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Nachgerufen: Elf Monologe und eine Novelle
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eBook95 Seiten1 Stunde

Nachgerufen: Elf Monologe und eine Novelle

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Über dieses E-Book

"Nachgerufen" ist das Ergebnis eines so interessanten wie riskanten Abenteuers: sich als Schriftsteller, als Mann, einmal in die andere Seite einzudenken, von der sonst nicht gesprochen wird - in die Seite der Frau.

In elf Monologen kommen Frauen zu Wort, die von Dichtern geliebt, berührt oder auch nur gestreift worden sind, deren Namen ohne diese Berührung die Geschichte wohl nicht behalten hätte. Was haben diese Frauen zu sagen, an was erinnern sie sich, erinnern sie uns? Wir hören über Gottfried Keller, über Kafka, Kleist und Goethe, über Brentano, Mörike und Lenz. In fiktiven Briefen, in Gesprächen und Selbstgesprächen lassen sie ihre Begegnungen mit diesen Dichtern an sich vorüberziehen, rufen sie ""ihren"" Dichtern nach: Friederike Brion, Caroline von Lengefeld, Wilhelmine von Zenge, Susette Gontard, Karoline von Günderrode, Henriette Vogel, Bettina Brentano, Luise Riehter, Maria Meyer, Dora Diamant ...

Jürg Amann erzählt in einer behutsamen, eindringlichen Prosa von Frauen, die, von der Historie kaum beachtet, mit ihrer Verletzbarkeit und Stärke Männer begleitet und mitgeformt haben, die als Köpfe der Literatur fast unantastbar vor uns stehen - bis heute. Zart aquarellierend zeichnet Amann Frauenbilder in Augenblicken des Erinnerns, in Situationen, die menschliche Größe erhellen, Leid und Zuversicht in der Nähe und Ferne von Liebe.
SpracheDeutsch
HerausgeberHaymon Verlag
Erscheinungsdatum30. Jan. 2014
ISBN9783709973172
Nachgerufen: Elf Monologe und eine Novelle

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    Buchvorschau

    Nachgerufen - Jürg Amann

    H.

    Elf Monologe

    »Ich hatte gehofft, durch den Blumenstrauß meine Liebe zu ihr ein wenig zu befriedigen, es war ganz nutzlos. Es ist nur durch Literatur oder durch den Beischlaf möglich.«

    Franz Kafka, 1911

    Sesenheim,

    Juni 1772

    Sie sagen, Sie lieben mich, Lenz, und sehen Sie, das mag ja sein, und vielleicht liebe ich Sie ja auch, aber wie kann ich das wissen, da ich gar nicht mehr frei bin. Ich weiß sehr wohl, daß Sie ein guter Mensch sind und daß Sie auf Dauer noch besser werden wollen, wenn Ihnen das Schicksal nur gnädig ist und es Ihnen Ihr gestrenger Herr Vater erlaubt und wenn Sie Menschen finden, die Ihnen helfen dabei, die Ihnen wenigstens nicht im Weg stehen mit ihrem Unglauben und Zweifel, Sie brauchen mir Ihre Vorzüge nicht zu schildern, ich habe sie doch lebendig vor mir, jetzt und von Anfang an, als Sie hier draußen auftauchten, bei uns, auf dem Land, und meinem Vater den Antrag machten, ihm bei der Predigt unter der Woche zu helfen, und er kann Sie ja brauchen, Sie haben das ja studiert, er will Sie ja bei sich behalten, anders als Ihr eigener Vater, wie Sie mir sagten, der da oben im kälteren Norden auch Pfarrer ist, der Sie in die Welt hinaus jagte als seinen so gar nicht nach ihm, sondern mehr nach der Mutter, die freilich gestorben ist, geratenen unbrauchbaren Sohn.

    Mein Vater findet Sie brauchbar. Das wissen Sie selbst. Und ich ... Sehen Sie, ein anderer, der vor Ihnen hier war, vor einem Jahr, in ähnlicher Absicht, nur leider untreu, schrecklich untreu, hat, was gut ist an mir, gefangen, sorgfältig umgarnt und an sich gebunden und endlich entführt. Sie kennen ihn ja, ein früherer Freund von Ihnen, ein glücklicherer Kollege, in dessen Fußstapfen Sie gehen und stehen, auch hier vor mir nun, mit hängenden Schultern und hängendem Kopf, wie angewurzelt, mir gegenüber, von der Sie das Urteil erwarten, den Richtspruch, der Sie wieder fortjagt, weiter jagt in die Welt hinaus, Ihrem sauberen Freund nach, der aber von vornherein größer als Sie gewachsen ist, wissen Sie, größer, so daß Sie sich doch ganz jämmerlich abzappeln müssen, in Ihren feinen Gelenken, um seinem festen, weit ausgreifenden Schritt auch nur einigermaßen und aus der Ferne zu folgen.

    Nein, gehen Sie nicht. Ich möchte ja, daß Sie bleiben. Sie sind mir ja lieber als er. Sie sagen, Sie lieben mich. Er liebt nur sich. Er ist seiner selbst so ungemein sicher. Er bildet sich so viel ein. Man wird so klein neben ihm. Vor Ihnen, Lenz, kann man sitzen, wie ich jetzt hier auf der Bank sitze vor Ihnen, in dieser Laube, in der wir so oft zusammen gesessen sind, man ist Ihnen noch immer gewachsen. Sie können auch schweigen. Sie bringen einen zum Reden. Während er nur immer selber geredet hat. Geredet, gescherzt, geredet. Sie sind der ernstere Mensch. Sie sind so versonnen. Sie haben die zarteren Züge. Sie passen viel besser zu mir. Sein Gesicht verlöscht mir hinter dem Ihren. In Ihrem Rücken entfernt er sich immer mehr.

    Setzen Sie sich. Setzen Sie sich da neben mich. Treten Sie mir aus dem Blick. Ich kann gar nichts mehr sehen. Da hinten, am Waldrand, in jener Lichtung ... Aber es dämmert ja. Die Sonne liegt nun schon hinter den Hügeln und schläft. Sagen Sie etwas. Es wird so still.

    Ich weiß ja, daß Sie mich lieben. Erzählen Sie mir von Ihrem Freund. Haben Sie ihn noch kürzlich gesehen? Ist er wohlauf? Denkt er noch manchmal an mich? Hat er von mir gesprochen? Nein? Oder doch? Warum sagen Sie nichts? Warum höre ich seine Stimme? Warum habe ich seine gehauchten Worte im Ohr?

    Halten Sie mich, damit ich nicht plötzlich forteile, der versunkenen Sonne nach, über die Hügel. Ich hänge so sehr an ihr. An langen Fäden. Am Licht. An der Wärme. Und wie ich mit Ihnen hier sitze, auf dieser Bank, unter dem Baum, in der Nische, im ersten Winkel der Nacht, bin ich ganz kalt, ganz leer, ganz erloschen. Was Sie sehen von mir, ist nur die Hülle, der Schal, das Kleid, das ich zurückgelassen habe, weil es zur Reise nicht taugte. Obwohl es nun nicht mehr getragen wird, wird es alt, zeigt es schon Flecken und Falten und dünne Stellen.

    Streichen Sie es glatt, Lenz, streichen Sie mein Kleid glatt, mit Ihrer schmalen Hand, legen Sie es sorgsam in Ihren Arm und lassen Sie es beim Gehen nicht fallen. Ich friere. Sie halten mich nicht fest genug. Sie geben nicht warm.

    Wo sind Sie denn, Lenz? Bleiben Sie hier. Wohin laufen Sie denn? Es ist Nacht. Was ist denn mit Ihnen? Lassen Sie mich doch nicht fallen. Sie sagen mir nichts? Er hat mir immer so viel gesagt.

    Rudolstadt,

    März 1790

    Schiller, Freund, noch einmal wähle ich Deine Anschrift, noch einmal erlaube ich mir diese Anrede, die mir in den letzten zwei Jahren auf der Welt die liebste geworden ist. Wie meiner Schwester auch.

    Was hat sich geändert, daß ich in Zukunft darauf verzichten muß? Was hat sich am Himmel verschoben? Was zwischen den Menschen, das mir die Welt zu einer anderen Welt macht? Nichts. Alles. Es ist gar nicht zu sagen.

    Denn Du liebst mich ja noch, wie Du mich immer geliebt hast. Und meine Schwester auch. Du liebst uns beide. Auf Deine Weise. Warum kann ich damit nicht zufrieden sein? Warum macht mich diese Weise der Liebe nicht glücklich? Wie sie es Dich macht? Es ist nicht meine. Du hast die Übermacht der Empfindungen gedämpft, das Übermaß des Glücks in Grenzen gehalten, die Gewalt der Gefühle gebändigt, indem Du die Summe all dessen auf uns verteilt hast. Von Anfang an. Auf die Schwester und mich. Wir hatten diese Möglichkeit nicht. Wir konnten die Liebe nicht teilen. Weil Du der einzige warst. Für jede von uns. Mein Mann zählt ja nicht, leider.

    Aber ich war ja zufrieden, konnte zufrieden und glücklich sein mit den Dingen, so wie sie waren. Könnte es noch. Könnte. Ja, könnte. Wenn alles so wäre, wie es vor einem Monat noch war. Solange Du keiner von uns gehörtest, gehörtest Du beiden. Das ist vorbei. Das ist Geschichte. Das ist einmal gewesen.

    Warum lebst Du jetzt mit der andern, der Jüngern, der Schwester, dem klaren Wasser? Nicht mit dem Strom? Warum mußtest Du seßhaft werden? Warum Dich bergen? Warum die Wohnung nehmen in einem einzigen Leib? Der mir zwar verwandt ist? Verwandt bis aufs Blut? In einem einzigen Kopf? In einem einzigen Herzen?

    Ich kann Dein Geschöpf freilich nicht sein. Nicht erst werden. Mich nicht erst empfangen aus Deiner Hand, in der ich kein Wachs bin. Kann Dir die Freude nicht machen, die Dir wichtiger ist als die anderen Freuden: mich

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