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Der Schatten des Herodes: Ein Aarberger Krimi
Der Schatten des Herodes: Ein Aarberger Krimi
Der Schatten des Herodes: Ein Aarberger Krimi
eBook219 Seiten2 Stunden

Der Schatten des Herodes: Ein Aarberger Krimi

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Über dieses E-Book

Im dritten Aarberger Krimi ist Ex-Kommissar Weber wiederum gefordert, als ihn Laura, seine Nachfolgerin bei der Berner Kripo, um Unterstützung in einem Fall bittet, bei dem Bewohner der Psychiatrischen Klinik in Aarberg unter Mordverdacht geraten. Als sich herausstellt, dass das Hightech-Fahrzeug, in welchem die Klinikleiterin tödlich verunfallte, auf raffinierte Art manipuliert worden war, überschlagen sich die Ereignisse.
Richtig dramatisch wird die Geschichte, als Bauarbeiter die Leiche einer Frau entdecken, die vor Jahrzehnten enthauptet und verscharrt wurde und Ex-Kommissar Weber bei seinen Ermittlungen einen Zusammenhang mit dieser Leiche und der getöteten Klinikleiterin erkennt. Die Spuren führen in die Vergangenheit, zu einem einst mächtigen Bewohner des Stedtlis, den die Aarberger Herodes oder den Braunen Ueli genannt und vor dem sie sich gefürchtet hatten. Es sollte nicht bei dem einen Leichenfund bleiben ...
Den oder die Mörder müssen wir im Umfeld der Psychiatrischen Klinik suchen, ist Ex-Kommissar Weber überzeugt.
Der dritte Aarberger Krimi von Andres Muhmenthaler bietet dem Leser wiederum viel Überraschendes und sorgt für Spannung bis zum Schluss.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum30. Okt. 2017
ISBN9783952475171
Der Schatten des Herodes: Ein Aarberger Krimi
Autor

Andres Muhmenthaler

Andres Muhmenthaler, geboren 1958 in Bern, unterrichtet an den Musikschulen Aarberg und Zollikofen/Bremgarten als Instrumentallehrer am Cello. In den letzten Jahren hat er sich vom Musikgeschichtenerzähler zum Roman- und Krimiautor entwickelt. Seinem Roman Zart besaitet folgten die Aarberger Krimis Der Wolf ist tot, Koste es, wen es wolle und Der Schatten des Herodes, die ihn über seine Heimat hinaus als «Seeland-Autor» bekannt gemacht haben.

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    Buchvorschau

    Der Schatten des Herodes - Andres Muhmenthaler

    Schlussworte

    1

    Der Plan

    Heute bist du fällig, du starrköpfiges Luder. Deine schwarze Vergangenheit holt dich endlich ein. Viel zu lang habe ich auf diesen Moment gewartet. Wie ein Kartenhaus wird alles zusammenbrechen, was du aufgebaut hast. Du hast deine Chance bekommen und sie vertan, jetzt wirst du büßen, denkt er. Meine Rechnung muss aufgehen, sie muss, sie muss! Und wenn nicht, bring ich dich eigenhändig um!

    Sein Gesicht ist wutverzerrt, die Augen starr auf das Display des Geräts in seiner linken Hand gerichtet. «Fahr zum Teufel, Rote Zora, deine Uhr ist abgelaufen», flüstert er. Beinahe muss er grinsen bei diesen Worten und findet den Vergleich mit Wilhelm Tell gar nicht schlecht. Auch er sieht sich als Rächer, als Kämpfer für die Gerechtigkeit. «Mal sehen, wer zuletzt lacht! Du wolltest nicht teilen, jetzt verlierst du alles!» Langsam bringt er sich in Position.

    Auf seinem Display sieht er, dass sie mit dem Hightech-Auto soeben in Aarberg losgefahren sind. Er nimmt es befriedigt zur Kenntnis. Genial, diese Technik, denkt er, alle werden sich wundern. Mein verpfuschtes Leben bekommt einen neuen Sinn. Wenigstens für die Zeit, die mir noch bleibt. Doch stopp jetzt, klaren Kopf bewahren! Nichts vermasseln…

    Auf dem kleinen Monitor beobachtet er die Fahrt des Wagens mit der kostbaren Fracht. Gleich wird sie die ehemalige Klosteranlage der heutigen Alters- und Pflegeklinik Frienisberg passieren. «Noch genau zwei Minuten, meine Liebe!», haucht er vor sich hin. Meine Position ist optimal. Sobald ich den Wagen dort vorn über die Kuppe kommen sehe…

    2

    Das Attentat

    Silvia Möri, Ärztin und Leiterin der Psychiatrischen Klinik in Aarberg, sitzt erstmals anstelle ihres Ehemannes Uwe am Steuer seines Hightech-Wagens. Wie immer, wenn sie in den letzten Tagen zu den Proben nach Bern fuhren, ist Paganini alias Urs Lehmann mit seiner kostbaren Stradivari-Geige im Arm hinten eingestiegen.

    *

    Hoffentlich wird der Spinner Silvia nicht noch bitten, in seinem heiligen, neu hergerichteten Raum der Ruhe oder – wie er zu Klosterzeiten hieß – im Refektorium, ein Stoßgebet auf das Gelingen seines Konzertes aussprechen zu gehen, sonst ist mein genialer Zeitplan im Eimer, weiß er und kann sich der aufkommenden Nervosität fast nicht mehr erwehren.

    *

    «Fahr vorsichtig! Du weißt, meine Geige!», ist die Litanei, welche Uwe pro Fahrt zu den Proben mehrmals vom einstigen Wunderkind zu hören bekam. Doch heute, mit Silvia am Steuer, bleibt er stumm. In der Stellung eines Ungeborenen umklammert er den Geigenkasten. Silvia hatte Mühe, ihn überhaupt in den Wagen zu kriegen, denn heute ist der große Tag. Nach über zwanzig Jahren Bühnenabstinenz wegen seiner psychischen Probleme soll er in Bern sein Solisten-Comeback geben.

    Die Vorbereitungsphase lief ganz nach Plan. Ermutigt durch die gelungenen Proben im Zusammenspiel mit dem Berner Sinfonieorchester konnte er seine anfängliche Verkrampfung ablegen. Sein berührendes Spiel auf den Saiten, in das sich Silvia schon zu Jugendzeiten verliebt hatte, war wunderbarerweise wieder da. Die Erwartungen sind riesengroß. Nur mit Mühe hat Silvia ihren Schützling und sich vom Presserummel abschirmen können. Die Aufmerksamkeit ist insbesondere auch von der Boulevardpresse geschürt worden. Was nicht weiter erstaunt.

    Erstens ist Paganini einst von Seiten seiner Eltern als Wunderkind richtiggehend vermarktet worden und hatte dadurch einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht. Zweitens birgt die Tatsache, dass der mittlerweile vierundvierzigjährige Urs Lehmann die letzten zwanzig Jahre seines Lebens als Gebrochener und in mehreren Kliniken vergeblich Therapierter aus seinem Schatten tritt und zurück auf die Bühne kommt, durchaus Wundercharakter. Vom Psychopathen zum Star, oder so…

    Insbesondere Paganinis ehrgeizige Eltern galt es auf Distanz zu halten. Sie meldeten sich fast täglich in der Aarberger Klinik und wollten Urs zu sich nach Bern holen. Sie, welche in der Krisenzeit beschämt weggesehen hatten, waren jetzt plötzlich wieder da und versuchten, ihren früheren Vorzeigesohn aus den Fängen von Silvia, dieser Hexe, wie sie die Psychologin bezeichnen, herauszulösen und unter ihre Fittiche zu nehmen. Ihr Neid auf Silvia, die es geschafft hat, ihrem Ursli sein fehlendes Selbstvertrauen zurückzugeben, ist riesig. Vergebens hat Silvia das alte Ehepaar Lehmann gebeten, erst nach den Konzerten wieder ins Leben ihres Sohnes zu treten, da sein Zustand immer noch äußerst fragil sei.

    Während der Fahrt ertappt Silvia sich immer wieder, dass sie in den Rückspiegel schaut, um Paganinis Zustand zu überwachen. «Du musst zu deiner Nervosität stehen!», hat sie ihm geraten. «Die unruhige Nacht vor dem Konzert ist normal, weißt du, auch ich habe kaum ein Auge zugedrückt. In Bern angekommen werden wir noch unser Ritual durchspielen, und anschließend wird es bestimmt klappen. Du hast den Mozart so verinnerlicht, dass du völlig befreit aufspielen kannst. Alle drücken dir die Daumen. Das wird dir Halt geben, glaube mir!» So und ähnlich hat sie ihm vor der Abfahrt wiederholt zugeredet.

    Doch was sie auf der Fahrt im Rückspiegel sieht, beunruhigt sie. Paganini zittert am ganzen Leib. Krampfhaft umklammert er seine Geige. Um ihn abzulenken, beginnt Silvia belanglose Geschichten aus ihrer Jugendzeit zu erzählen.

    «Dort drüben am Rande der Lichtung haben wir einst mit unserem Lehrer der Unterstufe ein Tipi-Indianerlager aufgebaut. In der Nacht sind wir dann schlafend unter der Zeltplane ins Freie gerollt und feucht vor Tau in aller Herrgottsfrühe aufgewacht. Der erste Sonnenstrahl…» Silvia bricht ihre Erzählung abrupt ab, als ein Stoß durchs Auto geht. Wie auf Schienen fährt der Wagen anschließend geradeaus. Geistesgegenwärtig tritt Silvia mit voller Kraft auf die Bremse. Vergebens, denn neben der Steuerung sind auch die Pedale blockiert. Das Hightech-Auto aus den Staaten gehorcht ihr nicht. Selbst die Handbremse, an der Silvia verzweifelt reißt, scheint wie ausgeschaltet. Nun geht alles sehr schnell. «Dieser verdammte, uneinsichtige Scheiß…» flucht sie, als sie realisiert, dass das Auto ungebremst von der Straße abkommt und durchs Unterholz auf eine riesige Fichte zurast.

    Die von ihrem Beruf stresserprobte Frau nimmt noch wahr, dass eine zu einem breiten Grinsen verzogene Fratze hinter einem Fichtenstamm hervorschaut. Im letzten Moment duckt sich Silvia.

    «Oh Tannenbaum…!», hört sie Paganini wie aus einer fremden Welt. Ein gewaltiger Aufprall, und sie stürzt in eine tiefschwarze Unendlichkeit.

    3

    Konzert abgesagt

    Heiri Weber, der frühere Hauptkommissar der Kripo Bern, freut sich wie ein Kind auf das große Ereignis. Seit Tagen, besser gesagt, seit der Rückkehr von ihrer mehrmonatigen Europareise im Wohnmobil, fiebert er der Sensation entgegen. Mit seiner Frau Rita hat er in Bargen den Siebzehn-Uhr-Zug in Richtung Lyss–Bern bestiegen, um keinesfalls den Konzertbeginn um zwanzig Uhr im Kulturcasino Bern zu verpassen. Während Rita ahnungslos und daher fast emotionslos die Gratiszeitung 20 Minuten durchblättert, die zuvor auf ihrer Sitzbank gelegen hat, schaut Heiri gutgelaunt der am Fenster vorbeiziehenden Landschaft nach. Seine Gedanken kreisen um Paganini, den Solisten, dem es offensichtlich gelungen ist, seine Second Chance zu nutzen. Will heißen, dass er aus seinem Burn-out und psychischen Loch nach beinahe zwanzig Krisenjahren auf die Bühne zurückgefunden hat. Den wohl größten Anteil an seinem wundersamen Comeback trägt sicher Silvia Möri, Doktor der Psychologie und Leiterin der Psychiatrischen Klinik in Aarberg. Sie hat ihn unter ihre Fittiche genommen und in unzähligen Therapiestunden wieder aufbauen können. Es würde mich nicht wundern, wenn sich Silvia damit weit über Aarberg hinaus einen Namen als «Wunderheilerin» machen würde, überlegt Heiri und schmunzelt zufrieden.

    Erstaunlich, welch positive Wirkung ihr Vertrauen dem einstigen Wunderkind mit seinen genialen geigerischen Fähigkeiten gegenüber tat. Eine größere Genugtuung, als ihn heute als Solisten, begleitet vom Sinfonieorchester Bern, auf der großen Bühne spielen zu sehen, kann man sich nicht vorstellen, sinniert er. Die Vorfreude aufs Konzert ist begleitet von der Sorge um ein mögliches Versagen von Paganini. Dies käme einer Katastrophe gleich, weiß Heiri und wischt sich mit dem Taschentuch die Schweißtropfen von der Stirn. Das Verlangen nach dem Rauchen, das er verspürt, macht ihn noch nervöser. Ärgerlich konstatiert er, dass ihm das Pfeifenrauchen auf der halbjährigen Europareise zur Gewohnheit geworden sein muss. Um diesem Verlangen etwas entgegenzuwir-ken, schiebt er sich einen Kaugummi in den Mund.

    «Willst du mir nicht endlich das Ziel unserer Reise bekannt geben?», fragt Rita, schon etwas besorgt ob seiner steigenden Nervosität. Ich komme mir ein wenig vor wie an unserem Hochzeitstag, als ich auch, in Gala gekleidet, als Braut entführt wurde. Weißt du noch?»

    Heiri nickt. «Ja, dein plötzliches Verschwinden damals hat mich ebenso ins Schwitzen gebracht. Und weißt du was? Ich ärgere mich heute noch, auf den Tag genau nach vierzig Jahren, darüber, dass Esther, mit diesem aus Bayern importierten Brauch, uns beinahe das Fest versaut hat. Ihr ging es doch nur um eine Selbstinszenierung. Eine typische Sängerin halt! – Ich verspreche dir, dass dies heute ein viel genüsslicherer Abend wird. Trotzdem lasse ich mir die Würmer nicht aus der Nase ziehen, du weißt doch am besten, wie stur ich sein kann, hm!», albert er und küsst Rita auf die Wange.

    «Also gut, dann erzähle mir bitte wenigstens, wie du heute Morgen dein Aarberg, das du auf unserer Reise so vermisst hast, angetroffen hast.»

    «Gut, eigentlich unverändert! Hauptthema ist nach wie vor der baldige Baubeginn der Migros auf der Ostseite des Stedtlis. Die Meinungen sind nach wie vor kontrovers. Alte Querelen werden neu aufgekocht. Das Coop-Lager scheint nach wie vor die Oberhand zu haben. Die Migros-Fans, die jahrzehntelang nach Lyss zum Einkaufen fuhren, haben sich zum Teil umbesonnen und zu Denner oder Lidl, gewechselt. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass Aarberg ganz gut ohne die Migros ausgekommen wäre. Hoffentlich haben die Aarberger mit der Stedtlianbindung an den neuen orangen Konsumtempel kein Eigentor geschossen. Egal, das wird sich zeigen. Lächerlich, wie sich die Menschen mit ihrem bevorzugten Lebensmittelladen identifizieren. Viele scheinen weder reformiert, noch katholisch, noch muslimisch zu sein, sondern Migros-, Coop- oder Aldi-Menschen zu werden!»

    «Der Mensch ist ein Gewohnheitstier», findet Rita. «Schau, auch wir sind nicht anders gestrickt. Schon oft habe ich mich gefragt, warum ich täglich die gleiche Walkingstrecke wähle, oder du deinen Tearoom-Besuch bei Steffens sogar in Griechenland vermisst.» Das Gespräch über diese Thematik endet in einem psychedelischen Disput. Unter anderem geht es darum, ob Pensionierte die erlangte Freiheit des Tun-und-Lassen-Könnens nicht aushalten und sich daher an immer wiederkehrenden Gewohnheiten als Struktur im Alltag festklammern.

    Nachdem sie an der «Front», sprich auf dem Bärenplatz, etwas Kleines gegessen haben, legt Heiri die bereits erstandenen Logenplatz-Karten für das Konzert auf den Tisch. «Paganini spielt dein Mozart-Lieblingskonzert, stell dir vor, und dies genau heute an unserem Goldenen Hochzeitstag. Welch ein Glück, welch ein Zufall. Das Konzert ist seit Wochen ausverkauft!», verkündet er sichtlich bewegt.

    «Aber doch nicht der Paganini aus Silvias Klinik!», ruft Rita völlig überrascht. «Das hättest du bestimmt nicht so lange vor mir geheim halten können, oder?»

    «Doch, doch. Da du weder Tageszeitungen liest noch Lokalfernsehsendungen guckst, konntest du nichts ahnen, und ich habe mich bewusst zurückgehalten. Es ist doch schön, nach vierzig Ehejahren immer noch Geheimnisse voreinander zu haben!», entgegnet er und beginnt dann, von Paganinis langem Weg zurück zum Solisten zu erzählen.

    Heiri freut sich über Ritas positive Reaktion. Als frühere Supervisorin erkennt sie sofort, welch wundersame Heilung Silvias Therapie in Paganini ausgelöst haben muss. «Diese Frau Möri, eure Rote Zora, muss tatsächlich immense Kräfte besitzen, um Menschen so aufbauen zu können. Im Mittelalter hätte man sie höchstwahrscheinlich auf deinem Aarberger Stedtliplatz als Hexe verbrannt, glaubst du nicht auch? Das Beispiel Paganini zeigt eindeutig, wie wichtig es ist, Vertrauen in einen Menschen zu haben. An jemanden glauben, hilft diesem, Berge zu versetzen, nicht wahr?»

    «Welch kluge Frau ich doch habe», blafft Heiri und meint dies für einmal nicht ironisch, obwohl ihm Rita unter dem Tisch einen Tritt ans Schienbein versetzt.

    Leider unterläuft ihm dann ein Regiefehler. Ohne sich viel dabei zu denken, zieht er, kaum im Freien angelangt, seine Tabakpfeife aus dem Mantelsack und will sie sich nach dem Stopfen anzünden. Rita, die diese Szene beim Betrachten eines Schaufensters im Spiegelbild beobachtet, reagiert äußerst heftig und schlägt ihm die Pfeife beinahe aus dem Mundwinkel.

    «Ist es schon so schlimm mit deiner Sucht! Du weißt, einen Raucher hätte ich niemals geheiratet!» Wie ein kleiner Junge, der von seiner Mami zurechtgewiesen wird, nicht in der Nase zu popeln, lässt Heiri die Pfeife schuldbewusst wieder in seiner Manteltasche verschwinden.

    Die gute Stimmung, die er mit seiner ausgeklügelten Regie aufgebaut hat, ist im Eimer. Die alten Eheleute gehen fortan mürrisch und wortlos nebeneinander her und bleiben erst beim Zytgloggeturm stehen, wo Heiri mit dem Hinweis: «Schau, es ist sieben Uhr, wir können zur Feier des Tages auch noch rasch das Glockenspiel ansehen!», das nervenzehrende Schweigen zu durchbrechen versucht.

    Artig folgt ihm Rita, welche ob ihrer heftigen Reaktion selbst etwas erschrocken ist, hinüber in die Kramgasse. Einigermaßen versöhnt durch das Uhren-Spektakel mit dem Figurenkarussell und dem krähenden Hahn überqueren sie anschließend voller Vorfreude aufs Konzert die Münstergasse. Ihre verbesserte Stimmung erleidet jedoch bald einen zweiten, diesmal kaum zu verkraftenden Dämpfer.

    Konzert abgesagt, auf unbestimmte Zeit verschoben!

    Ungläubig lesen sie die Hiobsbotschaft, die an den verschlossenen Türen des Casinosaales angebracht ist. Heiris Gedanken rasen. Haben Paganinis Nerven nicht gehalten?, fragt er sich. Die Anspannung muss für ihn wohl groß gewesen sein und die Angst, zu versagen, noch größer. Also doch kein zweites Wunder von Bern, wie Uwe, Silvias deutscher Lebenspartner, angekündigt hat, sondern der zu befürchtende Rückfall in die Muster der Psychose. Doch wie hat sich die gezeigt? Hatte er einen Zusammenbruch? Ist er vor sich selber geflüchtet und hat sich in seinem Zimmer verschanzt? So etwas in dieser Richtung ist naheliegend, denkt Heiri und versucht, durch einen der Nebeneingänge ins Casino zu gelangen.

    Wenn die Absage so kurzfristig mitgeteilt werden musste, müssten doch hier ein paar Musiker zu sehen sein, die normalerweise zwischen der Einspielprobe und dem Konzert auf dem Gehsteig noch etwas Sauerstoff tanken oder kurz eine Zigarette rauchen gehen. Aber nichts! «Be triebsferien!», brummt Heiri trocken, als ihn beim Zurückgehen zur ebenso enttäuschten Rita ein Anruf erreicht.

    Sofort erkennt er Lauras Stimme, die Stimme seiner langjährigen Kripo-Assistentin. Was er nun zu hören kriegt, lässt ihn erschauern. Silvia Möri habe auf der Fahrt nach Bern, im Frienisbergwald, einen tödlichen Unfall gehabt. Paganini müsse hinten im Wagen gesessen und den Unfall wohl deswegen überlebt haben. Von ihm fehle jedoch jede Spur. Verschiedene Personen aus Silvias Aarberger Umfeld seien noch vor der Polizei am Unfallort eingetroffen. Ein Waldarbeiter wurde zufällig Zeuge des Unfalls. Er habe die Verunfallten gekannt und daher vor der Polizei bereits die Psychiatrische Klinik in Aarberg kontaktiert. Wendy habe den Anruf entgegengenommen und umgehend die Kantonspolizei informiert. Marc sei mit Wendy daraufhin unverzüglich zum Unfallort gefahren. Sokrates, der praktisch mit der Todesnachricht in der Klinik eingetroffen sei, habe dann den Laden, wie er zu sagen pflegt, übernommen und telefonisch die Konzertabsage veranlasst.

    Heiri aktiviert den Lautsprecher an seinem Handy, um Laura besser zu verstehen. Rita steht neben ihm und hört gebannt mit.

    «Er hat mich vorhin angerufen», spricht Laura weiter, «und mich aufgefordert, doch bitte die Sache in die Hand zu nehmen und mir wenigstens den Unfallort anschauen zu gehen. Vergeblich versuchte ich ihm klarzumachen, dass der Dienstweg einzuhalten sei und die Kantonspolizei uns bei Verdacht auf einen Mordanschlag dann schon aufbieten würde. Seine Argumente überzeugten mich jedoch. Ich ließ mich mit dem Kollegen am Unfallort kurzschließen. Sein Kurzrapport brachte mich zum

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