Herbergsuche: Andere Weihnachtsgeschichten
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Buchvorschau
Herbergsuche - Ludwig Roman Fleischer
Ludwig Roman Fleischer, Herbergsuche
© Ludwig Roman Fleischer und Sisyphus 1995 und 2012.
3. Auflage 2004. Erstauflage 1995, mit Unterstützung des BMWFK und der Stadt Wien.
Umschlaggestaltung Stefan Zefferer, unter Verwendung einer Zeichnung von Eva Lepold.
www.sisyphus.at
ISBN 978-3-901960-65-9
Der Autor
Ludwig Roman Fleischer
wurde 1952 in Wien geboren und lebt da als Lehrer und Schriftsteller. 1990 gewann er beim Bachmann-Wettbewerb den Ernst Willner-Preis. Seither sind von ihm ein knappes Dutzend Bücher erschienen; zuletzt »Edam und Ava« (Ein Schüttelreimepos nach John Milton, Sisyphus 2004) und »Weihnachten im Entzug« (Roman, Sisyphus 2004).
Das Buch
Herbergsuche
Andere Weihnachtsgeschichten
Meine Romane sind Langzeitbeziehungen, meine Kurzgeschichten One-Night-Stands, sagt Ludwig Roman Fleischer über seine Prosa. In seinem zweiten Erzählband diente ihm das »unbewegliche« Fest Weihnachten als Bezugsuniversum: elf satirisch-melancholische One-Night-Stands zur Stillen Nacht.
In den elf Erzählungen spielt der Autor mit Weihnachtsmythen, entfremdet sie, bricht sie, und setzt sie in einer Wirklichkeit neu zusammen, die keine Illusionen duldet. Jungfernzeugung, Herbergsuche, Erlösersegen, Weise aus dem Morgenland, Flucht nach Ägypten und andere wohlbekannte Motive bilden den Hintergrund einer verzerrten Welt, in der unser Zeitgeist spukt.
JOSEPH IM ADVENT
Daß uns die Gruppe guttun wird, hat Miriam gesagt, daß die Gruppe die letzte Chance ist, unsere Beziehung zu retten: lauter offene Menschen, die alles zulassen, deren Ziel es ist, auch bei größter individueller Unterschiedlichkeit miteinander zu können. Miriam und ich haben zuletzt nicht mehr miteinander gekonnt, aber gemeinsam mit all diesen Könnern, die mit jedem können wollen, könnten wir das Miteinanderkönnen wieder könnenlernen. Die offenen Menschen werden sich im Dezember an Leonhards Erbhof selbsterfahrungsgruppieren. Leonhards Erbhof liegt in der Einschicht, zwischen Berge gekeilt, die gnädig die Sicht auf den Rest der Welt verstellen. Man kann dort, so Miriam, »zu einer natürlichen Existenzform und damit zu sich selbst finden.« Durch das schiefgemoderte Holzhaus pfeift der Wind, bringt die Dachschindeln zum Klappern, das Wasser pflegt im Winter ein- und der Hintern am Plumpsklo festzufrieren. Leonhard ist ein akademisch graduierter Aussteiger, der seit einem Jahrzehnt nach einer Frau Ausschau hält und sich regelmäßig in eines seiner Therapie-Groupies verliebt, das regelmäßig davon zunächst nichts wahrnimmt und sodann die Flucht nach hinten antritt.
Miriam und ich haben zuletzt nicht mehr miteinander gekonnt, weil ich nach einem Auftritt in einer Folkkneipe mit einer minderjährigen Bewunderin geschlafen habe und Miriam sich zur gleichen Zeit in einen mehrjährigen Makrobioten verliebte. Der Makrobiot ist ein feister, kurzsichtiger Titan und frönt der esoterischen Literatur. Im übrigen wirkt er blaß wie einer seiner Kefirpilze, von deren Ausscheidungsprodukten er jeden Morgen einen Liter in sich hineinschlürft, um »innerlich sauber« zu bleiben. Es versteht sich von selbst, daß der Makrobiot unserer Therapiegruppe angehört, denn wir sind über kleinbürgerliche Beziehungsmodelle erhaben. Meine Anregung, auch die kleine Bewunderin aus der Folkkneipe in die Adventsgesellschaft aufzunehmen, hat Miriam allerdings in einen heiligen Zorn versetzt. Schließlich habe sie mit dem Kefir-Guru nicht geschlafen, sondern sich lediglich einer platonischen Faszination hingegeben. Diese Hingabe bestand darin, daß Miriam dreimal wöchentlich erst im Morgengrauen nach Hause kam - in esoterischer Euphorie - und wir drei weitere Wochentage damit verbrachten, darüber zu streiten. Am siebenten Tag pflegten wir zu ruhen. Der Guru weilte an Wochenenden zu Meditationszwecken am Lande. Seit mehr als einem Monat verweigert sich mir Miriam, denn wir müssen erst miteinander ins reine kommen, ehe wir unsere Beziehung zu den liebgewordenen Bedingungen wiederaufnehmen können. Während Miriams platonischer Faszinationsphasen habe ich dreimal soviel geraucht wie sonst, dreimal weniger gegessen und daher sechs Kilo abgenommen, weshalb ich gegen den makrobiotischen Vollwertwanst wirke wie eine Weizenähre gegen einen Brotlaib. Diese Buße hält Miriam für recht und billig. Es hat ja mein Zeugestäbchen immerhin fast fünf Minuten lang in der Bewunderin aus der Folkkneipe gesteckt, während Miriam bloß dreimal die Woche eine Nacht lang der platonischen Esoterik erlag. Seit einem Monat verweigert sie sich mir also, obwohl sie schon vor einem Jahr die Pille abgesetzt hat, weil sie angeblich ein Kind von mir will.
Das ist die schönste Zeit im Jahr. Ich brenne darauf, auf Leonhards Plumpsklo festzufrieren und mich von den esoterischen Ausdünstungen des Makrobioten erwärmen zu lassen, dessen platonische Faszination Miriam noch immer gefangenhält, wiewohl sie mich »in keiner Weise in Frage stellt.« Wenn ich diese Therapie überlebe, dann kann mich keine Diagnose mehr erschüttern.
Erster Advent
Der Esoteriker spielt auf seiner persischen Hammelhirtenflöte: ein schauerliches Gejammer in dorischen Dissonanzen. Zwischendurch schüttelt er die Spucke aus seinem Instrument und trocknet es mit biologisch abbaufähigen Recycling-Taschentüchern. Zwar hätte es genügend andere Bettgenossen gegeben, aber Miriam mußte unbedingt den Esoteriker in unsere Dreibettkammer hereinbuhlen, damit ich »das Vertrauen wiedergewinne« und auch dem Esoteriker »vertrauen lerne, der der liebenswerteste und gewaltloseste Mann ist«, den Miriam je getroffen haben will. Er heißt Gabriel Maschek, spricht sich trotz des Hatscheks »Masegg« aus, und ich nenne ihn Sabaoth, seit er sich in einem anatolischen Filzkaftan gezeigt hat, zu dem sein wallender Prophetenbart eine wundervolle Ergänzung darstellte. Ich werde wahrscheinlich auf der Küchenbank übernachten, gemeinsam mit Leonhards kastriertem Kater, weil ich unserer esoterischen Dreisamkeit nichts abgewinnen kann. Noch dazu schnarcht Sabaoth wie ein Zuchtbulle. Freilich will ich auf sein Schnarchen warten und sein Schnarchen eine Zeitlang behüten, damit Miriam nicht in eine unesoterische Versuchung geführt wird.
»Wir vollziehen unsere Liebe nicht auf jene einzige Weise, die du zu kennen scheinst«, schalt mich Miriam, und der Kefir-Schwergewichtler nickte gravitätisch, mit einem seiner Wurstfinger in der Flöte bohrend. Der Gedanke, daß Miriam unter diesem Fettberg versinken könnte, verursacht mir akuten Brechreiz. Andererseits tritt Sabaoth mit einer selbstverständlichen Stattlichkeit auf, die mich geradezu verniedlicht. Käme er mir nicht andauernd in die Quere, aus der Distanz würde ich ihn trotz seiner Fettleibigkeit als einen schönen Menschen bezeichnen. Es handelt sich um die feiste Schönheit des Buonarotti-Gottes, der dem ersten Menschen den kleinen Finger reicht.
Leider liebe ich Miriam mit idiotischer Monogamie. Die Einzelnacht mit der Bewunderin aus der Folkkneipe war nur ein kümmerlicher Versuch, mir eine Aufgeschlossenheit vorzugaukeln, deren ich nicht fähig bin. »Es schadet nichts, wenn du dich einmal auf Liebe im Sinne der Agape besinnst«, belehrt mich Miriam. Eines Tages wird mir die genitale Gängelei, mit der sie mich dressiert, zu dumm sein, hoffe ich. Zu allem Überdruß muß ich gemäß dem Ergebnis einer Kleingruppendiskussion auch noch unsere Enthaltsamkeitskemenate heizen, draußen in der Kälte Holz hacken, Leonhards wackeligen Ofen mit Scheiten füttern und ruhig Blut bewahren, wenn das feuchte Zeug nicht anbrennen will. Ob ich meinen Zimmergenossen die Wärme entziehen soll? Sabaoth Beil und Schürhaken in die Pranken drücken? Aber nein: er liebt es ja, sich seinen »Körper bewußt zu machen« und wenn ich das Ergebnis der Kleingruppen-Heizdiskussion ignoriere, verhelfe ich ihm einmal mehr zu moralischer Überlegenheit. Unser Kämmerlein ist also dank des Schweißes in meinem Angesicht adventskuschelig und weihnachtswarm. Es fehlt lediglich der Lebkuchenduft: in diesem Hause ißt man makrobiotische Körnerkringel, ohne Zucker, mit Zuckerkarotten statt Korinthen.
Die Vorweihnachts-Groupies wimmeln im Haus umher, der morsche Fußboden kracht. »Mobile Meditation« heißt das: eine mentale Vorbereitung auf die therapeutische Erlösung von allen Neurosen. Wer der Messias ist, wird sich erst herausstellen, im Zuge des dynamischen Geschehens, das uns alle erfassen wird, wenn Leonhard das Startzeichen gibt, indem er mit der alten Kuhglocke bimmelt, die an einem Haken im Vorraum dahinrostet.
Zum »Eisbrechen« haben wir uns einander und einander uns vorgestellt, zwanglos, und dann eine unendlich lange Papierschlange gebastelt, wobei sich eine sachorientierte, partnerschaftliche Kooperation ergeben sollte. Miriam ist im selben Papierschlangen-Beschwörungstrupp gelandet wie Sabaoth. Ich hätte ihm am liebsten die Schere in den Wanst gerannt, als er mit Miriam an dem Knisterserpent herumraschelte, makrobiotische Heiterkeit verströmend. Danach haben wir über unser gestalterisches Toleranzpotential und latente Machtkämpfe beim Papierschlaufenzwirbeln diskutiert. Auch tauchte die Frage auf, was die Schlange für uns darstelle. »Die Schlange ist für mich ein Lebenssymbol«, verkündete Maschek-Sabaoth, während Miriam seine linke Pranke streichelte. (Wir sind aufgefordert, unser »körpersprachliches Vokabular zu erweitern«.)
»Die Schlange ist das Band, das uns verbindet: stark und zart zugleich: ein