Meine zwei Leben: Die wahre Geschichte der Eislady
Von Estibaliz Carranza und Martina Prewein
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Buchvorschau
Meine zwei Leben - Estibaliz Carranza
Alle Rechte vorbehalten
Vorabdruck und auszugsweiser Abdruck
ausschließlich mit schriftlicher
Genehmigung des Verlages
© 2014 edition a, Wien
www.edition-a.at
Lektorat: Anatol Vitouch
Cover: Kyungmi Park
Gestaltung: Cojothe
Gedruckt in Europa
Gesetzt in der Premiéra
1 2 3 4 5 6 — 17 16 15 14
ISBN 978-3-99001-114-0
eBook-ISBN 978-3-99001-119-5
eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
www.brocom.de
Inhalt
Die Entdeckung
Die Flucht
Die Verhaftung
Die Untersuchungshaft
Die Geburt
Der Prozess
Das Jetzt
Einleitung
Es gibt nichts zu beschönigen, und ich will weder um Verständnis noch um Entschuldigung bitten. Ich habe zwei Männer, die ich früher einmal liebte, getötet. Ich habe für meine Taten die härteste Strafe erhalten, die ein europäisches Land über einen Menschen, der ein Tötungsdelikt begangen hat, verhängen kann. Vielleicht werde ich bis an mein Lebensende in einem Gefängnis eingesperrt sein.
Ich lebe im vollen Bewusstsein, diese Verbrechen begangen zu haben, und das ist eine ebenso schwere Strafe. Ich habe nicht nur zwei Menschen das Leben genommen, sondern auch zwei Müttern ihre Söhne. Seit ich selbst, in der Haft, Mutter geworden bin, kann ich mir vorstellen, was es bedeutet ein Kind zu verlieren. Noch dazu auf eine so entsetzliche Weise. Wenn ich meine Verbrechen ungeschehen machen könnte, indem ich mein eigenes Leben dafür gebe, würde ich es tun.
Ich habe mich dazu entschlossen, meine Geschichte zu erzählen. Vor allem deshalb, weil so viele Menschen sie schon erzählt haben, Journalisten, Staatsanwälte und Gutachter, und weil ich weiß, dass auch andere sie noch erzählen werden, in Form von Fernseh-Dokumentationen und Büchern.
Wenn es all diesen Menschen gestattet ist, meine Geschichte zu erzählen, warum sollte es dann nicht auch mir gestattet sein – aus meiner Sicht? Zu erklären, wie ich alles erlebt habe? Meine Taten. Das Davor. Das Danach. Vielleicht kann ich damit zu irgendetwas beitragen, eine Lücke schließen, und sei es nur eine, die das Wissen über den seelischen Zustand einer Mörderin betrifft.
Ich erzähle meine Geschichte nicht als „Eislady", als die mich die Menschen zu kennen glauben. Ich erzähle sie als Estibaliz Carranza, die in den Zeitungen zwar mit einem kühlen Lächeln zu sehen war, aber in Wirklichkeit nur eine Frau ist, die sich nie richtig zu sagen traute, was sie sich wünschte. Eine Frau, die nie starke Nerven hatte, die trotzdem unverzeihliche Verbrechen beging, der jetzt nichts wichtiger ist im Leben als ihr kleiner Sohn, den sie viel zu selten sehen darf, die darauf hofft, dass Gott ihr vergibt und die eisern weiter davon träumt, dass sie vielleicht doch noch irgendwann eine Zukunft in Freiheit haben wird.
Ich hätte es niemals geschafft, dieses Buch zu schreiben. Ich habe die Gabe oder auch die Schwäche, dorthin, wohin ich nicht schauen will, nicht zu schauen. Die Psychologen, mit denen ich über meine Taten spreche, lenken meinen Blick dorthin, aber sie tun es behutsam, Schritt um Schritt, und sie akzeptieren es, wenn ich zwischendurch auch wieder einmal einen Schritt zurück gehe.
Diese Möglichkeit bietet ein Buch nicht. Ein Buch verlangt, dass der Erzähler die Geschichte, von Anfang bis zum Ende offen legt, ohne Auslassungen und weiße Flecken. An einem Buch zu arbeiten, bedeutet die intensive und ungeschützte Konfrontation mit der Wahrheit. Es wäre niemals zustande gekommen, wenn ich nicht Martina Prewein als Helferin und Vertraute an meiner Seite gehabt hätte.
Martina ist Journalistin. Sie hat schon nach dem Auffliegen meiner Verbrechen, während meiner Untersuchungshaft, während meines Prozesses und auch danach immer wieder über meinen Fall berichtet. Sie kennt ihn so detailliert wie kaum jemand. Sie hat in Spanien meine Mutter, meinen Vater und meinen Bruder kennengelernt und lange mit ihnen geredet. Mehrmals hat sie meine Mutter auch in Wien getroffen. Auch mit Roland, meinem Mann, hat sie viele Gespräche geführt.
Martina war es, die mich zu dem Vorhaben, meine Geschichte aus meiner Sicht aufzuschreiben, animierte. Überlass es nicht stillschweigend den anderen, sie zu erzählen, sagte sie zu mir, als wir einander, nachdem sie mich schon ein paar Mal im Gefängnis besucht hatte, wieder einmal im Besucherraum der Justizanstalt Schwarzau gegenübersaßen. Vertritt deine Position. Zeig den Menschen, dass du nicht die Bestie bist, für die sie dich halten. Ich kann das nicht, sagte ich. Ich helfe dir dabei, sagte sie.
Die Arbeit an diesem Buch wurde trotzdem ein schmerzvoller Prozess. Manchmal war er zu schmerzvoll. Manchmal schaffte ich es einfach nicht, auf den bösen Teil in mir zu blicken, und dann hat es Martina mit großem Einfühlungsvermögen für mich getan. Manchmal war ich erschöpft. Manchmal war ich verzweifelt. Trotzdem bin ich froh darüber, dass meine Geschichte und damit meine Abrechnung mit mir selbst, jetzt jedem, der sie lesen will, zugänglich ist. Egal, ob irgendjemand es mir zugestehen wird, damit etwas bewirken zu können. Etwas, von dem ich nicht einmal selbst genau weiß, was es sein könnte.
Nur eines weiß ich jetzt mit Sicherheit. Es stimmt, dass es etwas Heilendes hat, sich mit der Wahrheit auseinanderzusetzen. Ich habe mich bei der Arbeit an diesem Buch selbst etwas besser kennengelernt. Ich weiß jetzt mehr über mich als davor, und ich habe das Gefühl, meinem Ich nähergekommen zu sein.
Estibaliz Carranza,
Justizanstalt Schwarzau,
Oktober 2014
DIE ENTDECKUNG
Ich glaubte, Männern dienen zu müssen.
Egal wie sie sich mir gegenüber verhielten.
1
Es ist der 25. Mai 2011. Ich habe einen Termin bei meinem Gynäkologen. Pünktlich um zehn Uhr morgens treffe ich in seiner Ordination auf der Meidlinger Hauptstraße ein. Ich melde mich bei der Sprechstundenhilfe an und nehme im Wartezimmer Platz. Ich bin völlig ruhig, nicht aufgeregt, nicht angespannt. Es soll ja bloß eine Routinekontrolle sein. Harnabgabe, Abstrich, Ultraschall.
Ich blättere Klatschzeitschriften durch, ein Artikel über das englische Königshaus interessiert mich besonders. Noch bevor ich den Bericht über Prinzessin Kate bis zum Ende durchlesen kann, werde ich aufgerufen. Ich mache in einer Kabine meinen Unterkörper frei, setze mich auf den Behandlungsstuhl. Die Untersuchung beginnt. Nichts ist anders als schon dutzende Male davor. Und jetzt, wie aus dem Nichts, dieser Satz: Frau Carranza, Sie sind schwanger.
Ja, schon, irgendwie hatte ich in den Tagen davor gespürt, dass etwas anders sein, dass mein Wunsch, Mutter zu werden, endlich in Erfüllung gehen könnte. Aber wirklich geglaubt hatte ich daran nicht. Oder doch?
Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts mehr. Ich kann kaum noch klar denken. Ich sitze da, in dem Zimmer mit den weißen Wänden, und fühle mich wie in Watte. Der Frauenarzt redet und redet, ich schaffe es kaum, seinen Worten zu folgen. Frau Carranza, Sie sind schwanger. Ich fühle mich wie in einem Rausch. Ist es wahr? Werde ich wirklich ein Baby bekommen?
Seit ich ein kleines Mädchen gewesen war, hatte ich von nichts anderem geträumt, mir tausende Male ausgemalt, wie es wäre, Mutter zu sein. Meine Puppen, meine vielen Puppen, ich versorgte sie, als wären sie meine Kinder. Ich habe sie gewickelt, umgezogen, ihnen Fläschchen an den Mund gehalten, sie in Wiegen gelegt und geschaukelt. Ein Teil meines Zimmers, damals, in Mexiko, in dem Staat, in dem ich geboren wurde, gehörte nur ihnen. Bis diese bösartigen Männer in Uniformen in unser Haus eindrangen, mit Waffen in den Händen, und mir meine Babys wegnahmen, auf ihnen herumtrampelten, bis ihre Köpfe kaputtgingen.
Die Erinnerungen an diesen Tag sind mit einem Mal so stark. Tränen schießen in meine Augen. Ich spüre die schützenden Hände meiner Mutter, sie sagt, dass ich mich nicht fürchten muss und dass alles gut wird. Die Typen sind nach ihrer Zerstörungsaktion auch ziemlich schnell abgezogen. Erzählen Sie Ihrem Mann genau, was heute passiert ist, sagten sie meiner Mutter zum Abschied.
Nach diesem Überfall wurde vieles besser. Endlich sah mein Vater ein, dass wir nicht länger in unserer Heimat bleiben konnten, dass er sich dort als regimekritischer Journalist Feinde, zu mächtige und zu gefährliche Feinde gemacht hatte.
Ich war fünf, als wir nach Spanien auswanderten. Dort hatten wir nicht mehr um unser Leben zu fürchten. Dafür gab es neue Probleme. Meine Eltern mussten bei null anfangen. Finanziell ging es ihnen schlecht. Wir lebten nun nicht mehr in einem Haus mit vielen Zimmern und einem riesigen Garten, sondern in einer winzigen Wohnung in Barcelona.
Mein Vater arbeitete Tag und Nacht als freier Redakteur, von zuhause aus, doch kaum noch an den großen politischen Storys. Die Chefs von Frauenzeitschriften und Esoterikmagazinen waren jetzt seine Auftraggeber. Er musste jeden Auftrag annehmen, den er kriegen konnte. Die Stimmung war deshalb meistens nicht gut daheim. Er verlangte absolute Ruhe, wenn er schrieb, an Geschichten, die ihn eigentlich nicht interessierten und für ihn eine Plage waren. Ich gewöhnte mich rasch daran, still zu sein und in Fantasiewelten zu flüchten.
Mit sieben bekam ich einen Bruder. Es machte mir Spaß, ihn zu füttern, mit ihm zu spielen, ihn im Kinderwagen spazieren zu fahren. Von da an wollte ich mich nicht mehr mit meinen Puppen beschäftigen, sie waren ja in Wahrheit seelenlos. Er war ein kleiner Mensch, der echte Bedürfnisse hatte. Es tat mir gut, ihn umsorgen zu dürfen, ihn in meinen Armen zu halten, ihn zu liebkosen, für ihn Brei oder Kompott zuzubereiten.
Ich war ungefähr zehn, als ich meine Eltern fragte: Wann, glaubt ihr, bin ich alt genug, um zu heiraten und Babys zu bekommen? Noch lange nicht, sagten sie. Esti, du bist intelligent, du bist eine Vorzugsschülerin, du wirst einmal Karriere machen und erst danach darfst du über eine Familiengründung nachdenken. Ich habe mich ihren Wünschen gefügt, nach der Matura in Rekordzeit ein Wirtschaftsstudium durchgezogen, die Erfüllung meiner Wünsche auf später verschoben. Nur, das Später wurde immer nur noch später.
Jetzt bin ich im Später angekommen. Mit 32. Frau Carranza, Sie sind schwanger. Ich verstehe mich nicht. Warum schreie ich nicht vor Freude? Warum weine ich nicht vor Glück? Warum kann ich den Moment nicht genießen? Wieso ist er nicht so, wie ich ihn in Gedanken durchgespielt habe, so oft schon? Alles ist viel zu schnell passiert. Die Untersuchung. Die Urinabgabe. Der Test. Gleich zwei blaue Streifen, dann eine Blutabnahme und die Anweisung, am Montag wiederzukommen.
Benebelt gehe ich durch den Warteraum zum Ausgang der Praxis. Ich stoße mit einer Frau zusammen, mit noch einer. Ich höre lautes Kindergeschrei. Ein Mann hält mir die Türe auf, er versucht, mit mir zu flirten. Ich will nur noch weg von hier. Alles ist so hektisch.
Endlich bin ich draußen aus der Ordination. Ich fühle mich schwindelig, muss mich kurz auf eine Bank setzen. Fünfzig Meter entfernt hat eine Bekannte, eine Polin, ein Gasthaus, ich möchte jetzt schnell dorthin.
Hallo, sage ich zu ihr, als ich in dem Lokal ankomme. Ich bin nicht fähig, mehr von mir zu geben. Still setze ich mich an die Theke. Ich sollte eine Bestellung aufgeben. Bitte ein Redbull. Nein, doch einen Gespritzten. Nein, einen Espresso. Auch nicht. Ein Soda-Zitron, bitte mit frischer Zitrone. Frau Carranza, Sie sind schwanger.
Ein junger Mann mit blondem Haar betritt das Wirtshaus, er geht zu der Polin und küsst sie auf beide Wangen. Dein Sohn? Ja. In dieser Sekunde weiß ich, dass ich einen Buben erwarte. Endlich beginne ich zu begreifen. Mein Kleines ist schon in mir. Ab jetzt werde ich dich mit meinem Leben beschützen, mein Chiquitin.
2
Ich zahle und mache mich auf den Weg zu meinem Eissalon. Die Stimmen der Leute, die Geräusche der Autos klingen verwaschen. Die Luft ist anders, reiner, frischer. Ich setze mich in die U-Bahn, ich fühle mich beobachtet von den Menschen, ich bilde mir ein, dass sie mich anstarren, auf meinen Bauch schauen. Ich sehe Mütter mit Kindern. Das tut mir gut. Ich bin glücklich.
Im Eissalon ziehe ich mich sofort in die Küche zurück. Ich weiß, ich muss vorsichtig sein. Ich will nichts riskieren. Ich darf jetzt nicht mehr schwer heben. Bei jedem Schritt, den ich mache, habe ich Angst auszurutschen. Der Fliesenboden ist manchmal glitschig, ich werde ihn in Hinkunft noch öfter als bisher aufwaschen. Nein, mein Kleines, fürchte dich nicht, deine Mami passt gut auf dich auf.
Früher als erwartet ist er da. Roland, der Vater meines ungeborenen Sohnes. Ich höre seine tiefe, männliche Stimme, vorne im Geschäft. Wo ist meine Frau? Wir umarmen und küssen einander. Gott, wie sage ich es ihm bloß? Wir hatten vor, ein Baby zu kriegen, aber erst in einem Jahr, und bis dahin wollten wir aufpassen. Wir haben aufgepasst und trotzdem ist es passiert.
Roland füllt einen Becher mit Eis, After-Eight und Schokolade, obendrauf schaufelt er Schlagobers. Mit vollem Mund stellt er endlich die Frage. Was war beim Frauenarzt? Mi amor, gehen wir essen und ich erzähle es dir. Im Gasthaus ums Eck hat ein Kellner Dienst, der ein Kunde von mir ist. Was darf ich euch bringen? Ein Soda-Zitron und eine Scholle mit Gemüse. Roland will ein Steak mit Kartoffeln und ein Bier. Die Getränke sind da. Prost. Und? Erzähl.
Roland schaut mich mit großen Augen und hochgezogenen Brauen an. Ich bin schwanger. Ich spreche den Satz schnell aus, in einem flachen, hektischen Ton. Wie wird er auf diese Nachricht regieren? Ich bin unsicher. Er lehnt sich zurück, nimmt einen Schluck aus seinem Glas. Ich habe es gewusst, sagt er. Sein Gesicht strahlt. Er freut sich. Ich setze mich neben ihn auf die Bank. Ich frage ihn. Willst du mich heiraten? Er schaut mich ernst an, ein paar Sekunden lang, dann gehen seine Mundwinkel hoch. Ja, ja, ja. Ja! Wir küssen uns. Ich drücke mich an seine Brust, an seinen Körper, der nach Zigaretten riecht und für mich jetzt schon mein Zuhause bedeutet. Roland ist der beste Mann auf dieser Welt. Ich erwarte ein Kind von ihm. Ein neues Leben hat begonnen.
Die kommenden Tage arbeite ich von früh bis spät im Eissalon, wie immer. Ich mache bloß öfter Pausen, ich esse viel Obst, Salat und Gemüse, ich trinke keine Energy-Drinks mehr und weniger Espressos, die Spritzweine am Abend