Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Bernsteinwind: Roman
Bernsteinwind: Roman
Bernsteinwind: Roman
eBook243 Seiten3 Stunden

Bernsteinwind: Roman

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Die Geschichte einer Familie, deren Mitglieder vor den Herausforderungen ihrer Generationen stehen. Sie suchen nach Wegen zwischen Gut und Böse im Wandel der Zeit.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum19. Dez. 2022
ISBN9783347755857
Bernsteinwind: Roman

Mehr von Elisabeth Waterfeld lesen

Ähnlich wie Bernsteinwind

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Bernsteinwind

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Bernsteinwind - Elisabeth Waterfeld

    I

    1

    Es war schon lange her, dass Randolph von Herbsmark hier gewesen war. Zuletzt muss es in frühen Kindertagen gewesen sein, als man ihn zur Tante ans Meer in die Sommerfrische geschickt hatte. Schemen an diese Erinnerung tauchten immer wieder in seinem Gedächtnis auf und ließen ihn im Alltag innehalten, sodass er sich freute, wieder hier zu sein. Die Sonne stand hoch am Himmel und der Blick hinaus auf das Wasser war beruhigend klar. Die Linie zwischen Ostsee und Himmel war kaum zu erkennen, ein leichter Nebel kündigte an, dass sich das Wetter heute halten würde. Der Landstrich dazwischen war nur klar zu sehen, wenn sich Regen ankündigte.

    „Na, nun komm´ mein Hähnchen!" Er rief Richtung Wasser. Selbst mit dem Oberkörper schon in der Kühle des Hochsommers das süß-salzige Nass genießend, stand Johanna noch immer mit ihren Zehen im Sand. Es war offensichtlich nicht ihr Element.

    Johanna hatte für ihre Flitterwochen extra einen neuen Badedress erstanden. Sie genoss den Wind, der sanft um ihre Beine strich. Eine ungewohnte Freiheit, Luft und Wasser an ihrem Körper, die sie noch nicht einzuschätzen wusste. Eine stetige Angst, sich hier zu verkühlen, ehe der Sommer und ihr kleiner Urlaub kurz nach der Hochzeit begonnen hatten.

    So stakte sie in dem Sand vor sich her, immer darauf achtend, sich nicht zu sehr fallen zu lassen.

    Randolph lachte ihr von weitem entgegen. Sie war nur als kleiner Punkt am Strand zu erkennen, aber er sah ihre Umrisse, wie ihre Haare im Wind flatterten und welchen Gesichtsausdruck sie machen würde, weil das Wasser keine Wannentemperatur hatte. Er hatte richtig gewählt. Die Frau an seiner Seite war die richtige Entscheidung gewesen, ein Gedanke, der sich blitzschnell in sein Gehirn schob. Zur Bekräftigung hielt er sich mit Daumen und Zeigefinger die Nase zu, ehe er mit einem wüsten Sprung untertauchte.

    „Randolph, das geht so nicht. Ich gehe hier nicht ins Wasser und Du solltest es auch nicht, Du wirst Dich erkälten." Er hörte ihre Stimme schon unter Wasser, ehe sie nach seinem Auftauchen wieder klar und deutlich wurde. In der Nähe standen, gingen und saßen andere Badegäste, die sich ebenfalls freuten, hier einen schönen Strandplatz ergattert zu haben. Sie aalten und freuten sich, dass der Sommer kam. Vor ihrer Hochzeit hatte es lange im Frühling geregnet und jetzt war er endlich da.

    „Du musst ja nicht ins Wasser." Lachend kam er zu ihr ans Ufer gelaufen und sie gingen eine Zeit lang vorwärts. Einige Kinder liefen neben ihnen ins Wasser und ließen das Wasser aufspritzen. Sie wichen einigen selbstgebauten Sandkanälen aus, die stolze Väter mit ihren Kindern gegraben hatten.

    „Es ist schön hier. Man kann kaum glauben, dass dahinter erst die Ostsee anfängt." Sie kniff die Augen zusammen und sah nur mit Mühe den kleinen Landstrich, dessen Wellen die Sonnenstrahlen reflektierten, das Ufer der Frischen Nehrung.

    „Es ist so, als würde dieser Strand nicht stimmen, als würde da vorne noch etwas Besseres warten." Johanna stand die Sonne im Gesicht, sodass sie ihre Stirn in Falten zog. Auf dem Wasser reflektierte das Licht einzigartig wie tausend Perlen.

    „Falsch, das sind zwei Strände. Dieser Ort ist so schön, dass er einfach die doppelte Strandlage gebrauchen kann." Randolph übertrieb gern, wenn seiner Frau eine Kritik einfiel, die offensichtlich unbegründet war.

    Die Frische Nehrung als schmale Landzunge war an der Küste von Danzig wie ein zweiter Strand. Die preußische Ostsee hatte neben der höheren Kurischen Nehrung noch eine weitere Nehrung zu bieten, an die sich ein kleineres Becken, das „Frische Haff" anschloss. Wie ein einzelner Landstrich lag sie dort, ihr Ende war im Sonnenlicht kaum zu erahnen. Johanna rieb sich die Augen ob der Helligkeit.

    „Ist da schon mal jemand `rübergeschwommen?"

    „Wir können´s ja mal versuchen." Er packte seine Frau und lief mit ihr über der Schulter ins kühle Wasser. Die ersten Spritzer waren so kalt nach der heißen Sonne, dass ein Schock durch ihren Körper lief. Ihr Badeanzug zog sich eng an ihren Körper und er schwamm langsam um ihre Beine. Ein lauter Schrei fuhr ihr wie eine Befreiung durch die Glieder.

    Wieder zog Randolph sie an sich und bald darauf tauchte sie unter in dem See der Nehrung, der eigentlich schon zum Meer gehörte, die Sonnenstrahlen immer hinter ihr her, bis auf den Grund. Nach Luft schnappend, tauchte sie wieder auf. Ihre Zehen krallten sich in den weichen Sandboden. Sie umarmten sich und genossen den Moment. Durch das Wasser fühlte Johanna, wie kalt Randolphs Haut war, fest und ungelenk war ihre Umarmung im Wasser. Nach einigen Momenten hatte sich Johanna an die Temperatur gewöhnt und glitt nun sanft im Wasser umher. Zum Glück konnte sie an dieser Stelle noch stehen. Sie schwamm einige Bahnen neben Randolph her und fühlte, wie sich ihr Körper entspannte, wie er hier im Wasser immer wärmer wurde.

    „Warte, ich zeig´ Dir was!" Randolph neben ihr nahm Anlauf und verschwand im Wasser. Die Stelle, an der er abgetaucht war, war dunkel von Algen und Johanna ekelte sich etwas vor dem, was wohl auf dem Grund schwimmen mochte. Im Blickwinkel konnte sie sogar ein paar Quallen ausmachen. Sie schaute erwartungsvoll in die Richtung, in die Randolph gerade verschwunden war, lachte und ruderte sanft im Wasser mit den Armen.

    Sie sah zurück an den Strand. Dort waren die Menschen klein. Es war ein reges Treiben und wie seit einigen Tagen machte der Sommer eine leichte Stimmung, viele Probleme, die es jetzt gab, waren unwichtig, wenn einfach die Sonne schien und man sich einen schönen Nachmittag machen konnte. Sie hoffte, dass ihre Flitterwochen noch lange so schön wären und dass auch der gemeinsame Alltag etwas von dieser Freude erhielt. Ihre Gedanken schweiften ab, während sie ins Wasser schaute. Sie dachte an das, was sie heute noch essen wollten, vielleicht an die Planung für morgen und dann starrte sie auf das Wasser. Keine Luftblasen.

    „Randolph?"

    „Randolph! Hallo!" Hastig tauchte sie unter und kam wieder an die Oberfläche. Sie sah sich um und rief seinen Namen erneut.

    „Raaaandolph!" Panik stieg in ihr hoch. Sie drehte sich zu den Menschen am Ufer, riss ihre Arme in die Höhe und winkte. Ein paar einzelne winkten zurück, ehe sie sich wieder ihrem eigenen Spaß zuwandten. Wieder blickte sie auf die Stelle, nahm einen tiefen Atemzug, schloss ihre Augen und stürzte erneut unter Wasser. Das Becken war flach, aber unter der Oberfläche konnte sie kaum etwas ausmachen. Einzelne Sonnenstrahlen verirrten sich in grünen Algen, sodass Johanna nach kurzer Zeit panisch wieder auftauchte und sich umsah.

    „Raaandolph!"

    „Nun schrei´ doch nicht so, Hähnchen, Du verschreckst ja alle Leute!" Lachend tauchte er mit einer großen Welle neben ihr auf.

    „Mach´ sowas nie wieder! Mir wäre fast das Herz stehen geblieben.

    „Ach was! Hier guck´ mal, hier habe ich einen neuen Bart mitgebracht und dann hab´ ich noch was!" Um sie wieder aufzuheitern, hängte er sich eine Alge quer über seine gespitzten Lippen, die sie sogleich abriss. Eine Frechheit, solche Angst hatte sie. Dann nahm sie ihm den anderen Fund aus der Hand. Weich schmiegte sich der kleine Stein in ihre Handfläche.

    „Bernstein."

    „Manchmal findet man verborgene Schätze." Er nahm sie in seinen Arm und küsste sie. Seine Stimme barg einen wohligen Schauer, als sie den kleinen Stein gegen die Sonne hielt. Wie aus Glas, wie Honig. Er lachte und freute sich, dass sie so angetan war von dem Steinchen, das kaum größer war als ein Fingernagel.

    „Kennst Du den nicht? Ich kann Dir viele Steine zeigen, bei uns wurden sie immer gesammelt. Wenn ich wieder in Königsberg bin, gehe ich an den Strand, dann bringe ich Dir einen Größeren mit. Der hier ist ja nichts Besonderes. Na komm´ ich hab´ Hunger." Randolph trocknete sich ab und sah noch einmal zurück zum Meer

    „Wirf´ ihn zurück, Du hast doch so viele Ketten. Die armen Schlucker da drüben sollen auch etwas zum Sammeln haben." Die goldene Farbe flirrte in ihren Augen nach, nur langsam kam sie zu sich, ehe sie den Stein zurück ins Wasser warf.

    Randolph war schon vorausgegangen. Noch einige Male blickte sie zurück auf das Becken, auf die Stelle, aus der er aufgetaucht war und sie den Stein wieder zurückgeworfen hatte.

    Der Tag am Strand und die gute Luft machten müde und hungrig. Am Abend führte Randolph sie in ein Fischrestaurant aus. In einer kleinen Ecke aßen sie bei Kerzenschein.

    „Mhm, ist doch vorzüglich, was will man mehr? Ich hier mit einem guten Essen und der schönsten Frau der Welt." Er kaute und sie sah abwechselnd die Wörter und Bissen zwischen seinen Pausen. Johanna lachte und sie hatte das Gefühl, in einem Traum zu sein.

    Ein einfaches Mädchen in den Adelsstand erhoben. Mit freudiger Erinnerung dachte sie zurück an den Tag ihrer Hochzeit vor einer Woche. Ein großes Fest, bei dem alles gestimmt hatte. Das Wetter war so schön sommerlich wie jetzt und die Leute waren guter Laune gewesen.

    Johanna von Herbsmark hatte gut geklungen und viele kannten die fleißige junge Frau. Vielleicht war sie gerade deshalb die beste Partie gewesen für den ewigen Junggesellen, der sich immer hatte finden lassen wollen.

    Auf dem Gutshof von Herbsmark lief alles seinen Weg, wie ein Uhrwerk griffen die vielen Hände ineinander, verpflegten Tiere, bewirtschafteten Land oder backten Kuchen, genauso, wie sie sich einen so großen Betrieb vorgestellt hatte.

    „Wenn ich erst den neuen Posten habe, sollst mal sehen." Der letzte Happen verschwand eilig in seinem Mund. Sein Lächeln wirkte verträumt. Sie wusste, dass es zu seinem Stand gehörte, die guten Beziehungen zu pflegen, einen guten Beruf und einen entsprechenden Posten zu ergattern.

    Johanna sah aus dem Fenster in den Sonnenuntergang wie er nicht in diese Zeit passte. Sie wusste, dass das Glück meist nur von kurzer Dauer war und dass die Menschen vorhin am Strand viele Probleme haben mussten, noch weitaus mehr als sie selbst.

    Johanna hatte Zweifel wegen der Hochzeit gehabt. Sie hatte sich immer vorgestellt, nach ihrer Lehre in ihrem Beruf zu arbeiten und wie so viele Frauen heutzutage selbst arbeiten zu können. Das Handwerk des Goldschmieds war nicht unbedingt weiblich. Randolph hatte ihre Tätigkeit und ihr Können aber oft bewundert. Er war froh, dass sie über ihre Bestimmung als Frau hinaus bereit war zu denken. Allerdings gab es dazu mehrere Haltungen. Die vielen Erwartungen, die an sie gerichtet waren, jetzt bald ein Kind und an seiner Seite stehen. Ihr Handwerk würde sie jetzt nicht mehr ausüben können, seit einiger Zeit hörte man von den selbstständigen Frauen nicht mehr viel. Die Aufgabe der Frau war klar definiert in ihrem Land. Sie versuchte, sich wieder auf Randolphs Worte zu konzentrieren.

    „Es ist ja so: Alles, was über ihnen steht, ist ihnen fremd. Theoretisch macht sie das auch zu Kommunisten, aber sie brauchen Leute mit Geld und Einfluss, ihre eigenen können sie auf solche Posten nicht setzen. Sie wollen ja international bestehen können." Unterdessen hatte er sich einen Pudding kommen lassen, der freundliche Kellner hatte auch vor Johanna ein Schüsselchen gestellt, das beim Ankommen einen leichten Schwung hatte. Ein Pudding, der zuckrig und süß war.

    „Ja, sicher." Als Schmiedin würde sie auf dem Gut nicht arbeiten können, hier brauchten höchstens die Trakehner neue Eisen. Niemand würde die Arbeit der deutschen Gutsfrau akzeptieren.

    „Und dann greifen sie eben doch wieder auf die zurück, die sie im Grunde hassen. Man muss sie mit ihren eigenen Waffen schlagen - Johanna?" Randolph musterte sie kauend.

    Aus ihren Gedanken gerissen, bejahte sie. Sie wusste, dass Randolph etwas verändern wollte, wenn er auch sicher nie zu den Mutigsten gehörte. Das neue Land barg viele Unwägbarkeiten, die Regierung war unerfahren, die Republik vor ihr war gnadenlos gescheitert. Man wusste nicht, wie sich die Dinge jetzt entwickelten. Klar war jedoch, dass Johanna als Gutsherrin wohl auf einer besseren Seite stand, sodass sie gleich bereute, über ihre berufliche Perspektive nachgedacht zu haben.

    Der Freiherr von Herbsmark trug Verantwortung für ein ganzes Dorf, persönliche Ziele konnte er sich nicht leisten. Schon früher hatte sie beobachtet, wie alles miteinander zusammenhing und wie viele Menschen von der Bewirtschaftung des Hofes lebten. Über die Generationen war ein ganzes Dorf entstanden, in dem Handwerk, Verkauf und viele weitere wirtschaftliche Zweige florierten. Jeder musste mit der Zeit gehen, auch wenn das hieß, sich viel stärker zurück zu nehmen, wenn Politik und Gesellschaft gerade andere Themen forderten. Seit einigen Jahren hatte sich vieles verändert. Noch immer gab es Musik und Tanz, aber man musste vorsichtiger sein. Was man dachte und wie man empfand, war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Es war eine unausgesprochene Regel zwischen allen Bürgern des Landes.

    „Weißt Du noch, wie wir uns kennengelernt haben?" Randolph schien Ähnliches durch den Kopf zu gehen. In seinem Kopf tauchten die Bilder aus unbeschwerten Zeiten auf. Damals, als er sich in sie verliebt hatte. Das Geschirr wurde mittlerweile abgeholt.

    „Ja, es war ein schönes Fest. Ich habe damals schon lange an Dich gedacht und hatte so gehofft, dass Du mich auffordern würdest."

    Randolph kicherte. Er wusste nur zu gut, wie viele Mädchen damals auf ihn geflogen waren. Keiner war so schneidig wie er, keiner hatte so gute finanzielle Mittel. Eine große Sicherheit. Er war der beste Fang, den man sich denken konnte. Schon aus diesem Grund grollten manche der jungen Schmiedin, die aus einfachen Verhältnissen kam und deren Vater nicht einmal Deutscher gewesen war.

    Mit Randolph war das erste Mal seit Jahren wieder Ruhe eingekehrt. Sie hatte sich verliebt und plötzlich stellte es sich ein, dass mit der Liebe auch die Sicherheit zurückkam. Sie wusste, dass sie eines Tages ihren erlernten Beruf aufgeben musste, aber bis dahin hatte sie wenigstens einige Erfahrungen sammeln wollen. Randolphs Eltern waren früh verstorben, aber der Rest der Familie hatte einen klaren Blick auf ihre Wege. Vor der Beobachtung graute ihr am meisten. Es würde sich geben. Sie tat noch einen Schluck von ihrem Aperitif.

    „Ich hatte nur Augen für Dich, das weißt Du doch." Johanna wusste, dass Randolph sie aufrichtig liebte. Seine Frauengeschichten schienen vorbei zu sein, nicht zuletzt aufgrund seiner politischen Ambitionen. So sorgte sie sich darum, dass sie nicht dem entsprach, was allgemein der Anspruch war an eine Frau von Herbsmark.

    „Sie werden mich nicht akzeptieren."

    Randolph stöhnte.

    „Daher weht der Wind. Gib´ ihnen Zeit. Meine Eltern sind noch nicht lange tot und dann wollte Ludwig das Erbe nicht antreten, weil er anderes im Sinn hatte. Das war für sie alle ein Schock. Ich bin Soldat, kein Gutsverwalter. Sie gewöhnen sich erst langsam daran, dass ich rechnen kann."

    Johanna lächelte.

    „Und die Aktien stehen doch gar nicht schlecht?"

    „Kriegsanleihen, mein Hähnchen, wir rechnen fest damit."

    Johanna nahm noch einen kräftigen Schluck. Auf ihrer Zunge breitete sich nach der Süße ein warmes Gefühl aus, das bis in den Rachen führte.

    „Ja, natürlich." Sie wusste, dass aus der Zeit der Armut nicht einfach so neuer Wohlstand werden konnte. Wo Stellen fehlten, waren in Kürze neue geschaffen worden, was höchst ungewöhnlich war.

    „Früher oder später wird er angreifen oder er wird behaupten, dass er angegriffen wurde. Das wird sein Verhängnis, aber vorher wird er etliche ins Verderben ziehen. Soviel zur politischen Großwetterlage." Er trank seinen Wein bis auf den letzten Tropfen leer.

    „Ja, man hört überall von der Aufrüstung."

    „Wir stehen auf der richtigen Seite, so kann uns vorerst nichts passieren. Und danach, bis es soweit ist, lass´ uns anstoßen." Er atmete ein und lächelte wieder.

    „Ober! Bitte das gleiche noch einmal!"

    Die nächsten Tage an der Küste verliefen nahezu sorglos und das junge Paar erlebte eine wundervolle Zeit, wie sie es so später nicht mehr geben sollte. Johanna konzentrierte sich auf jeden Moment, versuchte, alles in Gedanken festzuhalten, jeden Sonnenstrahl und jeden freundlichen Blick, den ihr Randolph zuwarf. Die Zeit hatte sie gelehrt, dass nichts für immer ist und dass die guten Erinnerungen festzuhalten sind.

    Die Zeit anhalten und für immer zu bleiben wäre ihr am liebsten gewesen, den Wind spüren, der die Algen im Wasser an die Küste trieb, der machte, dass alles schön war. Der Sand, der ihr zwischen die Zehen rieselte, immer danach angelnd, darin grabend. Sie war vorher noch nie hier gewesen und sie plante fest, später wiederzukommen.

    „Meine Eltern sind immer hier gewesen. Sie haben sogar überlegt, ein Ferienhaus zu kaufen, aber das wäre doch für unseren Landadel zu dekadent gewesen. Man war immer sparsam."

    Johanna lächelte über die Ironie ihres Mannes. Sie wusste, dass die Familie von Herbsmark wirtschaftlich dachte. Sie hatte aber auch das wichtige Standesdenken und die Achtung kennengelernt, die sich vielleicht jeder Adlige wünschte.

    „Als Kind habe ich Euch beneidet. Ich habe immer zu dem großen Hof aufgesehen und mich gefragt, wie man dort wohl wohnt. Ob es bei Euch goldene Löffel gibt und solche Dinge."

    „Warum hast Du nicht geklingelt und gefragt?"

    „Das gehörte sich nicht. Wir waren ja nicht wie Ihr." Johanna lächelte beschämt in sich hinein, ein Mädchen, das von einer Deutschen und einem Polen stammte, eigentlich schickte es sich nicht für Randolph, auch wenn er keinen Zweifel hegte.

    „Fängst Du schon wieder an?"

    „Nein, aber es hat sich tief eingebrannt. Sie haben uns zwar nicht abgelehnt, aber so richtig angemessen waren wir nicht. Auch nicht im Nachbarort, wo sich keiner an Euch orientierte."

    Johanna dachte nicht oft an ihre Kindheit, aber jetzt, wo sich in ihrem Erwachsenenleben so vieles änderte, wo ihre Zukunft auf dem Gut trotz der vielen Widrigkeiten wie in Stein gemeißelt zu sein schien, war es wie die Suche nach dem Ursprung, nach einer Kausalität, wie es kam, dass aus dem armen Mädchen eine reiche Frau geworden war. Noch oft dachte sie daran, wie sie früher wegen ihrer alten Schuhe gehänselt wurde, wie man ihr angesehen hatte, dass ihre Familie zwar solide wirtschaftete, aber kein großes Vermögen erworben hatte.

    Die kleine

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1