Adams Kostüm: Drei Erzählungen
Von Klaus Merz
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Buchvorschau
Adams Kostüm - Klaus Merz
Kafka
Fast Nacht
1
Gegen fünf Uhr in der Frühe war er daheim wieder vom Dach gestiegen und wollte leben. Aber seine Familie traute ihm schon nicht mehr über den Weg. Er bat noch ein paarmal um Entschuldigung für den Aufruhr, sprach von einer plötzlichen und heillosen Bangigkeit, die ihn heimgesucht habe beim Gedanken ans alte Flachdach, die Risse im Asphalt über den Köpfen. Dann liess er das Reden, die Erklärungen bleiben.
Später auf der Hauptstrasse waren die Gleisreiniger bereits an der Arbeit, die Funken sprühten. Eine Türkenfrau trug ihr Kleinkind im Arm, Kern freute es im Vorüberfahren, dass die Welt weiterging. Wo er hinsah, leuchteten die Fenster fröhlich in den nahenden Tag hinein, die Fabriken lagen, grossen Passagierschiffen gleich, vertäut am Strassenrand. Ein Kranführer hatte seinen Suchscheinwerfer auf die tief unter ihm liegende Baustelle gerichtet. Er diente mit dem schlenkernden Kessel den Ameisen in den Fundamenten zu.
Und da stand auch Arber schon in seiner karierten Hose, schaute über den Bretterzaun in die Armierungen hinab, trat von einem Bein auf das andere, schüttelte den Kopf. Dieses Zuschauen schien ihn mehr anzustrengen als seine Arbeit hinterm Schalter der Bank, die ein paar Monate zuvor ihre Filiale endgültig dicht gemacht hatte.
Es sei nicht so leicht, sich mit einer Abfindung abzufinden, hatte er zu Kern gesagt und sich einen Ruck gegeben, um seine sich selbst verordneten Inspektionen in der Stadt, später landesweit, in Angriff zu nehmen.
Kern grüsste ihn, als grüsste er aus einer schusssicheren Limousine heraus, sein Sohn lenkte den Wagen. Arber redete am Baugrubenrand mit sich selbst.
Zu Hause beim Schnüren der Schuhe, der automatischen Arbeit seiner zwei Hände, war sich Kern einen Augenblick lang wie sein eigener Vater vorgekommen. Er musste erst ein paar Grimassen schneiden, um dessen Furchen aus seinem Gesicht zu sprengen, bevor er sich wieder aufrichten und unverwechselbar durch den Korridor gehen konnte. Sein Hausarzt erwartete ihn um halb acht.
Ich bin bereit, rief er seinen Leuten hinter der Küchentür zu und sah jetzt wie ein Geglätteter aus, trat vors Haus. Um den sinkenden Vollmond am Horizont zog sich ein immenser Nebelring. Als wäre auf Erden ein grosser Raucher am Werk.
2
Ich hatte meinen Dienst schon am Vorabend angetreten. Kern kam bei uns gegen Mittag an, trug seine beiden Koffer durch den frisch gefallenen Schnee, er hielt zielstrebig auf den Haupteingang zu, seine Familie folgte ihm. Nach der Begrüssung wies er linkisch auf eine Laufmasche unterhalb meines linken Knies hin.
Er wolle eine Weile lang „heroben" bleiben, sagte er ruhig, sein Tonfall verriet den gebürtigen Österreicher, und heroben seinen Dienst tun, wenn nötig. Zwei Stunden am Tag den Vorplatz wischen zum Beispiel, die Treppen salzen – oder auch das mit den Fäkalien. Den Rest der Zeit, fügte er hinzu, bitte er möglichst unbehelligt verstreichen lassen zu dürfen. Er redete mit uns, als hätten wir keine Wasserspülung.
Kerns Angehörige sahen noch immer wie aus dem Schlaf Gerissene aus. Mit tief liegenden Augen in ihren bleichen Gesichtern standen sie zwischen den Gummibäumen in der Empfangshalle.
Es ging jetzt um die Personalien als Ergänzung zur handschriftlichen Einweisung des Hausarztes, um ein paar biografische Daten, eine Krankengeschichte im eigentlichen Sinne lag noch nicht vor.
Kern entzog sich seinen Nächsten immer wieder, bagatellisierte mit einer vagen Handbewegung seiner Linken ihren gemeinsamen Auftritt, scherzte. Dabei wirkte er bei genauerem Hinsehen eher wie ein Schlafwandler, der einem auf dem Brückengeländer in