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Der verkannte Papst Alexander VI.: Historische Wahrheiten und das Reich der Legenden
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eBook324 Seiten4 Stunden

Der verkannte Papst Alexander VI.: Historische Wahrheiten und das Reich der Legenden

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Über dieses E-Book

Es gibt nicht wenig Menschen im Verlauf der Geschichte, die verkannt, verleumdet und verfemt wurden und deren heutiges Bild durch jahrhundertlangen Einfluss geprägt wurde. Dazu gehört auch Rodrigo Borgia, der als Papst Alexander VI. das Gesichtsbild prägte. Und dieses Geschichtsbild wurde bis in das 21. Jahrhundert in der Literatur, Film und Fernsehserien immer mehr zu seinen Ungunsten gestaltet und man scheute sich nicht, fernab von historischen Tatsachen ein Bild des Spaniers zu zeichnen, welches lüsternde Neugier, Abscheu und Ekel darstellte. Ohne Zweifel gehört Alexander VI. zu den schillerndsten Papstgestalten. Die Schlagzeilen seiner Biografie lesen sich eher wie die eines Mafiapaten als die eines Heiligen Vaters: Korruption, Erpressung, Giftmorde, Skandale, Orgien im Vatikan, Inzest. Doch lesen sie selbst und finden heraus, was Wahrheit und Legende ist.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum2. März 2022
ISBN9783754955772
Der verkannte Papst Alexander VI.: Historische Wahrheiten und das Reich der Legenden

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    Buchvorschau

    Der verkannte Papst Alexander VI. - Walter Brendel

    Vorwort

    Es gibt nicht wenig Menschen im Verlauf der Geschichte, die verkannt, verleumdet und verfemt wurden und deren heutiges Bild durch jahrhundertlangen Einfluss geprägt wurde.

    Ich stellte dies bereits bei meinen Recherchen über den sächsischen Premierminister Graf Heinrich von Brühl fest und konnte mir dann bei der Suche im Sächsischen Staatsarchiv ein völlig anderes Bild machen.

    Zu dieser Zeit, wo ich an „Brühl" arbeitete, war gerade die Honkonjunktur der Borgia-Serien im Fernsehen angebrochen.

    Borgia ist eine international koproduzierte Fernsehserie, die unter anderem vom ZDF und dem ORF kofinanziert wurde. Im Zentrum des Geschehens steht die Familie Borgia und deren Familienoberhaupt Rodrigo Borgia, der als Papst Alexander VI. bekannt wurde. Die Serie ist ein Konkurrenzprodukt zur US-amerikanischen Fernsehserie Die Borgias mit Jeremy Irons in der Hauptrolle.

    Da manche Episoden der Serie eine FSK-Freigabe ab 16 oder sogar 18 Jahren haben, sind die TV-Ausstrahlungen im ZDF zensiert worden. Dabei wurden aber nicht nur Sex- und Gewaltszenen entschärft, sondern zum Teil auch normale Handlungsszenen entfernt. Insgesamt wurden 58 Minuten in der Fernsehversion von Borgia nicht gezeigt.

    Bereits beim ersten Betrachten wurde deutlich, dass künstlerische Freiheiten wesentlich mehr dominierten, als historische Details. So wird Juan in der Serie zum Beispiel als der älteste Sohn dargestellt, obwohl Historiker heute übereinstimmen, dass er jünger als Cesare gewesen sein muss.

    Weitere Beispiele:

    Ende des 15. Jahrhunderts war die Deckenbemalung der Sixtinischen Kapelle noch nicht vollendet.

    Pedro-Luis Borgia starb bereits im Jahr 1488, nicht erst 1492, und Juan hielt sich zu dieser Zeit nicht mit ihm in Valencia auf, sondern reiste erst nach Rodrigos Wahl zum Papst erstmals nach Spanien.

    Cesare wurde zwar tatsächlich eine Affäre mit der römischen Kurtisane Fiametta Michaelis nachgesagt, jedoch später als in der Serie dargestellt (um 1500), und es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass er mit ihr ein Kind gehabt und dieses geopfert hätte.

    Cesare war nie Geisel der Colonnas und wurde nicht von ihnen sexuell misshandelt.

    Rodrigo legitimierte seine Kinder nicht während der Ernennung Cesares zum Kardinal, sondern zu unterschiedlichen Zeitpunkten davor und danach.

    Juans Frau Maria Enriquez betrat nie Italien, sondern lebte mit ihm in Spanien – ihre Misshandlung durch Juan und ihre Flucht sind erfunden.

    Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Lucrezia sich vor ihrer Ehe mit ihm in Alfonso d'Este verliebte, geschweige denn ihn je zuvor getroffen hatte. Der Angriff Miglioratis auf Giulia und Adrianas Verbannung, weil sie ihm half, sind erfunden.

    Rodrigo Borgia wird in der Serie mehrfach als „Katalane" bezeichnet. Geboren wurde er in Xàtiva bei València. Im historischen Sprachgebrauch der Italiener ist diese Bezeichnung korrekt, da in weiten Teilen der aragonesischen Krone katalanisch gesprochen wurde. Auch heute noch wird in València ein katalanischer Dialekt gesprochen, welcher normalerweise als Valencianisch bezeichnet wird.

    Als Papst Alexander VI. im Film die Trennlinie zwischen Portugal und Spanien lt. Ziff. 6 der Bulle „Inter caetera divinae" vom 4. Mai 1493 mit einem Zirkel auf eine Karte einzeichnet, sieht es so aus, als wisse er, dass er damit Portugal auch einen Teil Südamerikas zuspricht. In Wirklichkeit wurde in der Bulle die Trennlinie willkürlich 100 Meilen westlich der Azoren gezogen. Die Küste Brasiliens wurde erst durch den portugiesischen Seefahrer Cabral im Jahre 1500 entdeckt.

    Zur Zeit des Konklave 1492 gab es keinen deutschen Kardinal, der daran hätte teilnehmen können.

    Cesare Borgia meldet seinem Vater, der deutsche König (Friedrich III.) sei während einer Beinamputation gestorben. Das stimmt nicht. Diese Amputation fand am 10. Juni 1493 statt und verlief erfolgreich. Friedrich III. verstarb am 19. August 1493 an einer Akutkrankheit, die nicht mit der Operation zusammenhing.

    Die Laokoon-Gruppe wurde erst 1506 bei Grabungsarbeiten entdeckt, drei Jahre nach dem Tod Alexanders VI., der das Kunstwerk somit nie zu Gesicht bekommen hat. Laokoon wird überdies mit abgeknicktem rechten Arm gezeigt, eine Rekonstruktion, die so erst im 20. Jahrhundert erfolgte.

    Die gemeinsame Tochter von Giulia und Alexander VI., Laura (Orsini), wurde 1492 geboren, nicht - wie in der Serie gezeigt - während der französischen Besetzungs Roms 1495.

    Es gibt keinen Jungen Ferdinand von Habsburg, der im Auftrag seines Onkels Maximilian I. beim Papst vorsprach. Der erste Habsburger, der den Namen Ferdinand trug, war Maximilians Enkel Ferdinand I. (1503–1561)

    In der Serie wird ein Konsistorium gezeigt, in welchem Alexander VI. gleichzeitig fünf Männer der Borgia-Familie zu Kardinälen kreiert, darunter seinen Großneffen Juan de Borja Llançol de Romaní. Damit soll die Opposition der übrigen Kardinäle geschwächt werden. Dieses Konsistorium fand so nie statt. Zwei der Männer sind fiktiv. Zwar erhob Alexander während seines Pontifikats mehrere seiner Familienmitglieder in den Rang eines Kardinals, aber niemals zur selben Zeit. Auch fand das besagte Konsistorium im Februar 1496 statt; in der Serie ist es jedoch mindestens Frühling.

    Einige Begebenheiten der zweiten Staffel wurden etwas flexibler adaptiert. So beginnt diese laut verschiedenen Pressesendungen im Jahr 1497. Unmittelbar darauf bringt Lucrezia ihren Sohn Giovanni zur Welt. Die Geburt von Giovanni erfolgte jedoch erst 1498. In der Serie danach findet das Konsistorium statt, in welchem Juan de Borja Llançol de Romaní zum Kardinal kreiert wird. Dieser war jedoch zu diesem Zeitpunkt seit mindestens zwei Jahren, seit dem Jahr 1496 Kardinal. Alexander VI. versucht, nimmt man als Jahr in der Serie das Jahr 1498 an, Lucrezia mit dem noch jungen Heinrich VIII. von England zu vermählen. Lucrezia stimmt dieser politischen Liaison nicht zu und verweist auf Heinrichs Alter von drei Jahren. Der historische Heinrich VIII. war jedoch 1498 sieben Jahre alt.

    Der Drehbuchautor Tom Fontana hat das elfjährige Pontifikat Alexanders auf ein knappes Jahr eingedampft und dabei jeden Blödsinn zusammengerührt, der seit Jahrhunderten über die Borgias im Umlauf ist, mit Vorliebe Anekdoten, die erwiesenermaßen von Neidern und Rivalen in die Welt gebracht wurden.

    Lucrezia darf also wieder einmal die Giftmörderin geben und ein inzestuöses Verhältnis zu ihrem Bruder Cesare pflegen. Von homosexueller Vergewaltigung (Cesare als das Opfer) über Kastration (mehrfach und im Detail) bis zum versuchten Kindsmord (diesmal durch Cesare) wird nichts ausgelassen, was sich garantiert nicht zugetragen hat.

    Besonders schlimm wird es, wenn in einem sadistischen Höhepunkt zwei Attentäter wie Schweine an den Beinen aufgehängt und von den bald bluttriefenden Henkersknechten bei lebendigem Leib durchgesägt werden. Fontana behauptet, er habe gründlich recherchiert, aber diese Art Strafe gehörte nicht einmal im dunkelsten Mittelalter zum Repertoire. Sie findet sich allerdings auf einem zeitgenössischen Holzschnitt von Lucas Cranach, der die „Marter des Hl. Simon" darstellt. Andererseits war der katholischen Kirche der Gedanke nie fremd, mit Verweis auf die Märtyrer-Legenden das Volk drastisch zu erziehen. Die deutschen Söldner sind eine Horde dumpfer Schläger, der französische König ist eitel und perfid, die italienischen Kardinäle wichtigtuerische Intriganten, aber dafür wie die Frauen immer aufs Schönste gewandet. Von der Stigmatisierung bis zum Exorzismus fehlt nichts von der durch Dan Browns Historienschinken angefachten antikatholischen Folklore.

    Auf den Comment der Zeit wird wenig Rücksicht genommen, damit sich die Männer als regelmäßige Gäste in der Kemenate und sogar im Nonnenkloster aufhalten können und die Frauen sich über eine „Ehe ohne Liebe" beklagen können. Bei Borgia, dessen Hofhaltung berüchtigt war für ihre geizige Frugalität, gibt es ständig Party und wahlweise Gelage, der Papst beschwört das ewige Rom, und die tagesfrische Renaissance, und die Kardinäle haben sich zu einer Dauersitzung versammelt, als wär's Angela Merkels Kabinett.

    Der schwächste Punkt ist: Lucrezia. Sie erscheint als dummes, flatterhaftes Ding, das durch unberechenbare Liebschaften und religiöse Wahnvorstellungen taumelt, wobei, wie auch der kirchenferne Zuschauer dankbar bemerken wird, immer Gelegenheit zu Entblößungen an den richtigen Stellen gegeben wird.

    Auch ProSieben hat mit „Die Borgias im keinen Schulfunk angeboten. Aber anders als die europäische Version, die unter dem Deckmantel historischer Authentizität und Gelehrigkeit allerlei menschliche Widerlichkeiten genüsslich in Szene setzt, hat Neil Jordan, Produzent von „The Borgias, die historische Vorlage gleich als spannenden Agententhriller aufgefasst, in dem Brieftauben geheime Depeschen und Dienstboten vergifteten Rotwein durch die Kulisse tragen.

    Jede Episode der bereits mit einem Emmy ausgezeichneten Miniserie wird durch einen klaren Plot vorangetrieben: Die Pilotfolge „Der vergiftete Kelch" inszeniert zum Beispiel in knappen Zügen die komplette Machtergreifung Rodrigos bis hin zum Giftmord an seinem Widersacher Orsini. Die ZDF-Fassung braucht allein zwei Folgen, diverse Schauplätze und unüberschaubar viele Ränkespiele, bis Alexander VI. überhaupt zum Papst ausgerufen wird.

    Der Übersichtlichkeit halber dichten die Amerikaner Cesare Borgia gleich ein Verhältnis mit seiner kleinen Schwester an, sparen sich aber den cholerischen Charakterzug des Borgia-Bastards, der ihn für den Zuschauer so unausrechenbar macht. Beim ZDF hackt der junge Mann dagegen einem Rivalen erst mal ohne Ankündigung einen Finger ab, später opfert er sein neugeborenes Kind nach biblischem Vorbild seiner Gottesfüchtigkeit und ist auch sonst ein recht unsympathischer Geselle.

    Die US-Verfilmung verlegt Cesares Aufenthalt während des Konklaves von Pisa (historisch!) nach Rom (praktisch!), damit der heißspornige Sohn den ehrgeizigen Vater beim Kampf gegen seine nur schemenhaft skizzierten Feinde mit allen (auch unchristlichen) Mitteln unterstützen kann. Beim ZDF schwirrt einem angesichts der vielen Namen, Orte, Untaten bald der Kopf – auch ob der vielen Kardinäle im Konklave, die sich mal hier verfeinden, mal dort verbünden.

    Die Machtpolitik der italienischen Stadtstaaten wird zwar in „Borgia ähnlich minutiös aufgefächert wie der Charakter Cesares, aber die Belehrung über die geopolitische Gemengelage wirkt angesichts der saftigen „Privatszenen dann doch wie das berühmte Feigenblatt. Ein bisschen bigott kommt diese zur Schau getragene Beflissenheit schon daher, mit der dem Zuschauer die Geschichte der Renaissance in der öffentlich-rechtlichen Variante als hehres Ringen um eine authentische Darstellung serviert wird.

    Wer ausreichend kunsthistorisches Vorwissen mitbringt, kann die Anspielungen und Randfiguren der Inszenierungdechiffrieren und schätzt also an der ZDF-Verfilmung vor allem den Distinktionsgewinn. Wer sich bisher für die Borgias nicht interessierte und vom Pantoffelkino vor allem Unterhaltung erhofft, wartete auf den „Gegenpapst" von ProSieben. Dort wurde zwar weniger Körperflüssigkeit verspritzt, der historischen Wahrheit kam man aber auch nicht so recht auf die Spur.

    Diese Aufzählung könnte man fortsetzen. Es war also an der Zeit, sich mit dieser Sache näher zu beschäftigen. Ich begab mich also in das päpstliche Archiv, war Stammleser in den verschiedensten Bibliotheken und was herauskam, ist dieses Buch.

    Einleitung

    Ohne Zweifel gehört Alexander VI. zu den schillerndsten Papstgestalten. Die Schlagzeilen seiner Biografie lesen sich eher wie die eines Mafiapaten als die eines Heiligen Vaters: Korruption, Erpressung, Giftmorde, Skandale, Orgien im Vatikan, Inzest. „Der unheimliche Papst nennt ihn denn auch der Schweizer Historiker Volker Reinhardt. Der französische Schriftsteller Stendhal sah ihn als die „gelungenste Inkarnation des Teufels auf Erden.

    Ein Monster, der Antichrist leibhaftig, so urteilten schon die Zeitgenossen über Alexander. Verschlagen sei dieser Pontifex maximus, ein Meister der „dissimulazione", der Täuschung, befand der venezianische Gesandte in Rom, Girolamo Donato.

    Tatsächlich rief der Name Borgia neben Bewunderung auch Angst und Schrecken hervor, und das sollte er auch. Die Feinde sollten sich fürchten – und fügen.

    Wer es nicht tat, musste damit rechnen, erdrosselt oder erdolcht aus dem Tiber gezogen zu werden. Andere sollen am Gift der Borgia gestorben sein. Die Söldner und Mordbuben Cesares, der die Truppen des Vaters befehligte, kannten keine Gnade. „Jede Nacht findet man in Rom vier, fünf Ermordete – Bischöfe, Prälaten und andere Leute; die ganze Stadt zittert vor dem Herzog", berichtete ein Botschafter nach Hause.

    Jede Nacht? Bei den Borgia weiß keiner so genau, wo „die Fakten enden und die Legenden einsetzen, warnt Reinhardt. Zeitgenössische Chronisten hätten vieles „dazu erfunden.

    Zu den Legenden gehört natürlich die Geschichte, nach der Rodrigo Borgia für seine Wahl einen teuflischen Pakt einging.

    Man will ihn gesehen haben, wie er sich mit zwei Dämonen vor dem Hauptaltar der Kirche von Santa Maria Maggiore traf.

    Am Ende soll ihn der Teufel persönlich geholt haben; so bezeugte es der junge Geistliche Gian Pietro Carafa, der im Sterbezimmer Alexanders zugegen war.

    Der selbst ernannte Augenzeuge wurde als Paul IV. später selbst Papst – und einer der leidenschaftlichsten Beförderer der Inquisition. Wie glaubhaft sind solche Berichte von Gegenspielern, die ihre ureigenen Machtinteressen hatten?

    Wirkungsvoll waren sie auf jeden Fall. Der Teufelsglaube war Ende des 15. Jahrhunderts weit verbreitet. Die kulturglänzende Epoche der Renaissance zeigte sich auch als Zeit der Endzeitfurcht; Dürer schuf in diesen Jahren seine düsteren Holzschnitte der Apokalypse.

    Hexenverfolgungen ängstigten die Menschen. Alexanders Vorgänger Innozenz VIII. hatte die Inquisition mit der päpstlichen Bulle „Summis desiderantes affectibus" legitimiert und den Hexenwahn damit noch befeuert. Es waren düstere Jahrzehnte des Unrechts und der Grausamkeit, während gleichzeitig grandiose Ideen und Erfindungen geboren wurden, der Horizont der Welt sich weitete. Just im Jahr der Wahl Rodrigo Borgias zum Papst entdeckte Kolumbus die Neue Welt. Alexander VI. sollte es denn auch sein, der das Territorium zwischen Spanien und Portugal aufteilte.

    Selbst dabei holte er sich seinen Profit heraus, in dem Fall ein Herzogtum für seinen Lieblingssohn Juan. Das war ein Dankeschön für gute Dienste – immerhin hatte der Papst die spanischen Könige Isabella und Ferdinand um einige Längengrade und damit riesige Einflusszonen begünstigt, auch wenn die Portugiesen das später erfolgreich monierten.

    Alexander VI. hat den Nepotismus nicht erfunden. Verwandtenbegünstigung, Ämterkauf und persönliche Bereicherung waren in der Kirche schon länger verbreitet und trieben nun neue Blüten. Papst Sixtus IV. (1471–1484) aus der Familie della Rovere etwa beförderte gleich sechs Familienmitglieder in Kardinalswürden.

    Das noch vom Großen Abendländischen Schisma geschwächte Papsttum tat alles, um seine wiedererlangte Herrschaft in Rom auszubauen und sich Einnahmen zu verschaffen. Dazu ließ sich der Vatikan neuerdings nicht nur kirchliche Verwaltungsakte teuer bezahlen, sondern er begann, Posten zu schaffen und diese zu verkaufen.

    Rodrigo Borgia kannte die schmutzige Praxis, seit ihn sein Onkel, Papst Calixt III., 1457 zum päpstlichen Vizekanzler bestallt hatte.

    Das Amt, das Rodrigo antrat, war in Bedrängnis, ein weitgehend politischer Posten, der ein Reich verteidigen musste. Frankreichs König Karl VIII. marschierte in Italien ein, am Silvestertag 1494 stand er in der Ewigen Stadt. Der Papst musste in der Engelsburg Schutz suchen.

    Doch wie so oft hatte Alexander den längeren Atem: Mit einer „Heiligen Allianz" europäischer Verbündeter konnte er den Eindringling schließlich ganz zurückschlagen.

    Doch die Macht und die Gebiete, die er gewann, nutzte er vor allem zur Bereicherung seiner Familie: „All sein Trachten richtet sich darauf, seinen Söhnen Staaten zu verschaffen", lautete das Urteil des Venezianers Donato. Seinen eigenen Sohn Cesare hatte er schon zum Kardinal gemacht, als der gerade 17 Jahre alt und noch nicht einmal zum Priester geweiht war. Insgesamt 16 Bischofstitel häufte Cesare an; doch ließ er sich bald von seinen Kirchenämtern befreien, um sich ganz der Kriegsführung widmen zu können.

    Seine Schwester Lucrezia, auch sie illegitimes Kind der Lieblingsmätresse Vanozza, wurde unterdessen wie ein Kapital aus dem Familienvermögen hin- und her investiert in immer neue Hochzeiten, stets maximal gewinnbringend; die alten Ehemänner ließ mutmaßlich Cesare mit Hilfe von Würgeschlingen beseitigen.

    Dass Kirchenfürsten Kinder mit Geliebten zeugten, war in der Epoche normal, nicht jedoch, dass sie die illegitimen Sprösslinge als leibliche Nachfahren anerkannten. Das tat Alexander bei mindestens sieben Kindern.

    Lucrezia soll er vergöttert haben. Die selbstbewusste junge Frau, die im Kloster viele Fremdsprachen, auch Latein und Griechisch, studiert hatte, forderte die Kirchenwelt heraus. In einer Zeit, in der gebildete Frauen als Hexen verbrannt wurden, ging sie im Vatikan ein und aus, verkehrte ganz selbstverständlich mit den höchsten geistlichen Würdenträgern, wurde vom Vater in seiner Abwesenheit sogar einmal als Stellvertreterin eingesetzt.

    Das musste provozieren.

    Lucrezia Borgia wurde zur Femme fatale. In späteren Jahrhunderten, vor allem durch die französische Romantik, war sie die Giftmischerin, der männermordenden Salome gleich. Ihr Vater, dessen Appetit nach Frauen legendär war, soll mit ihr Inzest getrieben, sogar ein Kind gezeugt haben.

    Reinhardt hält das für „abwegig": Alexander habe genug willige Gespielinnen gehabt, die Blutschande hätte sein Image verheerend geschädigt. Schriftsteller wie Dumas, Ludwig Huna oder Victor Hugo, auch der Komponist Gaetano Donizetti sorgten dafür, dass der düstere Borgia-Mythos weiterlebte, obwohl Lucrezia sich als spätere Herzogin von Ferrara mit Krankenfürsorge, der Kunstförderung und großem Geschäftssinn als Einzige der Familie ein ehrbares Ansehen erwarb.

    Während sie dämonisiert wurde, erntete ihr brutaler Bruder Cesare, der sogar die Ermordung seines Bruders Giovanni veranlasst haben soll, Lob; der Renaissance-Philosoph und Diplomat Niccolò Machiavelli hebt ihn in seinem berühmten Werk „Der Fürst als „Vorbild eines machtbewussten Herrschers heraus. Noch Friedrich Nietzsche feierte um 1880 Cesare als einen „Virtuosen des Lebens", ihm gefiel dessen Ruchlosigkeit wider die christliche Moral.

    Manche hielten gar den Sohn für den eigentlichen Spiritus Rector von Alexanders Pontifikat. Falsch, meint Reinhardt, der Papst habe ganz klar die Fäden in der Hand gehabt, Vater und Sohn hätten vielmehr eine perfekte Rollenteilung betrieben mit Cesare als Mann fürs Grobe. Er führte das Terrorregime in Rom und der Romagna, mit dem die Familie den alten Feudaladel von seinem Besitz verdrängte. Vater und Sohn ließen auch den venezianischen Kardinal Giovanni Michiel vergiften, um sich dessen Besitztümer anzueignen. Der Fall erregte ein solches Aufsehen, dass der nachfolgende Papst Julius II. 1504 dazu einen Kriminalprozess anstrengte.

    Zorn und Hass auf die Borgia wuchsen, doch nur wenige trauten sich, öffentlich gegen die mächtige Familie aufzutreten.

    Es brauchte erst einen Girolamo Savonarola, jenes berühmten, aber auch berüchtigten Bußpredigers aus Florenz, der zum Märtyrer werden sollte. Er wird heute verklärt dargestellt, doch am Ende wollte er auch nur eines: Macht.

    Alexander ließ den Mönch exkommunizieren. Doch auch die Machtkämpfe um das von Savonarola damals beherrschte Florenz führten dazu, dass der Eiferer ins Gefängnis geworfen, gefoltert und schließlich am 23. Mai 1498 öffentlich hingerichtet wurde.

    In all den Wirren und Skandalen führte einer akribisch Buch: der deutsche Zeremonienmeister des Papstes, Johannes Burckard, ein prinzipientreuer Traditionalist. In seinem Tagebuch notierte er alles, was im Vatikan und auch außerhalb vor sich ging.

    Es kam nie zum offenen Bruch, aber begann sich der Chronist so für die Nachwelt zu distanzieren vom Skandal-Papst? Immerhin kopierte Burckard auch einen anonymen Brief, angeblich aus einem spanischen Heerlager an einen italienischen Edlen gesandt, in dem der Heilige Vater als „Verräter der Menschheit, „Feind Gottes, Belagerer des Glaubens Christi und Unterwühler der Religion angeprangert wird; alles sei „beim Papste käuflich: Würden, Ehren, Ehebünde und -scheidungen".

    Der wohl fiktive Brief datiert vom 15. November 1501.

    Da neigt sich Alexanders Pontifikat schon dem Ende zu. Der Papst stirbt im August 1503 überraschend nach plötzlichem Unwohlsein am Fieber.

    Die Macht der Borgia stürzt nun wie ein Kartenhaus zusammen. Cesare landet später in einem spanischen Kerker, kann fliehen und stirbt 1507 schließlich bei einem Kampf.

    Bei aller Wut, die nun gegen die Borgia losschlug: Von der Kurie wurde Alexanders Amtszeit hinter vorgehaltener Hand als durchaus erfolgreich bewertet.

    Als Herrscher des Kirchenstaates hatte er sich ja durchaus klug gezeigt, das politische Gleichgewicht in Italien zwischen Frankreich und Spanien zu erhalten versucht, urteilen etwa August Franzen und Remigius Bäumer in ihrer Papstgeschichte. Für die Kirche allerdings, so ihre Bilanz, war sein Pontifikat dennoch „ein Unglück".

    Noch sein Tod löste wilde Gerüchte aus: War er womöglich selbst Opfer einer Vergiftung geworden? Hatten er und sein Sohn versehentlich aus Pokalen getrunken, die eigentlich für ihre Feinde bestimmt waren? Die Forschung hält längst auch eine profanere Ursache für möglich: Malaria.

    Der Rest ist Legende.

    Die Kritik an dem landläufigen Geschichtsbild von den verbrecherischen und sittenlosen Borgia, das etwa Alexander VI., um nochmals Stendhal zu zitieren, als die gelungenste Inkarnation des Teufels auf Erden erscheinen lässt, beschränkt sich nicht etwa auf den Versuch, lediglich einen Teil der gegen die Borgia erhobenen Vorwürfe zu entkräften oder zu mildern.

    Sie versucht vielmehr nachzuweisen, dass dieses Geschichtsbild in seiner Gesamtheit mit den historischen Tatsachen nicht vereinbar ist und die Borgia das Opfer einer Legendenbildung geworden sind. So vertritt etwa Susanne Schüller-Piroli in einem 1963 erschienenen Werk mit dem Titel „Borgia. Die Zerstörung einer Legende" die Auffassung, dass das Bild der Borgia im Laufe der Zeit eine regelrechte Dämonisierung erfahren hat.

    Dies ist freilich nur eine von vielen Kritiken an dem herkömmlichen Borgia-Bild. Schon der den Päpsten sicher keine übermäßige Sympathie entgegenbringende Voltaire hat sich über die Verteufelung der Borgia lustig gemacht. Der große katholische Historiker der Päpste, Ludwig von Pastor, distanzierte sich von dem ausschließlich negativen Borgia-Bild ebenso wie der liberale Ferdinand Gregorovius, der nach einem eingehenden Quellenstudium in seiner Biografie über Lucrezia Borgia nachwies, dass diese sicher nicht das giftmörderische Ungeheuer war, als das sie vielfach dargestellt worden ist. Allerdings sieht auch das Bild, welches Pastor und Gregorovius von den Borgia zeichnen, immer noch wenig vorteilhaft aus. Die wohlwollendsten Beurteilungen der Borgia findet man häufig bei protestantischen, angelsächsischen Historikern. Es seien hier nur die Namen von Roscoe, Creighton, einem anglikanischen Bischof, und Garnett genannt. Nicht zu Unrecht meint daher Will Durant in seiner „Kulturgeschichte der Menschheit etwas skeptisch, dass sich das Urteil dieser Autoren über die Borgia durch große Milde auszeichne. Sein eigenes Urteil über die Borgia unterscheidet sich dann allerdings von dem der eben genannten Autoren wenig. Die wohl leidenschaftlichste Verteidigung der Borgia findet sich in dem fünfbändigen Werk des Paters Peter de Roo „Material for a History of Pope Alexander VI.

    Insgesamt kann man sich jedoch — trotz de Roo — nicht des Eindrucks erwehren, dass die Borgia in der Regel umso milder beurteilt werden, je weniger nah der Beurteilende der katholischen Kirche steht. Bei der Frage, ob dies ein Zufall ist oder tiefere Gründe hat, sollte man vielleicht eine Tatsache nicht außer Acht lassen:

    Aus heutiger Sicht scheinen die Borgia römischen Cäsarengestalten wie Caligula und Nero näher zu stehen als unserer Gegenwart. Gleichwohl waren die Borgia-Päpste Calixt III. und Alexander VI. — von einer Ausnahme abgesehen — die letzten nichtitalienischen Päpste der Kirchengeschichte bis zu dem am 16. 1o. 1978 zum Papst gewählten Polen Karol Wojtyla. Zugleich waren sie nach dem „Exil" der Päpste von Avignon, an dessen Beendigung Calixt maßgeblichen Anteil hatte, das einzige nichtitalienische Geschlecht, das wie die großen italienischen Häuser der Colonna, Orsini, Conti, Gaetani, Medici, della Rovere als Familie, oder besser als Dynastie, die Macht im Vatikan ausgeübt hat.

    Nach dem von den Italienern als Maranen — eine Bezeichnung für getaufte, aber ihrem Glauben treugebliebene Juden — bezeichneten Borgia hat es bis zur Wahl von Johannes Paul II. nur einen nichtitalienischen Papst gegeben. Dies war der ehemalige Erzieher Kaiser Karls V., der Holländer Hadrian VI. Er wurde am 9. I. 1522 zum Papst gewählt, trat sein Amt am 31.8. 1522 an und verstarb schon ein Jahr später am I 5. 9. 1523. Es wurde von Gift gesprochen.

    Im Gegensatz zu den Borgia-Päpsten war Hadrian, der als einziger der Renaissancepäpste ernsthaft den Versuch unternommen hat, die Kirche zu reformieren, über jeden

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