128. Die Bucht der Liebe
Von Barbara Cartland
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128. Die Bucht der Liebe - Barbara Cartland
1 ~ 1795
Grania lief hastig die Treppe hinauf und blieb lauschend oben stehen.
Das Haus war dunkel, aber es war nicht nur die Dunkelheit, die sie ängstigte. Sie fürchtete sich beim Klang der Stimmen, die aus dem Eßzimmer drangen, und sie fürchtete sich vor der angespannten, düsteren Atmosphäre.
Während des letzten Monats hatte sie sich mit fast kindlicher Erregung darauf gefreut, wieder in Grenada zu sein. Sie hatte das Gefühl, nach Hause zu kommen, wo alles wieder so sein würde, wie es vor ihrer Abreise vor drei Jahren gewesen war.
Stattdessen war alles völlig anders verlaufen, kaum daß sie die grünen Inseln erreicht hatte, die sie immer an Smaragde in einer blauen See erinnert hatten.
Als ihr Vater ihr gesagt hatte, daß er sie nach Hause bringen würde, war sie so sicher gewesen, daß sie wieder glücklich sein würde, daß sie dasselbe Glück genießen würde wie damals, als sie auf der verzauberten Insel gelebt hatte.
Sie wurde nicht nur von fröhlichen Menschen bewohnt, sondern, wie Grania glaubte, auch von Göttern und Göttinnen, die auf den Gipfeln der Berge residierten, und von Feen und Zwergen, die zwischen den Muskat- und Kakaobäumen dahinhuschten.
„Es wird schrecklich aufregend sein, wieder in Secret Harbour zu sein", hatte Grania auf der Überfahrt zu ihrem Vater gesagt.
Die See war ruhig und glitzerte in der Sonne, und die Matrosen, die auf den Masten herumkletterten, sangen Lieder, die ein Teil von Granias Erinnerungen an ihre Kindheit waren.
Als ihr Vater nicht antwortete, schaute Grania ihn fragend an.
„Machst du dir Sorgen über etwas, Papa?"
In den vergangenen Tagen hatte er nicht so viel getrunken wie zu Anfang der Reise. Trotz seines „ausschweifenden Lebens", wie ihre Mutter es immer genannt hatte, sah er immer noch überraschend gut aus.
„Ich möchte bei Gelegenheit mit dir sprechen, Grania, erwiderte er, „über deine Zukunft.
„Über meine Zukunft, Papa?"
Ihr Vater antwortete nicht.
Angst ergriff Grania.
„Was sagst du da? fragte sie. „Meine Zukunft liegt bei dir. Ich werde mich um dich kümmern, wie Mama es getan hat, und ich bin sicher, daß wir sehr glücklich zusammen sein werden.
„Ich habe andere Pläne für dich."
Grania starrte ihn ungläubig an.
Doch bevor sie nachfragen konnte, war einer der Schiffsoffiziere zu ihnen getreten, um sich mit ihnen zu unterhalten.
Darüber, was er ihr sagen wollte, machte sie sich den ganzen Tag über Gedanken. Sie wollte später am Abend mit ihm darüber sprechen, aber sie hatten mit dem Kapitän gespeist. Nach dem Essen war ihr Vater nicht mehr in der Lage gewesen, mit irgendjemandem eine zusammenhängende Unterhaltung zu führen.
Der nächste Tag war nicht anders verlaufen und auch nicht der darauffolgende. Erst als die hohen Berge, die Grania so gut kannte, am Horizont auftauchten, traf Grania ihren Vater allein an der Schiffsreling.
„Bevor wir nach Hause kommen, mußt du mir sagen, was du vorhast, Papa", bat sie ihn eindringlich.
„Wir fahren nicht sofort nach Hause", erwiderte der Earl of Kilkerry.
„Nicht nach Hause?"
„Nein. Ich habe es so arrangiert, daß wir ein oder zwei Nächte bei Roderick Maigrin verbringen."
„Warum?" fragte Grania scharf.
„Er möchte dich sehen, Grania. Er freut sich sehr darauf, dich zu sehen."
„Warum?" fragte Grania wieder, doch diesmal zitterte ihre Stimme. Sie hatte das Gefühl, als müßte ihr Vater all seinen Mut zusammennehmen, bevor er ihr antwortete.
In einem brummigen Ton, der ihr seine Verlegenheit verriet, erklärte er: „Du bist achtzehn Jahre alt geworden. Es wird Zeit, daß du heiratest."
Einen Augenblick lang konnte Grania nichts erwidern, ihr verschlug es sogar den Atem.
Dann sagte sie mit einer ihr fremden Stimme: „Soll das heißen, Papa, daß - daß Mr. Maigrin mich heiraten will?"
Noch während sie die Frage stellte, hielt sie den Gedanken daran für zu unwahrscheinlich, als daß sie darüber nachdenken könnte.
Sie erinnerte sich an Roderick Maigrin. Er war ein Nachbar, den ihre Mutter nie geschätzt und den sie somit nie nach Secret Harbour eingeladen hatte.
Er war ein untersetzter, trinksüchtiger Mann mit einer rauhen Sprache, den man für einen grausamen Herrn auf seiner Plantage gehalten hatte, wie Grania sich erinnerte.
Er war fast so alt wie ihr Vater. Der Gedanke an eine Heirat mit ihm war so absurd, daß Grania darüber gelacht hätte, wenn sie nicht solche Angst gehabt hätte.
„Maigrin ist ein guter Mann, sagte ihr Vater, „und sehr reich.
Das war nicht die ganze Antwort, dachte Grania später.
Roderick Maigrin war reich, und ihr Vater befand sich wie üblich in einem Zustand der Mittellosigkeit. Er mußte sich selbst bei dem Rum, den er trank auf die Großzügigkeit seiner Freunde verlassen. Es war der Hang ihres Vaters zur Trunksucht und zum Glücksspiel gewesen, durch den er seine Plantagen vernachlässigt und der ihre Mutter vor drei Jahren veranlaßt hatte, wegzulaufen.
„Welche Erziehung kannst du dir, an diesem Ort erhoffen, Liebes, hatte sie zu ihrer Tochter gesagt. „Wir treffen niemanden als diese zügellosen Freunde deines Vaters, die ihn ermutigen, jeden Penny seines Einkommens zu vertrinken und verspielen.
„Papa tut es immer leid, daß er dich verärgert, Mama", hatte Grania erwidert.
Einen Augenblick lang war der Blick ihrer Mutter ganz weich geworden. Dann hatte sie gesagt: „Ja, es tut ihm leid, und ich habe ihm verziehen und immer wieder verziehen. Aber jetzt muß ich an dich denken."
Grania hatte ihre Mutter nicht verstanden.
„Du bist so reizend, mein Liebling, hatte ihre Mutter hinzugefügt, „und es ist nur richtig, daß du die Gelegenheit hast, gesellschaftlich ebenbürtige Menschen zu treffen und auf Bälle und Partys zu gehen, deren Teilnahme dir aufgrund deiner Position zusteht.
Wieder hatte Grania sie nicht verstanden. Es hatte keine Partys auf Grenada gegeben. Ihr Vater und ihre Mutter hatten lediglich Freunde in St. George’s oder Charlotte Town besucht.
Sie selbst war jedoch sehr glücklich auf Secret Harbour gewesen und hatte mit den Kindern der Sklaven gespielt, wenn auch Gleichaltrige bereits zur Arbeit herangezogen wurden.
Noch bevor ihr bewußt wurde, was geschah, hatte ihre Mutter sie weggebracht. Sie waren sehr früh am Morgen aufgebrochen, während ihr Vater sich von den Ausschweifungen der letzten Nacht erholte. Im malerischen Hafen von St. George’s, den man überblicken konnte, lag ein großes Schiff. Kaum waren sie an Bord, legte das Schiff ab und fuhr auf die offene See weg von der Insel, die so lange Granias Zuhause gewesen war.
Erst als sie London erreicht hatten und ihre Mutter mehrere alte Freunde wiedergesehen hatte, erkannte Grania, wie abenteuerlich ihre Mutter sich erwiesen hatte, als sie mit achtzehn Jahren den hübschen Earl of Kilkerry geheiratet hatte. Sechs Jahre später war sie dann mit ihm ausgezogen, um ein neues Leben auf einer fremden Insel in der Karibik zu beginnen.
„Deine Mutter war so schön, hatte eine von Mutters Freundinnen zu Grania gesagt. „Als sie uns verließ, war es, als ob London ein funkelndes Juwel verloren hätte. Jetzt ist sie wieder hier und strahlt wie in alten Tagen. Wir sind sehr glücklich, sie wiederzusehen.
Aber es war nicht so wie früher, merkte Grania bald, denn der Großvater war jetzt tot, und ihre anderen Verwandten waren alt geworden und lebten nicht mehr in London. Sie hatten auch nicht genügend Geld, um in der fröhlichen Gesellschaft, die den jungen Prinzen of Wales umgab, eine Rolle zu spielen.
Dennoch gelang es Gräfin Kilkerry, dem König und der Königin vorgestellt zu werden, und sie versprach Grania dasselbe, sobald sie alt genug war.
„In der Zwischenzeit, sagte sie, „wirst du hart arbeiten müssen, meine Liebste, um all das nachzuholen, was du bis jetzt versäumt hast.
Grania arbeitete wirklich sehr hart an sich, denn sie wollte ihrer Mutter Freude bereiten.
Es gab eine Schule, die sie täglich besuchte, und es gab Lehrer, die eigens in das kleine Haus kamen, das ihre Mutter in Mayfair gemietet hatte.
Es blieb kaum Zeit für etwas anderes als ihren Unterricht, auch wenn ihre Mutter eine Reihe von Freunden hatte, die sie immer wieder zum Essen ausführten und sie in die Oper oder nach Vauxhall begleiteten.
Grania fiel auf, daß ihre Mutter ohne die ständige Sorge um die Trink- und Spielleidenschaften ihres Vaters bedeutend jünger und viel schöner aussah. Abgesehen davon standen ihr die neuen Kleider, die sie sich sofort nach Ankunft in London gekauft hatten, außerordentlich gut.
Die weiten Musselinröcke, die seidenen Schärpen und die kleidsamen Schultertücher, die ihre Mutter trug, unterschieden sich stark von den Kleidern, die sie für sich und Grania in Grenada selbst genäht hatte.
In St. George’s gab es kaum Auswahl an Stoffen, so daß Grania die gleichen hellen, schlichten Baumwollstoffe getragen hatte, die der Stolz und die Freude der dort ansässigen Frauen waren.
In London hingegen entwickelte sie ihren eigenen Geschmack, nicht nur in Kleidern, sondern auch in Möbeln, Gemälden und Menschen.
Dann, als sie fast achtzehn Jahre alt war und ihre Mutter sie dem König und der Königin vorstellen wollte, erkrankte die Gräfin.
Vielleicht war sie gegen Nebel und Kälte empfindlicher geworden, weil sie so lange in einem warmen Klima gelebt hatte, oder es lag an dem heimtückischen Fieber, das in London ständig umging.
Was immer es auch gewesen war, die Gräfin wurde immer schwächer, bis sie eines Tages Grania bat: „Du solltest deinem Vater schreiben und ihn bitten, daß er sofort zu uns kommt. Es muß sich jemand um dich kümmern, wenn ich sterbe."
Grania stieß einen Schrei des Entsetzens aus.
„Denk nicht ans Sterben, Mama! Es wird dir bessergehen, sobald der Winter vorbei ist. Es ist nur die Kälte, weshalb du hustest und dich so schwach fühlst."
Doch ihre Mutter hatte auf ihrer Bitte bestanden. Grania fand es nur richtig, daß ihr Vater wissen sollte, wie krank sie war, und so hatte sie ihm geschrieben. Sie wußte sehr gut, daß es einige Zeit dauern würde, bis ihr Brief beantwortet wurde. Zudem hatten sie in den Jahren der Trennung nur sporadisch von ihm gehört.
Manchmal waren wohl Briefe auf der Reise über das Meer verlorengegangen, doch dann trafen andere ein, die lange und ausführliche Informationen über das Haus, die Plantagen, die Preise, die für Muskat- und Kakaobohnen erzielt worden waren, enthielten, und ob es eine gute Saison für Bananen gewesen sei.
Dann wieder erhielten sie nach monatelangem Warten Briefe, die nur ein paar mit unsicherer, zitternder Schrift hingekritzelte Zeilen enthielten. Wenn solche Briefe eintrafen, erkannte Grania an der Art, wie ihre Mutter die Lippen zusammenkniff und sich ihre Gesichtszüge verschlossen, daß sie daran dachte, wie richtig ihre Entscheidung gewesen war.
Grania wußte, wenn sie zu Hause gewesen wären, gäbe es die gleichen, sich immer wiederholenden Szenen wegen der Trunksucht ihres Vaters, die gleichen Entschuldigungen und die gleichen Versprechen, die er nicht halten würde.
Einmal hatte Grania zu ihrer Mutter gesagt: „Da wir hier in England dein Geld ausgeben, Mama, wie schafft es Papa zu Hause?"
Einen Augenblick lang hatte sie geglaubt, ihre Mutter würde nicht antworten, doch dann hatte die Gräfin erwidert: „Das bißchen Geld, das ich besitze, wird jetzt für dich ausgegeben, Grania. Dein Vater muß lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Es kann ihm nichts Besseres passieren, als daß er lernt, sich nur auf sich selbst zu verlassen, anstatt von mir abhängig zu sein."
Grania hatte sich dazu nicht geäußert, aber sie war überzeugt, daß ihr Vater immer jemanden finden würde, von dem er abhängig war. Und wenn er sich nicht auf ihre Mutter stützen konnte, dann auf einen seiner Freunde, mit denen er trank und spielte.
Wie schlecht er sich auch benahm, wieviel er auch trank, wie sehr sich ihre Mutter auch über seine Nachlässigkeit in Bezug auf die Plantage und sie beklagte, so besaß der Earl doch einen irischen