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Das Geheimnis von Aquatica
Das Geheimnis von Aquatica
Das Geheimnis von Aquatica
eBook268 Seiten3 Stunden

Das Geheimnis von Aquatica

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Über dieses E-Book

Als die dreizehnjährige Lilli von einem seltsamen Jungen erfährt, dass sie eine halbe Meerjungfrau ist, kann sie es kaum fassen. Erst als Argos sie mit nach Aquatica nimmt und ihr in der Welt unter Wasser eine Flosse wächst, schenkt sie seinen Worten Glauben.
Zusammen mit anderen Kindern und Jugendlichen vom Festland lernt Lilli eine völlig andere, vor den Augen der Menschen verborgene Welt kennen.
Schon bald merkt sie jedoch, dass ihre neue Heimat in großer Gefahr schwebt. Was hat es mit den vielen Unwettern auf sich und was hat dies alles mit ihrem Vater zu tun, der vor vielen Jahren ebenfalls in Aquatica war?
Wird es ihr gelingen, die Welt unter Wasser vor der Vernichtung zu retten?
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum4. Dez. 2014
ISBN9783738666861
Das Geheimnis von Aquatica
Autor

Sarah Gaspers

Sarah Gaspers wurde 1983 in Bonn geboren. Nach dem Abitur studierte sie zuerst Physik und dann Informatik in Bonn. Seit ihrer Kindheit interessierte sie sich für Bücher und das Schreiben eigener Geschichten für Kinder und Jugendliche. Diese Leidenschaft hat sie bis heute nicht losgelassen. Heute lebt sie in Wachtberg und arbeitet an neuen Werken.

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    Buchvorschau

    Das Geheimnis von Aquatica - Sarah Gaspers

    Inhaltsverzeichnis

    Der Ruf des Meeres

    Willkommen in Aquatica

    Der Muschelsaal

    Camp Aquatica

    Sportstunde

    Lophelia

    Die Gemeinschaft der untergehenden Sonne

    Glühkugeln

    Das Territorium der Lu

    Der Palast von Aquatica

    Die Abschlussfeier

    Der Tempel der Stürme

    Der Ruf des Meeres

    Lilli Rackmann war in vielerlei Hinsicht ein ganz normales Mädchen von dreizehn Jahren. Sie ging in die siebte Klasse des Gymnasiums, hasste Mathe, liebte Kunst und traf sich Nachmittags am liebsten mit ihrer besten Freundin Silke. Doch im Gegensatz zu vielen ihrer Klassenkameradinnen hatte sie keine Hobbys wie Reiten, Shopping oder Nägel lackieren. Sie fuhr lieber an den nahen Nordseestrand, setzte sich in die Dünen und malte. Sie liebte den Strand und das Gefühl feinen Sandes unter den Fußsohlen. In den Dünen sank man in ihn ein, und dort, wo ihn das Meer berührte, hinterließ man lustige Spuren in der Oberfläche. Die Wellen umspülten das Ufer sanft und kitzelten an den Füßen, doch bei starkem Wind verwandelten sie sich in eine brodelnde Masse, als hätte jemand das Meer verärgert, dessen Zorn sich nun auf das Festland entlud.

    Nie hätte sie geglaubt, dass ihre Liebe zum Meer einen besonderen Grund hatte, bis sie den Ruf des Meeres vernahm.

    Es war ein heißer Tag im Juli und sie war mit Silke im Freibad gewesen, da diese keine Lust gehabt hatte, an den Strand zu fahren.

    Als Lilli mit dem Rad wieder nach Hause fuhr, hatte sie das Gefühl, den Klang von Wellen zu hören, die auf den Strand liefen oder gegen eine Klippe schlugen. Doch das Meer war zu weit entfernt, als dass sie es hätte hören können. Sie schob es auf ihre Liebe zum Wasser und achtete nicht mehr darauf. In der Nacht träumte sie von einem schneeweißen Sandstrand und von einem Seepferdchen, das sie auf seinem Rücken in eine Welt unter Wasser trug.

    Drei Tage später vernahm Lilli den Ruf des Meeres ein zweites Mal. Es war ganz anders, als hätte das Meer bemerkt, dass sie seine Rufe beim ersten Mal nicht erkannt hatte. Dieses Mal war es ein Geruch nach salzigem Wasser, nach Sonne und ein bisschen nach Fisch, der Lilli den ganzen Tag in der Nase hing und sich weder abwaschen noch überdecken ließ. Etwas irritiert fragte sie ihre Mutter, was es zum Mittagessen gab, denn diese wusste, dass sie keinen Fisch mochte. Lächelnd stellte ihre Mutter eine Pizza dick belegt mit Pilzen, Brokkoli, Spinat und Ei auf den Tisch und Lilli aß voller Heißhunger. Doch der Geruch blieb.

    Der dritte Ruf des Meeres kam zwei Tage später. Auch Jahre später erinnerte sich Lilli an diesen Tag, als sei es gestern gewesen.

    Dem Meer war inzwischen wohl aufgefallen, dass sie auf kleine, subtile Andeutungen nicht reagierte und es schickte eine deutlichere Nachricht. Lilli fand sie, als sie aus dem Garten ins Badezimmer ging, um sich die Hände zu waschen. Die Tür war einen Spalt breit offen und Lilli hörte das Plätschern des Wasserhahns.

    „Mama, bist du das?"

    Niemand antwortete. Hatte ihre Mutter vergessen, den Wasserhahn zu schließen? Sie öffnete die Tür und blieb wie angewurzelt stehen. Ihre Mutter war nicht der Grund für die Geräusche, soviel war klar. Die Badewanne war bis oben hin gefüllt, sodass das Wasser schon über den Rand auf den Boden lief und dort Lachen bildete. Aus dem Hahn strömte immer weiter Wasser nach. In einem Meer aus Schaum saß ein Junge mit feuerroten Haaren und hunderten von Sommersprossen im Gesicht und hielt ihr Quietscheentchen in der Hand. Er betrachtete es, als hätte er solch ein Gebilde aus gelbem Gummi noch nie zuvor gesehen. Gefährlich schien er nicht zu sein, doch was machte er in ihrem Badezimmer? War das der Sohn der neuen Nachbarn, die erst vor wenigen Tagen einige Häuser weiter eingezogen waren? Sie hatte den Umzugswagen nur von weitem gesehen und einen Mann mit so blonden Haaren, dass sie fast weiß erschienen. Der Junge drückte und knetete die Ente zusammen und betrachtete sie voller Interesse. Er schien sie nicht bemerkt zu haben.

    Sie räusperte sich und versuchte ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. „Wer bist du?"

    Der Junge ließ das Quietscheentchen unter der Schaumdecke verschwinden und wandte sich ihr zu. Warum war er nicht überrascht, sie hier zu sehen? War es für ihn etwa normal, in die Häuser anderer Menschen einzubrechen und dort ein Bad zu nehmen? Was sollte das überhaupt? Hatte er kein eigenes Badezimmer zuhause? Vielleicht war er doch gefährlich. Sie legte die rechte Hand auf den Türrahmen. Er sollte nicht merken, dass sie zitterte.

    Er betrachtete sie von oben bis unten. „Ich bin der Bote des Meeres. Seine Stimme klang warm und weich. Sie spürte, wie die Anspannung etwas von ihr abfiel, auch wenn die Worte ziemlich verrückt klangen. „Du hast seine Rufe nicht beachtet und deshalb hat es mich geschickt. Es dachte, du wärst vielleicht aufmerksamer, wenn es in einer für dich alltäglichen Gestalt zu dir spricht.

    „Es hat dich geschickt? Wie meinst du das?"

    „Genau so, wie ich es sagte. Das Meer schickt mich, um mit dir zu reden."

    Meinte er wirklich ernst, was er da sagte? Er sah nicht aus, als würde er sich über sie lustig machen wollen, im Gegenteil. Er beobachtete sie aufmerksam und schaute ihr direkt in die Augen. „Haha, wirklich sehr witzig. Noch immer schaute er sie ernst an, mit diesen strahlend blauen Augen, die sie zu durchdringen schienen. Sie senkte den Lider und blickte auf die Pfützen auf dem Boden. „Ich vermute, du bist mit deinen Eltern hierher gezogen und stellst dich jetzt überall in der Nachbarschaft vor. Aber wenn ich dir einen Tipp geben darf: so halten dich alle direkt für einen Spinner.

    Starrte er sie etwa immer noch an? Scheinbar desinteressiert wandte sie sich ab und zeigte auf die Tür. „Da geht’s nach draußen. Und mach sauber, bevor du verschwindest."

    Der unverschämte Kerl hockte noch immer in der Badewanne, zog nur die Augenbrauen hoch und sagte nichts. „Gut, dann verschwinde, ohne sauber zu machen. Aber verschwinde endlich."

    „Und du willst mir dabei zuschauen, wie ich aus der Badewanne steige?"

    Lilli spürte, wie ihre Wangen heiß brannten. Wahrscheinlich hatte sie inzwischen die Farbe einer reifen Tomate angenommen. Sie schaute schnell wieder zu Boden. Vor der Heizung in sicherer Entfernung zu den Pfützen lag ein Haufen Kleidung – vermutlich ein T-Shirt und eine kurze Hose. Mit dem Fuß schob sie den Haufen näher an die Badewanne genau in eine Wasserlache. Nicht ohne Genugtuung betrachtete sie, wie sich der Stoff dunkel färbte und drehte sich wieder um. Es plätscherte hinter ihr und plötzlich spürte sie etwas Feuchtes an ihrem Fuß. Sie fuhr herum.

    „Kannst du nicht aufpassen?, fauchte sie den Jungen an, der gerade seelenruhig sein T-Shirt über den Kopf zog. Er achtete kein bisschen darauf, dass ihm das Wasser aus den Haaren auf den Stoff tropfte. „Du setzt das ganze Bad unter Wasser. Meine Mutter kommt sicher gleich und sie wird nicht begeistert sein.

    „Wasser ist doch ein tolles Element, erwiderte der Junge und zuckte mit den Schultern. „An heißen Tagen ist es herrlich erfrischend und sorgt für Abkühlung. Es lässt Pflanzen wachsen und gedeihen, nimmt Tieren und Menschen den Durst und wenn sich die Sonne darauf spiegelt, sieht es aus wie pures Gold. Es hat seinen eigenen Kopf, kann sehr unbeherrscht sein und ist im nächsten Moment wieder ganz sanft.

    Sein Gesicht hatte einen schwärmerischen, fast schon verträumten Ausdruck angenommen. Machte er sich über sie lustig? Oder war er einfach nur verrückt? Sie wusste es nicht.

    „An dir ist wohl ein kleiner Dichter verloren gegangen, was?", spottete sie.

    Der Junge starrte sie nur an, mit diesem seltsamen Blick, in dem so viel Sehnsucht lag. Nie zuvor hatte sie so strahlend blaue Augen gesehen. Sie leuchteten wie das Meer auf besonders schönen Postkarten und um die Pupille herum hatten sie einen grünen Ring. Lillis Knie wurden weich.

    „Wenigstens ignoriere ich es nicht, wenn das Meer mit mir spricht, murmelte er mehr zu sich selbst. „Bei dir musste es fast nach einem Megafon greifen, damit du hörst. Wenigstens hat es in mir einen treuen Freund.

    „Ich habe es ja verstanden. Wenn er doch nur nicht diese schönen Augen hätte. Sie atmete tief ein. Davon würde sie sich nicht beeindrucken lassen. „Es reicht jetzt. Sie schob den Jungen zur Badezimmertür. Sein T-Shirt fühlte sich feucht an und auch an seinen Hosenbeinen zeigten sich inzwischen dunkle Flecken. „Kannst du jetzt bitte verschwinden? Ich kann es nicht leiden, wenn irgendwelche Psychos in meinem Bad auftauchen. Erst recht nicht, wenn sie etwas von einer Stimme des Meeres faseln. Und falls es dir noch nicht aufgefallen ist: das Meer besteht aus Wasser und Wasser hat weder einen Mund noch Stimmbänder. Also kann es nicht sprechen oder nach einem Megafon greifen."

    Der Junge blieb so abrupt stehen, dass sie mit ihrem Gesicht gegen seine Schulterblätter stieß. „Aua!"

    Er ging nicht darauf ein. „Um was wollen wir wetten?"

    „Wie meinst du das?" Ihre Nase schmerzte und eigentlich wollte sie nur noch, dass er verschwand.

    „Na, ich werde dir beweisen, dass Wasser sprechen kann. Also, um was wollen wir wetten?"

    Sie antwortete sofort. „Wenn das Wasser nicht spricht, verschwindest du sofort aus meinem Haus und kommst nie mehr wieder."

    Der Junge nickte. „Ich wollte eh gerade gehen. Vielleicht bist du einfach jemand, der keine Ablenkungen gebrauchen kann, wenn er die Stimme des Meeres hören soll."

    Auch wenn die Worte herablassend klangen, spürte Lilli, dass sie nicht so gemeint waren. „Ich habe einen besseren Vorschlag: wenn das Meer spricht, kommst du mit mir und lässt dir etwas zeigen."

    Lillis Herz machte einen Sprung. „Was denn?"

    Der Junge schüttelte den Kopf und lächelte geheimnisvoll. „Das verrate ich dir jetzt nicht. Aber du bist doch sowieso davon überzeugt, dass du gewinnst. Also schlag ein."

    Lilli griff nach seiner Hand. Sie fühlte sich glitschig und schmierig an, als hätte der Junge sie in eine Packung Flüssigseife oder Öl getunkt und ein merkwürdiger Geruch stieg ihr in die Nase. „Dann bis morgen."

    „Was? Morgen?" Doch der Junge war schon im Flur verschwunden. Nachdenklich schaute sie ihm hinterher. Er schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein. Vielleicht hatte er das alles aber auch im übertragenen Sinn gemeint. Schließlich konnte Wasser nicht mit einer echten Stimme sprechen. Das konnte einfach nicht sein. Oder doch?

    Doch jetzt musste sie erst einmal das Chaos beseitigen, dass er hinterlassen hatte. Er hatte noch nicht einmal das Wasser abgelassen, als er aus der Badewanne gestiegen war. Die Pfützen bedeckten inzwischen beinahe den gesamten Boden und liefen langsam in den Flur. Die Flaschen mit Schaumbad am Rand der Wanne waren unter einer Wolke Schaum verschwunden. Sie griff in das Wasser und zog den Stopfen. Das Wasser gab ein leises Glucksen von sich, als es langsam im Abfluss verschwand. Es sprach nicht zu ihr, wie sie es gesagt hatte. Vielleicht hatte der Junge Recht, vielleicht musste sie sich mehr konzentrieren oder offener sein. Oder vielleicht musste es frisches Wasser sein? Vielleicht sprach das Wasser in der Wanne nicht mehr, weil es zu lange dort gelegen hatte und die Verbindung zum Meer unterbrochen war? Nein, das war einfach zu dumm. Und doch konnte sie nicht aufhören, an seine Worte zu denken.

    Sie öffnete den Hahn. Ein feiner Wasserstrahl lief in die Wanne, doch sie hörte nur das Plätschern des abfließenden Wassers. Sie beugte sich vor und hielt ihr Ohr näher an den Wasserstrahl. Doch da war nichts. Keine Stimme, die zu ihr sprach, kein Flüstern oder Wispern. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, als sie sich vorstellte, wie sie für einen Beobachter aussehen musste, in dieser gebückten Haltung über der Badewanne mit dem Ohr fast unter dem Wasserhahn. Wenn ihre Freundin Silke sie so sehen würde, würde sie sie für vollkommen verrückt halten.

    „Warum lächelst du?", flüsterte plötzlich eine Stimme. Sie klang gurgelnd und gluckernd, als würde die Person mit dem Mund halb unter Wasser stehen und bei jedem Wort einen Wasserschwall ausspucken.

    Lilli schreckte zurück und schloss den Hahn. Ihre Hände zitterten und sie griff nach dem Rand der Badewanne und hielt sich fest. Einen Moment blieb sie sitzen und lauschte, doch die Stimme war verschwunden. Was war gerade passiert? Hatte das Wasser mit ihr gesprochen? Sie schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben. Nein, wahrscheinlich hatte sie der Junge so verwirrt, dass sie nun an Wahnvorstellungen litt. Wahrscheinlich machte er dies öfter, einfach in fremde Häuser einsteigen und dort den Verrückten spielen. Bestimmt lachte er sich jetzt in diesem Moment über sie tot, weil sie so ein leichtgläubiges Opfer war. Sie würde nicht mehr an ihn denken und die ganze Sache einfach vergessen.

    Als ihre Mutter eine Stunde später nach Hause kam, war Lilli noch immer damit beschäftigt den Boden im Bad zu wischen. Neben der Tür lag ein Haufen nasser Handtücher, die sie über die Wasserlachen gebreitet hatte, doch viel geholfen hatte es nicht. Sobald sie die Handtücher hoch hob, tropfte Wasser zurück auf den Boden. Sie traute sich kaum den Kopf zu heben und ihrer Mutter in die Augen zu blicken.

    „Was ist denn hier passiert? Ihre Mutter zog die Luft scharf ein. „Warst du Baden? Mit meinem Rosenschaumbad? Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Du weißt doch, dass es ein Geschenk war und ich es nur sehr selten benutze. Außerdem ist es wahnsinnig teuer und man darf nur wenig nehmen. Ihr Blick glitt an Lilli vorbei. „Die Flasche ist fast leer.

    „Ich war das nicht", stammelte Lilli.

    „Nein? Wer war es dann?"

    Lilli schwieg. Ihre Mutter würde ihr ja doch kein Wort glauben.

    „Gut, dann bezahlst du das Schaumbad von deinem Taschengeld."

    „Aber ich war es wirklich nicht, platze es aus ihr heraus. Bevor sie für den Idioten auch noch zahlte, würde sie alles erzählen, auch wenn es seltsam klang. „Da war ein komischer Junge. Er saß schon in der Badewanne, als ich ins Haus kam. Er hat dein Schaumbad benutzt.

    Es klang wie eine Ausrede, die sie ihrer Mutter erzählte. Sie erwartete, jetzt eine Standpauke zu hören, dass man nicht lügen sollte, doch nichts geschah. Ihre Mutter klammerte sich an den Türrahmen, so fest, dass die Knöchel weiß hervor traten.

    „Mama, ist alles in Ordnung?" Mit einem Satz war Lilli neben ihr und griff nach ihrem Arm.

    „Ja, es geht schon. Sie straffte die Schultern und schüttelte Lillis Hand ab. Ihre Lippen waren zu einem dünnen Strich zusammengekniffen und sie wich Lillis Blick aus. Lilli kannte diesen Ausdruck von ihrer Mutter, wenn diese mit Frau Lehr, einer Frau aus den Reihenhäusern eine Straße weiter gestritten hatte. „Räum hier auf. Es gibt gleich Essen.

    „Ist gut."

    Der Geruch von frischen Pfannkuchen stieg Lilli in die Nase, als sie zehn Minuten später in die Küche trat. Ihre Mutter stand am Herd und gab gerade eine Kelle Teig in eine Pfanne. Es zischte leise, als die Masse auf heißes Fett traf und auseinander lief. Ihre Mutter starrte auf die Pfanne hinab, als könnte sie Formen, Bilder oder sonst irgendetwas Interessantes auf der Oberfläche erkennen.

    Lilli nahm Teller und Besteck aus dem Wandschrank und stellte alles auf den Tisch. Ihre Mutter reagierte noch immer nicht. Langsam wurde sie unruhig. War es wirklich so schlimm, dass der Junge das Schaumbad aufgebraucht hatte? Und gab ihre Mutter ihr die Schuld dafür? Was hätte sie denn tun sollen? Als sie ins Haus gekommen war, war es schon zu spät gewesen. „Also wegen deinem Schaumbad..., begann sie. „Ich war das wirklich nicht.

    „Das weiß ich doch, antwortete ihre Mutter und lächelte, doch es wirkte aufgesetzt und nicht ehrlich. „Mach dir deshalb keine Sorgen. Ich mochte es eigentlich gar nicht so gerne. Sie legte den Pfannkuchen aus der Pfanne auf einen Teller zu einigen, bereits fertig Gebackenen und stellte alles auf den Tisch. „Jetzt setz dich und iss."

    Lilli griff zu. Pfannkuchen mit Marmelade waren eins ihrer Lieblingsgerichte, doch ihre Mutter hielt Zucker für ungesund und deshalb gab es nur selten süße Gerichte. „Kannst du mir bitte die Marmelade reichen?"

    Ihr Mutter schnitt ihren Pfannkuchen in kleine Streifen und reagierte nicht.

    „Mama?"

    „Ja?" Ihre Mutter blickte auf.

    „Kannst du mir bitte die Marmelade reichen?" Lilli deutete mit dem Messer auf das Glas.

    „Natürlich."

    „Ist wirklich alles in Ordnung?"

    „Ja, ich bin nur etwas in Gedanken. Entschuldige bitte." Doch ihre Mutter wirkte weiter abwesend und als Lilli schlafen ging, hörte sie sie im Zimmer nebenan leise weinen.

    * * *

    Früh morgens wurde Lilli wach. Ihre Nachttischlampe brannte, doch sonst war es dunkel im Zimmer. Sie spürte Druck wie von Händen an ihren Schultern und jemand schüttelte sie. Sie schob die Arme zur Seite und zog sich die Decke über den Kopf. „Ich will weiterschlafen, es sind doch Ferien."

    „Nicht da, wo wir hingehen", sagte eine Stimme. Sie erkannte sie sofort. Plötzlich war sie hellwach. Es war, als hätte ihr jemand einen Eimer mit eiskaltem Wasser über den Körper geschüttet.

    Langsam zog sie die Decke von ihrem Gesicht und schaute in die strahlend blauen Augen ihres gestrigen Besuchers. Er hatte sich über sie gebeugt und musterte sie mit einem verschmitzten Lächeln. Er war so dicht über ihr, dass sie seinen Atem auf ihrer Wange spüren konnte.

    Sie schreckte auf und fühlte einen gellenden Schmerz an ihrer Stirn. Um sie herum wurde kurz alles schwarz. „Aua."

    Als sie wieder aufblickte, war der Junge ans Ende des Bettes gerutscht. „Begrüßt du Besucher immer so? Er rieb sich den Kopf. „Ich sollte mir nächstes Mal einen Schutzhelm mitbringen.

    „Oder einfach nicht ungebeten auftauchen, gab sie zurück. „Dann erschreckt man sich auch nicht, wenn man dich sieht.

    „Du findest mich also erschreckend, bemerkte er und musterte sie. Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Wie lange war er eigentlich schon hier? Und wie lange hatte er sie beobachtet? Hoffentlich hatte sie nicht geschnarcht oder im Schlaf gesprochen. Und wenigstens hatte sie nicht den peinlichen Mäuseschlafanzug von ihrer Oma an. Wie war er überhaupt schon wieder herein gekommen? Sie blickte sich um. Er hatte das Licht auf ihrem Nachttisch angeschaltet, wahrscheinlich um sie besser anstarren zu können. Das Fenster zum Garten war nicht mehr angelehnt, sondern stand weit offen, und der süße Geruch von Flieder stieg ihr in die Nase. „Was fällt dir ein, hier aufzutauchen?, herrschte sie ihn an. „Verschwinde aus meinem Zimmer. Ich will schlafen."

    „Ich habe doch gesagt, dass wir uns heute wiedersehen." Er stand auf, als wäre es völlig normal, mitten in der Nacht in fremden Schlafzimmern zu stehen.

    „Das heißt nicht, dass du dich einfach so in mein Zimmer schleichen kannst." War er nicht ganz bei Trost? Sie konnte es nicht fassen.

    „Wieso nicht? Deine Mutter hat mich schon erwartet."

    „Meine Mutter kennt dich überhaupt nicht, erwiderte sie. „Wobei, wenn man es genau nimmt, kennt sie dich doch. Ich habe ihr von dem Verrückten erzählt, der hier eingebrochen ist, um ein Bad zu nehmen.

    „Und genau deshalb hat sie mich erwartet."

    „Wie kommst du denn darauf?"

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