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Tanzende Steine
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Tanzende Steine
eBook303 Seiten3 Stunden

Tanzende Steine

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Über dieses E-Book

Sally lernt Ricki als Kind im Sommer 1978 auf einem Campingplatz kennen, während sie Steine über das Wasser tanzen lässt. Die beiden Mädchen mögen sich auf Anhieb.
18 Jahre später sehen sie sich wieder, mittlerweile sind beide mit anderen Frauen liiert. Doch die Liebe, die sie als Kinder noch nicht benennen konnten, erfasst sie erneut. Ob es nun aber wirklich Liebe ist oder nur Sex, das müssen sie erst einmal herausfinden ..
SpracheDeutsch
Herausgeberédition eles
Erscheinungsdatum29. Apr. 2013
ISBN9783956090462
Tanzende Steine

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    Buchvorschau

    Tanzende Steine - Shari J. Berman

    Fotolia.com

    SOMMER 1978

    Eine unvergessliche Freundin

    »Willst du etwa die ganze Zeit hier sitzen und deine Nase in dieses Buch stecken? Warum gehst du nicht ein bisschen raus? Ich wette, hier gibt es auch noch andere Kinder in deinem Alter.«

    Keine Antwort. Nancy Morris legte eine Hand leicht auf die Schulter ihrer Tochter und nahm ihr mit der anderen das Buch aus der Hand.

    »Petey«, schimpfte ihre Tochter Sally gedankenverloren, ohne von ihrem Buch aufzusehen. »Lass mich in Ruhe. Das sage ich Ma . . . Ma?«

    »Du hast kein Wort von dem gehört, was ich gesagt habe, stimmt’s?« seufzte Sallys Mutter. »Wirklich Sally, ein bisschen Bewegung und Sonnenlicht würden dir so guttun. Geh ein bisschen raus. Vielleicht lernst du ein paar andere Kinder kennen. Das Buch wird immer noch auf dich warten, wenn du zurückkommst.« Sie reichte Sally das zugeklappte Buch. Sally legte es auf ihren Rucksack, der neben ihr am Boden lag.

    »Schon gut, schon gut. Dann werde ich eben einmal um diesen doofen Platz herumlaufen«, schimpfte sie.

    »Genau, gute Idee.« Gott helfe mir. Dabei ist sie noch nicht einmal ein Teenager.

    Sally steckte die Hände in die Taschen ihrer Jeans und verließ schmollend den Zeltplatz der Familie Morris, den ihr Vater nach dem erfolgreichen Aufbau der beiden kleinen Dreimannzelte »Camp Morris« getauft hatte. Sie saß nicht nur in diesem bescheuerten Campingurlaub fest, sondern musste sich auch die ganze Nacht über anhören, wie ihr Bruder Petey im Schlaf ständig diese lästigen Pfeiftöne von sich gab.

    Sie ging zum See hinunter. Dort würde sie ein paar Minuten lang Steine ins Wasser werfen. Dann würde sie eine Abkürzung nehmen und von der anderen Seite wieder zum Zeltplatz zurückkehren. Ihre Mutter würde denken, dass sie einmal um den Platz herumgelaufen wäre und »Miss Wohlerzogen« gespielt hätte – ein Mädchen, das von allen anderen gemocht wurde, niemals aber einen Preis in einem dieser Schönheitswettbewerbe gewinnen würde.

    Sally warf ein paar Steine ins Wasser. Mit lautem Platschen gingen sie unter. Ihr Vater konnte sie über das Wasser tanzen lassen. Als sie noch kleiner war, hatte er ihr erzählt, das sei Zauberei.

    »Du musst sie so werfen«, sagte eine Stimme hinter ihr. Sie drehte sich um und erblickte das blondeste Mädchen, das sie je gesehen hatte. Sie stand hinter ihr und hielt lauter Steine in der Hand.

    Sally tat es ihr nach. Ein Hüpfer. »Holla«, sagte sie, beeindruckt von ihren eigenen Wurfkünsten.

    Das blonde Mädchen kam näher. Sie warf noch einen Stein. Drei Hüpfer. Offenbar hatte sie das schon geübt.

    »Ich heiße Sally. Und du?« fragte sie das blonde Mädchen.

    »Ricki.«

    »Ricki? Du spinnst ja. Das ist ein Jungenname.«

    »Nö. Ich schreibe mich mit einem ›i‹.«

    »Oh. Und wie alt bist du?«

    »Man fragt eine Dame nicht nach ihrem Alter!«

    »Entschuldige, Ricki mit ›i‹, ich wusste nicht, dass du so eine feine Dame bist«, sagte Sally und wiederholte damit einen Witz, den sie mal im Fernsehen gehört hatte.

    Ricki warf noch einen Stein. Vier Hüpfer. »He, du bist ja ganz schön witzig«, sagte sie.

    Bei dem dankbaren Publikum . . .

    Ricki zog Sallys Ellenbogen ein wenig zurück. »Halt deinen Ellbogen so, und dreh dein Handgelenk zur Seite.« Sally versuchte es auf diese Weise. Zwei Hüpfer. Nicht schlecht für eine Anfängerin.

    »Ich bin zwölf«, sagte Ricki.

    »Ich auch . . . na ja, in sechs Wochen werde ich zwölf.«

    »Gehst du gerne zelten?«

    »Äh, du?«

    »Klar.«

    »Oh, ich auch.« Sally traute sich nicht zuzugeben, dass sie bis vor fünf Minuten vor Langeweile fast gestorben wäre.

    Nachdem sie das Spiel mit den Steinen satt hatten, brachte Sally Ricki ihr Lieblingsspiel bei: Wörterbuch. Sie erklärte Ricki, wie es ging: »Du denkst dir ein Wort. Irgendein Wort. Dann sage ich ein Wort, und du sagst mir, ob es vor oder nach deinem Wort im Wörterbuch steht. Wenn dein Wort zum Beispiel ›Tisch‹ heißt, und ich sage ›Sofa‹, dann sagst du: ›Es kommt nach Sofa.‹ Ja?«

    »Kapiert«, sagte Ricki.

    »Hast du dir ein Wort gedacht?« fragte Sally.

    »Ja.«

    »Nuance?« sagte Sally und hoffte, Ricki mit ihrem großen Vokabular zu beeindrucken.

    »Was heißt das?« fragte Ricki.

    »Ich glaube, es bedeutet ›verschiedene Abstufungen‹. Es kam letzten Monat bei einem Buchstabiertest in der Schule dran.«

    »Es steht vor ›Nuance‹. Bist du vielleicht ein Schlaukopf oder so? Ich nämlich nicht«, sagte Ricki, die plötzlich Angst hatte, dass dieses kluge Mädchen nun nicht mehr mit ihr befreundet sein wollte.

    »Ooh nein. Igitt.«

    »Ich finde es gut, wenn man schlau ist. Das ist etwas Besonderes.«

    »Ich denke, ich bin schon so eine Art kluges Köpfchen.« Sally stellte fest, dass sie versuchte, etwas zu sagen, von dem sie dachte, dass Ricki es hören wollte. »Glücklich.«

    »Es kommt vor ›glücklich‹.«

    »Erziehung.«

    »Nach ›Erziehung‹.«

    »Fantastisch.«

    Ricki schwieg einige Sekunden. »Es kommt nach ›Fantastisch‹.«

    »Fantasie. Es ist ›Fantasie‹, stimmt’s?«

    »Ja.«

    »Ich liebe dieses Wort.«

    Während der nächsten paar Tage verbrachten Ricki und Sally jede wache Minute zusammen. Sie spielten, kauften sich im Krämerladen Eis am Stiel, erzählten sich ihre Geheimnisse und Träume. Sie erfanden eine Art Geheimsprache, um sich heimlich miteinander zu verständigen und ein paar Jungs zu verwirren, die ab und zu kamen und sich zu ihnen setzten.

    »Kennst du Schatzsuche?« fragte Ricki.

    »Nein.«

    »Bleib einfach sitzen und dreh dich um.«

    »Ist das irgendein Trick?«

    »Nein.« Ricki trommelte auf Sallys Rücken. »Wir gehen auf Schatzsuche, wir gehen auf Schatzsuche. Das X markiert die Stelle, das X markiert die Stelle.« Sie malte zwei Xe auf Sallys Rücken. »Drei große Kreise«, sagte sie, zeichnete die Kreise und fügte dann mit einem Stups »ein großer Punkt« hinzu. »Es rieselt hinauf« – sie lief mit ihren Fingern Sallys Rücken hinauf, »es rieselt hinunter«, und spazierte mit ihren Fingern wieder die Wirbelsäule hinunter. »Harte Erde«, dabei massierte sie ihre Schultern, »weiche Erde«, nun kniff sie mehrere Male in Sallys Taille. Massage und Kneifen wurden zweimal wiederholt. »Grab nach dem Schatz«, sagte sie dann zweimal und machte dabei grabende Bewegungen in der Mitte von Sallys Kreuz. »Schütte das Loch wieder zu« – sie klopfte Sally mehrere Male auf den Rücken und wiederholte auch diesen Satz noch einmal. Zum Schluss sagte sie: »Wir gehen nach Hause« und lief schnell mit zwei Fingern über Sally Rückseite davon.

    Sally gefiel dieses raffinierte Massagespiel sehr gut, und sie übte es ausdauernd an Ricki. Ricki kannte wirklich viele lustige und praktische Sachen. Sie steckte bestimmt nicht dauernd ihre Nase in Bücher. Ricki dagegen war glücklich darüber, dass sie Sally etwas Neues zeigen konnte. Das war nur fair, wie sie fand. Schließlich hatte Sally ihr eine Menge schwieriger Worte beigebracht. Und überhaupt war Sally ihre erste Freundin, die in einer richtigen Großstadt lebte. Noch nie zuvor hatte sie jemanden aus Chicago kennengelernt.

    Am Tag, bevor Rickis Familie abreiste, trafen sie sich morgens noch einmal an der gleichen abgeschiedenen Ecke am Seeufer und warfen Steine ins Wasser.

    »Lust, schwimmen zu gehen?« fragte Ricki.

    »Ich dachte, du schwimmst nicht gerne?« fragte Sally verwirrt.

    »Das hab’ ich nur so gesagt. Mein Badeanzug passt mir nicht mehr richtig . . . wegen denen da.« Ricki zeigte auf ihre schwellenden Brüste.

    »Oh.« Bei Sally war von denen da noch nichts zu sehen, darum hatte sie sich darüber noch nie Gedanken gemacht. »Aber wie willst du dann schwimmen gehen?«

    »Zuhause in dem See bei uns in der Nähe gehen die Leute manchmal nackt baden.«

    »Wie bitte?«

    »Na ja, du schwimmst eben einfach so, wie Gott dich geschaffen hat . . .«, sagte Ricki und streifte ihre Kleider ab.

    Ricki verwendete immer so tolle Ausdrücke, wenn sie sich unterhielten. Sally war ein bisschen schüchtern, aber niemand außer ihnen hatte sich bisher jemals an dieser Ecke des Sees blicken lassen. Sally versuchte, nicht allzu deutlich auf Rickis Die da zu starren. Sie ähnelten in keiner Weise den großen Auberginen, die ältere Frauen da vorne hängen hatten. Eher wie das spitze Ende von kleinen Birnen. Sally schaute auf ihre eigene Brust hinab. Bildete sie sich das nur ein, oder ragte dort ebenfalls ein kleines Etwas hervor? Sie war plötzlich ganz aufgeregt. »Schau mal, Ricki, ich glaube, meine fangen auch schon an herauszukommen. Was meinst du?«

    Ricki betrachtete Sallys Körper mit der Objektivität eines Arztes. »Ich glaube, du hast recht. Irgendwas wächst dort . . . Aber das dauert seine Zeit. Schließlich wirst du ja auch erst in fünfeinhalb Wochen zwölf, oder?«

    »Stimmt. Aber du hältst mich doch deswegen nicht für ein Baby?«

    »Nee.«

    Sie schwammen nackt und tobten und spritzten und vergaßen dabei, auf die Zeit zu achten.

    Als sie mittags wieder Camp Morris erreichten, war Sallys Mutter recht ungehalten.

    »Wo warst du denn? Ich rufe dich schon seit zehn Minuten zum Essen.«

    »Entschuldigung. Wir sind runter zum See gegangen. Kann Ricki bei uns Mittag essen? Ihre Mum hat es erlaubt.«

    »Natürlich. Geht und wascht euch die Hände.«

    Als sie alle um den Picknicktisch versammelt waren, stöhnte Sally schmerzerfüllt auf, als sie sich auf ihrem Stuhl niederließ. Ricki wusste, warum und kicherte, während sie große Bissen von einem Brot mit Erdnussbutter und Bananen abbiss. Nach dem Mittagessen musste Sally dann eine Salbe gegen Sonnenbrand auf ihren Rücken und Hintern schmieren.

    Da Ricki keine Geschwister hatte, schlief sie in einem Zelt für sich. Ihre Eltern hatten nichts dagegen, dass Sally in dieser Nacht bei Ricki übernachtete. Sie schwatzten stundenlang und schliefen erst sehr spät ein.

    Mitten in der Nacht wachte Sally einmal kurz auf. Erst konnte sie sich nicht daran erinnern, wo sie war. Es verwirrte sie, Peteys pfeifenden Atem nicht zu hören. Statt dessen vernahm sie wütende Stimmen aus dem Zelt nebenan. Rickis Eltern stritten sich.

    Am Morgen tauschten Ricki und Sally noch Adressen aus. »Ich würde gerne mal deine Haare anfassen«, sagte Ricki und schaute auf Sallys schwarze Korkenzieherlocken. Sally erlaubte es ihr. Ricki hatte geglaubt, dass die Haare ganz hart sein würden, aber sie fühlten sich weich und geschmeidig an.

    Dann schaute Sally Ricki fragend an. »Jetzt will ich auch mal deine Haare anfassen.« Sie griff mit beiden Händen in Rickis blonde Mähne. Die Haare fühlten sich ein bisschen an wie Stroh.

    Ricki küsste Sally ganz schnell auf den Mund. Sally war überrascht. »Was soll das denn?«

    »So verabschiedet man sich von jemanden, den man besonders gern hat.«

    »Ach so. Das wusste ich nicht.« Und auch Sally gab Ricki einen Kuss auf den Mund.

    Zwei Stunden später winkte Sally zum Abschied, während Ricki und ihre Eltern davonfuhren. Lange Zeit stand sie vor dem Zeltplatz und schaute zu, wie das blaue Auto mit dem Nummernschild von Minnesota immer kleiner wurde. In ihren Augen schwammen große Tränen. Es war zwar bestimmt übertrieben, aber sie hatte das Gefühl, als hätte sie in nur knapp einer Woche die allerbeste Freundin des gesamten Universums gefunden und wieder verloren.

    Sechs Mal schrieb Sally in diesem Sommer an Ricki. Die ersten drei Briefe wurden rasch beantwortet, auf die anderen drei jedoch kam keine Antwort mehr. Dann folgte der Herbst mit den Freuden und Schrecken des neuen Schuljahrs an der High School, und langsam verblasste der Sommer von 1978 zu einer entfernten Erinnerung.

    SOMMER 1996

    Eine nicht ganz so traute Zweisamkeit

    »Sind wir bald da?«

    »Ich glaube, es sind noch etwa zwanzig Minuten. Laut meiner Karte müssen wir auf die Hawthorne Road rausfahren. Da müsste es dann sein.«

    »Dann führt uns also die Hawthorne Road nach Camelot . . .«

    »Ich bin mir sicher, dass es dir dort gefallen wird, Faith. Es ist schön und ruhig. Und vom Ufer aus kannst du bis nach Kanada sehen.«

    »Warum fahren wir dann nicht einfach nach Kanada, Sara? Was soll denn dieser Ausflug in die Vergangenheit? Nach dem Musikfestival ist eine ganze Gruppe von Frauen nach Kanada gefahren. Wir hätten uns ihnen anschließen können!«

    »Du hast doch gesagt, du würdest gerne mal wieder zelten gehen, und da ist mir eben dieser friedliche und schöne Ort wieder eingefallen«, sagte Sara mit finsterer Miene. »Und überhaupt – hab’ ich etwa die ganze Zeit gemeckert, als du zu diesem Vergnügungspark nach Ohio wolltest?«

    »Ja, das hast du. Du hast keine einzige Gelegenheit ausgelassen, dich zu beschweren. Ich kann mich noch an alles ganz genau erinnern: Deine Füße schmerzten, es war zu voll, von den Fritten hast du Blähungen bekommen, die Fred-Feuerstein-Figur hat dich mit ihrem bösen Blick verhext . . .«

    »Die letzten zwei hast du erfunden«, sagte Sara gutmütig. »Hawthorne ist die nächste Ausfahrt, halt dich lieber rechts.«

    Als der Zeltplatz in Sichtweite kam, hörte Faith auf zu meckern und fügte sich schweigend. Alles sah immer noch beinahe so aus, wie Sara es in Erinnerung hatte. Es wirkte nur ein wenig kleiner, so wie das Klassenzimmer der ersten Klasse, wenn man es Jahre später wiedersah.

    Sie meldeten sich am Tor und erhielten den Zeltplatz Nr. 67 zugeteilt. Auf dem Weg dorthin kamen sie an einigen sehr gemütlich aussehenden, winzigen Hütten vorbei. »Ist es zu spät, vielleicht doch eine von diesen zu mieten?« fragte Faith hoffnungsvoll.

    »Ich werde das Zelt aufbauen. Du brauchst keinen Finger zu rühren und kannst einfach nur herumsitzen und Bier trinken. Vielleicht gibt es ja noch ein paar andere Kinder in deinem Alter, mit denen du spielen kannst.« Hatte das nicht ihre Mutter damals gesagt, als Sara fürchtete, sich auf dem Zeltplatz zu Tode zu langweilen?

    »Wie süß.« Faith überlegte einen Moment. »Wirklich, Sara, ich würde sagen, dass es hier so aussieht, als wäre es der Heterosexuellste Ort auf dieser Welt. Das stand übrigens auch in ihrer Infobroschüre. Und dann war da noch dieses Schild weiter vorne an der Straße mit einem roten Blitz über einem lila Lambda . . . du weißt schon, das internationale Zeichen für Schwule unerwünscht

    Sara lachte und nahm Faiths Hand in die ihre. Sie kitzelte die Handfläche und sagte: »Wir könnten Zeltplatz Nr. 67 für die Queer Nation besetzen . . . und unsere zweiten Flitterwochen hier verbringen!«

    Faith zog ihre Hand zurück. »Hey!«

    Sara bremste, um das Tempolimit von dreißig Stundenkilometern nicht zu überschreiten. Faith zeigte nach links, wo Platz 67 in Sichtweite kam. Sara hielt mit dem Auto vor dem abgeteilten Platz und stellte den Motor ab. Sie befanden sich auf einer kleiner Erhebung, und hinter dem Dickicht, das den Platz nach hinten abschloss, konnte man den See sehen.

    »Schön, nicht wahr?« meinte Sara.

    »Hmm.« Faith rollte ihren Kopf hin und her.

    Sara griff nach ihr und knetete Faiths Schulter. Faith beugte den Hals, damit Sara besser an ihren Rücken gelangen konnte. Sara rutschte vom Fahrersitz ein wenig zu ihr hinüber, und Faith machte eine Vierteldrehung. Dann begann Sara, Faiths Rücken gründlich zu massieren.

    Nachdem auf diese Weise einige Minuten vergangen waren, griff Sara nach vorne und zog den Reißverschluss von Faiths Shorts nach unten.

    »Das reicht«, sagte Faith.

    »Ach komm . . . es wird dir gefallen. Es gefällt dir doch immer – wenn du mich mal lässt.«

    »Ich bin nicht in Stimmung, Sara.«

    Sara zog ihre Hände zurück. »Du bist nie in Stimmung.« Warum mache ich mir überhaupt noch die Mühe, die Initiative zu ergreifen? Wie konnte ich nur auf die Idee kommen, dass ein halberzwungener Campingausflug als magisches Aphrodisiakum für Faith geeignet sein könnte?

    »Du weißt doch, wie ich bin, Sara. Es ist einfach nicht so . . . wichtig für mich. Auf dem Musikfestival hattest du doch so viele Frauen zur Auswahl. Du hättest dich ruhig dort um deine . . . Bedürfnisse kümmern können. Schließlich wissen wir doch beide, dass das Problem bei dir liegt!«

    Sara wandte den Blick ab. Es ist also mein Problem . . . ja, klar. Ihr Gehirn vollführte Saltos. Warum nur ließ sie sich diese Behandlung gefallen? Vielleicht brauchte sie den Sex im Grunde auch nicht. Nein, so ein Blödsinn.

    Sara sah auf und entdeckte, dass Faith ihr zulächelte. Faith tätschelte ihre Hand. »Komm schon, Sara, darüber haben wir doch schon millionenmal gesprochen.« Sie erhöhte die Wattzahl ihres Lächelns. »Das ist doch nicht so tragisch.«

    Sara atmete tief aus und rutschte wieder zurück auf den Fahrersitz. Gleichzeitig öffneten sie die Autotüren. Faith half mit, das Auto auszuladen, und entschied sich dann, zu dem kleinen Laden zu gehen, an dem sie kurz vorher am Eingang des Zeltplatzes vorbeigekommen waren.

    Sara schuftete vor sich hin und schwitzte sehr. Insgeheim hatte sie gehofft, dass Faith ihr Angebot, das Zelt alleine aufzustellen, zurückweisen und ihr helfen würde. Hatte Camping denn nicht auch etwas mit einem Gemeinschaftserlebnis zu tun? Nun, vermutlich nicht.

    Gedankenverloren hämmerte Sara die Heringe in den Boden. Faith und sie definierten sich eindeutig als Lesben, dabei praktizierten sie nicht einmal die elementarsten Dinge. Ob es auch auf dem Gebiet der sexuellen Praxis ein Gesetz über Verjährung gab? Bei diesem Gedanken musste Sara kichern. Das wäre eine gute Regel. Wenn eine Lesbe sechs Monate lang keinen Sex mehr hatte, könnte sie sich ja einfach als nichtausübende Lesbe bezeichnen. Was wäre, wenn irgend jemand sie beide, also Faith und sie, fragen würde, ob eine von ihnen genau angeben könne, wann sie das letzte Mal tatsächlich miteinander geschlafen hatten? Die Antwort wäre schlicht und ergreifend: Ist schon verdammt lange her.

    Faith kam eine halbe Stunde später wieder zurückspaziert. Das Zelt war aufgebaut, Sara saß auf einem Baumstumpf und las in einem Buch. Kaum hatte sie sich den Schweiß von der Stirn gewischt, bildeten sich schon neue Perlen auf ihrer Haut. An den Armen hatte sie schwarze Streifen vom Aufstellen der Zeltstangen. Faith betrachtete sie von oben bis unten. »Du solltest dich ein wenig säubern. Ich habe zwei Frauen bemerkt, die sehr interessant aussehen, und dachte, wir könnten fragen, ob sie Lust hätten, heute mit uns zusammen zu essen.«

    Sara fühlte, wie ihr Gesicht noch heißer wurde. Wie typisch! Faith war wieder auf der Suche nach neuen Spielkameradinnen. Sie biss die Zähne zusammen. »Es wird eine ganze Weile dauern, bis ich wieder einigermaßen präsentabel bin. Geh doch einfach los, und mach alleine etwas mit ihnen.«

    »Warum bist du denn so gereizt? Ich dachte, wir wären hier, um Spaß zu haben.«

    Spaß? Ja, aber nur, solange kein Sex dabei ist, und du bestimmst, was gemacht wird! Sara zählte bis zehn und blies die Luft aus ihren Lungen. Es hatte keinen Sinn, den Urlaub mit ständigen Streitereien zu verderben. »Ich brauche zwanzig Minuten, um zu duschen und mich umzuziehen. Warum gehst du nicht schon mal los und vereinbarst etwas?«

    »Ich weiß nicht genau, ob sie Lesben sind oder nicht. Ich dachte, es wäre ein bisschen offensichtlicher, wenn wir zusammen hingingen.«

    »Was wäre dann offensichtlicher?« fragte Sara etwas bissig.

    »Du weißt schon.«

    »Du siehst alleine schon genug nach Butch aus, Faith. Sie werden es gleich kapieren.« Faith versuchte, ein böses Gesicht zu ziehen, brachte aber nur ein schiefes Grinsen zustande. Sie war stolz auf ihr Erscheinungsbild als klassische Butch.

    »Hast du denn vor, sie links liegen zu lassen, wenn sie keine Lesben sind?« Sara schaute Faith direkt in die Augen und sprach weiter. »Schließlich ist dir Sex doch angeblich gar nicht wichtig. Also nehme ich an, dass du keinen Partnertausch mit ihnen planst.«

    »Aber ich unternehme eben gerne etwas mit anderen Lesben.«

    »Weißt du, ich versteh’ das nicht so recht. Gerade erst hast du mich daran erinnert, dass Sex völlig unwichtig ist. Warum willst du dann deine Einladung von ihren sexuellen Präferenzen abhängig machen? Ich hätte schon ein bisschen mehr Political Correctness von dir erwartet.«

    Faith zog eine Augenbraue nach oben. »Du weißt genau, dass es beim Lesbisch-Sein nicht nur um den Sex geht. Und außerdem bist du nur wütend auf mich wegen vorhin. Mir war heute einfach nicht danach, betatscht zu werden. Ich werde mal losziehen und sie einladen, ungeachtet ihrer . . .«, Faith räusperte sich, ». . . sexuellen Präferenzen. Warum gehst du nicht solange schon mal duschen?«

    Klar, Faith, ich bin ein braves Mädchen und tue, was du sagst. Sara verstaute ihr Buch und suchte Seife, Handtuch und frische Kleider zusammen. Sie trabte zu den öffentlichen Duschen und entdeckte eine, die einen akzeptablen Wasserdruck aufwies.

    Unter dem Wasserstrahl fuhr sie mit der Seife über ihre Brüste und fühlte, wie sich ihre Brustwarzen aufrichteten. Die Dusche war einer ihrer Lieblingsplätze, um den Schmerz zu lindern, der sie so oft durchzog.

    Faith war ihre beste Freundin. Sie war immer für Sara da und interessierte sich dafür, wie Saras Tag gewesen war. Und als Sara den großen und ziemlich riskanten Sprung vom Zeitungs- zum Radiojournalismus wagte, war es Faith gewesen, die sie stets ermutigt und unterstützt hatte. Vielleicht hatte Faith ja recht. Es gab vermutlich jede Menge möglicher Sexpartnerinnen auf der Welt. Aber wo würde sie wieder eine Freundin wie Faith finden?

    Hüttenkoller

    Mary Jo trug eine knallrote, knappe Unterhose. Das war alles. Sie las in einem Trivialkrimi und schnalzte jedes Mal mit der Zunge, wenn sie auf eine der häufig auftauchenden sexistischen Anspielungen stieß. Mit einem lauten Knall warf Erica die Tür auf. Mary Jo zuckte leicht zusammen und bedeckte ihre Brüste mit dem Buch. Sie warf Erica einen bösen Blick zu. Diese runzelte die Stirn und schloss die Tür hinter sich. Hätte sie etwa »Buh!« sagen sollen, bevor sie hereinkam? Schließlich war es ja Mary Jo gewesen, die sie zum kleinen Lebensmittelladen des Zeltplatzes geschickt hatte. Da hätte sie sich doch denken können, dass Erica auch irgendwann wieder zurückkehren würde.

    Mary Jo fuhr mit Lesen und Zungenschnalzen fort. Erica legte das Eis und die gefrorenen Sachen in das Eisfach. Dann stellte sie die übrigen Einkäufe, zwei Dosen und einige andere Lebensmittel, auf den Tisch.

    Mary Jos

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