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Lena: Ja zum Leben
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eBook161 Seiten2 Stunden

Lena: Ja zum Leben

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Über dieses E-Book

Als ob Lena nicht schon genug Kummer wegen der Trennung ihrer Eltern hätte, macht ihr nun auch ihr Bruder Jonas große Sorgen, der von der Polizei abgeführt und in Untersuchungshaft gebracht wird, weil man ihn verdächtigt, ein Asylantenheim in Brand gesteckt zu haben.
Ein einzigartiges Geschenk verändert alles: Ihr kürzlich verstorbener Großvater hat ihr sein Cello vermacht, welches Mateo Balestrieri, ein Schüler des berühmten Nicola Amati, im siebzehnten Jahrhundert in Cremona gebaut hatte. Der Maestro hat verfügt, dass sein Instrument nie aus kommerziellen Gründen weiterverkauft werden darf, sondern vom jeweiligen Besitzer einem Seelenverwandten vermacht werden soll. Die Beschenkten verpflichten sich zudem, das Cello-Tagebuch mit persönlichen Einträgen aus ihrem Leben zu ergänzen.
Lena findet kaum Zeit, all die spannenden Tagebucheinträge der bisherigen Balestrieri-Besitzer zu lesen, die zu Zeiten des Sonnenkönigs, der Französischen Revolution, Napoleons und der beiden Weltkriege gelebt haben, denn die Ereignisse in ihrem eigenen Umfeld überschlagen sich, als sie herausfindet, dass Jonas illegal afrikanische Flüchtlinge versteckt hält.
Das Erbe des Maestros hatte großen Einfluss auf das Schicksal seiner Nachfolgerinnen und Nachfolger. So auch auf Lena: Sie stellt sich den Herausforderungen in ihrem noch jungen Leben.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum31. Jan. 2018
ISBN9783952484531
Lena: Ja zum Leben
Autor

Andres Muhmenthaler

Andres Muhmenthaler, geboren 1958 in Bern, unterrichtet an den Musikschulen Aarberg und Zollikofen/Bremgarten als Instrumentallehrer am Cello. In den letzten Jahren hat er sich vom Musikgeschichtenerzähler zum Roman- und Krimiautor entwickelt. Seinem Roman Zart besaitet folgten die Aarberger Krimis Der Wolf ist tot, Koste es, wen es wolle und Der Schatten des Herodes, die ihn über seine Heimat hinaus als «Seeland-Autor» bekannt gemacht haben.

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    Buchvorschau

    Lena - Andres Muhmenthaler

    Epilog

    1

    Die Patriots

    «Lena, willst du nicht anfangen?!», fragt Lehrer Zimmermann aufmunternd, leicht mahnend. Ihm ist nicht entgangen, dass seine sonst so selbstständig arbeitende und gute Schülerin immer noch reglos auf das Aufgabenblatt der Mathematikprüfung starrt. Lenas abwesender Blick geht durch den noch druckfrischen Testbogen hindurch ins Leere.

    Unablässig muss sie an die Geschehnisse des frühen Morgens denken.

    «Jonas ist ein Mörder!», hämmert es in ihrem Kopf, als würde das Unfassbare soeben in Stein gemeißelt. Ihre Gedanken kreisen, und sie versucht vergeblich, sich gegen dieses Urteil zu stemmen: Er ist doch mein Bruder! Nein, er kann es nicht gewesen sein!, möchte sie schreien, doch ihre Stimme versagt.

    Genau wie vor einer Stunde, als der sechzehnjährige Jonas, flankiert von zwei Polizisten, wie ein Schwerverbrecher vor ihrer Haustür zum Streifenwagen abgeführt worden ist. Ich schaffe das nicht! Hilfe!, schreit ihr Herz. «Jonas wird verdächtigt, im Asylantenheim Feuer gelegt zu haben. Eine Flüchtlingsfrau, Mutter von zwei kleinen Kindern, ist an den Rauchemissionen erstickt!» Die Erklärung des hageren Dienstmanns versetzte sie in Schockstarre, die sich jetzt allmählich zu lösen scheint.

    Sie sieht nochmals den zweiten, dumm grinsenden Polizisten vor sich und erinnert sich an dessen empörenden Kommentar: «Ich bin ja auch gegen das Ausländerpack, aber gerade so…!» Verdammt, in was für einer Welt lebe ich eigentlich? Unter normalen Umständen hätte ich diesem Arsch wohl zumindest vor die Füße gespuckt, weiß Lena. Doch weder sie noch ihr ohnehin meist verschlossener Bruder waren zu einer Reaktion fähig gewesen. Und deshalb, ja gerade deshalb macht sich Lena jetzt große Vorwürfe.

    Ich habe es verpasst, zu intervenieren. Ich hätte der Polizei erklären können, dass Jonas noch zur Schule geht, hätte wenigstens den Vater oder die Mutter benachrichtigen müssen oder – wie man es aus Krimis kennt – Jonas ein Alibi zur Tatzeit geben sollen. Derartige Gedanken jagen Lena durch den Kopf. Nein, mein Bruder ist doch kein Mörder! Mag sein, dass er sich auch mal fremdenfeindlich geäußert hat, aber…

    «Was ist los, geht es dir nicht gut?», erkundigt sich der sichtlich irritierte Mathelehrer. «Keine Lust auf Schule heute? – Für eine angehende Gymnasiastin sollten solch einfache Gleichungen doch…»

    «Was? – Entschuldigung!», meldet sich Lena, als käme sie verspätet aus dem Urlaub zurück. Ihr Gesicht läuft rot an. Sie nimmt die ersten gemeinen Tuscheleien von Mitschülerinnen und Mitschülern wahr. «Oh je, jetzt kriegt sie eine Zwei, wie ich immer!», höhnt Luca und löst damit ein schadenfrohes Gekicher aus. Unruhe entsteht, denn alle finden, dass in der ersten Stunde nach den Herbstferien sowieso nicht der richtige Zeitpunkt für einen Mathematiktest ist.

    «Bist du schwanger?», zischt Francis. Hast du es im Urlaub mit einem Italiener getrieben?»

    Lena geht nicht auf die Provokationen ein. Trotzdem hat Herr Zimmermann Mühe, im Klassenzimmer für Ordnung zu sorgen. In seiner Not schickt er Lena für einen Moment nach draußen an die frische Luft. «Du bist mir in der Pause eine Erklärung unter vier Augen schuldig, du verstehst schon!», sagt er nicht unfreundlich. Lena nickt, steht auf und drückt ihrem kopfschüttelnden Lehrer beim Hinausgehen das leer gebliebene Aufgabenblatt in die Hand.

    Erst als sie die Glastür zum Pausenplatz aufstößt, werden ihre diffusen Gedanken wieder konkreter. Richtig, genau hier hat der Anfang vom Ende stattgefunden. Nullkommaplötzlich sieht sie die aufgesprayten Parolen an der Fassade: Ausländer raus! Die Schweiz den Schweizern! und Flüchtlinge unerwünscht! Diese Sprüche empfingen die Oberstufenschülerinnen und Schüler vor zwei Monaten, bei Schuljahresbeginn, im Eingangsbereich ihres Schulhaustraktes.

    Richtig. Schon damals durchlebte Lena einige Schreckensmomente. Am liebsten hätte sie an diesem heißen Augusttag auf der Stelle kehrtgemacht und sich für den kurz bevorstehenden Schulstart krankgemeldet. Doch für einen feigen Rückzug wars zu spät. Der Verdacht, Jonas und Tim seien die Urheber dieser verabscheuungswürdigen Provokation, ließ sie erschauern. Die Begrüßungsbotschaft an der verschlossenen Tür zum Pausenplatz lautete: Zutritt nur für Eidgenossen!

    Mit gut fünfminütiger Verspätung öffnete der Schulleiter höchstpersönlich die Tür und trat auf den Pausenplatz. Ohne ein Grußwort an die rund zweihundert Schüler zu richten, rollte er das mehrfach vergrößerte Pressebild des kleinen ertrunkenen Flüchtlingsjungen auf, welches damals als erstes himmelschreiendes Pressebild um die Welt gegangen war. Es zeigte einen im Mittelmeer ertrunkenen, etwa fünfjährigen schwarzhaarigen Buben, der kurz zuvor vom Meer an Land, ins gelobte Europa, gespült worden war.

    «Ist das eure Antwort auf das Leid der Flüchtlinge, die zu uns wollen?! Schämt euch!», wetterte Herr Gerber mit bebender Stimme. Dieser Hieb saß. Eine große Betroffenheit machte sich breit. «Noch heute werden wir herausfinden, wer diese niederträchtigen Schmierereien zu verantworten hat!», fuhr er fort. «Ich erkläre zudem die Auseinandersetzung mit dem Flüchtlingsstrom zum Hauptunterrichtsthema der nächsten Wochen. Im hintersten und letzten Klassenzimmer unseres Schulhauses soll über Diskriminierung und Rassismus gelehrt und diskutiert werden.»

    Lena hatte diese klaren Worte des Rektors nur am Rand mitbekommen. Vergeblich versuchte sie damals, ihren Bruder Jonas in der Schülermenge auszumachen, um in seinem Gesicht eine Andeutung von Schuld oder Unschuld ablesen zu können. Innerlich hatte sie ein Stoßgebet gesprochen: Bitte, bitte, lieber Gott, wenn es dich überhaupt gibt, mach, dass er nichts mit der Sprayer-Aktion zu tun hat!

    Lena wusste um Jonas’ Mitgliedschaft bei den Real Patriots. Er war so etwas wie die rechte Hand seines Busenfreundes Tim Rohrbach, des Anführers der Gang. Der Hass dieser «echten Eidgenossen» richtete sich bisher ausschließlich gegen ein paar vorlaute und unsympathische Secondos, deren Eltern seinerzeit aus dem Balkankrieg geflohen waren.

    Lena hatte ihre gegenseitigen Prahlereien und die paar kleinen Scharmützel jedoch als typisches Knaben-Machogehabe abgetan. Im Grunde ging es den Jungs auf beiden Seiten doch eigentlich nur darum, den Chicks, wie sie die Mädchen despektierlich nannten, zu imponieren.

    Jonas ein Fremdenhasser? Niemals! Und doch hätte sie ihm diesen Schulhausstreich absolut zugemutet. Vielleicht wollte er den Bandenmitgliedern und insbesondere Tim, dem Boss, seinen Mut oder seine Solidarität beweisen.

    Wie immer nach den Ferien gab Frau Zürcher jedem Einzelnen die Hand zur Begrüßung. Doch diesmal fragte sie nicht, ob es schön war in den Ferien, sondern: «Weißt du etwas über die Urheber dieser Schmierereien?» Bei Lena fügte die Lehrerin noch an: «Hat vielleicht dein Bruder Jonas damit zu tun?». Lena stieg die Röte ins Gesicht. Sie wich dem fragenden Blick von Frau Zürcher aus. Ihre Reaktion und Antwort fiel dann zu aller Überraschung sehr heftig aus: «Lassen Sie bitte meinen Bruder in Ruhe! Nur weil er Ihre Franzwörter nicht lernt und bei den Patriots mitmacht, ist er noch lange kein Rechtsextremist! Die kollektive Anschuldigung des Rektors von vorhin fand ich übrigens gemein. Vermutlich beschäftigen die täglichen Schreckensbilder von Flüchtlingen und Kriegsversehrten uns Jugendliche mindestens so stark wie euch Erwachsene!»

    Alle horchten auf, denn so dezidiert hatten sie Lena, der bisher der Ruf einer angepassten Streberin anhaftete, noch nie auftreten sehen. Und nun geschah etwas Unerwartetes. Aus der ihr sonst eher feindlich gesinnten Klasse wurde ihr wohlwollend zugenickt und von Einzelnen gar applaudiert. Frau Zürcher war betroffen.

    Sie schluckte zweimal leer, bevor sie dann gerührt, aber sachlich antwortete: «Da gebe ich dir teilweise Recht Lena, entschuldige!» Und an die Klasse gewandt fuhr sie fort: «Bestimmt seid ihr aber im Herzen auch der Meinung, dass der Rektor und auch wir auf solch üble Schmierereien reagieren müssen, nicht wahr! Es kann nicht sein, dass wir dem menschenverachtenden Rechtspopulismus in unserer Heimat nicht entgegenwirken!»

    Die meisten begleiteten diese Stellungnahme mit einem zustimmenden Nicken. Die vom Rektor auferlegte Auseinandersetzung mit der Thematik war lanciert. Die folgenden zwei Lektionen wurden für Lena zu den interessantesten Stunden ihrer bisherigen Schullaufbahn. Es erging ihr wie Frau Zürcher. Sie staunte, zu welchem Engagement ihre Mitschülerinnen und Mitschüler plötzlich fähig waren. Ihre Argumente hatten Hand und Fuß. Am eindrücklichsten fand Lena Leons Vorschlag. Am meisten staunte sie jedoch über Beni, den sie wegen seiner hohen Stimme meist nur Bubi nannten. Seine gut durchdachten Voten könnte sie auch nach zwei Monaten noch fast wörtlich wiedergeben:

    «Also ich finde die Sprayer-Aktion nicht so schlimm, denn die Parolen sind größtenteils identisch mit den Schlagworten unserer größten Volkspartei!», war der Kernsatz seiner Argumentation. Sein Lösungsvorschlag verblüffte alle:

    «Könnten Sie uns nicht heute frei geben, Frau Zürcher? Wir würden durch unsere Gemeinde gehen und diese unzähligen fremdenfeindlichen Wahlplakate runterreißen, verbrennen und an ihrer Stelle eigene aufkleben. Zum Beispiel mit Slogans wie «Herzlich willkommen, Mitmenschen! Wir sind alle Brüder» oder «Wir sind bereit, zu teilen!»

    Wie im Nu verging die Zeit bis zur großen Pause. Leider folgte gleich darauf der große Schock. Der Schulleiter bitte alle nochmals in den Pausenhof, war die Botschaft, welche die Sekretärin kurz vor zehn Uhr allen Klassen zu überbringen hatte. Lenas Anspannung stieg erneut. Hat jemand die Tat zugegeben? Was geschieht jetzt? Vor allem der Gedanke an ihren Bruder Jonas löste Unbehagen und diffuse Ängste in ihr aus. Was, wenn Jonas letzte Nacht abgeschlichen ist und doch…?

    Die Ohnmachtsgefühle waren dieselben wie heute Morgen! konstatiert sie bitter und versucht vergeblich, ihre Gedanken wieder auf den heutigen Tag zu fokussieren. Etwas zwingt sie, den Sommertag von damals und insbesondere was in der großen Pause geschah, nochmals Revue passieren zu lassen.

    Beim Hinausgehen schaute sich Lena erfolglos nach Jonas um. Was angesichts der Riesenmenge von Schülerinnen und Schülern, die alle ins Freie drängten, wenig erstaunen mochte. Lena wurde immer nervöser. Draußen bildeten sich die üblichen Gruppierungen. Am linken Flügel machten sich die noch schulpflichtigen Balkis breit, wie Jonas und seine Klicke ihre Feinde nennen. Ihnen gegenüber scharten sich die paar Jungs aus Tims Patriot-Gruppierung.

    Warum ist Jonas nicht dabei? Wo bleibt er nur?! Hat ihn die Polizei?!, durchzuckte es Lena damals. Die zwei bis drei Minuten bevor der Rektor vor die Schülerschar trat, schienen ihr unendlich lang. Im Schlepptau des Schulleiters folgte Jonas. «Jonas Liechti möchte euch etwas sagen», verkündete Herr Gerber und bat um Aufmerksamkeit.

    Hat man ihn verpfiffen, war er wirklich dabei? fragte sich Lena besorgt. Monika stieß sie in die Rippen: «Ist das nicht dein Bruder?!», zischte sie. Doch schon begann Jonas zu sprechen:

    «Hallo zusammen! Ich war es! Ich übernehme die volle Verantwortung und bin bereit, die Konsequenzen für mein Tun zu tragen!»

    Lena zuckte zusammen. «Er kann es nicht gew…», wollte sie schreien, doch kein Laut kam über ihre Lippen. Die Reaktionen der Umstehenden waren sehr unterschiedlich: Buhrufe und Beschimpfungen, aber auch ungläubiges Staunen und Ratlosigkeit waren auszumachen.

    Insbesondere das Verhalten der Balkis verblüffte Lena. Statt Hohn und Spott löste Jonas mit seinem Auftritt bei ihnen Kopfschütteln und Erstaunen aus. Die Erklärung folgte auf dem Fuß. Motorenlärm brauste auf,

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