Der Krawatten-N****: Ein Schwarzes Kind im weißen Franken
Von Tibor Sturm
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Über dieses E-Book
Die Geschichte von Tibor Sturm gibt Einblick in ein Schwarzes Kinderleben.
In seinem neuen Buch schildert das Ex-Mitglied der HipHop-Gruppe "Brothers Keepers" eindrucksvoll, wie Rassismus Menschen die Würde nimmt.
"Lache, weine und fühle puren Rassismus. Tibor Sturm hat ein Buch geschrieben, das man nicht aus der Hand legen kann." (Gina Belafonte)
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Buchvorschau
Der Krawatten-N**** - Tibor Sturm
Tibor Sturm
34804.jpgImpressum
© Telescope Verlag 2021
www.telescope-verlag.de
Lektorat: Oyinda Alashe | www.alashe.de
Das Buch:
Schon als kleines Kind gewöhnte ich mir an, meine Gefühle zu verstecken. Mein Lächeln wurde zu einer Maske, mit der ich versuchte, mich zu schützen. Doch mit jeder Demütigung, jeder Kränkung wurde ich wütender. So wurde aus einem wütenden Schwarzen Kind ein Jugendlicher und schließlich ein wütender Schwarzer Mann. Dieses Buch ist ein Einblick in mein Leben. Es beschreibt die harte Realität, von Schwarzen Menschen in Deutschland.
Der Autor:
Tibor Sturm ist Anti-Rassismus-Trainer, Auswanderer, Einwanderer, Heimatgeflüchteter, Neue-Heimat-Suchender und vor allem Schwarzer Deutscher ohne Schwarze Wurzeln. Er war Rapper bei Brothers Keepers e. V., Schauspieler und ist nach einer endlos scheinenden Odyssee ein liebender Familienmensch geworden. Er musste dieses Buch schreiben, um ein Stück inneren Frieden und Freiheit zu gewinnen.
Vorwort
Willkommen in meiner Welt. Sie war oft grausam – und ist es noch. So hässlich wie das Gesicht des Rassismus, den viele tagtäglich ertragen. Dieses Buch ist ein Teil meiner Lebensgeschichte. Es handelt von meiner Kindheit und Jugend in Franken. Einem weißen Mittelfranken. Einem weißen Lauf an der Pegnitz, meiner Geburtsstadt.
Ich erzähle in Episoden. Die Handlung ist nicht chronologisch zusammengefasst. Um meine Gedanken aufzuschreiben blätterte ich in alten Tagebüchern. Hypnosesitzungen beförderten tiefsitzende Erinnerungen ans Licht. Mit diesem Buch klage ich niemanden an und ich verteidige mich nicht. Ich schildere die Ereignisse, wie sie für mich stattgefunden haben. Es ist meine Sicht der Dinge. Über vieles, was damals passierte, kann ich noch immer nicht sprechen. Nur darüber zu schreiben ist mir gelungen. Es war ein heilsamer Prozess.
Für Schwarze Menschen ist die Welt oft brutal. Sie erleben immer wieder Diskriminierung, physische und psychische Gewalt, Rassismus in allen Lebenslagen. Dies zu erfahren und zu begreifen, ist für weiße Menschen, die in einer weißen Mehrheitsgesellschaft leben, nicht leicht. Dessen bin ich mir bewusst. Wenn du dich als weiße Leser*in dennoch dieser Herausforderung stellst, gebührt dir meine Verbundenheit. Danke, dass du dich auf diese Reise einlässt. Vielleicht bewirkt sie etwas in dir und es kommt einmal der Tag, an dem dir das Gelesene hilft. Ich danke auch dir, meine Schwarze Schwester und mein Schwarzer Bruder. Vieles von dem, was ich erlebte und erlebe, kennst du. Alles ist wahr, alles ist real. Und falls du ein weißer Elternteil eines Schwarzen Kindes bist, so danke ich dir von Herzen, dass du vieles unternimmst, um dein Kind besser zu verstehen. Besonders danke ich meiner wundervollen Ehefrau und den wilden Kindern. Danke, dass ich erneut ein Buch schreiben konnte und ihr mir die Zeit dafür gelassen habt.
*Anmerkungen:
Einige Namen von Beteiligten und Örtlichkeiten sind aus datenschutzrechtlichen Gründen und zum Schutz der Personen verändert worden. M. steht für die Frau, die mich geboren hat.
Ich habe mich bewusst für die Schreibweise N**** entschieden. Niemand sollte Schwarzen Menschen mit dem rassistischen N-Wort bezeichnen. Deshalb benutze auch ich es nicht oder schreibe es aus.
Ich schreibe Schwarz bewusst groß. Der Begriff ist eine Selbstbezeichnung und bezieht sich auf die Rassismus-Erfahrungen von Menschen.
Weiß wird kursiv geschrieben. Es handelt sich um eine politische Beschreibung und nicht um die Farbbezeichnung einer Hautfarbe.¹
1 Mo Asumang aus dem Buch „Mo und die Arier: Allein unter Rassisten und Neonazis", erschienen 2016 im Fischerverlag. Mit freundlicher Genehmigung von Mo Asumang, etwas abgeändert von Oyinda Alashe.
Am Anfang war der Name
1975. Ich wurde an einem späten Montagabend Anfang September geboren. M. erzählte mir wohl unzählige Male von der Geburt. Die Erinnerungen an diese Gespräche habe ich aber scheinbar tief in mir vergraben. Was ich nicht vergessen habe, ist die schräge Story darüber, wie ich zu meinem Rufnamen Tibor kam. Als feststand, dass ein Baby unterwegs war, machte M. sich viele Gedanken über den Vornamen. Einerseits sollte er „exotisch sein andererseits sollten meine fränkischen Mitmenschen ihn auch aussprechen können. Nun gab es Ende der 1960er Jahre einen Ableger der Tarzan- Comicreihe. „Tibor, Held des Dschungels
hieß diese Heftserie. M. fand, das sei kinderleicht auszusprechen und exotisch genug. Trotzdem ist mir völlig unklar, warum es nicht ein amerikanischer Vorname sein konnte. Steven war in den 70er Jahren beispielsweise auch in Deutschland schon bekannt. Ich bin nicht unglücklich über Tibor – nur haben mich mein Leben lang sehr viele Menschen, auf Ungarisch angesprochen oder mich gefragt, ob ich aus Ungarn komme. Dort ist Tibor nämlich ein weit verbreiteter Name. Wäre ich ein Mädchen geworden, hätte man mich übrigens Daniela oder Nina genannt.
Natürlich habe ich keine Erinnerungen an meine Zeit als Baby oder Kleinkind. Aber aus Erzählungen kann ich einiges rekonstruieren. Das Prägendste: M. konnte mich nicht lieben wie eine Mutter ihr Kind liebt. Ich vermute, es war eine soziale Bindungsstörung. Erst viele Jahre später erfuhr ich, woher dies rührte und die Entdeckung war ein erster tiefer Einschnitt in meinem Leben. Auf jeden Fall erzählten meine Oma und ihre Schwester mir, dass M. sich niemals richtig an mich gewöhnen konnte. Der städtische Pfarrer mischte sich sehr früh nach meiner Geburt ein und „beriet sie, während ihrer Schwangerschaft. Was das genau für Beratungssitzungen waren, ist wie vieles andere auch bis heute ein Geheimnis. Ich weiß nur so viel: Als Neugeborenes soll ich sehr viel und lange geschrien haben. Natürlich ist Babyweinen, wenn es häufig und anhaltend ist, ein großer Stressfaktor. Kommt noch hinzu, dass das Baby nicht gewollt war und man womöglich sogar bereut, das kleine Wesen überhaupt geboren zu haben, so wiegt jeder Ton aus dem winzigen Mund noch belastender. Erschwerend kam hinzu, dass M., die Frau, die mich in sich ausgetragen und geboren hat, im Herbst 1975 eine alleinerziehende Frau mit einem „N****baby
war. So, erzählte mir meine Oma, bezeichneten mich einige Laufer BürgerInnen, wenn sie mich im Babywagen sahen.
M. war mit 19 Jahren nicht nur eine junge Frau, die ungewollt Mutter wurde – ihr Baby hatte auch noch eine dunkle Hautfarbe. Alle Fotos, die es über mich als frisch geschlüpften Menschen gibt, zeigen mich schlafend oder lächelnd. Ein Engel von einem Baby, wären da nicht die vielen Erzählungen über mich als Schreibaby. Aber es passt ins Bild, denn in meiner Familie tat man alles, um den Schein einer heilen Welt aufrecht zu erhalten. Heute bin ich sicher, dass nichts davon stimmte.
Meine Oma war die Patronin der Familie, mit einem sehr großen Herz. Sie passte auf alles und jeden bei uns auf, hatte sie ja selbst sechs Kinder von fünf Männern. Damit war sie in einer fränkischen Kleinstadt in den 1940er bis 1960er Jahren mit absoluter Sicherheit eine große Ausnahme. Einige der beteiligten Männer waren amerikanische GIs. Zwei meiner Onkels und eine Tante wurden demnach von drei weißen US-Soldaten gezeugt.
Als ich zur Welt kam, war keiner dieser „Besatzer"-Väter mehr anwesend. Wir lebten mit meiner Ur-Oma, einer meiner beiden Tanten und dem jüngsten Onkel (er ist nur elf Jahre älter als ich) in einer Erdgeschoss-Dreizimmer-Wohnung im Laufer Süden. M. ging bald wieder als Zahnarzthelferin arbeiten und so passten immer mal andere Menschen auf mich auf. Sie alle erzählten andere Geschichten über mein Wesen. Für die einen war ich ein ganz gewöhnliches Baby, das nur schrie, wenn die Windel voll war oder ich Hunger hatte. Für andere war ich ein dauerhaft schreiendes und weinendes Baby, welches nur selten Ruhe fand. Heute werde ich nicht mehr ergründen, welche der Schilderungen stimmte und es spielt auch keine bedeutende Rolle mehr in meinem Leben. Ganz anders verhält es sich mit meiner Zeugung. In meinem Kopf halten sich darüber hartnäckig zwei Storys und sie sind seit Jahrzehnten eine dauerhafte Zerreißprobe für mich. Aber hier geht es zunächst um mein erstes Lebensjahr und damit den Anfang meiner ungewöhnlichen Biografie.
Bevor ich gezeugt wurde, war M. viel in den bekannten Clubs Nürnbergs unterwegs. Das endete abrupt, als ich in ihrem Bauch heranwuchs. Vermutlich hatte sie als Schwangere und junge Mutter immer das Gefühl, etwas zu verpassen. So unterschiedlich die Erzählungen über mein erstes Lebensjahr waren, bei einer Sache herrschte Einigkeit: M. war 1975 eine unverheiratete junge Frau mit einem dunkelhäutigen Kind in einer fränkischen Kleinstadt. Die Laufer Bevölkerung zerriss sich das Maul über den Männerverkehr von M. Das muss für sie sehr belastend gewesen sein. Schließlich herrschte damals das altbiertradierte Denken: Erst Haus, dann Heirat und zu guter Letzt kommt der Nachwuchs.
M. war mit mir überfordert. Was sie mir an Liebe zeigte, wirkte irgendwie krampfhaft, fast gezwungen. Verrückterweise kann ich das sogar verstehen, sollte die Geschichte meines Lebens wahr sein. Es kann auch sein, dass die soziale Kälte, die ich als Baby und Kind erfuhr, ihren Ursprung in der Pädagogik von Johanna Haarer fand. Im Buch „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind beschreibt sie, wie ein Kind durch Entzug von Liebe und Zuneigung zuerst gebrochen wird, um es dann zu einem „starken
Menschen heranwachsen zu lassen. Schreit ein Baby oder Kleinkind, so soll man es schreien lassen und sich erst, wenn es sich beruhigt hat, wieder mit ihm beschäftigen. Umarmungen oder Liebkosungen sind tabu. Kein Wunder, dass Haarer so etwas wie die Chef-Erziehungswissenschaftlerin von Hitler war. Nationalsozialistische Mütter zogen mit diesen Erziehungsmethoden hirnloses Frontlinienfußvolk heran. Das Buch war auch lange nach dem Nationalsozialismus ein Bestseller –und landete unter anderem bei