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Dorf der Seele: Geschichten aus der Kärntner Umgebung
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eBook160 Seiten2 Stunden

Dorf der Seele: Geschichten aus der Kärntner Umgebung

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Über dieses E-Book

In seinem „Haus am waldigen Seenockhang“ sitzt der mäßig erfolgreiche Erzähler Wickerl und versucht – mitten in der Umgebung – „zur Umgebung durch seine Schreiberei eine begreifende Distanz zu gewinnen.“ Seine Umgebungsgeschichten „berichten eigentlich von nichts als jener Gehirngegend, in der die äußere zu einer inneren Wirklichkeit umgelogen wird.“
Die Umgebung ist ein Kärntner Tal, in dem eine slawischstämmige Urbevölkerung sich kernig deutsch gebärdet und hauptsächlich von der Landschaftsvermarktung lebt. Und in der Tat hat die Umgebung auch einiges zu bieten, das jedes Touristen Herz höher schlagen lässt: den kastrierten Seenockriesen, der einst aus einem einzigen See deren zwei schuf, den Grabsaal Karls des Großen im Kaiserschlossgebirge, wo der gewaltige Herrscher mit seinen Rittern schlummert, um irgendwann zu erwachen und die Herrschaft über die EU zu übernehmen, den Urmenschen des Dorfes, dessen vorgeblich urzeitliche Überreste keine hundert Jahre alt sind, ein Asylantenheim, das eine geglückte Verschmelzung von Humanität und Geschäftssinn darstellt und einen protestantischen Kirchturm, den der Leibhaftige selber gebaut hat. Die Umgebungstaler sind eine höchst begabte, der Philosophie frönende Population: Da gibt es einen Gemeindebediensteten, der „es nicht verträgt, dass etwas nach sich selber ausschaut“, einen „Frauenfischer" von schwächlicher Figur, der Dutzende Damen verführt, ehe er seine Meisterinnen findet und impotent wird, einen direkten Nachfahren Hegels, der an der „Aufhebung der Umgebung“ arbeitet.
Fleischers Satiren zeichnen ein österreichisches Panoptikum, in all seinen Lügen ziemlich glaubwürdig, in gewisser Hinsicht liebens- und manchmal einfach verabscheuungswürdig. Wirklichkeit und Wahrheit korrespondieren nicht, entsprechen und decken einander nicht: sie existieren einzig und allein im Gemüt des jeweils Erzählenden, jenem „Dorf der Seele“, das jeder in sich trägt.
SpracheDeutsch
HerausgeberSisyphus
Erscheinungsdatum30. Dez. 2013
ISBN9783901960666
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    Buchvorschau

    Dorf der Seele - Ludwig Roman Fleischer

    Ludwig Roman Fleischer, Dorf der Seele

    © Ludwig Roman Fleischer und Sisyphus 2005 und 2012.

    www.sisyphus.at

    ISBN 978-3-901960-66-6

    Der Autor

    Ludwig Roman Fleischer

    wurde 1952 in Wien geboren und lebt da als Lehrer und Schriftsteller. 1990 gewann er beim Bachmann-Wettbewerb den Ernst Willner-Preis. Seither sind von ihm ein knappes Dutzend Bücher erschienen; zuletzt »Edam und Ava« (Ein Schüttelreimepos nach John Milton, Sisyphus 2004) und »Weihnachten im Entzug« (Roman, Sisyphus 2004).

    Das Buch

    Dorf der Seele

    Geschichten aus der Kärntner Umgebung

    In seinem „Haus am waldigen Seenockhang sitzt der mäßig erfolgreiche Erzähler Wickerl und versucht – mitten in der Umgebung – „zur Umgebung durch seine Schreiberei eine begreifende Distanz zu gewinnen. Seine Umgebungsgeschichten „berichten eigentlich von nichts als jener Gehirngegend, in der die äußere zu einer inneren Wirklichkeit umgelogen wird."

    Die Umgebung ist ein Kärntner Tal, in dem eine slawischstämmige Urbevölkerung sich kernig deutsch gebärdet und hauptsächlich von der Landschaftsvermarktung lebt. Und in der Tat hat die Umgebung auch einiges zu bieten, das jedes Touristen Herz höher schlagen lässt: den kastrierten Seenockriesen, der einst aus einem einzigen See deren zwei schuf, den Grabsaal Karls des Großen im Kaiserschlossgebirge, wo der gewaltige Herrscher mit seinen Rittern schlummert, um irgendwann zu erwachen und die Herrschaft über die EU zu übernehmen, den Urmenschen des Dorfes, dessen vorgeblich urzeitliche Überreste keine hundert Jahre alt sind, ein Asylantenheim, das eine geglückte Verschmelzung von Humanität und Geschäftssinn darstellt und einen protestantischen Kirchturm, den der Leibhaftige selber gebaut hat. Die Umgebungstaler sind eine höchst begabte, der Philosophie frönende Population: Da gibt es einen Gemeindebediensteten, der „es nicht verträgt, dass etwas nach sich selber ausschaut, einen „Frauenfischer von schwächlicher Figur, der Dutzende Damen verführt, ehe er seine Meisterinnen findet und impotent wird, einen direkten Nachfahren Hegels, der an der „Aufhebung der Umgebung" arbeitet.

    Fleischers Satiren zeichnen ein österreichisches Panoptikum, in all seinen Lügen ziemlich glaubwürdig, in gewisser Hinsicht liebens-und manchmal einfach verabscheuungswürdig. Wirklichkeit und Wahrheit korrespondieren nicht, entsprechen und decken einander nicht: sie existieren einzig und allein im Gemüt des jeweils Erzählenden, jenem „Dorf der Seele", das jeder in sich trägt.

    PRÄLUDIUM

    Die Umgebung heißt Umgebung. Dieser bezeichnende Reduktionismus mag einen Ahnungslosen, der nur die Bezeichnung, nicht aber das Bezeichnete kennt, annehmen lassen, es handle sich um Kargheit, Wüstenei, landschaftliche Fadesse. Auch Ortsnamen wie Eff, Aff oder Öd verleiten zu solchen Vorstellungen. Das Gegenteil ist der Fall. Das Umgebungstal ist hübsch, von hochmugelnden, dicht bewaldeten Bergen, zwei reizenden Seen, von leise brabbelnden Bachläufen, laut tratschenden Wasserfällen und lieblichen Dörfern definiert, mit stolz aufnadelnden oder vierschrötig ihren Platz behauptenden Kirchtürmen.

    Besonders im Frühling ist die Umgebung bunt, und sie bringt auch bunte Charaktere hervor. Zum Beispiel den Erzähler Wickerl, einen mäßig erfolgreichen Schriftsteller. Er ist hier weder geboren noch aufgewachsen und begegnet der Umgebung darum mit einer Mischung von Hingerissenheit und behaglichem Unbehagen. An durchschnittlich hundert Tagen pro Jahr sitzt Wickerl in seinem Holzhaus am waldigen Seenockhang und versucht – in der Umgebung – zur Umgebung vermittels seiner Schreiberei eine begreifende Distanz zu gewinnen. Und dann versinkt er in einem Wort-und Weinschwall, in einem bald satirischen, bald sentimentalen Bilderbrei aus UmgebungsIngredienzien und Vorstellungen. Seine Umgebungsgeschichten berichten eigentlich von nichts als jener Gehirngegend, in welcher die äußere zu einer inneren Wirklichkeit umgelogen wird. Freilich kennt nur der Lügner die Wahrheit wirklich, widrigenfalls er ja gar nicht zu lügen vermöchte, fehlte ihm doch die Basis der Verlogenheit: die Wahrheit eben. Aber was ist schon Wahrheit? Wahrheit ist gewandelte, gestaltete, mithin also erlogene Wirklichkeit. Verknappt und verdichtet, damit sie in der Gehirngegend Platz hat.

    Der Erzähler Wickerl ist ein Zugezogener, in die Umgebung Aufgenommener und die Umgebung aufnehmender Umgebungsbegegner, der die Umgebung anfangs nur als Bezeichnung erfuhr. Dies im Büro eines in Kärnten zugezogenen Grundstücksmaklers namens Frolig. Begonnen hatte alles mit einem Inserat in der Kleinen Zeitung, in welchem Frolig seine Kompetenz als maklerisch über Gründe verfügender Grundkenner weniger anpries, denn leidenschaftslos konstatierte. Wickerl und seine prachtvolle Gemahlin mit dem damals noch Umgebungsbegehunfähigen, weil erst sieben Monate alten Söhnchen im Arm, glaubten sich nach einer Erbschaft im Besitz von zuviel Geld. Wer Geld nicht gewohnt ist, den versetzt sein plötzliches Übermaß in eine solche Unruhe, dass er es so schnell wie möglich wieder loswerden will, ja dafür sogar Schulden in Kauf nimmt. Das Ehepaar hatte sich ergo an Frolig gewandt, um ein Grundstück zu erwerben. Im Zuge des beratenden Gesprächs fiel dann der Name der Umgebung. Und nach Froligs heftiger Lobpreisung der Schönheit der Umgebung brach man in dieselbe auf, um einen Grund für die Wickerls zu finden. Man fand ihn zu Eff am See, allwo der Makler Frolig im Café am Dorfplatz eine Beschreibung seiner augenblicklichen Lebenslage zum Besten gab, die – von Wickerl im Nachhinein betrachtet – gut in die Umgebung gepasst hätte:

    Frolig, ein Steirer mit deutsch zurechtgebogenem, ursprünglich slowenischem Namen, war von seiner Frau verlassen worden. Sie hatte sich – der trockenen Maklerei in Froligs Leilacher Stadtbüro offenbar überdrüssig – unter die Fittiche eines EsoterikGurus begeben. Frolig blieb nichts anderes übrig, als alleine weiterzumakeln. Als Umgebungstaler hätte er sich wohl versoffen, aus Liebeskummer eine Scheune angezündet oder wäre mit dem Auto verunglückt. Er aber ergab sich bloß dem Kaffeegenuss. Selbst beim Spargelessen am Faaker See, wo der Vertrag abgeschlossen wurde. Ein Mann ohne Leidenschaften, jener des Makelns ausgenommen: einer Wirtschaftswachstumsbranche, suchen doch Scharen existenziell verstörter Großstädter nach pittoresken Grundstücken in einem Dorf der Seele. Frolig war Protestant wie die Mehrzahl der Umgebungstaler. Mithin arbeitsvernarrt und nüchtern, wie die meisten Umgebungstaler zumindest ab dem Dämmerläuten keineswegs. Ein Umgebungstaler war Frolig aber eben nicht, sondern bloß der Türsteher zur, der Einlasser in die Umgebung. Dass er damit für die erzählerischen Umgebungsergüsse Wickerls letztlich verantwortlich ist, wird er nie erfahren. Er wird – von protestantischem Arbeitsethos erfüllt – nach dem Spargelessen zu Faak weitergemakelt haben. Eines Tages wird – so stellt Wickerl es sich gerne vor – seine Gemahlin, des Esoterik-Gurus müde, zu ihm zurückgekehrt sein. Vielleicht wird man, weil er so viele Umgebungsgründe verkaufsvermittelt hat, irgendeine saure Wiese nach ihm benennen. In Eff, in Aff oder in Öd. Blättern wir denn im Manuskript von Froligs maklerischem Geschöpf Wickerl. Es wird unser Nutzen nicht sein. Unser Schaden wohl auch nicht. Die Umgebung wird es überstehen, wie sie so vieles andere in ihrer wechselvollen Geschichte überstanden hat.

    DAS GEHEIMNIS DES SEENOCKRIESEN

    Der die Umgebung beherrschende Berg heißt Seenock. Einesteils seiner einem gigantischen Kärntner Kasnock gleichenden Gestalt wegen, andernteils weil er voller kleiner Moore ist, die man früher als „Meeraugen, „Meere oder auch „Seeaugen bezeichnet hat, heißt es in einer Broschüre der Fremdenverkehrsabteilung der Gemeinde Eff am See. Laut einem im Gegensatz zu Wickerl seriösen Umgebungschronisten, hat er seinen Namen jedoch nicht von „Meer oder „See. Eine Verballhornung des slawischen „Senoc sei apokryph, die Hypothese, man habe von dem Berg eine Fernsicht bis an die Gestade des Mittelmeers, eine Übertreibung. Man weiß, so der seriöse Chronist, ganz einfach nicht, warum der Seenock Seenock heißt. Am ehesten, weil ihm eben Seen zu Fuße liegen. Wickerl besteht jedoch auf der unsinnigen Meereshypothese. Der Seenock sei einst viel höher gewesen, und man habe von seinem damaligen Gipfel in der Tat an klaren Tagen die Adria erspähen können. Außerdem würden in Kärnten die Kasnocken als Kasnudeln bezeichnet, der Seenock müsste also rechterdings „Seenudel" heißen. Aber was wäre denn das für ein Name für ein so gewaltiges Bergsstück, das mit seinen fünfundzwanzig Kilometern Länge ja eigentlich ein Gebirge darstellt!

    Tatsache ist: In grauer Vorzeit brach der eigentliche Seenudelgipfel im Zuge eines Erdbebens ab. Eine Gerölllawine polterte in die Umgebung hinab und veränderte sie nachhaltig. Seither wird der Berg mit allen möglichen Sagen bedacht. Zum Beispiel jener vom Seenockriesen, die in der hier verwendeten Version Wickerls – einer recht eigentlichen Per-Version – noch dreister erlogen scheint als in jenen bodenständiger Erzähler: Im Umgebungstal erstreckte sich einst ein einziger, großer See von vier Meilen Länge und einer Meile Breite. Dieser See war so reich an Fischen, dass man sie mit Händen greifen und aus dem Wasser holen konnte. Viele Umgebungstaler waren daher Fischer. Zumal sie ihre Beute nicht einmal annähernd selber zu verzehren vermochten, verkauften sie den Großteil in andere Gebiete des Landes. Da es noch keine Kühlschränke gab, erfanden sie das Fischräuchern. Von Friesach bis an die Ufer des Tagliamento schätzte man den Umgebungstaler Räucherfisch. Man schätzt auch heute noch die Selchprodukte der Fischzucht Eff am See, bloß, dass sich deren Fischbestände nicht annähernd mit dem seinerzeitigen Überfluss messen können.

    In einer der zahlreichen Fischerhütten der Umgebung lebte ein Petrijünger mit seiner Tochter, deren Schönheit jene aller anderen Jungfrauen des Tals bei weitem übertraf. Auf dieses Mädchen – die zauberhafte Effpanna (so genannt wegen ihrer an die Farbe von Milchrahm gemahnenden Haut) – hatte der finstere Seenockriese ein Auge geworfen. Er hauste (oder höhlte vielmehr) hoch droben in einem Felsenloch und hatte eine traurige Kindheit hinter sich, stammte er doch von ganz normal gewachsenen Menscheneltern ab. Sein Vater, ein flotter Seenockjäger, hatte sich die Jagdgöttin Affritza zur Feindin gemacht, indem er sie beim Nacktbad in einem der Seenockmeere beobachtete, was Sterblichen streng verboten war. Die Göttin Affritza hatte ihn zwar nicht in einen Hirsch verwandelt und von den eigenen Hunden zu Tode jagen lassen (wie ihre griechische Kollegin Artemis den Actaeon), doch war sie ihm nachgestiegen, um ihn – quasi strafweise – zur Liebe zu zwingen. Da aber versagten dem Waidmann Nerven und Manneskraft. Die gekränkte Göttin belegte ihn daraufhin mit einem Fluch, den sie einer anderen olympischen Kollegin – der Göttermutter Hera – abgeschaut hatte: Sein erstes Kind mit einer Menschenfrau sollte erst nach einer zwölfjährigen Schwangerschaft das Licht der Umgebung erblicken. Als Arnulf, der Jäger, die zarte Fischerstochter Nothburga geehelicht und geschwängert hatte, begann der Fluch Affritzas seine Wirkung zu tun. Das Baby in Nothburgas Bauch wuchs und wuchs, ohne dass eine Entbindung in Sicht gewesen wäre. Nach zwölf Jahren war es zwölfmal so groß wie ein normales Baby, maß gute sechs Meter und war etwa dreihundert Kilo schwer: ein wahrer AlpenHerakles. Dass die Entbindung schwierig sein würde, nimmt nicht wunder. Nebenbei war dem Arnulf die eheliche Liebe aus physiognomischen Gründen jahrelang versagt geblieben. Die Geburt führte ein Pikener Bader namens Wurmhold durch. Das Kind hatte sich in der Austreibungsphase nicht mit dem Kopf voran in den Geburtskanal gedreht, auch nicht mit dem Steiß, sondern mit der Körperregion vis-a-vis davon. Anders gesagt, war es das mächtige primäre Geschlechtsmerkmal des Riesenknaben, das als erstes geboren wurde. Schwitzend und schnaufend zog der Bader Wurmhold, der es für die Nabelschnur hielt, daran, so fest er nur

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