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Die Leihmutter
Die Leihmutter
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eBook286 Seiten3 Stunden

Die Leihmutter

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Über dieses E-Book

Dramatisch und herzergreifend: Beate, ihr Mann Frank und der kleine Florian sind keine reiche, dafür aber eine glückliche Familie. Doch dann erfährt Frank, dass er schwer herzkrank ist und nur eine kostspielige Operation ihn retten kann. Für die Familie bricht eine Welt zusammen, denn das Geld, um die OP zu zahlen, haben sie nicht. Um an das notwendige Geld zu kommen, schmiedet Beate einen Plan: Sie bietet sich als Leihmutter an...-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum16. März 2020
ISBN9788726444827
Die Leihmutter

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    Buchvorschau

    Die Leihmutter - Marie Louise Fischer

    www.egmont.com

    I

    »Wie konnte das geschehen?«

    Beate stellte die Frage mit beherrschter Stimme, aber das Blau ihrer Augen hatte sich verdunkelt und spielte ins Violette, wie immer, wenn sie zornig war. Mit der linken Hand hielt sie Florian, ihren kleinen Sohn, fest im Griff, in der rechten, anklagend erhoben, den Brief der Hausverwaltung.

    Frank Werder, ihr Mann, begriff, daß die Zeichen auf Sturm standen. Aber selbst in diesem Augenblick, vor dem er sich seit Wochen gefürchtet hatte, war ihm bewußt, wie schön sie war, wie lebenssprühend. »Reg dich doch nicht so auf!« sagte er und merkte, wie kläglich dieser Beschwichtigungsversuch klang. »Eine Schlamperei, nichts weiter«, fügte er hinzu, »so was kann doch mal vorkommen.«

    »Daß man drei Monate vergißt, die Miete zu zahlen?«

    »Ja eben.«

    »Lächerlich!«

    Florian spürte nichts von der Spannung zwischen den Eltern. Er war ganz darauf versessen sich loszureißen. Wie immer, wenn er in der Boutique seines Vaters war, spürte er größte Lust, zwischen all den schönen Dingen herumzustöbern.

    »Sollten wir das nicht lieber in aller Ruhe zu Hause besprechen?« schlug Frank vor. »Statt hier im Geschäft, wo jede Minute ein Kunde kommen kann?«

    »Ich muß wissen, woran ich bin. Hast du wenigstens das Geld?«

    Frank wand sich unter ihren Fragen, die auf ihn wie ein Angriff wirkten. Er war 35, zehn Jahre älter als seine Frau, aber sein Haar hatte schon begonnen sich zu lichten, und seine Figur war schwer geworden. Nur sein gut geschnittenes Jackett konnte seinen Bauchansatz noch kaschieren. »Ich muß zugeben, daß ich momentan nicht sehr flüssig bin«, erklärte er hilflos.

    »Du hast also die Miete nicht gezahlt, weil du es nicht konntest?«

    »Bitte, Beate, versuch das doch zu verstehen! Ich hatte immer gehofft, von Woche zu Woche ...«

    »Und nun stehen wir auf der Straße!«

    »Aber nicht doch, Beate! Wir werden das schon schaffen. Irgendwie wird es uns gelingen ...« Er unterbrach sich mitten im Wort. »O mein Gott!« stöhnte er auf und verkrampfte sich.

    Eine Sekunde lang, nein, nur den Bruchteil einer Sekunde, die sie sich später nie verzeihen würde, glaubte sie, daß er ihr einen Anfall vorspielte, um sich so der Auseinandersetzung zu entziehen. Aber dann sah sie, wie weiß sein Gesicht geworden war und wie angstverzerrt. Unwillkürlich ließ sie Florian los und stürzte zu ihrem Mann. »Du mußt dich hinlegen, sofort! Ich werde den Notarzt benachrichtigen.«

    »Keinen Arzt, bitte nicht! O mein Gott!«

    Beate führte Frank in das Hinterzimmer, bettete ihn auf die Couch und stopfte ihm das Kissen und seinen zusammengerollten Trenchcoat in den Rücken, um so sein Herz zu entlasten. Dabei zwang sie sich, beruhigend auf ihn einzusprechen, obwohl sie selber fast tödlich erschrocken war. Als sie den Telefonhörer abnahm und den Notdienst verständigte, protestierte er nicht mehr dagegen. In seinen Augen, die gewöhnlich so sanft blickten, stand die blanke Angst.

    »Sie kommen sofort, Liebling!« versicherte Beate und rang sich ein Lächeln ab. »Keine Sorge, du wirst nicht sterben.« Sie zog ihm das hellblaue Einstecktuch aus der Brusttasche seines Jacketts und tupfte ihm den kalten Schweiß von der Stirn.

    Der entsetzliche Schmerz ließ nicht nach. Er hatte Brust und Oberbauch wie eine Zange gepackt und strahlte bis in den linken Arm aus. Franks Gesicht war qualvoll verzerrt. Beate war sich nicht sicher, ob er noch verstand, was sie zu ihm sagte.

    Florian, der inzwischen einen Turm bunter, glänzender Seidenpullis erst ins Schwanken gebracht, dann umgestoßen hatte, war es unheimlich geworden, so unbeobachtet Unfug treiben zu können. Er kam in das Hinterzimmer, blieb aber, die Hände auf dem Rücken, im Türrahmen stehen. »Papi krank?« fragte er. In seinen runden blauen Augen stand Besorgnis.

    »Papi hat Bäuchleinweh«, erklärte Beate. Sie stand so, daß sie dem Kleinen den Blick auf seinen Vater verdeckte.

    »Zuviel gegessen?«

    »Mag schon sein.« Beate schoß es durch den Kopf, daß sie die Ladentür abschließen sollte. Aber sie konnte sich nicht überwinden, Frank in diesem Zustand allein zu lassen. Außerdem hätte sie es dann noch einmal tun müssen, wenn der Notarzt kam. »Gleich kommt der Onkel Doktor«, sagte sie, »geh weiter spielen.« Als Florian sich schon umdrehte, rief sie ihm nach: »Aber geh nicht auf die Straße!«

    »Tu ich doch nie!«

    Es ging Frank schon ein wenig besser, als der Notarzt eintraf. Sein Gesicht war nicht mehr ganz so verzerrt, aber er rang immer noch mühsam nach Atem.

    »Endlich!« rief Beate.

    Tatsächlich waren nicht mehr als fünf Minuten seit ihrem Anruf vergangen, aber es waren die längsten ihres Lebens gewesen.

    Der Arzt glaubte sich entschuldigen zu müssen. »Wir sind schwer durchgekommen. Die Türkenstraße war wieder völlig verstopft.« Er war ein noch junger Mann, dessen scharf geschnittenem Gesicht eine randlose Brille den Ausdruck eines Wissenschaftlers verlieh. Er trug einen weißen Kittel und hatte ein Stethoskop um den Hals gehängt.

    »Ich weiß«, sagte Beate ungeduldig.

    Der Arzt steckte sich die Knöpfe seines Stethoskopes in die Ohren, schob Franks Pullover hoch und horchte das Herz ab. Dann richtete er sich auf und klemmte die Bügel seines Stethoskopes wieder hinter den Hals.

    »Vorhin war es noch schlimmer«, sagte Beate.

    Der Arzt öffnete seine Bereitschaftstasche und zog eine Einwegspritze auf.

    »Ein Nitropräparat?« fragte Beate.

    »Sie sind Kollegin?« fragte der Arzt erstaunt.

    »Ich studiere noch.«

    »Aber Sie haben die Symptome erkannt?«

    »Ich fürchte ja.« Zögernd setzte sie hinzu: »Ein Angina-Pectoris-Anfall ?«

    »Sieht ganz danach aus.« Der Arzt setzte die Spritze und stach zu. »Hat er das schon öfter gehabt?« Er desinfizierte den Einstich.

    »Ich glaube, nein. In meiner Gegenwart jedenfalls nicht.«

    »Na, es gibt immer ein erstes Mal. Am besten bringen wir ihn in die Klinik.«

    »Aber ich will nicht!« protestierte Frank, dessen Gesicht wieder Farbe bekommen hatte.

    »Du bist jetzt Patient, Liebling, du hast gar nichts zu wollen«, bestimmte Beate.

    »Es ist doch schon vorbei! Es tut mir leid, wirklich, daß ich soviel Mühe gemacht habe.«

    »So ein Anfall kommt nicht von ungefähr.« Der Arzt warf die Spritze in den Papierkorb. »Es ist wirklich das beste, Sie lassen Ihr Herzchen mal durchleuchten.«

    »Wozu? Ich fühle mich ganz gesund!«

    »Vor fünf Minuten hast du noch Angst gehabt, du würdest sterben!« erinnerte ihn Beate.

    »Das Ganze ist doch nur gekommen, weil ich mich so wahnsinnig aufgeregt habe.«

    »Ein gesunder Mensch«, sagte der Notarzt, »kriegt auch bei einer Wahnsinnsaufregung keinen Anfall, im Gegenteil, so was tut von Zeit zu Zeit ganz gut.«

    »Bitte«, sagte Beate, »nehmen Sie ihn mit!«

    »Aber ich will nicht ...«

    »Ruhig, ganz ruhig!« mahnte der Arzt. »Für heute haben wir Aufregung genug gehabt. Ihre Frau hat völlig recht. Dieser Anfall war eine Warnung. Man sollte der Sache sofort auf den Grund gehen.« Er ließ das Schloß seiner Bereitschaftstasche zuschnappen, hatte sein Stethoskop aber immer noch um den Hals hängen. »Außerdem werden Ihnen ein paar Tage Bettruhe unbedingt guttun.«

    »Aber wer soll das bezahlen?«

    »Irgendwer wird schon dafür aufkommen«, erwiderte der Arzt ungerührt. Er ging durch den Laden, sagte im Vorbeigehen: »Na, du?« zu Florian, der mit Krawatten spielte, öffnete die Tür und gab seinen Helfern ein Zeichen. Sie drückten ihre Zigaretten aus und zogen eine Trage aus dem Krankenwagen, der in zweiter Reihe parkte.

    Im Hinterzimmer sagte Beate: »Aber du mußt doch versichert sein.«

    »Nein«, gestand er.

    Beate mußte sich beherrschen, nicht aus der Haut zu fahren.

    »Ich war doch nie krank«, versuchte er sich zu verteidigen, »und als ich mich selbständig gemacht habe, dachte ich, ich könnte mir das sparen.«

    »Schon gut. Geld ist jetzt wirklich nicht das wichtigste«, behauptete Beate, obwohl sie sich tatsächlich nicht vorstellen konnte, woher sie es nehmen sollte.

    »Du meinst, ich soll trotzdem ins Krankenhaus?«

    »Unbedingt.«

    Er war noch zu sehr geschwächt, um ernsthaften Widerstand leisten zu können. Beate verließ das Hinterzimmer, um den Trägern Platz zu machen. Frank versuchte aufzustehen, war aber dankbar, als die Männer abwinkten.

    »Lassen Sie nur!«

    »Das machen wir schon.«

    Beate hielt Florian wieder fest an der Hand, als die Trage durch den Laden gebracht wurde. Frank schenkte seinem Sohn ein schwaches Lächeln.

    »Wohin bringen Sie ihn?«

    »In die Interne Ambulanz, Ziemsenstraße.«

    Sie beugte sich über ihn und gab ihm einen sanften Kuß auf die Schläfe. »Ich komme, sobald ich kann!« versprach sie.

    Auf der Türkenstraße hatte sich ein kleiner Auflauf von Neugierigen gebildet. Beate sah nicht zu, wie ihr Mann eingeladen wurde. Sie verschloß die Ladentür.

    »Ist Papi jetzt ganz weg?« fragte Florian.

    »Nein. Nur für ein paar Tage. Dann kommt er wieder nach Hause.«

    »Und hat er dann kein Bauchweh mehr?«

    »Nein, Florian.« Sie strich ihm durch das weiche blonde Haar, das er fast mädchenhaft lang trug. »Weißt du, was wir beide jetzt tun? Wir räumen ganz schnell zusammen auf, ja? Und dann gehen wir nach Hause, und ich koche uns was Gutes zu essen.«

    »Paghetti mit Tomaten?«

    »Wenn du willst.«

    Florian rieb sich sein Bäuchlein. »Immer!«

    Die Wohnung der Werders lag, wie »Franks Boutique«, auf der Münchner Türkenstraße, nur wenige Minuten entfernt, in einem Hinterhaus aus der Zeit der Jahrhundertwende, das saniert worden war. Die junge Familie lebte dort zusammen mit Franks Vater, Doktor Hugo Werder, einem Richter im Ruhestand. Dieses Arrangement bedeutete für Beate eine Belastung, da sie den alten Herrn mitversorgen mußte. Allerdings war es auch eine Erleichterung für sie, denn wenn er nicht jeder Zeit bereit gewesen wäre, auf Florian aufzupassen, hätte sie unmöglich die Universität besuchen können. Es war auch gut zu wissen, daß Florian nie allein war, wenn sie nachts arbeitete. Frank pflegte dann schon mal auf ein Bier auszugehen.

    Florian stürmte in die Wohnung, kaum daß Beate die Tür aufgeschlossen hatte. »Opa!« schrie er. »Papi ist weg!«

    Doktor Werder kam aus seinem Zimmer. Er war, wie immer, im grauen Anzug mit Hemd, Krawatte und schwarzen Slippers so adrett und korrekt angezogen, als hätte er etwas vor. Dabei verließ er das Haus nur sehr selten für einen kleinen Spaziergang, einen Besuch in der Bibliothek oder um sich die Haare schneiden zu lassen. Aber er haßte jegliche Schlamperei, und das war einer der wenigen Punkte, über die er bisweilen mit Beate aneinandergeriet. Denn sie, durch ihr Studium, die Familie und die Nachtarbeit überfordert, nahm es mit der Ordnung nicht so genau.

    »Was ist denn los?« fragte er jetzt, mehr gestört als beunruhigt. »Was brüllst du hier so herum?«

    »Ein Onkel Doktor war da, und zwei andere in weißen Kitteln«, berichtete Florian eifrig, »und sie haben den Papi fort gebracht.«

    »Nur für ein paar Tage«, sagte Beate beschwichtigend.

    »Etwas Ernstes?«

    Beate gab ihrem Schwiegervater mit den Augen ein Zeichen. »Wir sollten später darüber reden. Wenn wir gegessen haben.« Sie hing ihre Tasche über den Garderobenständer, setzte Wasser für die Spaghetti und zum Häuten der Tomaten auf, schälte eine Zwiebel.

    Großvater und Enkel kamen ihr nach.

    Gewöhnlich hatte sie ganz gerne Gesellschaft beim Kochen, heute aber spürte sie den dringenden Wunsch allein zu sein. »Es dauert noch eine halbe Stunde«, sagte sie.

    Doktor Werder verstand. »Gehen wir bis dahin noch ein bißchen in den Garten«, schlug er vor und nahm Florian bei der Hand.

    Dieser Garten, eine Grünanlage mit Kinderspielplatz, den die Bewohner der umliegenden Häuser aus einem ehemals trostlosen Hinterhof geschaffen hatten, war in den Augen der Werders ein wahrer Glücksfall. Da er keinen Zugang zur Straße hatte, konnte Florian hier auch schon einmal unbeaufsichtigt spielen, obwohl Beate nie ein gutes Gefühl dabei hatte.

    Mechanisch begann sie die Zwiebel zu würfeln, erschrak, als sie merkte, daß ihre Hände zitterten. Sie legte das Messer beiseite und atmete tief durch. Aber es half nichts. Sie mußte, so gut es ging, weitermachen und sich darauf konzentrieren, sich nicht in die Finger zu schneiden.

    Später bei Tisch – sie aßen alltags gewöhnlich in der Küche – konnte sie kaum eine Gabel Spaghetti herunterbringen. Da sie gleichzeitig damit beschäftigt war, Florian beim Essen zu helfen, hoffte sie, daß es dem Schwiegervater nicht auffallen würde.

    Aber er merkte es doch. »Moment mal«, sagte er und stand auf, »ich bin gleich wieder da.« Er verschwand, kam mit einer angebrochenen Flasche Rotwein zurück, nahm zwei Gläser aus der Kredenz und schenkte ein.

    »Lieb von dir!« Beate nahm ihr Glas nur zögernd, aber da der Schwiegervater, sein Glas in der Hand, abwartete, bis sie es zu den Lippen führte, trank sie dann doch.

    »Jetzt kriegst du endlich wieder ein bißchen Farbe«, stellte er fest.

    »Ja, ich glaube, der Wein tut mir gut.«

    »Du mußt jetzt aber auch versuchen, etwas zu essen!« mahnte er.

    »Ich werde mein möglichstes tun.«

    Tatsächlich ging es, nachdem sie ein halbes Glas getrunken hatte, jetzt besser, und es gelang ihr, den Teller zu leeren. Danach nahm sie Florian die Serviette ab, die sie ihn um den Hals gebunden hatte, führte ihn ins Bad und wusch ihm sein über und über mit Tomatensauce verschmiertes Gesicht ab. Wie stets hatte er keine rechte Lust, sich mittags hinzulegen. Gewöhnlich machte Beate ein Spiel daraus, streckte sich auf der schmalen Couch in dem kleinen Zimmer aus, erzählte Geschichten, tat, wenn es ihr zuviel wurde, als wäre sie eingeschlafen oder schlief auch wirklich ein. Aber heute wandte sie sich, nachdem sie ihn ausgezogen und in sein Gitterbett gesteckt hatte, sofort zur Tür.

    »Sei brav, mein Schatz, und schlaf jetzt schön!«

    »Aber, Mami, warum willst du fort?«

    »Weil ich heute keine Zeit habe. Tut mir leid, mein Schatz.

    »Bin aber behaupt nicht müde.«

    »Du mußt ja nicht schlafen. Bleib einfach liegen und ruh dich aus!« Sie zog die Tür hinter sich zu, obwohl sein Geschrei ihr ins Herz schnitt. Aber sie wußte, daß er sich in den Schlaf jammern würde.

    Zu ihrer Überraschung stand der Schwiegervater in der Küche, hatte sein Jackett ausgezogen, sich die Ärmel hochgekrempelt, eine Schürze vorgebunden und spülte ab. Beate war gerührt. ›Das mußt du doch nicht tun!‹ hätte sie beinahe gesagt, aber dann dachte sie, daß es bestimmt nichts schaden konnte, wenn er sich nützlich zu machen suchte. Es kam selten genug vor. Sie nahm ein Küchentuch und trocknete ab.

    »Du hast dich nicht hingelegt«, stellte er fest.

    »Ich könnte doch nicht schlafen.«

    »Willst du mir jetzt erzählen, was passiert ist?«

    »Natürlich. Ich wollte nur vor dem Kleinen nicht sprechen. Schlimm genug, daß er es miterlebt hat.« Sie biß sich auf die Lippen. »Frank hatte einen Anfall.«

    »Einen ... was?« Dr. Werder ließ den Topf, den er gescheuert hatte, auf die Ablage sinken.

    »Wahrscheinlich Angina pectoris. Ich dachte schon, es wäre ein Herzinfarkt, und er würde ... würde ...« Sie konnte nicht weitersprechen.

    »Kopf hoch, Mädel, er lebt ja noch!« Er nahm ihr den Teller, den sie poliert hatte, aus der Hand und legte ihr den Arm um die Schulter. »Die Küche kann warten. Gehen wir zu mir und trinken noch einen Schluck.«

    Er nahm sich die Schürze ab, zog die Ärmel glatt und schlüpfte in sein Jackett.

    Sein Zimmer war gemütlich, wenn es auch, da es zum Schlafen und Wohnen dienen mußte, übermöbliert war. Der schwere Schreibtisch aus dunkler Eiche, von dem er sich nicht hatte trennen können, schien fast den halben Raum einzunehmen, den die Bücherregale und Schränke an den Wänden noch mehr verengten. Aber der Sessel, in den er Beate drückte, war sehr bequem. Er selber holte zwei schön ziselierte Gläser aus einem Fach, polierte sie mit seinem blütenweißen Taschentuch behutsam aus und stellte sie auf den kleinen, sechseckigen Eichentisch. Dann nahm er eine Flasche Rotwein aus einem Ständer und öffnete sie ein wenig umständlich. Beate wußte, daß er das alles tat, um ihr Gelegenheit zu geben, ihre Fassung zurückzugewinnen.

    Er schenkte sich einen Schluck ein, probierte ihn, fand ihn lobenswert und schenkte sich und der Schwiegertochter ein. Dann setzte er sich auf die Couch, die ihm nachts zum Schlafen diente, tags mit dunkelrotem Brokat bedeckt war, und trank Beate zu.

    »Du mußt mir verzeihen«, bat sie, »es war ein schwerer Schock für mich.«

    »Als wüßte ich das nicht! Du bist der letzte Mensch, dem ich Tapferkeit absprechen würde.«

    Sie berichtete und trank hin und wieder einen Schluck.

    Er hörte ihr, ohne Zwischenfragen zu stellen, aufmerksam zu. Endlich aber konnte er nicht länger an sich halten. »Nicht versichert!« rief er. »Das sieht Frank ähnlich! Wer außer ihm könnte so hirnrissig sein!«

    Sie versuchte ihren Mann zu verteidigen. »Er dachte eben, es wäre rausgeworfenes Geld. Vielleicht hoffte er auch, Monat für Monat etwas für einen Krankheitsfall beiseite legen zu können.«

    »Unverzeihlicher Leichtsinn!« grollte der alte Herr.

    »Er konnte doch nicht damit rechnen, daß ihm so etwas passieren würde.«

    »Jeder muß damit rechnen, daß er plötzlich krank wird. Aber wieso eigentlich hast du das nicht gewußt? Ehepaare sind doch gemeinhin zusammen versichert?«

    »Nein. Ich bin in einer Studentenversicherung, aus der ich, auch durch eine andere Versicherung, nicht herauskönnte.«

    »Und Florian?«

    »Für den habe ich eine Zusatzversicherung abgeschlossen.«

    »Braves Mädel.«

    »Aber das nutzt Frank nichts.«

    »Eines verstehe ich nicht. Warum hast du ihn so gedrängt, sich untersuchen zu lassen? Wenn er es sich nicht leisten kann, hätte er eben darauf verzichten sollen.«

    »Das Geld kriege ich schon irgendwie zusammen«, behauptete Beate und überlegte, ob jetzt wohl der Zeitpunkt gekommen wäre, das Thema der überfälligen Miete anzuschneiden.«

    »Aber das ist nicht deine Aufgabe! Er ist ein erwachsener Mann, und er muß selber für sich sorgen.«

    »Er ist mein Mann, und ich liebe ihn. Meinst du, ich möchte riskieren, daß er tot umfällt?«

    »So schlimm wird es schon nicht sein.«

    »Hoffentlich nicht. Aber meiner Ansicht nach deutet alles darauf hin, daß mindestens eine seiner Arterien beschädigt ist. Dadurch kam nicht mehr genug Blut, beziehungsweise Sauerstoff in bestimmte Herzmuskelzellen. Nur so sind die heftigen Schmerzen zu erklären.«

    »Aber wie kann so etwas aus heiterem Himmel passieren?«

    »Wir hatten eine Auseinandersetzung, und ich fürchte, ich habe mich sehr dumm benommen.« Beate berichtete von dem Anlaß ihres Streites.

    Jetzt, zum ersten Mal, verlor der Schwiegervater die Nerven; er setzte sein Glas so hart auf den Tisch, daß der Wein überschwappte. »Was sagst du da? Er hat die Miete nicht bezahlt? Was zum Teufel hat er sich dabei gedacht?«

    »Bitte, nun reg dich nicht auch noch auf, Vater! Er war eben knapp bei Kasse ...«

    Er ließ sie nicht aussprechen. »Dann hätte er an allem anderen sparen sollen, nur nicht an der Miete!«

    »Wem sagst du das?«

    »Wußtest du, daß sein Geschäft so schlecht geht?«

    »Nicht in dem Ausmaß. Du weißt ja, wie er ist. Er versucht, den Erfolg durch große Sprüche heraufzubeschwören. Es liegt ihm nicht, sich zu beklagen. Aber natürlich habe ich bemerkt, daß seine Laune nicht gerade blendend war, und man muß nicht viel von Geschäften verstehen, um sich ausrechnen zu können, daß dies verregnete Frühjahr ein Reinfall werden mußte.«

    »Jedenfalls war deine Wut durchaus berechtigt. Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen.«

    »Tue ich aber. Sie war völlig sinnlos. Durch Vorhaltungen war das Geld nicht herbeizuzaubern. Außerdem hätte ich begreifen müssen, daß diese leidige Geschichte ihn ja selber sehr bedrückt. So leichtsinnig ist er ja nun doch nicht.«

    Dr. Werder hatte sich wieder gefangen. Beate merkte es daran, daß er sein

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