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Der König von Mayapan: Der König von Mayapan
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eBook476 Seiten7 Stunden

Der König von Mayapan: Der König von Mayapan

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Über dieses E-Book

Ist die Sintflut Erzählung einfach eine biblische Geschichte, der man Glauben schenken kann oder eben nicht? Steht dahinter eine grosse menschliche Tragödie, oder soll man sie in die Nähe der Märchen rücken? Ist der sagenhafte Atlantische Kontinent wirklich eine Sage, oder vermögen wir zurückzublicken in eine komplett andere Zeitgeschichte? Ist Atlantis die Welt, die vor der Sintflut war? War demzufolge der Archebauer Noach ein Atlanter? Oder war die grosse Flut eine interstellare Katastrophe, so wie es uns die Wissenschaft sagt? Um was ging es da, was war in diesem Zeitalter wichtig und was eher unwichtig? Solche Fragen hat sich der Autor wohl oft gestellt, denn Atlantis liess ihn niemals in Ruhe; und weil es keine Antworten gibt, so hat er sich selber welche gegeben!

Nun möge man in diese fantastische Geschichte sinken und sich, wenn möglich recht freuen daran.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum24. Aug. 2020
ISBN9783749405596
Der König von Mayapan: Der König von Mayapan

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    Buchvorschau

    Der König von Mayapan - Benjamin

    Inhaltsverzeichnis

    Der Zögling

    Der Priesterschüler

    Der Weg in die Hauptstadt

    Das Orakel entscheidet...!

    Bei den Pyramidenbauern

    Die Herrscherweihe

    Die letzten Reden

    Der Herr von Schurrupak

    Die Suche nach dem Geweihten

    Tulma muss Noachs Reich verlassen

    Bei den Tempeln von Eleusis

    Die Zerstörung

    Der König von Mayapan

    Die erste Geschichte von Drinoth

    Die zweite Geschichte von Noach

    Die dritte und letzte Geschichte von Tulma

    Vorwort von Roland Marthaler:

    Ein neues Werk aus der umfangreichen schriftstellerischen Tätigkeit des Benjamin liegt hier vor. Gewichtig liegt dieser 1. Band der „Geschichten aus dem Altertum" in Ihrer Hand und rund dreihundert Seiten warten darauf, umgeblättert und durchlesen ihre Geschichte zu erzählen. Des Lesers Geist wird Bilder malen, Gefühle werden sein Gemüt bewegen und in seinem Innern wird er sehen und auf seine Art Erkenntnis finden, als Antwort und als Frage. Man vermag sich den phantastischen Bildern und geheimnisvollen Verbindungen seiner Helden, Zeiten und Räume nicht zu entziehen. Vieles wird da aus dunkler Vergangenheit heraufbeschworen und in der Gegenwart der Geschichte einer weit entfernten, hellen Zukunft unterstellt. Woher stammen diese Bilder aus des Dichters Fantasie und Feder? Die Liebe zum Wunderbaren ist das Leuchten dieser Fantasie und das Wissen um die Notwendigkeit der Überwindung des Bösen seine Gestaltungskraft. Heiliges Reich der Fantasie, wenn du in des Künstlers Herz in Schönheit nach dem Guten und Wahren strebst!

    In diesem Werk des Dichters finden wir die Beschreibung geistiger Kräfte auf ihrem Weg durch die Nacht. Tulma tritt auf, der Werdende in der Zeit, der Schuldige, und Dorasch, der Seiende in Ewigkeit, der Reine, und Noach, der Gewesene, der wiederkehrt, behaftet mit dem Fluch des Vergessens. Fallen muss Tulma im Irrtum, auf dass Dorasch ihn erhebe und auf den Pfad der Erkenntnis führe.

    Im Leser selbst leben alle Protagonisten und sind unzertrennlich eins in seinem geistigen Sein und Werden. Der Mensch in der Welt, der sich seiner Herkunft nicht mehr erinnert, der, vom Guten immerfort begleitet, dennoch irrt, auf dass sein Bewusstsein endlich erkenne, wer er wirklich ist. Die Entknotung aller Tragik und Konflikte ist das Wiedererinnern an Vergessenes. Wenn der Himmel alles Niedrige aufgelöst und alle Schatten durchlichtet hat, wird alles Unverstandene bedeutungsvoll, aller Irrtum wandelt sich in Wahrheit und alle Trauer in Freude.

    Du hast meine Klage gewandelt in einen Reigen,

    du hast mir den Sack der Trauer ausgezogen

    und mich mit Freuden gegürtet,

    dass ich dir Lobsinge und nicht stille werde,

    Herr, mein Gott, ich will dir Danken in Ewigkeit.

    Psalm 30, 12-13

    In allen Büchern von Benjamin finden wir die Helden auf der Suche nach der Wahrheit, durch die Finsternis ins Licht. Seine überreiche Fantasie gepaart mit seinem über viele Jahre und Leiden errungene Wissen, entstand aus seinem erlebnisreichen Leben, will sichtbar machen, was sein Geist ersehnt. So sind seine Lehren, seine Gefühls- und Bilderwelt, so paaren sich Erfahrung und Fantasie und sind Ausdruck der geistigen Biographie des Dichters, Kundgabe seines inneren Werdens. Wir finden hier, im Reich des Unsichtbaren – nunmehr Geschichte geworden – Benjamins geistige Spiegelung, und immer da, wo die Wahrheit ihn berührt, da leuchten die Sterne in seinen Werken und verlebendigen die Bilder seiner Fantasie.

    Ob der Leser sie sieht oder spürt?

    Allein der Dichter ahnt, welche Hand sich auf ihn gelegt, und er ist dankbar. Dankbar auch lege der Leser dieses Buch nun vor sich hin und lese achtsam und wache, ob nicht zu unerwarteter Stunde mit Plötzlichkeit ein Funke aufsteige, leuchtend am nächtlichen Himmel, ihm Freude zu schenken und Zuversicht.

    Was das Werk seinem Schöpfer als Frucht gereift, möge der Leser als Saat nun empfangen.

    Vufflens le Chateau

    6. Juli 2018

    Der Zögling

    Die Geschichte, die ich nun erzählen will, handelt von einer ganz anderen Zeit und auch von einer ganz anderen Welt, als dass wir sie heute kennen. Als diese Geschichte sich abspielte, war alles anders, als es in der heutigen Zeit ist. Das, was nun von mir erzählt werden soll, hat sich also vor so langer Zeit abgespielt, dass ich nicht wüsste, was ich für eine Jahreszahl anzugeben hätte, ja ich weiss nicht einmal, ob dazumal die Jahre überhaupt gezählt wurden und wenn man das tat, so weiss man heute nicht mehr, wie und auf welche Weise sie gezählt wurden. Die Geschichte geschah, lange bevor unser Herr Jesus geboren wurde, viele tausend Jahre vor unserer Zeitrechnung. Das heisst also, wir reden hier von viertausend Jahren vor Christus, somit wäre diese Geschichte vor ungefähr sechstausend Jahren geschehen. Sogar die Länder, ja die Kontinente, waren damals noch anders angeordnet, als dass sie es heute sind! Aber wie sie damals lagen, kann heute niemand mehr mit Bestimmtheit sagen. Doch das Land, von dem meine Geschichte erzählt und in dem die Personen gewohnt haben, von denen ich erzählen will, hiess Atlantis und ist der sagenumwobene, versunkene Kontinent, der damals die heutigen Länder, die durch den Atlantik getrennt sind, noch verband! Man könnte also sagen, es war eine Welt vor unserer Welt, von der wir nichts wissen als das Wenige, das uns Plato, der Grieche, in seinem wunderbaren Werk „Kritias" hinterlassen hat. Zudem ist man sich nicht einig, ob die in der Bibel beschriebene Sintflut (1.s. Gl.) den Untergang von Atlantis beschreibt, oder ob es sich damals um eine andere, ähnliche Katastrophe gehandelt hat. Wenn aber der Untergang von Atlantis zeitlich mit der Sintflut übereinstimmen würde, so wäre der Erbauer der Arche, Noah, ein Atlanter gewesen! Doch soll hier nichts behauptet werden, denn diese Geschichte soll alles andere als eine wissenschaftliche Abhandlung sein, von denen es ja wirklich schon genug gibt, sondern vielmehr eine freie Erzählung, wie sie in Atlantis einst hätte geschehen können.

    Eine der Hauptpersonen, von denen ich erzählen möchte, heisst Tulma. Er war ein sonderbarer und merkwürdiger Junge, er war damals gerade einmal vierzehn Jahre alt nach der heutigen Zeitrechnung. Auf jeden Fall kam er allmählich in das Alter, in dem sich ein Flaum über seinen Lippen und am Kinn bemerkbar machte, bei dessen Erscheinen die Alten zu entscheiden pflegten, was aus ihren Jünglingen werden soll. Es war alles anders, als es heute ist. Es entschieden die alten und erfahrenen Männer darüber, was der junge Mensch für eine Berufung erhalten solle und wo in Zukunft sein Wohn- wie auch sein Arbeitsplatz sei. Doch es war halt eben alles ganz anders, als wir es heute kennen! Und dieses andere möchte ich nun hier erzählen. Also hört mir zu, was mir dazu hingelegt und erlaubt wurde, dass ich's erzähle.

    *

    Die kleineren Kinder lernten damals zuerst von ihren Eltern die einfachen Fertigkeiten und was das normale Wissen anging, das man für das blosse Überleben wohl brauchte. Wollte das Kind dann aber mehr wissen, als es die Eltern ihm vermitteln konnten, so suchten die Erwachsenen dafür einen weisen Mann in der Umgebung auf, der dem Jungen eben mehr beizubringen vermochte, als es in der Macht seiner Eltern gestanden hätte. Handelte es sich dann aber um einen besonders klugen und gelehrigen Knaben, so ging der weise Alte mit ihm zum nächsten Tempel und übergab ihn dem Priester, sozusagen als Schüler, oder Novizen in seine Obhut. Die Besten der Besten aber brachten die Priester nach ihrer Novizenzeit in die grosse Hauptstadt, in den heiligen Haupttempel zum obersten Hohepriester, der direkt unter dem Herrscher stand und zugleich auch sein Berater war. Der wiederum prüfte dann die jungen Leute und entschied darüber, was aus ihnen dereinst werden sollte. Die Besten von ihnen wurden dann eben Priester und Lehrer, und auch Magier, um wiederum die Nachkommenden zu unterrichten, oder aber die eigenen Lücken wieder zu schliessen, die das Alter und der Tod in ihre Reihen gerissen hatten.

    Es wurde aber auch der Allerbeste ausgewählt, der dann zum Hohepriesteramt erwählt wurde, jedoch kam dies nur alle zehn bis zwanzig Jahre einmal vor, denn die Anforderungen zu einem solchen Amte wurden enorm hochgesteckt. In das Leben von unserem Tulma treten wir nun, als er gerade die ersten wichtigen Belehrungen bei einem weisen Alten hinter sich hatte. Jetzt war er mit ihm soeben unterwegs zu einem Tempel, um ihn der Obhut eines Priesters zu übergeben. Doch der Junge wunderte sich, denn es gab in der näheren Umgebung etwa drei Tempel und nun war er mit dem Alten schon sechs Tage unterwegs und er sprach von nochmals drei Tagesreisen! Er traute sich aber nicht, den Alten darüber zu befragen. Er begnügte sich mit dem, was ihm der Alte von sich aus anvertraut hatte, nämlich, dass der Tempel auf einer Klippe hoch über den Meeren gelegen sei und man von dort oben tatsächlich bis ans Ende der Welt blicken könne!

    Tulma ging bescheiden etwas hinter dem Alten her und zupfte hin und wieder einen langen Grashalm aus, um den hellgrünen Teil in den Mund zu stecken und eine Weile darauf herumzubeissen. Er selbst hatte überhaupt keine Eile, denn sein Herz war ihm so schwer, wie wenn es aus Eisen gewesen wäre! Seine Gedanken waren Zuhause geblieben, bei seinen Eltern und seinen Geschwistern, auch bei seinen Freunden, die zum Teil nun auch wegziehen mussten, jeder in eine andere Richtung. Alle Zuhausegebliebenen liebte er aber über alles! Zu seinen Eltern band ihn ein überaus zärtliches Verhältnis, auch zu seinen Kameraden, mit denen er in seinen gar wenigen Mussestunden umhergetollt hatte, pflegte er eine sehr feinfühlige Freundschaft. Alles, was er bis anhin gekannt und geliebt hatte, verliess er jetzt, um seine unbeschwerte und warme Kinderstube gegen riesige, schöne, aber kühle Tempelmauern zu tauschen, in denen er ein wohl freier, doch aber auch ein etwas gefangener junger Mann werden würde.

    Anfänglich hatte er sich ja gefreut, dass der Alte zu seinem Vater gekommen war und ihm berichtet hatte, dass sein Sohn das Zeug zu einem Tempelschüler erreicht hätte. Sein Vater hatte darauf vor lauter Freude ein Fest arrangiert, hatte ihn umarmt, geherzt und hatte ihm gesagt, wie stolz er auf ihn sei, denn er sei der Einzige im Dorfe, der diese Stufe erreiche. Nur im Nebendorfe, so habe er gehört, sei noch ein Vater, der so glücklich sein dürfe wie er.

    Seither war die Zeit eines Mondwechsels vergangen. In dieser Zeit wurde ihm jeder Wunsch von den Augen abgelesen und er konnte tun und haben, was er wollte. Alle waren sie lieb und nett mit ihm, weil er einmal als junger Priester in ihr Dorf zurückkehren würde. Nur die Mutter war immer stiller geworden mit jedem Tag, der seiner Abreise näherkam. Vor einigen Tagen hatte er sie gesucht, als es Abend geworden war und er hatte seine grosse Schwester gefragt, wo er die Mutter finden könnte! Doch seine Schwester hatte nur stumm nach dem nahen Hügel gewiesen, auf dem viele Bäume zwischen mächtigen, moosbewachsenen Felsbrocken standen. Tulma wusste, dass dort der Lieblingsplatz seiner Mutter war, den sie immer aufsuchte, wenn sie alleine sein wollte, wenn dunkle Wolken ihre feine und schön gewölbte Stirn verdunkelten. Aber jetzt würde er sie wohl dort aufsuchen dürfen, da er doch der Gefeierte war, er, der doch jetzt Priester würde, ihm würde sie die Störung sicher verzeihen. Er war dann sofort zu jenem Orte geeilt, an dem er seine Mutter zu finden wusste. Ausser Atem war er um den grossen Fels herumgesprungen und hatte seine Mutter kniend und auf ihren Fersen sitzend gefunden. Ihr schönes Gesicht hatte sie zum Himmel gewendet und ihre schlanken Hände ruhten auf dem Mutterherzen. Eine Träne hatte gerade eine feuchte Bahn über ihre rosige, ganz fein behaarte Wange gezogen und war dann vom Kinn in ihren dichten Haarknoten getropft, der über ihre linke Schulter auf ihren Busen zu liegen kam. Wie gebannt und erschrocken war er stehen geblieben, hatte sich dann leise zur Mutter gekauert und sie zärtlich gefragt, was denn der Grund für ihre tiefe Traurigkeit sei. Doch sie hatte seinen Kopf an sich gezogen und ihn umarmt und geküsst und ihm dann gesagt, dass wahrscheinlich auch ein junger Priester von ihrem Schmerz eben nichts verstehe, denn diese Weisheit bringe das Alter nur einer Mutter! Mit sanften und liebenden Händen hatte sie ihn dann wieder fortgeschickt. Auf dem Heimweg hatte er dann einen Freund getroffen, der gerade auf dem Weg war, um einem Haustier bei der Geburt zur Seite zu stehen; er war deswegen sehr in Eile. Tulma hatte sich ihm dann angeschlossen und ihm geholfen. Bei dieser Aufgabe und im allgemeinen Freudentaumel hatte er den Vorfall mit der Mutter bald wieder vergessen.

    Jetzt aber, hinter dem Alten her schreitend, erschien ihm plötzlich wieder das Bild der schönen Mutter mit der nassen Spur über ihrer Wange. Wehmut quoll aus seinem Herzen auf und liess sein junges, fein behaartes Kinn erzittern. Ihm wurde nun bewusst, dass jeder Schritt, den er tat, ihn weiter von seiner Mutter entfernen würde. Aber er dachte auch daran, wie einmal vor Jahren ein Priester in sein Dorf kam und alle Leute, auch die alten Männer, ihr Knie demutsvoll vor ihm beugten, obwohl der Priester, wie ihm damals schien, viel jünger war als sein Vater! Er wollte seine Gedanken auf dieses Thema fixieren, doch das Bild seiner Mutter drängte sich immer wieder in seine kühnen Vorstellungen. Er verstand nun die Mutter, die ihren geliebten Sohn an die grosse Welt verloren hatte! Solche Gedanken rissen ihn hin und her, bis er schliesslich seine Schritte beschleunigte und neben dem Alten herging. Dieser hatte nur kurz aufgeblickt und ihn von der Seite angesehen, dann sprach er: „Ja, Tulma, Trennungen müssen dir geläufig werden, wie auch die Entbehrungen, wenn du Priester werden willst!" Tulma hatte darauf nichts gesagt, wortlos hatte er sich einen neuen Grashalm ausgezogen und das hellgrüne Teil in den Mund gesteckt. Am Mittag des achten Tages bat er den Alten um eine kurze Pause, denn das Bündel mit all seinen Sachen drückte ihm in den Rücken. Doch der Alte sagte ihm, dass er sich noch gedulden solle, bis sie die Anhöhe, die sich grad vor ihnen erhob, erklommen hätten, denn von dort aus werde er den Tempel, sein Ziel, zu sehen bekommen, dann werde die Reise wieder besser vorwärts gehen. Tulma erschrak fast ein bisschen, denn er hatte nicht damit gerechnet, dass der Alte noch einmal mit ihm sprechen würde. Dies war erst zum zweiten Mal seit all den Tagen des Wanderns, ausser einer kurzen Anweisung vielleicht, die er ihm gab. Als sie schliesslich auf jener Anhöhe standen, wies der Alte weit über eine riesige Meeresbucht hin, wie es schien, auf unbegehbare Klippen. Hoch oben thronte, majestätisch, fast wie eine Krone, der Tempel. Blendend weiss ragte er aus dem schwarzen, drohenden Gestein! Tulma bedeckte mit seiner Hand die Augen und blieb ehrfurchtsvoll stehen. Auch der Alte blieb stehen und suchte die Gegend nach einem geeigneten Platz für eine kurze Rast ab. Er setzte sich schliesslich auf eine, vermutlich vom Sturm ausgerissene Palme, die nun verdorrt am Boden lag und stützte sein greises Haupt in seine Hände. Tulma setzte sich auf sein Bündel neben ihn, seine Augen aber hafteten auf dem weissen Gemäuer hoch oben auf den Klippen. Da hob der Alte plötzlich sein Haupt und sprach erneut zu Tulma: „Dies ist meine letzte Reise Tulma, die ich auf meinen alten Füssen gehe. Es ist schön für mich, dass mein letzter Schüler einer ist, der nun zum Priester wird! Dort oben im hellen Gemäuer wirst du mindestens vier Jahre lang fortsetzen, was ich mit dir begonnen habe. Sei fleissig und arbeitsam, Tulma! Es wäre schön für mich, wenn mein letzter Schüler meine Lebensarbeit mit hohen Würden beendete. Als du zu mir kamst, da wusste ich schon, dass du der Letzte sein würdest, dass ich eigentlich nur noch auf dich habe warten müssen! Nun aber ist mein Amt getan und ich werde am Bach sitzen können, mein inneres Auge auf dich gerichtet, denn meine früheren Schüler waren's nicht wert, dass mein bestes Auge (2) auf sie gerichtet blieb! Darum erlaube ich mir jetzt, Persönliches mit dir zu bereden. Tulma hörte den Worten seines Lehrers aufmerksam zu. Den Satz aber „mein bestes Auge auf dich richten wiederholte er leise für sich selbst, damit er den nicht vergesse und er ihm womöglich verloren ginge. Er verstand nicht recht, was der Alte ihm mit seiner seltsamen Rede hatte sagen wollen, doch war er sich gewöhnt, dass er nicht alles verstand, was der Alte ihm zu sagen hatte. Er wusste, dass es seine Aufgabe war, sich alles zu merken, denn es war selten genug, wenn der Alte überhaupt etwas zu ihm sprach! Nachdem das kurze Gespräch wieder beendet schien, streifte sein Blick zurück, hinauf zu dem mächtigen, weissen Tempel. Stolz erhöht, schien er über die weiten, unermesslichen Wasser zu wachen, denn ein grosses Etwas, das wie ein gebogenes Fenster aussah, oder wie ein riesiges Auge, weil es ellipsenförmig war, schaute weit übers Meer. Dort oben würde er also vier Jahre seiner Jugend verbringen. Er überlegte sich, wie viele Menschen wohl in dem Gemäuer leben würden, mit wie vielen Menschen er seine Jugendjahre teilen dürfte. Besucher würden wohl höchst selten kommen. Vier lange Jahre hatte er nun intensiv zu lernen, dann wird man sich wieder ansehen, was aus ihm werden sollte! Und wieder kroch die Wehmut aus seinem Herzen empor und würgte ihn am Hals, wenn er an die langen Jahre der Abgeschiedenheit dachte. Sein Jugendfreund kam ihm in den Sinn, mit dem er bis anhin seine karg bemessene Freizeit verbracht hatte. Auch sein Lehrer wird jetzt mit ihm unterwegs sein, denn er war ein Junge aus dem Nachbardorf, der es ebenfalls geschafft hatte, Priester zu werden. Auch in ihm mochten wohl jetzt solche Gefühle aufkeimen. Schade nur, dass ihn sein Lehrer in einen ganz anderen Tempel bringen wird. Tulma wird nie zu wissen bekommen, wo er hingeführt worden ist, wie auch er nie wissen wird, wo Tulma hinkam. Er spürte, wie eine Träne sich aus seinem Auge löste, als er so stark an seinen Freund Onoto dachte. Seine ganze Kindeszeit musste er nie auf ihn verzichten und seine Freude war gross, als er erfuhr, dass auch Onoto zum Priesteramt erwählt worden war. Das Haus seines Lehrers war nur unweit von dem des Alten, sodass sie immer die Möglichkeit hatten, das Gelernte miteinander zu vergleichen und darüber zu sprechen. Sie waren immer wie Zwillinge, denn sie waren am selben Tag geboren, ja sogar zur selben Stunde, nur eben von verschiedenen Müttern.

    Der Alte war inzwischen aufgestanden und setzte wortlos seinen Weg fort. Tulma schwang sein Bündel wieder auf den Rücken und ging hinter ihm her, seine Gedanken verwerfend, die immer wieder aufkeimen wollten. Er richtete seine Blicke nun vorwärts auf die weisse Krone über dem tiefblauen Meer, bis sie unter die Klippen kamen und der Tempel hoch über ihnen in der Schwärze verschwand. Gerne hätte er seinen Meister über die nächste Zukunft und über das Leben im Tempel ausgefragt, doch hatte er sich all die Jahre nie getraut, eine Frage an den Alten zu richten, ausser, wenn er von ihm dazu aufgefordert worden war. Zur Linken der beiden Wanderer rauschte nun das ewige Meer sein jahrtausendealtes Lied. Tulma fühlte den weichen, feuchtkühlen Sand unter seinen nackten Füssen, der ihm sehr wohltat, da seine Füsse vom tagelangen, anstrengenden Marsch brannten. Es war jetzt um die Zeit, da die Sonne im Westen versank. Sie hatte schon ihr unteres Rund in den Horizont des Meeres getaucht und einen langen, silberhellen Streifen auf dem Wasser gegen die Wanderer gerichtet. Der Meister blieb stehen, legte seine rechte Hand auf sein Herz und verneigte sich so vor dem Licht. Tulma tat es seinem Meister gleich. Ehrfürchtig blieben sie noch eine Weile stehen, jeder mit unhörbaren, eigenen Worten auf den Lippen. Danach brachen sie schweigend wieder auf und begannen nun, einem schmalen Steig folgend, die Höhe zu erklimmen. Der Weg wurde immer steiler und wand sich in vielen Kehren und Rundungen zwischen den Klippen und gewaltigen Felsmassiven aufwärts. Sie mussten auf der Hut sein, denn obwohl die Klippen hoch über dem Meer ragten, lagen vielerorts Bruchstücke von Muscheln mit scharfen Kanten, die von der furchtbaren Wut des Sturmes an die Klippen geschleudert und nun zerbrochen dalagen. Solche Verletzungen konnten üble Wunden an den Füssen hervorrufen. Es wurde nun wirklich düster, denn weiter oben war der begehbare Weg richtig in die Klippen eingeschnitten worden. Es gab sogar Stellen, da mussten sie klettern. Tulma stieg an solchen Stellen voran und half von oben dem alten Lehrer, indem er ihm seine Hand bot und ihm so aufwärts half. Als sie schliesslich oben ankamen, hatten sie noch ein Stück ebenen Weges zu gehen. Dann standen sie vor einem grossen Felsen, umgingen ihn und sahen nun den Tempel, der mächtig und stolz, wie aus dem Stein geboren, vor ihnen stand. Er war vollständig aus fast weissem Gestein gemacht! Tulma stand mit weit geöffneten Augen vor dem imposanten Bauwerk und liess das Bild auf sich einwirken.

    Der Meister hemmte ebenfalls seinen Schritt und drehte sich gegen Tulma um. Er legte ihm freundschaftlich seine Hand auf die Schultern und sprach abermals zu ihm:

    „Weiter werde ich dich nicht geleiten Tulma, denn hier ist mein Weg zu Ende, wo der Deine beginnen wird! Ich kenne deine Sinne Tulma, auch deine Werke, denn du wirst so denken und handeln, wie du es von mir gelernt hast. Nun kehre ich heim in meinen Ruhestand und du betrittst die Stätten deiner Aufgaben, derentwillen du geboren wurdest! Gross ist unser Herr! In seine Hände bitte ich deinen weiteren Weg!" Er liess Tulma stehen und ging in die Richtung weg, aus der sie gekommen waren. Tulma schaute ihm nach, bis er hinter den schwarzen Felsen verschwunden war, denn eine Sekunde lang glaubte er, eine Träne in seinen Augen gesehen zu haben. Er war nun sehr aufgeregt, denn er hatte gedacht, dass der Alte ihn in den Tempel begleiten würde, um ihn seinem neuen Herrn zu übergeben. Doch nun stand er da, alleine, an einem ihm fremden Ort, vor einem Gebäude, wie er in seinem kurzen Leben noch keines gesehen hatte, das so gross und mächtig, ihm als drohend erschien. Er drehte sich nach dem Tempel um und ging ein kurzes Stück, um sich dem Gebäude in der Mitte gegenüberzustellen.

    Der Tempel sah wirklich aus wie aus dem Felsen gewachsen! Wenn er nicht aus weissem Stein gemacht wäre, in dem riesigen schwarzen Gebirge, würde er dies geglaubt haben! Die vordere Front des Tempels war rund und floss dann links und rechts in zwei lange Seitenflügel über und die hinteren Teile des Baues verschwanden im Felsen. Vorne aber, ihm jetzt gegenüber, ragten zwei mächtige Säulen, die ein gewaltiges Bogendach trugen. Es waren die Säulen und das Dach, die von Ferne wie ein grosses Auge ausgesehen hatten und er zuerst gedacht hatte, es sei ein Fenster. Denn vom Bogendach herab hingen weisse Stoffvorhänge, auf denen Schriftzeichen angebracht waren, die Tulma aber nicht verstand. Neben ihnen auf dem Boden, zwischen den Säulen, war ein quadratischer Stein, der einer Frau aus Marmor als Sockel diente. Die Frau sass anmutig auf diesem Kubus. Sie war etwa zehnmal so gross wie Tulma und war in weite Gewänder gewickelt, die in reichen Falten gegen den Boden fielen. Ehrfürchtig schaute Tulma zu ihr auf. Ihre Augen waren mit einem steinernen Tuch verbunden. Auf ihrem Kopf sass eine Krone aus lauterem Gold. In der rechten Hand war ein blitzendes Schwert, das die Frau aufrecht hielt und dessen Knauf ein grosser, violetter Edelstein war. Die Klinge und der Griff aber waren auch aus lauterem Golde. In der linken Hand hielt sie eine Waage, die sie hoch in die Luft hob. Die Waagschalen waren ebenfalls aus purem Gold und gingen leise auf und nieder im scharfen Küstenwind. Über ihrem Haupte breitete ein mächtiger Seeadler seine starken Schwingen aus. Seine Fängen waren in die Haare der Frau gekrallt und sein Kopf war zu Tulma herniedergesenkt, ihn prüfend und musternd. Die Flügel waren wie schützende Dächer über den Kopf der Frau ausgebreitet. Innerlich erschauerte Tulma ob der übergrossen Statue, denn ihr Haupt und der Adler ragten weit über das Bogendach hinaus. Er hatte noch nie etwas Vergleichbares gesehen! Was sollte er nun tun? Das ganze Bild, mit dem Tempel und der eindrücklichen Figur, kam ihm irgendwie zu heilig vor, als dass er sich dem allem zu nähern getraut hätte. Immer wieder betrachtete er die grosse Frau mit den verbundenen Augen, betrachtete den schönen, zierlichen Mund mit der feinen Nase, das Gesicht also, das so gar nicht zu dem grossen Schwert in ihrer Hand passen wollte. Und plötzlich erinnerte er sich: Es war das Gesicht Jansia's, der Jugendfreundin und Nachbarstochter, die er auch zurücklassen musste! Wieder kam Wehmut in ihm auf und zog ihm die Brust zusammen! Wieder floss eine Träne über seine magere Knabenwange. Während seinen Träumereien war die Sonne längst untergegangen und färbte nur noch den Himmel rot. Aber das Blut des Himmels strahlte noch seine letzte Helle auf den Tempel, sodass die Hälfte der Frau nun blutrot erstrahlte, die eine der Waagschalen war nun rot, die andere blieb goldfarben und sie glänzten beide. Leise schaukelten die Schalen an goldenem Gekette im lauen Abendwind!

    Dies alles erschien Tulma so schauerlich, dass er am liebsten dem Alten nachgesprungen wäre und ihn auf den Knien gebeten hätte, ihn wieder zu seiner Mutter zu bringen, da er doch lieber ein Bauer werden möchte, wie alle seine Geschwister auch, die ihm nun so fehlten. Warum mussten die grossen Priester auch ausgerechnet ihn auswählen, kaum dass er geboren war, warum ausgerechnet ihn? Natürlich wusste er, dass er in Wirklichkeit nie umkehren würde, denn nie würde er seinen Vater enttäuschen, dessen ganzer Stolz er doch war! Er benutzte das letzte Licht, um die Pforte des Tempels ausfindig zu machen. Nun löste sich seine Starre und er ging um den Riesenbau herum. Die Wände waren mit wunderbaren Relief-Steinhauer-Arbeiten geschmückt, mit Ornamenten, fremden und bekannten Göttern in verschiedenen Aktionen begriffen. Die meisten der Figuren aber waren ihm fremd. Er ging langsam weiter und besah sich die merkwürdigen Szenen, bis es zu dunkel war und er die Einzelheiten nicht mehr erkennen konnte. Da kam er auch zu einer Pforte, die wie aus Eisen, wahrscheinlich aber aus einem fremden Material gemacht war. Er verdrängte sein Schauern und pochte mit der Faust an die schwere Türe. Doch nützte das nichts, denn das Tor war zu schwer. Er vernahm sein eigenes Pochen kaum. Sich umschauend, ob er wohl eher an eines der Nebengebäude klopfen sollte, gewahrte er neben der Türe ein Werkzeug, das an einen Hammer erinnerte; es hing an einer Kette, die in die Mauer geschmiedet war. Er nahm das Werkzeug in seine Hände, doch es war so schwer, dass es ihn fast zu Boden riss. Mit all seiner Kraft hob er es hoch, drehte sich um die eigene Achse und schlug mit dem Hammerteil gegen die eherne Pforte! Dumpf und schaurig dröhnte nun der Schlag im Innern! Er schien darin weiter zu schwingen, auf und nieder und dann brach der Ton unter dem Bogendache heraus und schien sich tausendmal zu verstärken! Der Hall dröhnte nun übers Meer, dass sich Tulma die Ohren zuhalten musste. Eine ganze Weile schwebte der Schall über dem Meer! Die See wurde aufgewirbelt und die Wellen schwappten leckend an den Klippen empor. Tulmas Herz schlug wie wild geworden. Rasch hängte er das Hammerwerkzeug an seiner Kette zurück und harrte nun der Dinge, die da kommen sollten. Doch es passierte lange nichts! Der Ton im Innern wollte nicht vergehen, denn immer noch vibrierte er metallisch in den Ohren des Knaben. Inzwischen war es vollständig dunkel geworden, doch er traute sich nicht, das Werkzeug ein zweites Mal in die Hände zu nehmen. Erst als er wirklich nichts mehr hörte von seinem fürchterlichen Schlag, da wurde die Pforte von innen aufgezogen! Starr und gebannt, keinen Finger rührend, stand Tulma vor des Tempels Pforte im Dunkeln. Mit immer noch entsetztem Blick starrte er auf die sich langsam öffnende Türe. Ein Erschauern durchlief seinen ganzen Körper und die Kopfhaut fühlte sich an, als würden tausend Nadeln in seinen nackten Schädel stechen. Jetzt, in zwei Augenblicken, würde er seinem neuen Meister gegenüberstehen, einem alten Hohepriester, den nur wenige je zu Gesicht bekommen haben, dem Manne, der alles wusste, dem nur noch Purnila, der oberste Priester und Kaiser des Landes, übergeordnet war. Purnila war ja gewissermassen der Landesvater, der Kaiser, würden wir heute sagen. Dies alles wusste Tulma von seinem alten Meister und jetzt brausten diese Gedanken in Sekundenschnelle durch seinen Kopf!

    In der Zwischenzeit war die schwere Pforte ganz aufgezogen worden, aber anstelle eines alten Mannes, den er erwartet hatte, trat eine herkulische Gestalt aus der schwach erleuchteten Türöffnung! Breitbeinig stellte sich die Gestalt Tulma gegenüber auf und obwohl er im Lichtschatten stand und nur die mächtigen Umrisse des anderen sah, stand er völlig im Schatten der riesigen Gestalt, die ihn deswegen wohl kaum sehen konnte. „Sei mir gegrüsst, Tulma, letzter Schüler des alten Zyromi, der du nun gekommen bist nach lang ersehntem Plan!"

    Tulma ging zögernd auf den Sprecher zu, blieb aber in gemessenem Abstand stehen und musterte den Riesen ehrfurchtsvoll, denn der freundliche Sprecher überragte Tulma um drei oder gar vier Köpfe und war auch fast dreimal so breit wie er! Der Sprecher hatte ein ärmelloses Wams an, das unten in eine kurze Hose überging. Unterbrochen war sein Kleidungsstück nur noch durch einen Gürtel aus Schlangenleder. Seine nackten Beine, die wie Säulen auf dem Felsboden standen, waren ebenfalls mit Schlangenlederriemen umwunden. An seinem Gurt hing ein Flammenschwert, dessen Handschutz aus Gold war und die Sonne darstellte, die ihre Strahlen zum Schutz des Kämpfenden verlieh, dass seine Hand unverletzt bleibe. Sonst konnte Tulma den Riesen schlecht sehen, denn ein eher schwaches Licht kam ja nur aus der Türöffnung, die der gewaltige Mann sozusagen ausfüllte! Nun aber streckte ihm der freundliche Riese seine Hand entgegen, mit der anderen wies er zur Pforte, in die er eintreten solle! Er trat einen Schritt zur Seite, damit Tulma bequem eintreten könne. Doch der sah erstaunt auf den ihm zugestreckten Arm, denn wenn der Riese ihn nur ein klein wenig bewegte, löste er ein richtiges Muskelspiel aus! Jetzt sah er auch in das Gesicht, das ihm sofort sympathisch war. Er trug seine langen, schwarzen Haare in zwei Zöpfe geflochten, die ihm links und rechts über die Schultern hingen. Tulma hatte noch nie in seinem Leben einen Riesen gesehen, trat aber sofort näher, als er endlich in das Gesicht des Gegenübers sehen konnte, doch mit kurzem Abstand blieb er doch wieder stehen und fragte: „Bist du Anikona, der Hohepriester? Ich kann es fast nicht glauben, denn eher wie ein Krieger kommst du mir vor! „Ich bin nicht Anikona!, erwiderte der Riese freundlich, „Ich bin Dorasch, der Beschützer des Hohepriesters Anikona und Krieger des Ordens der grossen Titanen Brüder. (3. s. Gl.) Ich habe die schöne Aufgabe erhalten, dich vor Anikona zu führen. Folge mir also ohne Zaudern, denn mein Geist ist dir gutgesinnt!"

    Er sprach dies mit einer dunklen, überaus angenehmen Stimme, sodass Tulma auf Anhieb Vertrauen in den riesigen Mann fasste. Er trat deshalb wie aufgefordert durch die Pforte und blieb dann im Innern stehen, um im ziemlich spärlich erhellten Raum den Krieger vorgehen zu lassen. Dorasch zog die schwere Pforte wieder hinter sich zu, die, wie Tulma schätzte, sicher drei Tonnen wiegen musste.

    Er sah zu, wie sich im düsteren Lichte die Muskeln des riesenhaften Menschen dehnten und sich wieder zusammenzogen, dann fiel die schwere Türe in ihre Verankerung. Dorasch begann nun, an der Aussenwand etwas zu hantieren. Es klang anfänglich, wie wenn man mit schweren, metallenen Gegenständen arbeitet. Bald hörte er ein zischendes Summen und sah rasche Bewegungen Dorasch's. Plötzlich erhellte ein feiner Stab am Deckengewölbe den Raum, ganz langsam beginnend wurde es immer heller. Nun sah Tulma mit Erstaunen, dass überall an der Decke solche Stäbe waren, die nun alle zu glimmen begannen und die Räume taghell zu erleuchten vermochten. Auch sah er jetzt, dass er sich in einem einzigen, grossen Raum befand, der rund, wie der Vorbau von aussen, sich auch ins Innere ausdehnte. Vorne sah er die Öffnung oben unter der Decke, die etwa ein Arm breit, der Front entlang angelegt war, gegen das Meer hinaus. Das ganze Deckengewölbe und auch die Wände waren mit Malereien und Schriften übersät, die Tulma nicht verstand, aber als überaus schön empfand. Inmitten dieses riesigen Raumes schien aber ein zweiter Raum zu sein; ein runder Raum musste das sein, der aussen herum mit steinernen Säulen umstanden war. Sonst sah Tulma nichts, was er als erwähnenswert eingestuft hätte. Dorasch ging ihm nun voraus und öffnete vor ihm Türen und schob Wände zur Seite, die sich, nachdem sie durchschritten worden waren, wieder selbst schlossen. Schliesslich schob er eine Wand mit zwei Griffen senkrecht in den Boden und sie betraten einen Raum, der klein war und höchstens vier Personen Platz bot. Die Wand fuhr wieder aus dem Boden und Tulma vernahm wieder das Zischen, wie am Anfang, als Dorasch das Licht in Bewegung setzte. Mit dem Zischen spürte er eine Schwere in den Beinen und merkte, dass er hochgehoben wurde! Als der Hub angehalten wurde, senkte sich die Wand wieder in den Boden und Dorasch schob den Besucher an den Schultern in ein Gewölbe, das hell erleuchtet war. In der Mitte des Raumes stand ein grosser, aus Edelsteinen gefertigter Kubus, an dem ein alter Mann in langen Gewändern hantierte. Tulma ging spontan auf den Alten zu, legte seine Hand auf sein Herz und neigte ehrfurchtsvoll sein Haupt vor dem betagten Mann. Dieser legte ruhig seine Gegenstände aus den Händen, mit denen er sich beschäftigt hatte, wandte sich den Eintretenden zu und sprach: „Sei mir gegrüsst Tulma, Langersehnter, fast bist du zu spät gekommen. Siehe mich nur an, meiner Jahre sind so viele und gebeugt ist meine Gestalt durch des Lebens Länge. Nun muss ich in meinem Alter mit dir nochmals alles durchlaufen! Warum bist du nicht früher gekommen, dass ich des Lebens Abend geniessen könnte? „Seid gnädig mit dem jungen Novizen, hoher Herr, denn ihr seht am Flaum seines Kinnes, dass er noch nicht viele Mal gesehen hat, wie die Natur erwacht! Er konnte also gar nicht früher kommen! Und bedenkt, er weiss ja von nichts! Dies antwortete der riesenhafte Krieger für Tulma. Der Alte fasste sich ans Kinn und antwortete darauf: „Ja, ja, natürlich! Ich muss mich erst an die neue Situation gewöhnen, dass ich aufpassen muss, wenn ich etwas sage. Denn du wusstest ja immer selbst, was ich meinte, Dorasch, bei dir war das alles anders. Du kannst jetzt gehen, Dorasch, aber bereite dem Jungen noch eine Speise, bevor du ihm sein Nachtlager anweisen wirst! In ungefähr einer Zeit, kannst du ihn bei mir wieder abholen. Damals sprach man noch nicht von Stunden und Minuten, sondern von einer Zeit, die ungefähr einer Stunde entsprach, aber nicht genau bemessen war. Doch ich will in meiner weiteren Erzählung von Stunden sprechen, der Einfachheit halber. Dorasch wandte sich um, nachdem er sich verneigt hatte, und verschwand in dem kleinen Raum. Sowie er drinnen war, fuhr wieder die Wand hinter ihm hoch. Der ehrwürdige Greis ging auf eine Steinbank zu und setzte sich nieder. Dann sprach er zu Tulma: „Also du weisst, wer ich bin und was dich hier bei mir erwartet? „Ich nehme gerne an, dass ich die Gnade habe, vor Anikona, dem Hohepriester zu stehen, der der Zweite im Lande Atlantis ist. Was mich erwartet, weiss ich allerdings nicht genau, nur so viel, dass meine Ausbildung in deinem Tempel so lange dauert, wie die Natur braucht, um viermal zu erblühen! „Hmm, brummte Anikona und seine Stirn legte sich in viele Falten! „Ist das alles, was du darüber weisst? „Ja, sagte Tulma darauf. „Nun gut, so höre, ich werde dir einiges sagen müssen. In diesem Falle sogar vom Grunde her! Du wurdest aus vielen tausend Schülern ausgewählt, das Priesteramt zu erlernen. Mit dir zusammen wurden noch weitere neunundneunzig ausgelesen! Aus diesen hundert Schülern wurden die sechzig Besten dazu erwählt, dass sie einem weisen Priester in Obhut gegeben werden. Aus diesen sechzig Schülern kamen deren zehn in den weiteren Kreis derer, die auf die Stufe der Hohepriester gehoben werden. Aus diesen zehn wird einer hervorgehen, der unseren Herrn Purnila ablösen soll! Er wird der neue Landesvater und Herrscher werden, der die ganzen Länder von Atlantis regieren wird! Ob deine Ausbildung vier oder zehn Lenze zählen wird oder vielleicht nur deren zwei, weiss jetzt noch niemand. Dies hängt einerseits mit deiner Lernfähigkeit zusammen, andererseits damit, wie lange Purnila noch regieren kann. Du bist also einer der zehn! Siehe Tulma, ich habe nun die Natur schon vierundachtzig Mal erwachen sehen und du wirst mit mir dieses und jenes Unfassbare erleben. Du wirst lernen müssen und sehen lernen müssen mit deinem Geist und mit deinem Körper! Du wirst auf vieles verzichten müssen und auch auf der Hut musst du sein, denn unsere Gegner schlafen nicht! Sie erwählen ihre Nachkommen zum Teil aus unseren Reihen. Sie warten, bis wir unsere Besten ausgebildet und ausfiltriert haben und gehen dann auf ihre Opfer los! Wenn einer nicht hart genug zu sich selbst ist, hängt er in ihren Fängen und wird zu unserem Gegner! Schon etliche Male ist solches passiert! Liegt noch eine Frage auf deiner Zunge, so lass sie mich jetzt hören! „Ich habe noch nie von Gegnern gehört, Meister Anikona! Wer sind denn unsere Gegner?, fragte Tulma schüchtern. „Je höher ein Geist steigt, mag es nun in der Magie sein oder in sonst einer geistigen Kunst, umso tiefer sinkt sein Widersacher. Wir sind Magier aus den weissen Tempeln. Es gibt aber unsere Gegner aus den schwarzen Tempeln, die das Gegengewicht halten. Auch sie haben einen Herrn, genauso wie wir einen höchsten Priester haben, der Herr der schwarzen Magie! Solltest du derjenige werden, der schlussendlich zum Herrn und Halbgott ausgewählt wird, so wird der schwarze Fürst dein ganz persönlicher Gegner werden! Tulma hörte dem Hohepriester mit offenem Munde zu. Sehr wohl hatte er von dem schwarzen Fürsten gehört, doch hatte er geglaubt, dass dies vielleicht angstmachende Geschichten seien! Doch aus dem erhabenen Munde Anikonas konnte er nicht mehr recht an Geschichten glauben. Anikona erklärte seinem neuen Schüler noch, wie er sich in seinem Hause zu verhalten habe, wie die Gewohnheiten seien, zu welchen Zeiten und wie lange er sich zu seiner Verfügung zu halten habe. Am nächsten Tag habe er sich mit Hilfe von Dorasch einzukleiden, die Tempelgewänder anzupassen und sich den Haushalt erklären zu lassen, denn Dorasch sei für eine Woche sein Herr. „Nun wünsche ich dir einen guten Einzug in meine Räume. Wir sehen uns in einer Woche wieder!

    Dies waren die abschliessenden Worte Meister Anikonas, denn danach wandte er sich wieder seiner Arbeit zu. Beim letzten Wort des Priesters fiel die Wand in den Boden und Dorasch trat heraus, um Tulma abzuholen. Er führte ihn in eine Art Küche, wo er ihm Speisen vorsetzte, die er für ihn zubereitet hatte. Danach führte er ihn über weite Treppen und Gänge in eine Kammer, die er als die nun Seinige bezeichnete, und die er für die nächsten Jahre bewohnen würde. Dorasch trat ein und zeigte Tulma, wie er mittels einer Kurbel an der Wand Licht machen könne. Eine Umdrehung der Kurbel ergebe für eine Zeit Licht! Wolle er aber früher kein Licht mehr, brauche er die Kurbel nur zurückzuschieben. Mit Staunen in den

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