Der letzte Gang einer Königin: Die letzten Tage der Marie Antoinette
Von Walter Brendel
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Buchvorschau
Der letzte Gang einer Königin - Walter Brendel
Einleitung
Am 14. Juli 1789 stürmte das Volk die Bastille, um sich zu bewaffnen, und zog nur wenig später gen Versailles, wo sie Brot forderten und König und Königin vor das Volk zitieren wollen. Der Mob drang in den Palast ein und zog zu den Gemächern der Königin, auf seinen Lippen die Forderung, ihr den Kopf abzuschlagen oder sie in Streifen zu schneiden. Marie Antoinette, die erst wenige Monate zuvor ihren ältesten Sohn durch Tuberkulose verloren hatte, war voller Angst um ihre verbleibenden Kinder und floh in die Gemächer des Königs. Die Palastwache konnte den Mob schließlich in den Schlosshof zurückdrängen, wo sie erst das Erscheinen des Königs und dann auch der Königin auf dem Balkon forderten. Mehrere Bewaffnete richteten sogar Waffen auf sie, aber dennoch stand Marie Antoinette mehrere Minuten vor der tobenden Menge und brach erst zusammen, als sie den Balkon verlassen hatte.
Später wurde die königliche Familie unter Bewachung nach Paris gebracht und im Tuilerienpalast unter Hausarrest gestellt. Dort verbrachten sie die nächsten drei Jahre, ein Ausbruchsversuch scheiterte. Der König unterschrieb seine eigene Entmachtung. Marie Antoinette schrieb heimliche Briefe ins Ausland und bat darum, in Frankreich einzufallen und dem König wieder zur Macht zu verhelfen. Noch hatte sie die Hoffnung für ihren Sohn Ludwig Karl nicht aufgegeben. Doch das Ausland inklusive ihrem Heimatland Österreich kam ihr nicht zu Hilfe. Einzig Marie Antoinettes angeblicher Geliebter Axel von Fersen hielt noch zu ihr. 1792 versuchte er, König und Königin zu einem erneuten Fluchtversuch zu überreden.
Gesamtansicht des Tuilerien-Palasts mit dem Louvre im Hintergrund auf einem Stich um 1857
Doch der schwermütige König hatte bereits mit allem abgeschlossen und bereitete sich auf den Tod vor. Marie Antoinette hingegen wollte nicht ohne ihren Ehemann gehen. So verließ von Fersen Marie Antoinette und sah sie nie wieder.
Schließlich wurde die königliche Familie 1792 gänzlich entmachtet und ins Gefängnis gesperrt. Dort lebten sie ein erstaunlich normales Familienleben. Marie Antoinette und ihr Mann Ludwig waren sich vermutlich nie so nahe wie in jenen wenigen Wochen. Doch das Volk verlangte nun endgültig nach dem Tod des Königspaares. Ludwig wurde im Dezember 1792 wegen Verschwörung gegen den Staat vor Gericht gestellt. Einen Monat später wurde sein Todesurteil gefällt. Er bekam kaum Zeit, sich von seiner Familie zu verabschieden und wurde am 21. Januar 1793 hingerichtet.
Tour du Temple 1795
Nach dem Tode Louis XVI. schien man die königlichen Gefangenen im Temple vergessen zu haben. Der Hass, welcher das Pariser Volk gegen Louis XVI. hegte, war durchaus politisch und sich mehr gegen den König als gegen den Menschen; der Hass des Volkes gegen Marie-Antoinette war im Gegenteil zugleich politisch und persönlich. Die Königin hatte unversöhnliche Feinde nicht nur unter den Neueren, welche die Monarchie zu stürzen oder umzuändern strebten, sondern auch unter ihren eigenen Hofleuten, sogar unter den Mitgliedern ihrer Familie.
Eine Frau im Schicksal der Geschichte. Die Witwe Capet will niemand mehr haben. Wenn sie politisch nutzlos ist, dann Kopf ab, so die Meinung der entarteten Revolutionäre. „Die Zeiten verlangen radikale Maßnahmen und die müssen grausam sein."
So wird die Königin vom eigenen Volk zur Anklagebank geführt.
Wir begleiten eine Mutter in ihren einsamsten Momenten, gefangen in einer Ausweglosigkeit, die sie aufzehrt. Doch sie offenbart auch Größe. Man nahm ihr alles weg. „Das sind Andenken an meinem Mann, den ihr enthauptet habt und an meine Kinder, die ihr mir entrissen habt", schleuderte sie ihren Richtern entgegen.
Keine vier Jahre nach dem Sturm auf die Bastille mündet die Revolution 1793 in eine Ära der Schreckensherrschaft. „Die gekürzte Witwe, so werden wir sie künftig nennen", schrien die „Revolutionäre.
Die letzte Königin Frankreichs, Sinnbild eines Staates, der dabei ist, zu scheitern. Gemäßigte Kräfte warnen. „Können wir frei sein, ohne zu Mördern zu werden? Das ist eine furchtbare Frage."
Die letzten 76 Tage im Leben der Marie Antoinette brechen an. Der Prozess beginnt.
Ein dunkler Fleck auf Frankreichs beschwerlichen Weg zur Gleichheit
Januar 1793. Frankreich ist seit vier Monaten eine Republik. An diesem Tag ist Ludwig XVI. auf Befehl der gewählten Vertreter des Volkes öffentlich enthauptet worden. Marie Antoinette die Königin und der Thronfolger, Prinz Charles harren auf ihr Schicksal in einem Turm der Temple-Festung. Auch die ältere Tochter, Marie Therese und die Schwester des Königs, Élisabeth, sind hier festgesetzt.
1793 wird das Gottesgnadentum von der Revolution hinweg gefegt. Von den Sansculotten wurden die Kirchen zu militärischen Sektionen erklärt. Ein neuer Kult hält Einzug, die Freiheit und ein neuer Glaube, die Gleichheit.
Wie soll das Volk mit seiner abgesetzten Herrscherin verfahren? Ein Mann wird das Schicksal maßgeblich beeinflussen. Robbenspiere, der Unbestechliche, wie er genannt wird. Er ist der neue starke Mann der Revolution. Gerade hat er den übermächtigen Wohlfahrtsausschuss eingesetzt. Ein Exekutivorgan der Frankreich regierenden Volksvertretung, des Konvents. Doch die neue Staatsform ist bedroht. Als Antwort auf die Revolution marschieren an den Grenzen Koalitionstruppen auf, verbündete Heere der benachbarten Monarchien.
Unter ihnen ist Österreich, Marie Antoinettes Heimatland. Im Landesinnern probt die königstreue Fronde den Aufstand. Die Republik ist in Gefahr. Die Straße ruft nach Vergeltung. Bei diesem Volkszorn wittern die Extremisten ihre Chance. An ihrer Spitze Fouquier-Tinville, ein prominentes Mitglied des Pariser Stadtrats, Robbenspiers gefährlichster Gegenspieler.
Ein Machtkampf entbrennt, in dem das Leben Marie Antoinettes zum Spielball der Politik wird. Sechs Monate nach dem Tod des Königs beschließen die Abgeordneten des Konvents, Marie Antoinette in die Conciergerie zu verbringen, dass Gefängnis des Revolutionstribunals.
„Am 1. August 1793 hat der Konvent folgendes beschlossen:
Marie Antoinette, Witwe von Louis Capell, wir der Verschwörung gegen Frankreich bezichtigt. Sie verbleibt solange im Gefängnis, bis ihr Prozess beginnt.
Fouquier-Tinville
Der Beginn wird vom Nationalkonvent in einem weiteren Dekret festgelegt."
Am 02.08. um 2 Uhr morgens wurde der Königin dieses Dekret bekannt gemacht; sie hörte es ohne die geringste Erschütterung zu verraten.
Nach Verlesung des Dekrets wird die Königin ihres Schmucks beraubt, die Ringe werden ihr von den Fingern gezogen. Sie packte ihre Kleidungsstücke zusammen, küsste ihre Tochter (seit dem 03.07. hatte man ihr den Dauphin genommen), empfahl ihre Kinder der Madame Élisabeth und folgte mit festen Schritten den Munizipalsoldaten. Sogar einen Spiegel hatte sie nur, weil eine Zofe ihn zu ihr schmuggelte. Marie Antoinette war tief gefallen, und es müssen diese kleinen Gesten der Freundlichkeit gewesen sein, die sie diese Zeit mit gesundem Geist überstehen ließ. Als sie unter einem Türbogen hindurchschritt, vergaß sie, sich zu bücken und stieß sich heftig den Kopf, dass das Blut aus der erhaltenen Wunde floss. Der Munizipalgardist Michonis fragte sie, ob sie sich wehgetan hätte. Sie antwortete: »Nein, mir tut jetzt nichts mehr weh.«
In Eile wird ein düsterer Raum für die Königin hergerichtet. Ein aufklappbares Eisenbett, zwei Matratzen, zwei Strohsessel, ein Kopfkissen, eine leichte Decke, dann noch einen Waschkrug und vor die feuchte Wand einen alten Teppich: mehr darf sie der Königin nicht zu geben wagen. Und dann warten sie alle in dem uralten, steinernen und halb unterirdischen Haus.
Man erlaubt ihr, sich gleich zur Ruhe in ihre Zelle zu begeben. Das Hausmädchen der Beschließerin, ein junges, armes Ding vom Lande, Rosalie Lamorlière, die nicht schreiben kann und der wir doch über die letzten Tage der Königin die wahrhaftigsten und ergreifendsten Berichte verdanken, schleicht der blassen schwarzgekleideten Frau ganz erschüttert nach und bietet sich an, ihr beim Auskleiden behilflich zu sein. „Ich danke dir, mein Kind, antwortet die Königin; „seit ich niemanden mehr habe, bediene ich mich selbst.
Erst hängt sie noch ihre Uhr an einen Nagel in der Wand, um die Zeit messen zu können, die kurze ihr zugeteilte und doch unendliche Zeit. Dann entkleidet sie sich und legt sich zu Bett. Ein Gendarm mit geladenem Gewehr tritt ein, dann schließt sich die Tür. Der letzte Akt der großen Tragödie hat begonnen.
Sie bleibt allein. Angeklagt von einen Sondergericht, eingesetzt zu Eliminierung der Feinde der Republik. In einem Verlies, was als Vorzimmer des Todes gefürchtet wird.
Die Tochter eines Kaisers, Frau eines Königs, welche Erniedrigung. Auch das Licht wird ihr nicht gewährt. Alles auf Anweisung von Fouquier-Tinville.
Fouquier de Tinville wurde in Hérouël, seit 1843 Foreste, einem kleinen Ort 16 km westlich von St. Quentin, geboren und stammte aus einer wohlhabenden Familie alten französischen Adels der Picardie. Nach einigen Umwegen studierte er Jura und arbeitete seit 1765 für die Staatsanwaltschaft. 1774 kaufte er, nach Auszahlung eines erheblichen Erbes durch seine Familie, das Amt des Staatsanwalts und heiratete ein Jahr später in erster Ehe seine Cousine, mit der er fünf Kinder hatte. Nach dem Tod