Gesicht sah.

    „Was ist mit dir? Was hast du mit Martin Mahnstein zu tun?"

    Leo erzählte ausführlich die kleine Episode auf dem Kapellplatz, die sich erst vor wenigen Stunden zugetragen hatte. Viktoria hörte geduldig zu. Der 54-jährige Kollege Hans Hiebler, der letzten Sonntag seinen Geburtstag gefeiert hatte, gesellte sich zu ihnen und folgte aufmerksam Leos Ausführungen. Auch heute umgab den sportlichen, attraktiven, 1,80m großen Mann ein betörender Herrenduft, der Viktoria im Wageninneren fast den Atem geraubt hätte.

    „Wir haben zwei Zeugenaussagen, die sich mit deiner Aussage weitgehend decken. Allerdings beschreiben sie den verkleideten Mann als aggressiv und sehr gefährlich. Bei der Altöttinger Polizei ist er mehrfach aufgefallen, allerdings halten die Martin Mahnstein für harmlos."

    „Das ist genau meine Rede. Martin ist nicht gewalttätig. Und nie im Leben hat der einen Menschen erstochen."

    „Trotzdem müssen wir den Hinweisen nachgehen. Ob es dir nun passt, oder nicht."

    Die 49-jährige, 1,65 m große und sehr attraktive Viktoria Untermaier war die Chefin der Kriminalpolizei und mochte es nicht, wenn man ihre Vorgehensweise kritisierte. Sie stemmte die Arme in die Hüften, wodurch sie signalisierte, dass sie sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen lassen wollte. Leo wusste, dass sie den Hinweisen nachgehen musste, und gab schließlich nach.

    „Ich werde euch begleiten. Lasst mich mit dem Jungen sprechen, mir vertraut er."

    „Du bist nicht im Dienst Leo, stöhnte Viktoria auf, die keine Lust darauf hatte, mit drei Mann zu einer Befragung zu erscheinen. Allerdings kannte sie Leos Hartnäckigkeit. Und sie zweifelte nicht an Leos Schilderungen. „Also gut, gehen wir.

    Frau Mahnstein war erschrocken, dass gleich drei Polizisten mit ihr bzw. mit ihrem Sohn sprechen wollten. Vor allem die Tatsache, dass Leo Schwartz dabei war, irritierte sie. Hatte der Vorfall auf dem Kapellplatz doch noch ein Nachspiel?

    „Wo ist Martin?"

    „Er spielt im Garten."

    Frau Mahnstein zeigte auf ein Fenster und die Polizisten blickten hinaus. Martin rannte in seinem Kostüm auf dem kleinen Grundstück auf und ab und hielt die neue Actionfigur in die Luft. Martin lachte und hatte Riesenspaß.

    „War er die ganze Zeit im Garten? Hatten Sie ihn ununterbrochen im Auge?"

    „Ich habe das Abendessen vorbereitet. Ich bin mir sicher, dass Martin die ganze Zeit im Garten war."

    „Trotzdem könnte er weggelaufen sein, ohne dass Sie es mitbekommen haben. Ihr Sohn ist heute schließlich schon einmal abgehauen. Wie können Sie sich da sicher sein, dass Ihr Sohn immer hier war?"

    Leo sah Viktoria mit einem strengen Blick an. So hart musste man mit Frau Mahnstein nicht sprechen.

    „Ich bin mir ganz sicher und bleibe dabei: Martin war hier. Jetzt ging sie auf Leo zu. „Sagen Sie mir, was passiert ist. Diese Befragung und die Tatsache, dass gleich drei Polizisten hier sind, haben doch nichts mehr mit dem zu tun, was vorhin auf dem Kapellplatz passiert ist. Hier geht es doch um etwas ganz anderes. Frau Mahnstein sah ihn angsterfüllt an und er entschied, ihr die Wahrheit zu sagen.

    „Ein Mann wurde nahe des Kapellplatzes erstochen. Zeugen behaupten, dass es Martin gewesen ist. Wir kommen nicht umhin, ihn mitzunehmen. Wir werden seine Kleidung untersuchen und dabei wird sich schnell herausstellen, dass Martin nichts damit zu tun hat."

    „Mein Martin ist kein Mörder! Sie haben ihn kennengelernt Herr Schwartz, er kann keiner Fliege etwas zuleide tun."

    „Das weiß ich und die ganze Angelegenheit wird sich aufklären."

    „Sie wollen meinen Sohn wirklich mitnehmen?"

    „Sie können ihn gerne begleiten, das ist kein Problem."

    „Das geht nicht. Ich habe eine Putzstelle, zu der ich Martin mitnehmen kann. Ich kann es mir nicht leisten, auf das Geld zu verzichten und diesen Job aufs Spiel zu setzen." Frau Mahnstein war außer sich und zitterte.

    „Machen Sie sich keine Sorgen, ich kümmere mich um Martin."

    „Bringen Sie ihn mir wieder zurück? Sehe ich ihn wieder? Bitte bringen sie ihn nicht in eine psychiatrische Anstalt, tun Sie das meinem Jungen nicht an." Frau Mahnstein war außer sich. Sie fürchtete sich schon lange vor solch einer Situation und hatte tatsächlich die Befürchtung, dass sie ihren Sohn nicht mehr wiederbekäme, wenn er erst einmal in die Fänge der Justiz gelangte. Erst gestern hatte sie wieder einen Bericht über einen ähnlichen Fall gelesen und wollte ihren Sohn auf keinen Fall dem ausliefern. Die Polizisten waren erschrocken über die Panik, die Frau Mahnstein im Gesicht abzulesen

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