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Organisationsentwicklung und Konfliktmanagement: Innovative Konzepte und Methoden
Organisationsentwicklung und Konfliktmanagement: Innovative Konzepte und Methoden
Organisationsentwicklung und Konfliktmanagement: Innovative Konzepte und Methoden
eBook973 Seiten11 Stunden

Organisationsentwicklung und Konfliktmanagement: Innovative Konzepte und Methoden

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Über dieses E-Book

Diese Publikation bietet einen Überblick zum aktuellen Stand der Organisations- entwicklung und des Konfliktmanagements. In 28 Beiträgen renommierter AutorenInnen (wie z.B. Henri Bortoft, Ron Fisher, Johan Galtung, Friedrich Glasl, Hildegard Goss-Mayr, Herb Kelman, Claus Otto Scharmer, Christoph Thomann, Karsten Trebesch) werden neue Ansätze diskutiert und konkrete Methoden vorgestellt.
Der erste Teil des Buches wendet sich der Organisationsentwicklung und Managementberatung zu. Die Beiträge thematisieren u.a. das Change-Manage-ment, die intuitiven Methoden in der OE, Leadership und die ganzheitliche Wahrnehmung in der Organisationsberatung.
Der zweite Teil stellt die Internationale Friedensarbeit sowie Konfliktmanage- ment und Mediation in Organisationen in den Mittelpunkt. Die unterschiedlichen Rollen in der Konfliktbearbeitung werden thematisiert – wie auch innere Aspekte der Friedensarbeit, lösungsfokussierte Ansätze oder der Umgang mit Emotionen in der Mediation.
Der dritte Teil befasst sich mit dem Lebenswerk des bekannten Entwicklungs- beraters und Konfliktforschers Friedrich Glasl, in dem sich Organisations-entwicklung und Konfliktmanagement wie in einem Brennpunkt treffen. Darin spiegelt sich auch die Entfaltung der Organisationsentwicklung im deutsch-sprachigen Raum.
SpracheDeutsch
HerausgeberConcadora Verlag
Erscheinungsdatum9. Juni 2021
ISBN9783940112927
Organisationsentwicklung und Konfliktmanagement: Innovative Konzepte und Methoden

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    Buchvorschau

    Organisationsentwicklung und Konfliktmanagement - Concadora Verlag

    Rudi Ballreich

    Marlies W. Fröse

    Hannes Piber

    Hrsg.

    Organisationsentwicklung und Konfliktmanagement

    Innovative Konzepte und Methoden

    Rudi Ballreich, Gestaltpsychotherapeut, Mediator BM (D) und eingetragener Mediator BMJ (A). Nach einer Schauspielausbildung sowie einem theologischen und pädagogischen Studium 14 Jahre Tätigkeit als Lehrer und im Schulmanagement sowie als Leiter eines erlebnispädagogischen Zirkusunternehmens. Seit 1994 freiberuflich tätig als Trainer und Berater mit den Arbeitsschwerpunkten Organisationsberatung. Managementtraining, Mediation in Organisationskonflikten, Ausbildung von Mediator*innen.

    Marlies W. Fröse, Prof. Dr. phil., lehrt an der Evangelischen Fachhochschule Darmstadt und leitet den berufsbegleitenden Studiengang Master of Arts in Management in Social Organizations für Fach- und Führungskräfte sozialer Organisationen. Beraterin für Organisations- und Unternehmensentwicklung.

    Hannes Piber, Dr., Graz: Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Seit 1984 selbständiger Unternehmensberater und Trainer. Gründungsmitglied der Trigon-Entwicklungsberatung. Eingetragener Mediator BM. Ausbildung in Gestalttheoretischer Psychotherapie und Systemischer Strukturaufstellung. Beratungsschwerpunkte Organisations- und Unternehmensentwicklung, Führungsentwicklung, Netzwerkbildung/Clusterentwicklung.

    1. Auflage 2007

    2. Auflage 2021 (ePub)

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Natioinalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    ePub: ISBN 978-3-940112-92-7

    Alle Rechte vorbehalten.

    Copyright © 2007 by Haupt, Berne

    Umschlag: Pool Design, Zürich

    Satz und Gestaltung: Ernst Jagenbrein, Winterthur

    Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des Verlages ist unzulässig.

    www.haupt.ch

    Inhalt

    Einleitung

    Organisationsentwicklung/Managementberatung

    Claus Dieter Eck: Führung – Leadership: Thesen und Hypothesen zu einem Irrlicht der Praxis und Theorie der Organisationsgestaltung

    Karsten Trebesch/Ulla Kulmer: Von der Organisationsentwicklung zum Change Management – Der Wandel in der Gestaltung von Veränderungsprozessen

    Franz Biehal: Integration der Entwicklungsfunktionen im Unternehmen – Strategie-, Organisations- und Personalentwicklung als gemeinsame Aufgabe

    Mario Weiss: Marktwirksame Unternehmensentwicklung – Das Trigon-Modell zu Marketing und Organisationsentwicklung

    Brian Swain: Verschwendung von Zeit im Kontext leistungsfähiger Schlanker Organisationen

    Holger Epstein: Licht und Schatten von Organisationen

    Walter S. Bartussek: Aus der Quelle schöpfen: Intuitive Methoden in der Organisationsentwicklung – Ein Weg zu mehr Feinfühligkeit und Tiefe

    Chris Schaefer/Jeri Darling: Kontemplative Praxis im Arbeitsleben

    Hannes Piber/Trude Kalcher: Integrale Organisationsentwicklung – Das Trigon-Konzept der Organisationsentwicklung im Lichte der «Theory of Everything» von Ken Wilber

    Henry Bortoft/Claus Otto Scharmer: Lebendige Wahrnehmung von Ganzheiten – Goethes Bedeutung für die Organisationsentwicklung

    Internationale Friedensarbeit/Konfliktmanagement und Mediation

    Herb Kelman: Interaktive Problemlösung – Ein sozialpsychologischer Ansatz zur Lösung von Konflikten am Beispiel Nahost

    Ron Fisher/Loraleigh Keashly: Der Kontingenzansatz in Mediation und Beratung

    Günther Baechler: Unterschiedliche Rollen eines Vermittlers bei der Konflikttransformation in Nepal

    Arno Truger: Ausbildung für die Konfliktbearbeitung in Krisengebieten

    Barbara Müller: Die Mühen der Ebene – Wie das Glasl’sche Eskalationsmodell in die wissenschaftliche Community einsickert

    Johan Galtung: Die sieben Todsünden in anderer Sicht – Vier Thesen

    Hildegard Goss-Mayr/Rudi Ballreich: Welche inneren Kräfte braucht es für Friedensarbeit?

    Kurt Faller: Einführung von innerbetrieblichen Konfliktmanagementsystemen in Organisationen

    Martina Scheinecker: Lösungsfokussierte Beratung bei Konflikten in Unternehmen

    Helmolt Rademacher: Konfliktbearbeitung in der Schule und ihre systemische Umsetzung

    Roland Proksch: Mediation – Deeskalation und Entschleunigung durch bewusste Prozessgestaltung

    Wilfried Kerntke/Ljubjana Wüstehube: Inspirationen aus der Malerei für Mediation und Beratung

    Mario Patera: Jenseits von richtig und falsch – Zur Parallelität von Haltungen in der Kommunikation und Mediation

    Christoph Thomann: Emotionen – Die Rolle der schwierigen Gefühle bei der Auflösung zwischenmenschlicher Konflikte

    Rudi Ballreich: Vom Konflikt zum Dialog – Martin Bubers «Zwischen» als Ansatz in der Mediation

    Zum Lebenswerk von Friedrich Glasl

    Marlies W. Fröse: Organisationsentwicklung und Konfliktmanagement – Biografische Meilensteine im Leben von Friedrich Glasl

    Friedrich Glasl: Ein Dialog zwischen Sokrates und Kriton

    Friedrich Glasl als Autor

    Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

    Einleitung

    Organisationsentwicklung und Konfliktmanagement sowie deren wissenschaftliche und methodische Weiterentwicklung sind eng mit dem Namen Friedrich GLASL verknüpft. Im deutschsprachigen Raum gehört er zu den Pionieren auf diesen Gebieten. Ganzheitliches Denken und Handeln in der Organisations- bzw. Unternehmensberatung sowie im Umgang mit Konflikten zieht sich stringent und konsequent als roter Faden durch seine Konzepte und Methoden, obwohl heutzutage noch viele Unternehmen auf Schnelligkeit und auf kurzfristige Erfolge setzen. Tempo ist wichtig und notwendig, aber im Umgang mit Menschen sind Ansätze entscheidend, die Raum und Zeit für Entwicklungsprozesse schaffen. Hier wirken die Konzepte und Methoden Friedrich GLASLS, wie z.B. die Entwicklungsphasen von Organisationen, die er zusammen mit Bernhard LIEVEGOED ausgearbeitet hat, oder die neun Eskalationsstufen in Konflikten.

    Anlass für diese Publikation war der 65. Geburtstag von Friedrich GLASL. Marlies W. FRÖSE war die Initiatorin des Projektes, WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen, die sich von den Ideen Friedrich GLASLS inspirieren lassen, in einem Buch zu Wort kommen zu lassen. Rudi BALLREICH und Hannes PIBER, zwei Arbeitskollegen Friedrich GLASLS, nahmen die Kontakte zu den Autorinnen und Autoren auf. Gemeinsam betreuten wir das Bearbeiten der Beiträge. Durch dieses Engagement ist nach und nach ein umfassendes Werk entstanden, in dem grundlegende und auch praktische Fragen zu Organisationsentwicklung, Managementberatung sowie zur internationalen Friedensarbeit, zum Konfliktmanagement und zur Mediation in Organisationen thematisiert werden – jenen Bereichen, mit denen sich Friedrich GLASL seit fast vier Jahrzehnten befasst.

    Der erste Abschnitt ist der Organisationsentwicklung und der Managementberatung gewidmet. In den zehn Beiträgen werden grundsätzliche Konzepte dargestellt, neue Ansätze diskutiert und auch konkrete Methoden beschrieben. Einerseits beschäftigen sich die Artikel mit Führung und Leadership, dem Wandel von Organisationsentwicklung hin zum Change Management, mit der Integration der Entwicklungsfunktionen in Unternehmen, mit neuen Ansätzen zu einer marktwirksamen Unternehmensentwicklung oder mit Lean Management. Anderseits geht es um die Integration von Licht und Schatten in Organisationen, um intuitive Methoden für die Organisationsentwicklung sowie um kontemplative Praktiken im Arbeitsleben. Abgerundet wird dieser Teil durch Beiträge zur ganzheitlichen Wahrnehmung und zu Goethes Bedeutung für die Organisationsentwicklung oder zu Ansätzen für eine Integrale Organisationsentwicklung.

    Der zweite Abschnitt stellt die internationale Friedensarbeit sowie Konfliktmanagement und Mediation in Organisationen in den Mittelpunkt. Zuerst wird die internationale Friedensarbeit auf der politischen wie auch auf der persönlichen Ebene thematisiert. Ob es um Konfliktarbeit in Krisengebieten oder in Organisationen geht, stets ist ein inneres Verständnis der Konfliktdynamik im Menschen und zwischen Menschen wichtig. Differenziert dargestellt wird dies durch einen sozialpsychologischen Ansatz zur Lösung von Konflikten am Beispiel Nahost. Aber auch organisationale und gesellschaftliche Faktoren sowie die unterschiedlichen Rollen der Drittpartei bis hin zu den Erfordernissen für die Ausbildung in Krisengebieten werden besprochen. Abgerundet wird dieser Teil durch Fragen wie etwa: Wie wird das GLASL’sche Eskalationsmodell in der Wissenschaft rezipiert? Welche Relevanz haben die sieben Todsünden? Welche inneren Kräfte braucht es zur Friedensarbeit? Des Weiteren beschäftigen sich die Beiträge mit der Einführung von innerbetrieblichen Konfliktmanagementsystemen, mit der lösungsfokussierten Beratung bei Konflikten, mit der Konfliktbearbeitung in der Schule, mit der Entschleunigung in der Mediation und mit Anregungen aus der Malerei für MediatorInnen. Betrachtungen über die Parallelität von Haltungen in der Kommunikation und Mediation sowie über die Relevanz schwieriger Gefühle bei der Auflösung zwischenmenschlicher Konflikte und über Martin BUBERS «Zwischen» als Ansatz für die Mediation schließen diesen Abschnitt ab. Die AutorInnen dieser fünfzehn Beiträge zeigen das konzeptionell, durch Fallbeispiele und auch durch die differenzierte Beschreibung von Methoden.

    Der dritte Abschnitt wendet sich dem Lebenswerk Friedrich GLASLS zu. In einem umfangreichen Interview werden die biografischen Meilensteine herausgearbeitet, die sein Werk prägen. Darin spiegelt sich auch die Entfaltung der Organisationsentwicklung im deutschsprachigen Raum. Entscheidende Akteure der Szene kommen in den biografischen Schilderungen vor. Wie in dieser Biografie die Arbeit in Organisationen mit dem Einsatz für Frieden verknüpft ist, wird deutlich. Des Weiteren präsentieren wir den ersten Text des 18-jährigen Friedrich GLASL und eine Bibliografie (1963–2007) seiner Veröffentlichungen.

    Das Buch erscheint in Kooperation zwischen dem Haupt-Verlag und dem Concadora-Verlag, dessen Mitbegründer Friedrich GLASL ist. Wir bedanken uns ganz herzlich bei Matthias HAUPT für die zuverlässige und engagierte Zusammenarbeit und insbesondere bei allen Autorinnen und Autoren dieses Buches. Auch aus unseren privaten Bereichen haben Menschen zum Gelingen beigetragen – auch ihnen gebührt unser Dank.

    Rudi Ballreich, Marlies W. Fröse und Hannes Piber

    Stuttgart, Darmstadt und Graz

    April 2007

    Führung – Leadership

    Thesen und Hypothesen zu einem Irrlicht der Praxis und Theorie der Organisationsgestaltung

    Von C.D. Eck

    Vorbemerkungen

    Die Sache Führung, um die es in diesem Beitrag gehen soll, ist sehr alt. Die Begrifflichkeiten hingegen sind relativ jung. Für Max SCHELER (1957: 260) gehört «das Gesetz, dass jede Gruppe, wie immer sie heißen mag, … in eine an Zahl kleine ‹Führerschaft› und eine an Zahl große ‹Gefolgschaft› zerfällt», … zu den «allgemeinsten soziologischen Naturgesetzen». Zudem treten die Begriffe Führer, Führerschaft, Führung gehäuft erst im 19. Jahrhundert auf. Damals vor allem in geografischer Hinsicht, z.B. als Bergführer oder in einem Buch als Reiseführer. Die Sache, um die es geht, oder einige ausgewählte Aspekte von ihr, wurde bereits in der Antike bis ins 19. Jahrhundert vorzugsweise unter Begriffen wie Herrscher (Hegemon), Regierung, König bzw. Fürst (vgl. dazu auch die zahlreichen Fürstenspiegel), Despot, Tyrann verhandelt. Ein neue Begrifflichkeit bzw. besondere Wertschätzung und Popularität bestimmter Begriffe sind meistens ein Reflex auf eine Krise, eine Problematik der Sache selbst! Deswegen ist es wichtig und ergiebig, die Diskurse einer neuen Begrifflichkeit für scheinbar vertraute Sachverhalte zu studieren.

    Drei Diskurse über Führung

    Wer sich aus professionellem Interesse mit Fragen der Führung, englisch Leadership, befasst, der sieht sich in drei Diskurse verwickelt, die in sich und zwischen sich durchaus sehr widersprüchlich sind. Erstens gibt es den wissenschaftsorientierten Diskurs, der sich in einer Fülle von publizierten Theorien, Modellen und Begrifflichkeiten niederschlägt und sich mehr oder eigentlich weniger auf die Praxis bezieht. Von Zeit zu Zeit werden diese Veröffentlichungen gesichtet. Diese Metaanalysen kritisieren oder zumindest relativieren die hauptsächlichsten Theorien und Modelle der Führung und ihre Annahmen, Implikationen oder Schlussfolgerungen. So dass wir nach fast 100 Jahren Führungsforschung zwar eine große Vielstimmigkeit, aber immer noch keinen Konsens haben, was Führung nun wirklich sei bzw. wie Führung funktioniert und reproduziert werden kann. Das führt keineswegs zu einer Resignation. Das Thema Führung ist nach wie vor so sehr aktuell, dass es unentwegt die Forschung in den unterschiedlichsten Wissenschaftsdisziplinen beschäftigt. Einen hervorragenden Überblick der Textcorpora zu Management und Führung geben unter anderem Oswald NEUBERGER (2002) und Luc BOLTANSKI/Eve CHIAPELLO (2003). Und ganz neu: Im Jahr 2004 erschien in London, die von George R. GOETHALS, Georgia J. SORENSON und James MacGregor BURNS gemeinsam herausgegebene vierbändige Encyclopedia of Leadership. Und seit Februar 2005 erscheint eine von David COLLINSON und Keith GRINT herausgegebene Zeitschrift Leadership: «This new journal reflects and reinforces the growing interest in leadership studies across the social sciences» (2005, vol. 1, Nr. 1, p. 5).

    Es gibt zwar durchaus ernst zu nehmende, interessante Untersuchungen zur Leadership in der Politik, dann vor allem aus dem Bereich des Militärs, der Kirchen und der Wissenschaft. Aber über 90 Prozent der Veröffentlichungen beziehen sich auf die so genannte Wirtschaft. Das Verhältnis der Management-bzw. der Führungsliteratur zur Wirtschaft und der herrschenden Wirtschaftsordnung (Kapitalismus) ist komplex und trotz aller angestrebten Wissenschaftlichkeit eher ideologisch beeinflusst als wissenschaftlich. Die diesbezügliche Literatur ist einerseits kritisch gegenüber weiten Teilen der real existierenden Führungspraxis in den Unternehmungen. Andererseits ist sie apologetisch bezüglich der gegenwärtigen globalen und lokalen Ausprägung des Geistes des Kapitalismus. Sie stellt die Begründungen, Metaphern, Slogans und Empfehlungen zur Verfügung, welche dem gerade aktuellen und lokalen Stand der Kapitalismusentwicklung dienlich sind. Diese ganz und gar unpolemische Feststellung ist unter anderem das Thema von Luc BOLTANSKI/Eve CHIAPELLOS großartiger Untersuchung «Der neue Geist des Kapitalismus» (franz. 1999; dtsch. 2003).

    Von großer Bedeutung ist zweitens der Diskurs der Praxis, d.h. der real existierenden Führungsverhältnisse, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Bezüglich der sogenannten Führungspraxis gilt Hegels Wort vom unglücklichen Bewusstsein¹. Anspruch und Wirklichkeit klaffen da oft weit auseinander. Und diese Kluft wird durch eine orchestrierte Rhetorik schmerzfrei gehalten. So werden beispielsweise enorme Summen in Selektion und Training von sogenannten Leadern investiert, die aber, da offenbar eine Grundenttäuschung über den erhofften diesbezüglichen Return on investment virulent ist, auch regelmäßig wieder gestrichen oder drastisch gekürzt werden. Leadership-Qualität ist offenbar konjunkturell und kann immer auch noch kostengünstiger und kurzfristiger produziert werden. Es wird Leadership gefordert sowie ein Lack of leadership der unteren Führungsebenen beklagt. Es ist dies vorwiegend ein Diskurs des Topmanagements. Dieses, selbstredend, provides Leadership! Die sogenannten Geführten hingegen werden eher restrukturiert, freigesetzt oder in regelmäßigen, hoch strukturierten Umfragen zu jenen Indikatoren befragt, welche die Meinungsforscher als für die Führung wesentlich ansehen, was weiter auch nicht schadet, da aus den Umfrageergebnissen wohl Berichte und Stellungnahmen entstehen, aber sowieso nur eher selten verändernde Konsequenzen gezogen werden. Externe Interaktionspartner, wie etwa Kunden – Publikum – Angehörige der Geführten, kurz, die Zivilgesellschaft, scheinen in diesem Zusammenhang gar nicht zu existieren. Management und Führung wird in einer Binnenperspektive definiert, analysiert und zu optimieren versucht. Das ist einer der Gründe für die Enttäuschung bzw. auch für das Scheitern der komplexen und teuren Ansätze, Management und Leadership effektiver und sozialverträglicher zu gestalten. Weiß man das nicht? Kaum, denn die Evaluation der diesbezüglichen Anstrengungen geschieht wiederum in der Binnenperspektive. Die sogenannten externen Faktoren und Effekte werden weitgehend ignoriert. Und ist die Diskrepanz zwischen dem generell akzeptierten Führungswissen und der eigenen lokalen Praxis zu offensichtlich, so gerät das offizielle Wissen über Führung rasch in einen kritisch gemeinten Theorieverdacht. Der Idealtyp der Mitarbeitenden wird der eines Portfolio-Workers, voll identifiziert mit seinem Job, hoch flexibel und disponibel wie faktische Singles. Da das aber nicht wirklich geht, werden – als eine der zahlreichen Paradoxien des Human Resources Management – Work-Life-Balance-Programme angeboten und Care-Teams für Burn- und Drop-outs eingerichtet. Da substanziellere Beiträge und differenzierte Befunde eine gewisse textliche Argumentationslänge aufweisen, müssen sogenannte Management-Summeries verfasst werden, bei denen die Differenziertheit als Voraussetzung und Einladung zu eigenem Denken und Urteilsbildung auf der Strecke bleibt.

    Dann gibt es drittens noch als ständige Hintergrundfolie den kulturspezifischen gesellschaftlichen Diskurs, der ebenfalls sehr ambivalent sein kann. Kräftige Idealisierungen bezüglich Führung, die Forderung an die Spitzen der Unternehmungen und Organisationen, to provide leadership; Heroisierung, Personalisierung (Starkult) der Führung ist die eine Seite des Diskurses. Eine allenthalben konstatierte Glaubwürdigkeitskrise der politischen und wirtschaftlichen Führung, grenzenlose Enttäuschung über die negativen Ergebnisse und die Machtlosigkeit² der tatsächlich praktizierten Führung, komplexere Probleme wirklich zu lösen, dann die kurzlebige heftige Empörung über spektakuläre Fälle von Führungsversagen oder wirtschaftsethisch bedenklichem Verhalten, bei einer erstaunlichen Naivität auch des gebildeten Publikums bezüglich der real existierenden gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse, ist die andere Seite des Diskurses. Das ist übrigens ebenfalls ein Kennzeichen der wissenschaftsorientierten Führungsforschung. Führungsfragen werden als reine Binnenprozesse der Organisation verstanden, losgelöst von der Frage, welche gesellschaftlichen Strukturen, Ressourcenverteilungen und Machtverhältnisse in der Führung und auch im Management reproduziert werden.

    In allen drei Diskursen, dem wissenschaftlichen, dem praxisbezogenen und dem gesellschaftlichen Diskurs, spielt explizit und implizit eine ganz bestimmte Denktradition eine große Rolle. In der Antike entstanden, durch die Jahrhunderte tradiert, hat sie die Diskurse des 19. und 20. Jahrhunderts nachhaltig geprägt. Die Rede ist von der Elite. Jakob BURCKHARDT schrieb 1869 von den einhundert Männern, welche die Renaissance in Italien schufen. Friedrich NIETZSCHE nahm in seiner zweiten «unzeitgemäßen Betrachtung» diesen Gedanken auf und glaubte, dass «nicht mehr als hundert produktive, in einem neuen Geist erzogene und wirkende Menschen» in der Lage sind, eine neue vitale Kultur in Deutschland heraufzuführen. Bei Walter RATHENAU sind es (in den 1920er Jahren) dann schon dreihundert Männer, die sich untereinander bekannt sind (Netzwerk), mit denen er sich ein neues, wirtschaftlich erstarktes und geeintes Europa zu schaffen zutraute. Und für Vilfredo PARETO (1923) sind es die instinktstarken, Ideologien schaffenden oder diese meisternden Eliten, welche die eigentlichen dynamischen Faktoren der Gesellschaft sind. Zweifellos ist die komplexe Frage der Führung eine wesentliche Variante der Frage nach Funktion, Entstehung, Reproduktion und Legitimation von Eliten.

    Ein anderer Ausfluss des gesellschaftlichen Diskurses drückt sich darin aus, dass in den letzten fünfzehn Jahren Fragen der «Kultur», der «Sinngebung», der motivationalen Mobilmachung (wie etwa zum «Intrapreneurship», «Portfolio-Worker», «Lebensunternehmer») zu zentralen Themen in der Literatur und Praxis wurden, vorab aus ideologischen, d.h. interessengebundenen und system-stabilisierenden Gründen. In einer solchen Situation ist es unerlässlich, sich über den Diskurs der Führung Klarheit zu verschaffen, rhetorische Ansprüche zu reduzieren und mittels neuer Fragen das komplexe Phänomen Führung zu analysieren. Denn der Mehrwert der Arbeit der Intellektuellen des Managements, also der Wissenschaft, der Experten und Berater, besteht nämlich nicht nur in der Produktion der Managementdiskurse, sondern auch in deren Dekonstruktion.

    Wenn die Antworten, welche die Diskurse geben, relativ und widersprüchlich sind, dann muss umso mehr an den Fragestellungen gearbeitet werden. Dies soll im Rahmen dieser kleinen Arbeit in drei Schritten geschehen. Zunächst wird das Feld der Worte und Begriffe so weit geklärt, dass ersichtlich wird, wovon überhaupt geredet werden soll (Abschnitte 1–4). Auf dieser Basis muss dann gefragt werden, wie Führung praktisch, also handlungsrelevant werden kann (Abschnitt 5 und 6). Schließlich werden unter Abschnitt 7 und 8 einige Linien aufgezeigt, entlang deren das Nachdenken über und die Gestaltung der Education von Führern, das sogenannte Leadership development, sich orientieren kann. Dabei ist der kulturelle Hintergrund des hier zu analysierenden Phänomens die westliche Tradition, d.h. die judeo-helleno-christliche Kultur, die Aufklärung und die verschiedenen wissenschaftlich-technischen Revolutionen. Mit der Globalisierung einhergeht ein wachsendes fachliches und populäres Interesse an (fern-) östlichen Traditionen. Taoismus und Zen werden auf ihre zur westlichen Tradition oft konträren Beiträge zur «Führungslehre» befragt (GRINT 2000; ECK 2004; PRINCE 2005). Die Frage ist, inwieweit diese Traditionen, ohne in die Falle des «Eurotaoismus» (SLOTERDIJK 1989) zu treten, auch für die westlichen Traditionen fruchtbar gemacht werden können.

    Zunächst aber eine kurze semantische Vorbemerkung:

    Es fällt auf, dass im deutschen und angelsächsischen Kulturkreis Führung bzw. Leadership und ihre Derivate Führer, Leader, führen, to lead semantisch hoch besetzte Kürzel für komplexe und eher schlecht definierte Sachverhalte³ sind. Im Französischen und analog im Italienischen gibt es zwar vergleichbare Begriffe wie conduire (führen) und auch conducteur (Führer). Diese sind aber semantisch und affektiv viel weniger hoch besetzt. Für Teile von dem, was zum semantischen Gehalt von Führer oder Leader gehört, stehen im Französischen Begriffe wie meneur (d’hommes) oder chef und unter Umständen grand chef zur Verfügung. Diese Begriffe haben aber wesentlich andere Konnotationen. Das führt dann dazu, dass das Wort Leadership im Französischen häufig als Lehnwort übernommen wird. Beim Thema Führung – Leadership handelt es sich evidenterweise immer auch um ein kulturspezifisches Phänomen und um deren Wechselwirkungen: Gesellschaftliche Trends spiegeln sich im Führungsverständnis wider. Und die jeweilige Führungsideologie und -praxis beeinflusst die gesellschaftlichen Verhältnisse. Akzeptieren wir also gelassen die Vorherrschaft einer angelsächsischen Begrifflichkeit in nationalsprachlichen Texten? Was aber auffällt, ist, dass ungeachtet des englischen Wording, nicht selten unklar ist, ob von «leadership» oder vom «leader» geredet wird, welche/welcher entwickelt und gefördert werden soll. Das wird uns im siebten und achten Abschnitt ausführlicher beschäftigen müssen.

    Als Erstes gilt es zunächst einmal, ein genaueres Verständnis von Führung – Leadership zu gewinnen. Wie wollen wir Führungspotenzial entdecken, Führungskräfte entwickeln, wenn wir nicht wissen, was Führung ist, fragt R.A. BARKER (1997) deshalb sehr zu Recht. Das bedeutet zunächst Arbeit am Begriff – im Sinne von G.W.F. HEGEL –, aber nicht nur das. Die Hauptarbeit ist die Auseinandersetzung mit den real existierenden Verhältnissen: Organisation – Management – Führung sowie ihrer Praxis und ihren Diskursen als Ausdruck der gegenseitigen Bewusstseinsverhältnisse. Wer diese nicht bedenkt, kann nicht wirklich verstehen, was geschieht, um dieses Geschehen mitzugestalten zu versuchen. Also: Wovon wird geredet?

    1Arbeit am Begriff – Begriffsklärungen

    In einer wissenschaftsorientierten Zugangsweise zu einem Phänomen oder Sachverhalt ist üblicherweise der allererste Schritt, den Gegenstand der Untersuchung genau zu bezeichnen und abzugrenzen. Ein zweiter Schritt ist, die genaue Fragestellung in Bezug auf den definierten Gegenstand anzugeben. Sollten die Untersuchungen dann positive Ergebnisse, also Aussagen, gebracht haben, so ist es notwendig, die Reichweite dieser Ergebnisse zu präzisieren: Unter welcher Fragestellung (Hypothese), unter welchen Voraussetzungen, in welchen Bereichen und Kontexten können die Ergebnisse Gültigkeit beanspruchen? Ein großer Teil der praxisorientierten, aber auch der theoretischen Veröffentlichungen zum Thema lassen diese Selbstverständlichkeiten vermissen. Lokal gefundene, kontextuelle Befunde werden unkritisch generalisiert und, wie allgemein zu erwarten, ausgegeben.

    So bleibt der Boden, auf dem das Gedankengebäude errichtet werden soll, sumpfig. Die explizit oder implizit beanspruchte Allgemeingültigkeit macht die lokal und partiell möglicherweise zutreffenden Befunde für andere Kontexte folgerichtig weniger brauchbar.

    2Arbeit am Begriff – Bezugsrahmen

    Der kontextuelle Bezugsrahmen der folgenden Erwägungen zu Führung, Leadership ist immer mitgedacht, ist der organisationelle Kontext, d.h. Organisationsformen der Verwaltung, der Wirtschaft sowie der Kultur (siehe dazu Abschnitt 4.1). Ausdrücklich nicht im Blickfeld sind Phänomene der Führung in Politik (weder der nationalen noch der internationalen), in der Religion (wie etwa in der Seelsorge), in der Pädagogik sowie in der Therapie, obwohl diese ebenfalls klassische und teilweise ältere Felder von Führung sind.

    Gerade weil es zahlreiche Berührungen der organisationellen Führung mit den nichtorganisationellen Kontexten von Führung gibt, ist es unerlässlich, die grundlegenden Unterschiede⁴ der Kontexte, Zielsetzung (Finalität), Prozesse und Mittel zu beachten. Auch der hier zugrunde gelegte allgemeine organisationelle Kontext von Führung kennt spezifische Kontexte der Führung. So ist Führung beispielsweise in einem militärischen Kontext anders als in einem Forschungszentrum, in einem Großbetrieb anders als in einer Pilotschule, in einer Bank anders als in einem Theaterbetrieb. Dazu kommt dann noch die Spezifizität der Situation, wie etwa günstig oder ungünstig, in einer Krisensituation bzw. in einer Wachstumsphase.

    3Arbeit am Begriff – Gestaltung und Lenkung

    Die Gestaltung und Lenkung von Organisationen, ihren Prozessen und von den in ihr tätigen Gruppen und Menschen geschieht über Formen der primären und sekundären Einflussnahme. Die sekundären Einflussnahmen sind auf mindestens vier Ebenen angesiedelt: a) Forschung (anwendungs- bzw. situations-bezogen), b) Beratung (Experten- bzw. Prozesswissen), c) Education (Lernen, Development), d) Public Relations.

    Diese beruhen auf bzw. vermitteln nützliches Know-how auf der Basis von Professionalität. Die drei Grundformen der primären Einflussnahme in einer Organisation hingegen sind, wie in der nachfolgenden Abbildung dargestellt, die Steuerung, das Management und die Führung und ihre jeweiligen Wechselbeziehungen:

    Die notwendige Unterscheidung ist eines, das Verhältnis dieser primären Formen der Einflussnahme untereinander ist das andere. Denkbar ist beispielsweise die folgende Systematik:

    Jede der drei primären Einflussnahmen Steuerung – Management – Führung gestaltet sich ihrerseits unter einer bestimmten Zentralperspektive:

    Steuerung: Das beinhaltet die Einrichtung einer sensiblen und zuverlässigen Datensuche sowie deren Rückkoppelungen und intelligente Nutzung, um einen bestimmten Punkt bzw. Zustand präzise zu erreichen oder zu halten. Vergleichbar ist dies mit «einen Kurs steuern». Steuerung ist eine grundlegende Daueraufgabe für so unterschiedliche Phänomene wie etwa der lebendige Organismus des Menschen, die Energieversorgung einer Stadt oder Region, der Geldfluss einer Volkswirtschaft, die Sicherheit des Flugverkehrs und selbstverständlich die Steuerung einer Organisation. Versagt die Steuerung, so ist Zufall, Chaos oder Desorientierung die Folge.

    Die Frage ist, was kann sinnvollerweise überhaupt gesteuert werden? Oder wann kippt Steuerungseffektivität in Steuerungsillusion? Weltweit operierende Organisationen haben z.B. die Tendenz, sogenannte global processes, weltweit gleich konzipierte und ablaufende Verfahren, einzurichten. Meine Beobachtungen als Berater internationaler Unternehmungen zeigen mir aber weitaus eher, dass die global processes wesentlich beitragen zu Zentralismus und Bürokratie und vor allem zur Produktion von zwei Realitäten der Organisation: Der berichteten, reported, Realität und der tatsächlichen, lokalen Realität. Dafür ist die Informatik heute die Grundlage aller Steuerung. Ihre unabsehbaren Möglichkeiten haben aber die Tendenz, sich zu verselbstständigen und eine eigene Wirklichkeit zu schaffen: eine sogenannte Cockpit-Wirklichkeit, welche für das Management neue Problemlagen schafft, also Cockpit-Probleme. Je perfekter die Steuerungsprozesse entwickelt sind, desto ausgeprägter ihre Automatik (griech. aus eigenem Antrieb), d.h., es findet eine Entkoppelung von Personen und Aufgaben, Funktionen statt. Das kann viele Vorteile haben, bedeutet aber immer auch Risiken.

    Management: Das beinhaltet die Organisation und Vernetzung von Ressourcen, wie etwa den Finanzen, Personen, Wissen und Räume, von Verfahren, wie etwa den Technologien und Prozessen, sowie von Legitimität, beispielsweise von Argumentationen, Regeln und Normen, um beschreibbare Ist-Zustände in definierte Soll-Zustände, die sogenannten Zielsetzungen, umzuwandeln. Diese komplexen Prozesse werden, umgangssprachlich auf den Punkt gebracht, machen genannt, und die das können, sind die Macher. Management ist deshalb eine unerlässliche Aufgabe innerhalb der Organisation im Sinne einer primary task (RICE 1963). Gerade wenn das Management erfolgreich ist, können Erwartungen entstehen, dass «alles» machbar sei. Das ist aber eine Illusion. Versagt das Management, so geschehen eine Freisetzung zentrifugaler, hegemonialer Kräfte und eine Zerstörung materieller und immaterieller Werte. Die Notwendigkeit des Es-richtig-(erfolgreich-)machen-Könnens führt leicht zu dem, was als Heroisches Management problematisiert wird.

    Führung: Das beinhaltet die sozio-affektive Einflussnahme auf Menschen durch Repräsentation⁵ einer übergeordneten Idee bzw. eines solchen Wertes und durch den Aufbau eines ausreichenden Identifikationspotenzials. Führung ist keine Daueraufgabe, sondern bedarfsabhängig, also ein sogenannter Führungsbedarf. Klassische Indikatoren für einen Führungsbedarf sind: Krisen; Komplexitätsreduktion, um handlungsfähig zu sein; Change-Situationen («Change needs leadership»); Wertebildung bzw. Kulturentwicklung.⁶ Der unmittelbare Anlass und Kontext von Führung ist immer eine Situation. Versagt die Führung, so entsteht ein anomisches, d.h. gesetzloses Feld, ein Verlust an Glaubwürdigkeit, an Vertrauen und an Motivation. Stillosigkeit ist das augenfälligste Symptom. Ein weiteres Defizit: Das Bedürfnis vieler Menschen, in bestimmten Situationen zu folgen (im Sinne von to follow, suivre), wird nicht erfüllt (TURNER 1995).

    In der begrifflichen Theorie ergänzen sich diese Zentralperspektiven der primären Einflussnahme. Tatsächlich ist es aber so, dass zwischen diesen primären Einflussnahmen erhebliche Divergenzen und Konfliktpotenziale bestehen können (siehe dazu Abschnitt 5.7). Es entsteht deshalb in Organisationen ein Bedarf nach einer sekundären Einflussnahme vom Typus Beratung (in Form von Coaching, Mentorship, Sponsorship oder Corporate Governance), um evident zu machen, welches Verhältnis dieser drei primären Einflussnahmen jetzt oder im Hinblick auf eine bestimmte Zielsetzung indiziert ist.

    4Weitere Präzisierungen

    4.1 Dynamik der Ebene

    Eine erhebliche Schwierigkeit mit dem Konzept Führung besteht zudem darin, dass dieser Begriff ein Anwendungsfeld abdeckt, das von dyadischen (Zweier- oder Dreierbeziehung) Verhältnissen in Pädagogik, Seelsorge, Psychotherapie, Mitarbeiterführung bis hin zu hoch komplexen Strukturen wie der Staatsführung, Parteiführung bzw. der Führung multinationaler Institutionen oder Organisationen reicht. Es ist deshalb unerlässlich, auch hier Unterscheidungen und Präzisierungen zu treffen und jeweils anzugeben, auf welchen Kontext sich die Analysen und Empfehlungen bezüglich der Führung beziehen. Es gibt eigentlich keine universelle Definition und Applikation von Führung! In einer ähnlichen Perspektive wie F.J.YAMMARINO (1997) und Gayle C. AVERY (2004) schlage ich vor, bezüglich Führung – Leadership folgende Ebenen zu unterscheiden:

    Diese einfache Gliederung wird aber kompliziert durch Phänomene, welche die lokale Einheitlichkeit auflösen, wie etwa die Konzerne, die multinationalen Unternehmungen oder die internationalen Organisationen (IWF, CICR, BIT, UNO). Das charakteristischste Kennzeichen der Führung auf der Makro-Ebene ist die Komplexität. Und damit ist die zentrale Herausforderung von Führung auf dieser Ebene, der Umgang mit Komplexität und Möglichkeiten einer angemessenen und optimalen Komplexitätsreduktion (ECK 2004). Führung auf der Makro-Ebene bedeutet Gestaltung und Veränderung eines hoch komplexen Systems, welches niemals nur aus sich selbst (den Binnenprozessen), sondern nur aus einer sozioökologischen Perspektive heraus verstanden werden kann. Ein solches Makro-System hat interdependente Effekte von und auf Faktorenbündel wie:

    Politik – Strategie – Strukturen – Investitionen mobilisieren – Aufgaben und Arbeitsprozesse – Verantwortlichkeit und Rechenschaftsablage (accountability) – Information und Kommunikation. Das alles ist jeweils eingebettet in (sub)kulturelle Tendenzen und in breite Ströme expliziten und noch mehr impliziten Wissens.

    Entscheidend ist dabei, die Konzentration auf die Binnenperspektive der Organisation, der Branche, der «Nationalökonomie» zu verlassen bzw. diese zu erweitern auf die jeweils noch komplexeren Umwelten wie Gesellschaft – Märkte – Wissenschaft – Zeitgeist – globale, mindestens regionale Schlüsselereignisse – und anderes mehr (siehe dazu Globalisierung, Globalance, Glokalisierung: ROBERTSON 1998). Dass in diesen Verhältnissen Konzepte wie die Heroische Führung eindeutig zu kurz greifen, trotz den Tendenzen zu einer solchen Selbststilisierung und dem periodischen Ruf nach dem Great Man oder der Great Woman, ist vielfältig erwiesen worden.⁷ Angesichts der Hyperkomplexität der Führung auf der Makro-Ebene ist es ebenfalls verständlich, dass die Unternehmensführung auf der Makro-Ebene nie ideal, sondern immer nur suboptimal, aber immerhin good enough, geschehen kann. Im Hinblick auf die Komplexität dieser Führungsebene wird es immer ein, mindestens partielles, qualitatives und/oder quantitatives «lack of leadership» geben. Die grundsätzlich berechtigten Erwartungen der Stakeholders, also der Anspruchsgruppen, können in der Dynamik ihrer Interdependenz immer nur (sub)optimal erfüllt werden. Das bedeutet aber nicht nur ein Defizit. Im Gegenteil, das macht die Führung auf der Makro-Ebene politisch, und d.h., sie erfordert begründete und langfristig mehrheitsfähige Optionen. Und das wiederum gibt der Führung ihre ethische Dimension, und das beinhaltet die Frage, wem gegenüber, im Hinblick auf was, ist Führung verantwortlich (vergleiche dazu die Abschnitte 5.8 und 8.1; ECK 2002/2006). Ersichtlich ist, auf die Komplexität der Notwendigkeit und auf die Herausforderung von Führung (leadership) gibt es in und durch die Praxis drei kategoriale Antworten:

    a) Bezogen auf das Management: Die Betonung liegt auf Analyse (zergliedern in Komponenten), Bewerten (vorwiegend nach monetären Kriterien), Kontrolle (inklusive der häufigen Kontroll-Illusion), Standardisierung und Planung. Management ist zur Komplexitätsbewältigung unverzichtbar und ist trotzdem ein dauerndes Konfliktpotenzial zur Funktion Führung (siehe dazu Abschnitt 5.7).

    b) Bezogen auf die Substitution von Führung: Durch oft illusionäre, vorwiegend rhetorisch beschworene Autonomie von Personen, (Projekt-)Gruppen, Organisationseinheiten, wie sie durch Schlagworte wie etwa Intrapreneurship – Empowerment – Coaching befördert werden soll. Diese Feststellung ist durchaus kritisch, aber nicht negativ gemeint. Den genannten Ansätzen eignet durchaus ein gewisses heuristisches Potenzial und – wenn professionell gestaltet – eine gewisse Effektivität. Es darf aber nicht übersehen werden, dass es sich hierbei immer auch um Substitution, Ersatz, von nicht vorhandener oder fallweise nicht möglicher und vor allem tatsächlich nicht wirklich erwünschter Führung handelt.

    c) Bezogen auf die Führung selbst: Zu ihren Kernelementen gehören:

    Wechselseitige Durchdringung von Emotionalität (wie etwa Wollen, Identifikation und Beziehung) und Rationalität (wie etwa Wissen, Analyse und Urteilen);

    –Formulierung eines Horizontes (im Sinne von Blickrichtung, Perspektive), welcher ein breites Identifikationspotenzial hat;

    –Kulturelle Sensitivität (was in multikulturellen Organisationen nur durch lokale Gestaltung möglich ist) und Aufmerksamkeit für die Frage: Welche Werte von wem sollen/können für wen Verbindlichkeit haben?

    –Wertgemeinschaft und Einstellungen (Haltungen) prägend.

    Diese Kernelemente haben sich in den drei folgenden grundlegenden Handlungsversionen personen-, kontext- und situationsgerecht zu bewähren:

    –Gestalten des Gesamten (wie wird dieses bestimmt und begrenzt? Systemgrenzen) in seinen Zielen – Strukturen – Prozessen als Aufbau, Ausdruck und Konkretisierung der mentalen Modelle der Führungsregion, -gruppe und -personen. Diese komplexe, aktive und ohne eine gewisse Kreativität nicht zu bewältigende, werkbetonte Aufgabe der Führung beinhaltet zudem:

    –Lehren der Organisation bzw. ihrer Schlüsselpersonen (vergleiche dazu die Redewendung lessons learned ). Vertraut ist die Rhetorik der Lernenden Organisation . Die Frage ist: Wer oder was lehrt die Lernende Organisation, damit sie lernen kann und, wenn möglich, genau das Richtige? D.h., wer lehrt die Organisation ihre umfassendere Realität im Fokus von Schlüsselereignissen, Problemlösungsmuster und Systemstrukturen mutig und neu zu sehen und sich zu entscheiden, was warum beibehalten und woraufhin verändert werden soll. Es ist ein sehr legitimer Anspruch an die Führung, nicht nur, dass sie weiß , sondern auch, dass sie in der Krise und in der Resignationsgefahr «es besser weiß» , eventuell intuitiv. Natürlich nicht im rechthaberischen Sinne, sondern in der Ermöglichung von Lernen von Erfolg, das heißt, Lösen von bisher ungelösten Problemen. Die Partizipation, die Mitgestaltung, ist unerlässlich. Sie darf aber nicht zur Rückdelegation von Führung und zum faktischen Verzicht auf Führung werden. Der Führer ist immer auch ein Lehrer , aber besser nicht ein Guru . Oder kann man sich einen Chef (Chefin), einen «Patron» (Patronne) vorstellen bei dem/der es nichts zu lernen gab oder gibt, das über den Tag der einzelnen operativen Problemlösung hinausreichte?

    –Dabei steht die glaubwürdige Vermittlung des «inneren Auftrages» der Führung im Mittelpunkt, das heißt, a) im Dienst einer übergreifenden Aufgabe zu stehen und b) die eigene Verwurzelung in präzise formulierbare und verifizierbare Werte. Ich benutze diese etwas umständliche Formulierung für eine Grundhaltung, welche in anderen Sprachen kürzer, aber bei bloßer Übersetzung missverständlicher wiedergegeben werden könnte. Zum Beispiel in der französischen Sprache mit servir und cause (= einer Sache dienen) oder in der englischen Sprache mit stewardship (= etwas Anvertrautes sorgsam verwalten) oder in der deutschen Sprache mit Erster Minister (= «Erster Diener [… des Staates …]», so Friedrich der Große …, also aller [Stakeholders] und nicht nur der Adligen oder der Armee). Der innere Auftrag, im Dienste einer übergreifenden Aufgabe zu stehen, gibt eine große Freiheit, ermöglicht die notwendige Versachlichung heikler Entscheidungen und diszipliniert den narzisstischen Überschuss in Erfolgs- wie in Misserfolgssituationen. Es ist die spirituelle Dimension der Führung und die eigentliche Legitimation der Führung auf der Makro-Ebene, also letztlich nicht der diskutierbare, nie eindeutig attribuierbare jeweilige Erfolg oder die Ernennung (Inthronisation). In jedem Fall wird nach einer gewissen Zeit völlig evident, ob die innere Geschlossenheit, der Stil der Führung Ausdruck des «inneren Auftrags » ist (war) oder Ausdruck von Wahnvorstellungen und Zwangsneurosen. Das Lehren und der innere Auftrag kommen sehr pointiert in dem etwas belasteten, aber unverzichtbaren Begriff des Vorbilds zusammen. Dazu, d.h. der Dynamik von Vorbild und Führung, hat Max SCHELER (1957) einen wichtigen Essay gewidmet (dazu auch: GREENLEAF 1977; SENGE 1990; AVERY 2004).

    Die weiteren Analysen, Konkretionen und Argumentationen dieses Beitrages beziehen sich aber nun vorwiegend auf die Meso- und Mikro-Ebene der Führung, wobei die Interdependenz der drei Ebenen evident ist, zumal, wie bereits gezeigt, es auf den konkreten Bezugsrahmen ankommt, was als Mikro-, Meso- und/oder Makro-Ebene zu gelten hat.

    4.2 Dynamik der Macht

    Einfluss nehmen oder haben berührt die Dynamik der Macht. Macht ist ein aus verschiedenen Gründen emotional hoch besetzter Begriff. Macht hat die Tendenz, heruntergespielt, versteckt, ja verleugnet zu werden, wie etwa durch Euphemismen wie Verantwortung, Ordnung oder Auftrag. Macht bedeutet einerseits, etwas machen, bewirken und verändern zu können (Funktionsmacht) und anderseits, eine Position, aus der heraus entschieden, über Ressourcen verfügt oder Ergebnisse bewertet werden, und auch, etwas verhindert werden kann (Positionsmacht).

    Die Macht wird oft überschätzt und scheint objektiv gegeben zu sein im Sinne von «jemand hat die Macht». Die historische, soziologische und psychologische Analyse von Machtverhältnissen zeigt, dass Macht attribuiert wird, verliehen von den Untergebenen, den Geführten, und damit auch dosiert oder zurückgenommen werden kann. Die Grundlagen und damit verbunden die Legitimationen von Macht sind in der westlichen Kultur: Besitz (Eigentum), Position (Hierarchie), Funktion (Aufgabe) sowie persönliche Autorität (Kompetenz und Charisma). Management beruht machtmäßig vorwiegend auf der Kombination von Position und Funktion (im Sinne einer Daueraufgabe), während Führung vor allem aufgrund einer situativ notwendigen Funktion und persönlicher Autorität erforderlich und ermöglicht wird. Die Macht der Führung, auch als eventuelle Gegenmacht zum Management, zeigt sich im Vollzug der Führung. Die positiven Wirkungen von Macht und damit die Zustimmungspotenziale sind: Problemlösung, einheitliches Vorgehen, Zielerreichung und Empowerment (Befähigung). Die negativen Wirkungen der Macht und damit die Widerstandpotenziale sind: Abhängigkeit, Zwang, Entmächtigung und Zerstörung.

    Bei alledem darf aber nicht übersehen werden, dass Führung gleicherweise ein Phänomen der Disposition (Struktur, Planung, Ernennung, Beauftragung oder Ausbildung) als auch der Emergenz ist. Führung tritt auf, entsteht, zeigt sich, bewährt sich oder versagt. Sie entsteht aus der Organisation, aus der Gruppe, aus den Personen heraus. Und: Führung nimmt sich zurück, verschwindet, wenn sie nicht mehr benötigt wird. Wenn das nicht gelingt, wird die ursprünglich notwendige Führung zur Verhinderung von Entwicklung, von Fortschritt, Wachstum und Reifung.

    4.3 Ebenen des Führungsrahmens

    Bezüglich der Frage, in welchem Rahmen Führung sich gestaltet, muss weiter unterschieden werden:

    Die seltenere situative Führung und die etabliertere funktionale Führung können in einen Widerstreit geraten. Hier ist oft das Phänomen der informellen und formellen Führung beobachtbar. Die weiteren Ausführungen in diesem Beitrag gehen jetzt erst einmal hauptsächlich von der funktionalen Führung aus, so interessant und erhellend die Frage der emergenten Führung ist.

    Und noch eine weitere Unterscheidung: Die Kernelemente von Führung sind, wie gezeigt wurde, der personale Bezug und die Wertorientierung sowie die Identifikation mit einem Auftrag, einem Projekt oder einer Idee. Diese Kernelemente können aber einen unterschiedlichen Innovationsgehalt aufweisen. Eine Reihe von Autoren, wie HOUSE (1976), CONGER (1989) und BASS (1985), unterscheiden deshalb noch in die transaktionale und in die transformative Führung:

    Wenn der umgangssprachliche und professionelle Gebrauch des Begriffs Führung nun etwas geklärt ist und seine oft leicht pathetische Verwendung als Schlagwort und Fanfarenstoss etwas beruhigt wurde, kann man sich der Prozessdynamik der Führung zuwenden und sich fragen:

    5Wie wird Führung praktisch?

    5.1 Führung ist unverzichtbar

    Zuerst einmal, das Führen ist trotz allen Einschränkungen und notwendigen Begrenzungen unverzichtbar, und dies aus drei Gründen: Erstens gibt es Situationen, die nur durch die Führung wirklich gemeistert werden können, wie etwa in Krisen oder bei der Notwendigkeit einer Komplexitätsreduktion und dem Aufbau von Werthaltungen, Überzeugungen und von Qualitäten. Solche Situationen können nicht nur «gemanagt» werden. Es braucht die Kernelemente der Führung: Repräsentanz und wechselseitige Identifikation. Es entstehen dadurch Wirkungen vom Typus Orientierung – Beruhigung – Konzentration – Durchhaltevermögen – Erfahrung von Erfolg und Sinnhaftigkeit. Ein allfälliger «lack of leadership» wirkt sich in solchen Situationen katastrophal aus.

    Zweitens ist Führung eine Antwort auf die ubiquitäre Steuerungslücke, wie sie jede Organisation aufweist. Die kybernetischen und managerialen Modelle der Organisationsgestaltung neigen zu einer übermäßigen Regulationsdichte, wie Übersteuerung oder Bürokratisierung, welche entweder das Phänomen der Kontrollillusion produzieren und/oder enorme Kommunikationsprobleme zeitigen und/oder das zweckmäßige Handeln durch ihre Widersprüchlichkeiten be- oder gar verhindern. Die Organisation und das Management werden deshalb klugerweise, vieles «offen» lassen, auf lokale Ebenen delegieren. Die so entstehenden Steuerungslücken müssen durch lokale Führung geschlossen werden.

    Drittens gehört zu den gesicherten Erkenntnissen der Anthropologie, dass der Mensch fundamental beziehungsorientiert, ja eigentlich beziehungsabhängig ist. Der Mensch überlebt, entfaltet sich, lernt, verändert sich, wird krank oder gesund in und durch Beziehung. Führungsverhältnisse sind Beziehungsverhältnisse. Die Steuerungsfunktion kennt nur technische Input-output-Relationen, die Managementfunktion über weite Strecken auch oder dann nur allgemeine, entpersonalisierte Beziehungen, eigentliche Connections, «Schnittstellen». Das ist einer der Gründe, warum in der Managementliteratur und Managementsprache eine auffällige Präferenz für den Begriff Prozess festzustellen ist, eine eigentliche Prozessverliebtheit. Prozess ist dabei aber immer im ingenieurwissenschaftlichen Sinne gemeint, selten bis nie im sozialwissenschaftlichen Sinne der Prozessdynamik, des Unvorhergesehenen, Unplanbaren, das, was immer nur im Hier und Jetzt aufzunehmen ist und einen grundsätzlich offenen Ausgang hat und deshalb auch nicht einfach reproduziert werden kann. Führen ist nur innerhalb hoch personalisierter Beziehungen wirkungsvoll. Das ist ihre große Chance und auch ihr möglicher Fallstrick! Die Triangulation der Beziehung durch die Aufgabe, die Sache, bietet große Entwicklungs- und Reifungschancen anstelle der pathogenen Beziehungsmuster Idealisierung, Unterwerfung, Abhängigkeit, oder beziehungsmäßiger Korruption, Seilschaften oder auch Filz.

    5.2 Führung als gemeinsame Erfindung

    Dass die Auswahl, Ernennung und Beurteilung von sogenannten Führungskräften durch das obere Management geschieht oder verantwortet wird, täuscht leicht darüber hinweg, dass Führung nicht wirklich von oben etabliert werden kann, vergleiche dazu auch den in Abschnitt 4.2 erwähnten Prozess der Emergenz. Führung ist eine Funktion, die gemeinsam erfunden und konstruiert wird (siehe dazu BURLA, ALIOTH und MÜLLER, 1993). An der Konstruktion von Führung sind unter anderem beteiligt:

    Nicht nur der Prinzipal, der Eigentümer, beauftragt einen bestimmten Personenkreis mit Führungsaufgaben. Auch die «Geführten» beauftragen Chefs mit einem Führungsauftrag! Das ist der Sinn des Konzepts Empowerment. Empowerment beruht auf austarierter Wechselseitigkeit, oder es ist ein Bluff! Führung als Verhalten und Ergebnis (Wirkungen) unterliegt einem ständigen Monitoring, unabhängig davon, ob in einer Organisation tatsächlich Elemente eines Führungsaudit zur Anwendung kommen. Führen ist immer beobachtete Führung inklusive der Selbstbeobachtung! Und: Beobachtung beeinflusst stark das Verhalten! Deutlich wurde dies in dem Konzept des «inneren Zustands» von Heinz v. FOERSTER (1985) ersichtlich.

    5.3 Führung als ein stabiles Beziehungsverhältnis

    Wenn Führung ein gemeinsam konstruiertes, aufgaben- und organisationsbezogenes, rekursives (weil beobachtbares) Beziehungsverhältnis ist, in dem, als Erfolgsbedingung, wechselseitiges Lernen stattfinden muss, so braucht Führung Zeit. Beziehungsverhältnisse entfalten ihr Potenzial erst in der Dauer. Die Nebenwirkungen häufiger struktureller Veränderungen, den sogenannten Reorganisationen, nämlich die Labilisierung und zeitliche Begrenzung von Führungsbeziehungen, sind eigentliche Verhinderungen von Führung.⁸ Die so entstehenden Führungsdefizite werden rhetorisch zu kompensieren versucht, indem allenthalben ein lack of leadership beklagt und die Forderung endlich wieder einmal Führung erhoben wird. Folgerichtig wirken sich dann bestimmte Handlungsweisen des Managements öfters als Verhinderung der eingeforderten Führung aus.

    5.4 Führung ist lokal

    Zudem ist Führung immer lokal, d.h., sie braucht eine sozio-affektive und räumliche Nähe der Beteiligten, was nicht Kleinräumigkeit einer Face-to-face-Gruppe bedeuten muss. BATTEGAY beleuchtete die Minimalfrequenz und die Minimalähnlichkeit innerhalb einer Gruppe als Voraussetzung zur Identifikation (1968). Wenn Führung lokal ist, wird das Führungsfeld wichtig, mit einem Zentrum und mit Regionen. BERNE (1979) spricht von der Führungsregion. Bis wohin erstreckt sich das Feld der Führung, wer/was gehört dazu oder gehört nicht dazu? Welches sind die im Feld der Führung wirkenden Feldkräfte (LEWIN 1969). Das Feld (man könnte auch von Raum sprechen) ist überschaubar und durch direkte Interaktion geprägt. Repräsentation und Symbolik können und müssen Wirkungen haben, die über das eigene Führungsfeld hinausreichen und somit die Makro-Ebene der Führung erreichen. Führung selbst findet aber nur in dem jeweiligen Feld statt. Der Präsident eines Verwaltungs- bzw. Aufsichtsrats kann nur den Verwaltungs- bzw. Aufsichtsrat führen, die Generaldirektorin nur die Direktion, die Direktorin nur die leitenden Personen der Abteilungen usw. usf. Direkte Führung ist nur lokal möglich, unabhängig von den Auswirkungen der Führung auf andere, weitere Felder. Die aus einer lokalen Ausübung von Führung entstehenden allfälligen Erkenntnisse sind nicht, oder nur sehr beschränkt, transferierbar auf andere lokale Führungsverhältnisse. Daraus folgt, dass Führung auf der Makro-Ebene völlig anders inszeniert werden muss (Amtscharisma, Symbole oder Rituale) als Führung auf der Meso- oder Mikro-Ebene. Aber auch die Führung auf der Makro-Ebene nimmt ihren Ausgang von der lokalen Mikro- oder Meso-Ebene. Und damit haben wir noch nicht die zeitliche Dimension berührt: damals – heute/jetzt – später. Das reduziert die Effektivität genereller Führungsprinzipien vom Typus Führungsrichtlinien oder Lehrbücher über Führung. Die Makro-Ebene der Führung (Staat, Konzerne, Institutionen wie Universitäten, Kirche oder die Armee) ist ein eigenständiges Kapitel der Führungsforschung. Es gelten in ihr teilweise ganz andere, zusätzliche Voraussetzungen, Strukturen und Verfahren. Sie sind nur am Rande in diesen Erwägungen hier mitbedacht.

    5.5 Führung ist eine Inszenierung

    Führung ist eine Inszenierung. Führung wird inszeniert, wenn sie erfolgreich sein soll (ECK 2003), und dies aus folgenden Gründen:

    –Bei der Führung geht es um die Sichtbarmachung, Verkörperung, Übertragung und Konkretisierung von Abstraktem : Ideen (cf. idée de manœuvre; eine sogenannte Vision [besser: einen weiten Horizont aufbauen]), Werte und Haltungen, die «zum Ausdruck kommen sollen».

    –Führung ist eine dramaturgische Interaktion von Personen (Aktoren in ihren Rollen) und damit eine Gestaltung von komplexen Beziehungen, ein enactement , die zwar unumgänglich sind und auch ein großes Potenzial darstellen können, aber immer unter dem Primat der Organisation oder der Aufgabe zu stehen haben.

    –Der Führung liegt immer ein bestimmter, öfters unklarer oder gar unbewusster Text zugrunde, der aufgeführt wird oder werden soll. Der formale Text heißt: Auftrag – Zielsetzung – Situationsanalyse – Problemlösung – Entscheidung – Kontrolle oder Cost cutting – Change – Restrukturierung. Der formale Auftrag steht in einem Verhältnis zu dem «inneren» Auftrag. Vgl. 4.1. Da aber jeder Text immer auch einen Subtext hat, sind es häufig die Subtexte, um die es wirklich geht, wie etwa Macht versus Ohnmacht, Abhängigkeit versus Autonomie, Fairness versus Ungerechtigkeit, das Ganze versus das Partikulare, Distanz versus Nähe, Zugehörigkeit versus Ausstoßung, Solidarität, Prestige, Schuldzuweisung, Umgang mit Verantwortung und vielem anderen mehr. Und nicht zu vergessen: Ein Text kann verschiedene Lesarten haben! Manchmal sitzt man auch im falschen Film oder hat den falschen Text erwischt, zum Beispiel in den organisations-, aufgaben-, situationsspezifischen Text mit seinem Subtext dringen fremde, störende Texte und Subtexte ein, die nur den beteiligten Aktoren gehören, wie etwa Liebe oder Sex (E CK 2001) oder: «Jemanden ins Messer laufen lassen», «sich von aller Verantwortung reinwaschen», «sich fremde Federn an den eigenen Hut stecken» . Auch hier stellt sich wieder die Frage: Um was geht es (wirklich)? What is the name of the game?

    –Führung ist eine Performance im Sinne jener Kunstszenen, in denen die bloße Zuschauerrolle sich entgrenzt und in aktivierenden Rollen miteinbezogen wird. Die Episoden der Führung können nur gemeinsam aufgeführt werden. Gelingen oder Misslingen von Führung ist immer gemeinsam erbrachtes Gelingen oder Misslingen und kann nicht oder nur willkürlich den einen oder den anderen attribuiert werden. Im positiven wie im katastrophalen Ergebnis: Führung wird immer gemeinsam «angestellt».

    –Führung ist öffentlich . Sie kann nicht im Stillen geschehen, sondern sie geschieht immer vor Zuschauern, d.h. den Aktoren, Beobachtern oder einem internen und externen Publikum, und dies mehr als dies für die Steuerungsfunktion oder die Managementfunktion der Fall ist, die viel diskreter und abstrakter operieren, daher auch ihre Affinität zum Anonymen haben. Eine Aktiengesellschaft ist im Französischen eine Société anonyme.

    Führung als eine Inszenierung braucht Zustimmung und Applaus, d.h. ein Einverständnis aufgrund von Plausibilität, und zwar von allen Beteiligten, sonst kann Führung nicht lange stattfinden. Es regt sich dann Widerstand, der sich zum Aufstand verdichtet oder sich in einem inneren Aus-dem-Felde-Gehen verflüchtigt. Der Öffentlichkeits- und Zustimmungsaspekt des scheinbaren Binnenprozesses der Führung zeigt sich auch in der ständigen Sorge und den beachtlichen Aufwendungen bezüglich der Reputation.

    5.6 Führung ist eine schwache Funktion

    Führung ist eine so genannte schwache Funktion⁹. Dies ist zunächst keine empirische Beurteilung vorhandener Führungsverhältnisse, sondern drückt aus, dass Führung sich immer in Funktion von vielen Faktoren und Kontingenzen konstituiert. Führung ist nicht eindeutig definierbar und klar abgrenzbar. Sie unterliegt vielfältigen externen Einflussfaktoren. Sie gehört, populär ausgedrückt, zu den soft factors, d.h., die das Psychische und Kulturelle umfassen, wovon sie selbst Teil ist. Vergleiche dazu die nachstehende Skizze zur

    Transversalität und Führung

    Und vieles andere mehr beeinflusst die Führung, die auf all dies eine Antwort, einen Umgang finden soll und immer auch eine Antwort ist, ob eine zureichende oder eine unzureichende. Alle diese Faktoren durchziehen in wechselnden Konstellationen das Feld der Führung und der Organisation als dem Theater der Führung. Theater, aus der griechischen Sprache, ist ein Ort, an dem es etwas zu sehen gibt, weil da etwas aufgeführt wird. Sie sind einerseits Rahmenbedingungen und Vorgaben, mit der Tendenz, den Spielraum der Führung erheblich zu reduzieren. (Vergleiche dazu den in der zweiten Anmerkung erwähnten ökologischen Ansatz der Organisations- und Managementforschung.) Andererseits erstreckt sich der Führungsanspruch auf eben diese Faktoren, d.h. die Herausforderung, diese im jeweiligen Feld der Führung optimal zu gestalten oder auch zu verändern oder mindestens günstig zu beeinflussen.

    5.7 Führung ist ambivalent

    Führung ist, gerade weil sie unverzichtbar und notwendig ist, ambivalent. Das gilt nicht nur bezogen auf die Konstellation Führer – Geführte, sondern auch für die Organisation selbst. Das Phänomen der formellen und informellen Führung pflegt eben regelmäßig bei einem «lack of leadership» aufzutreten. Führung füllt Steuerungslücken nicht nur aus, sondern sie kann manageriale Regulationen und Dispositionen auch sprengen. Starke Führungsverhältnisse können für das Management unbequem sein. Und sie können sich bis zu dem Phänomen der rebel leadership (DOWNTON 1973) entwickeln. Unabhängig von der üblichen Rhetorik des Managements bezüglich der Führung, stellt sich die Frage: Wie viel Führung erträgt eine Organisation und lässt diese überhaupt zu?¹⁰

    Die Erfahrung zeigt, dass, unabhängig von der Rhetorik, Leadership zu fordern, die Steuerungs- und Managementfunktion wirkliche Führung eher einschränkt (ECK 1992). Begabte Führer – nie zu isolieren von ihrer Gruppen- oder Teamkonstellation – haben eine starke Tendenz, organisationelle Strukturen und Grenzen zu verändern. Fühlen sie sich prinzipiell daran gehindert, verlassen sie die Organisation.

    5.8 Führung als Teil der «drei Grundaufgaben»

    Führung gehört zu jenen drei Grundaufgaben der Menschheit, nämlich Regieren, Heilen und Erziehen, in denen sie, so Freud zufolge, notorisch scheitert. Dh., Führung ist nie wirklich ideal zu lösen. Die Führungsaufgabe ist zu komplex und zu ambivalent! Es sind aber Optimierungsgrade feststellbar und Annäherungsgrade an das good enough möglich und notwendig. Bezüglich Führung sind Idealisierungen, Maximalforderungen und Heroisierungen zwar verführerisch, aber eher hinderlich. Just good enough reicht völlig aus, mehr ist wahrscheinlich auch gar nicht möglich. Das good enough allerdings in der Multiperspektivität der agierenden Personen, Gruppen, einer Situation, der Organisation und der Zivil- bzw. Bürgergesellschaft, die alle von den Auswirkungen der Führung betroffen sind.

    6Führungsfrage in den Sozialwissenschaften

    Die Sozialwissenschaften, insbesondere die Organisationswissenschaft, haben sich intensiv mit der so genannten Führungsfrage befasst und eine Fülle von Theorien, Modellen, Experimenten bezogen auf die Führung vorgelegt, die sich in einer unüberblickbaren Fülle von Handbüchern, Serien, Zeitschriften und Monographien niederschlagen. Der wissenschaftliche Wert und die Bewährungswahrscheinlichkeit in der Praxis sind aber kritisch zu sehen. Vorab aus Gründen, auf die einleitend und in den verschiedensten Abschnitten schon hingewiesen wurde: Keine genügende Unterscheidung zu anderen Funktionen, beschränkte Transferierbarkeit und Verallgemeinerungsfähigkeit lokal gewonnener Erkenntnisse, Führung als schwache Funktion, Führung als Emergenz und nicht als Disposition. Trotzdem, die Führungsforschung ist eine Quelle von Anregungen, Perspektiven, neuen Fragestellungen und interessanter lokaler Befunde, die in anderen Kontexten gewisse Parallelen aufweisen können. All theory is local, ist ein Paradigma postmodernen Wissens. Deswegen ist es durchaus notwendig und möglich zu fragen:

    7Wie kann Führung – Leadership – entwickelt und gefördert werden?

    Führung ist zwar situativ und problembezogen, also keine Daueraufgabe, wohl aber ein Dauerthema der Organisation, ebenso wie die Funktionen Steuerung und Management. Eine Organisation braucht differenzierte und in ihr selbst erprobte Modelle von Management Development und von Leadership Development in ihren wechselseitigen Einwirkungen und Abgrenzungen und Unterschiedlichkeit.

    7.1 Leadership und Leaders

    Auf die Frage «Wie kann Führung entwickelt und gefördert werden?» muss zunächst mit einer Unterscheidung geantwortet werden: Entwicklung bzw. Förderung (development) von leadership oder von leaders? Die Praxis, aber auch die Wissenschaft setzt Leadership und Leader viel zu oft in eins. Das wurde von verschiedenen Autoren, zuletzt von ILES und PREECE (2006) kritisiert. Diese mangelnde begriffliche und konzeptuelle Trennschärfe trägt sehr zu dem oben kritisierten Ungefähren der Führungsforschung und -praxis bei. Pierre BOURDIEU (1983) hat drei grundlegende Formen des Kapitals im Kapitalismus beschrieben. Im Anschluss daran kann neben dem ökonomischen Kapital (wie etwa Geld, Produktionsmittel und Immobilien), Humankapital (wie etwa intellektuelles Kapital und capabilities) sowie dem Sozialkapital (beispielsweise Netzwerke oder kulturelles Kapital) unterschieden werden. Interessant dabei sind dann die Kapitalumwandlungen von der einen Form in eine andere. Leader Development ist Investition in das Humankapital; Leadership Development sind Investitionen in das Sozialkapital.

    7.2 Zentralperspektive der Führungsentwicklung

    Neben der Zentralperspektive der Führung selbst ist die eigentliche Zentralperspektive der Führungsentwicklung: Wie kann und muss in einer gegebenen Organisation Führung gelehrt, gelernt und gestaltet werden? Diese Frage impliziert stets auch die Frage: Wie wird tatsächlich in dieser Organisation Führung gelehrt (wie etwa Vorbildwirkung, Leitbilder oder Richtlinien) und gelernt? Das kann für die organisationsspezifische Rhetorik bezogen auf die Führung sehr ernüchternd sein. Es ist aber sehr wichtig, diesen Diskrepanzen nachzugehen: Was lernen wir daraus über die Organisation und ihr Management, wie sie – und aus welchen Gründen – so funktioniert? Nur in genauer Kenntnis und im Verstehen dieser Zusammenhänge kann allenfalls eine Veränderung initialisiert werden. Denn Führung thematisiert und ist eine Antwort auf den Grundkonflikt der Gruppe bzw. der Aufgabe in ihren «Leiden», Widersprüchen, Ambivalenzen.

    7.3 Leadership Development

    Leadership Development als soziale Kapitalisierung sehen ILES und PREECE (2006) einerseits als bonding capital (Aufbau geschlossener Netzwerke, enge Beziehungen innerhalb der Organisation, basierend auf Vertrauen und Gegenseitigkeit; die Gefahr ist Filz und Group-think-Phänomene), andererseits als bridging capital (Aufbau und Pflege offener Netzwerke, strukturelle Verankerungen, interorganisationelle Verbindungen, welche Zugang zu neuen Ressourcen und Informationen ermöglichen). Dies ermöglicht viel Neues, Innovation, Lernen; es lockert aber auch die «Bindungen», ermöglicht Optionen, Alternativen. Dies kann der Grund dafür sein, mehr das Bonding Capital zu vermehren, weniger das Bridging Capital. Die Ergebnisse der allgemeinen und der lokalen, organisations- bzw. funktionsspezifischen Führungsforschung sind die theoretischen und empirischen Grundlagen des Leadership Development. Und selbstverständlich sind dann auch die Schnittstellen und Konvergenzen von Leadership Development und Leader Development zu sehen und zu gestalten. Je mehr plausible Unterschiedlichkeit und Vielfalt (lokaler) Führung zugelassen, gefördert wird, desto mehr vitalisiert sich, verankert (enkulturiert) und entfaltet sich die an sich «schwache» Funktion Führung.

    7.4 Enough Führung

    Wann ist Führung good enough, d.h., wie ist der Führungserfolg, hier und jetzt, definiert? Von wem und für wen? Führungserfolg ist ein komplexes und dynamisches, d.h. interaktives und konflikthaftes Verhältnis von

    Diese Rahmentheorie des Führungserfolges muss, soll sie wirksam und verbindlich sein, lokal und gemeinsam definiert und konkretisiert werden. Allgemeine Leitbilder und Richtlinien der Führung sind in diesem Zusammenhang nicht viel mehr als baldige Makulatur. Deswegen werden sie ja auch alle paar Jahre ersetzt. Erwiesener Führungserfolg ist, auch wenn er für die Organisation ambivalent sein kann, fair zu honorieren; erwiesenes Führungsversagen bzw. Nichteignung für Führungsaufgaben müssen ebenfalls (faire) Konsequenzen haben. Sonst entstehen störende, destruktive Subtexte in der Inszenierung von Führung. Dabei ist aber zu beachten: Wie, d.h. wem (alles – nur) wird Erfolg/Misserfolg attribuiert?

    7.5 Führungsschulung

    Wissensorientierte sogenannte Führungsschulung ist als Education¹¹, als Entfaltung der Persönlichkeit, als intellektuelle Auseinandersetzung mit der Komplexität von Führung – Management – Organisation, kurz als Reservoir zahlreicher Anregungen und wichtiger Erkenntnisse, nützlich und sinnvoll. Die konkrete Transferleistung muss aber als eher mäßig angesehen werden, da Führen hauptsächlich vor Ort, on the job, und im gemeinsamen Aushandeln der Beteiligten gelernt werden muss und nur zum geringeren Teil off the job, d.h. ohne das aktive Einbeziehen der wichtigen Bezugsgruppen, gelernt werden kann. Education als Schwerpunkt des Leader Development dient der Identifikation und dem Aufbau der capabilities, also jener Kapazitäten, die für die Meisterung komplexer und daher nie «ideal» zu lösender Herausforderungen Voraussetzung sind. Eine mögliche Systematikskizze ist die folgende:

    * Zur professionellen Gestaltung der einzelnen Methoden vgl. die einschlägige Literatur.

    7.6 Career Designs – Career Development

    In den sogenannten Career Designs und dem Career Development ist die Führungsfunktion von den Management- und den anspruchsvollen Fachfunktionen sehr klar zu unterscheiden. Es gibt ausgeprägte Begabungen für Steuerungsaufgaben (Engineering), für Managementaufgaben und solche für Führungsaufgaben. Aus Gründen der Psychodynamik finden sich diese Begabungsstrukturen sehr selten zum gleichen Zeitpunkt in einer Person überdurchschnittlich ausgeprägt. Aber im Laufe eines Berufslebens kann sich das Profil mehrmals verändern. Da unser Verständnis von Führung nicht von der Konstellation der/die Eine (Führung) – die Vielen (Geführte, Gefolgschaft) ausgeht, sondern vom Feldgedanken, verteilen sich die drei Funktionen auf Personen und Gremien (Stäbe, Support). Die Übernahme der Führungsfunktionen soll slow open, d.h. allmählich, begleitet und zeitlich befristet erfolgen. Dies ist sinnvoll unter den Aspekten,

    –dass Führung sich an einem Führungsbedarf orientiert, der in der Regel nur intermittierend vorhanden ist,

    –dass es kein situations- bzw. kontextunabhängiges, universal «richtiges» (erfolgreiches) Führungsverhalten gibt, also immer wieder gelernt werden muss,

    –weshalb der Leader Match notwendig ist (d.h., in welcher Situation, Konstellation, hat welches Führungsverhaltensprofil und -potenzial die größte Bewährungswahrscheinlichkeit?), und

    –dass Evaluation und Feedback als Lernschritte und Grundlage für Neuentscheidungen genommen werden.

    Generell ist der Wechsel von Kaderpositionen mit Führungsaufgaben zu solchen ohne Führungsaufgaben und vice versa entlang der ganzen Laufbahn zu fördern, zumal fachliche Kaderaufgaben immer auch Management- und Steuerungsfunktionen beinhalten, nicht aber notwendigerweise echte Führungsaufgaben.

    8Ausblick: How can we train leaders if we don’t know what leadership is?

    BARKER hat sehr Recht mit seiner Feststellung im Jahr 1997: «How can we train leaders if we don’t know what leadership is?» Auch wenn das bisher Skizzierte und ebenfalls das Folgende abhängig von der Größe und der Art der Organisation sind, so kann sich ein professionelles Leadership Development nicht von folgenden Aufgaben dispensieren:

    Bezogen auf die interne Führungsforschung: Wie funktioniert bei uns (und konkret wo) Führung? Welche evaluierte Führungsqualität haben wir? Wie definieren (und attribuieren) wir Führungserfolg? Und wie wird (würde) unser Führungserfolg von außen (wem alles?) definiert und evaluiert (werden)? Die Beantwortung dieser und weiterer Fragestellungen soll sich nicht zu sehr von der gesellschaftlichen, branchenüblichen oder unternehmerischen Rhetorik beeinflussen lassen, sondern von den methodischen Erfordernissen einer prozessorientierten sozialwissenschaftlichen Empirie. Die interne Führungsforschung wird sich selbstverständlich selbst- und fremdkritisch mit dem Mainstream der externen Führungsforschung auseinandersetzen. Sie wird sich auch bewusst werden müssen, dass Führung, mehr noch als Management oder Steuerung, in einem Ethos wurzelt. Dieses kann weder als selbstverständlich vorausgesetzt noch soll es rein privat gehalten werden. Es muss transparent – und damit überprüfbar und kritisierbar gemacht werden.

    Wie kann das Spannungs- und unter Umständen Konfliktverhältnis von Steuerung und Management und der an sich «schwachen», weil psychischer Dynamik und emotionaler Logik folgenden Führung, die aber lokal und situativ völlig unverzichtbar ist und auch sehr effektiv sein kann, optimiert werden?

    Die Teilaufgaben des Leadership Developments, wie etwa der Potenzial-Identifizierung – Auswahlverfahren – Trainings – Mentoring – Personal Governance (siehe auch dazu das antike Sorge um sich selbst), müssen bei aller Typisierung und Standardisierung differenzierte, d.h. lokale Erfordernisse berücksichtigende, individualisierte Angebote und Verfahren sein, welche einen produktiven Match finden zwischen intermittierenden:

    Nochmals zurück zu dem alten Topos Führung und Persönlichkeit, Spielwiese und Friedhof so mancher Führungstheorie und Führungsschulung. Mindestens müsste dieser Topos erweitert werden zu Führung von und durch Persönlichkeiten. Person und Persönlichkeit von Führer und sogenannten Geführten sind keine isolierbaren Variabeln des Führungsprozesses. Sie sind hochgradig interaktiv und abhängig von den Variabeln, wie diese in Abschnitt 5.6 angedeutet wurden. Aber auch wenn die Variable Persönlichkeit nicht isolierbar und zudem ein wissenschaftlich umstrittener Begriff ist, so bleibt sie doch eine wichtige Variable. Einer der fundamentalen Traditionsstränge der ungefähr 3000-jährigen judeo-hellenochristlichen Geistesgeschichte¹³ und damit eine sehr bedeutende Stimme im mehrstimmigen Konzert der Bilder von Menschen ist die Personwerdung des Menschen. Als Mensch coram deo, der dadurch zur Person wird, als Identität, als Subjekt. Wer wollte bestreiten, dass Personen sehr viel (manchmal auch sehr wenig) bewirken können? What makes the difference? Das ist die spannende Frage! Auch die der Führungsforschung und Führungspraxis. Die sogenannte Persönlichkeit als Kompetenzzentrum, Ressource,

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