AUGEN AUF UND DURCH: Biographisches von der Suche nach einem lustvollen Leben
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Über dieses E-Book
Satgyan Alexander
Im November 1939 in Berlin geboren, prägten Kriegs- und Nachkriegsjahre seine Jugendzeit. Mit 16 erlernte er das Tischlerhandwerk, studierte dann Innenarchitektur und arbeitete als Architekt in Berliner Büros. 1970 bereiste er 5 Monate im VW-Bus den Vorderen Orient und Afghanistan. Anschließend studierte er Stadtplanung an der HdfK in Berlin, machte sich selbstständig und errichtete Solar-Passiv- Häuser in Berlin. Ab 1980 erweiterte er seine Fähigkeiten mit Studien der Astrologie, Meditation, NLP-Therapie und der Feldenkrais Methode. 1986 gründete er das Centrum für bewusstes Leben (CBL) in Hameln. Seit 2000 lebt er an der Küste der Algarve in einer von ihm erbauten Herberge für Freunde und die Familie . Er ist verheiratet und hat 4 Kinder. Neben den visuellen Ausdrucksformen Film und Malerei, die ihn seit seiner Studentenzeit beschäftigt hatten, begannn er in den 70ger Jahren zu schreiben. Es entstanden ein Gedichtband im Selbstverlag, Reisebeschreibungen und 2010/11 eine Autobiographie. 2013 veröffentlichte Satgyan Alexander In der Edition Leselupe den Erzählband >Zeit für KundaliniLiebe, Literatur und andere LeidenschaftenNur ein RöchelnAugen auf und durch< in 3 Teilen.
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Buchvorschau
AUGEN AUF UND DURCH - Satgyan Alexander
Zu dem Buch
Die Autobiographie erzählt in vielen kleinen Sequenzen das alltägliche Leben eines Mannes aus dem letzten Jahrhundert.
Um dem Leser ein überschaubares Lesevergnügen zu bieten, wurde eine Dreiteilung des umfangreichen, im Jahr 2011 verfassten Werkes unter Berücksichtigung von abgeschlossenen Zeitabschnitten vorgenommen.
Im 1. Band berichtet der Autor in lebhaften, sinnlich erfahrbaren Bildern von der Zeit des Krieges um Berlin, von der Jugendzeit, von ersten sexuellen Verführungen, der ersten Ehe und dem Alltag als angestellter Architekt in der geteilten Stadt.
Im 2. Band werden die wilden 60er und 70er Jahre lebendig, Partys, die Abkehr von der Familie, eine zweite Ehe, sexuelle Affären, Canabisrausch, berufliche Herausforderungen und eine monatelange Reise nach Afghanistan im VW Bus.
Der 3 Band thematisiert die persönliche Veränderung des Protagonisten durch Reisen zu spirituellen Orten in Indien und Marokko der 80er Jahre und Erfahrungen mit alternativen Therapieformen der 90er, die er als Leiter und Therapeut eines Instituts ´Centrum für bewusstes Leben´ - CBL machte.
Um die Wahrnehmungen und Gefühle des Protagonisten im Verlauf der Entwicklung adäquat zu beschreiben, wählte der Autor für jeden Zeitabschnitt eine eigene Ausdrucksweise.
Das Werk, AUGEN AUF UND DURCH bringt dem Leser einen Mann nahe, der, wie viele aus seiner Generation vaterlos aufwuchs und fast ohne Eigenschaften
nach der Maxime lebte: Entscheide dich nach dem Lustprinzip.
AUGEN AUF UND DURCH
Biographisches von der Suche nach einem lustvollen Leben
von
Satgyan Alexander
Band 1
Teil 1-2-3
© 2018 Satgyan Alexander
Umschlaggestaltung Satgyan Alexander
Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 42, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback: 978-3-7469-1593-7
Hardcover: 978-3-7469-1594-4
E-Book: 978-3-7469-1595-1
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
AUGEN AUF UND DURCH
Band 1
TEIL 1 Zeitsplitter
TEIL 2 Zeitausschnitte
TEIL 3 On the sunny site
Band 2
TEIL 4 Desolater Morgen
TEIL 5 Zeitbeben
TEIL 6 Morgenlandfahrer
Band 3
TEIL 7 Wahrhaftig gelogen?
TEIL 8 Die Jahre der Provinz
TEIL 9 Anhang
Als Vorwort
Eine leere Dose poltert über die Pflastersteine. Sie fliegt mit Schwung von rechts nach links, klebt einen Moment an einem Schuh und scheppert wieder nach rechts. Sie kullert, macht leise Nachschwingungen und bleibt unbeachtet liegen. Sie hat noch ihre Form und ich ahne, sie ist ein Sinnbild meiner Existenz. Kein Fuß trifft. Beine bewegen sich wie im Scherenschnitt von rechts nach links, von links nach rechts, dunkle Hosenbeine mit nackten Füssen in Sandalen. Glatt geschliffen schimmern die Pflastersteine im Regen vom hin und her des täglichen Besorgens. Die Dose liegt geschützt in einer Vertiefung, Füße streifen sie leicht, sie wackelt, klappert, bleibt liegen. Jetzt kommen von links farbige Umhänge, aus denen Frauenfüße schauen. Eine helle Bewegung nackter Unterschenkel über den Boden, hin und her, durcheinander diagonal, schnelle Schatten werfend, bewegliche Schatten über graue Steine, vorbei an der Dose.
TEIL 1
Zeitsplitter
Das Gitterbett
Der Weihnachtsmann
Die Wendeltreppe
Der kleine Koffer
Weihnachtsbäume am Himmel
Es brennt
Schwarz auf Weiß
Menschen in der Wohnung
Schläuche unter den Füßen
Kommandantura
Lebensmittel besorgen
Panzerspähwagen
S-Bahnbrücke
Der Hausmeister
Rote Beete
Mauerziegel fliegen
Unter der Treppe
Mohrrüben
Oma im Gegenlicht
Bei Anderen
Ein Sommertag
Spielplatz Oper
Warten
An der Brandmauer
Engel, Dämonen und Fensterkunst
Vor dem Haus
Straßenkunst
Glitzern auf der Straße
Raus mit der Elektrischen
Kino, Kino
Kino, Kino Fortsetzung
Die Kartenlegerin
Anprobe
Sylvester
Hausmusik
Sonntags bei den Kleingärtnern
Die Abreibung
Das war knapp
Der Alte auf der Bank
TEIL 2 Zeitausschnitte der 50er
Die Bürgschaft
Vater, ach Vater
Die Anfänge des Kinoabiturs
Martina
Karin & Ingrid
Vater wird sechsundfünfzig
O.G. (ohne Gehör)
Jazz at the philharmonic
Suche nach dem Geheimnis
Kunstversuch
Letzte Anstrengungen
Eine Lehre
Holzplatzgeschichten
Tanzstunde
Samstags In der Wanne
Abschlussball
Fräulein Hidegard
Geheimnisse am Weg
San Franzisco Bar
Cinema Paris
Verwirrungen
Die Tür zur Verführung
Vorbei
Fasching, Partys, Nachtclubs
Leere ausfüllen
Leere ausfüllen 2
Jazz-LP Erwerbungen
Auch Vater kann einsichtig sein
Strandbad Wannsee
Das Jahr 1958
TEIL 3
On the sunny side
Neues bahnt sich an
Laterna Magica
Eine Reise mit Mutter
Schöne Zeit
Mensageschichten
Farbe und Form
Uli und Susanne
Hin-und hergerissen
Begeistert von Jutta R.
Bernd Z.
Semesterarbeit
Semesterferien
Schöne Zeit endet
Noch eine Lehre
Halbzeit
Zwischenbericht
Ende gut, alles gut?
ZEITSPLITTER
Das Gitterbett
Der Raum ist hoch, die Zimmerdecke weit über mir. Ich blicke direkt auf eine Tür, die mir riesig scheint. Sie ist eingeteilt in zwei senkrechte Füllungen oben und zwei quadratische unten, die ich nur teilweise sehen kann. Die Tür glänzt elfenbeinfarbig mit einer gold farbenden Klinke und einem länglichen Schlüsselschild in derselben Farbe. Davor läuft eine hellbraune Leiste, in der runde Stäbe stecken. Die Leiste ist auch rechts und links von mir und wenn ich den Kopf nach oben hinten drehe, sehe ich die seitlichen Leisten in eine rückwärtige enden. Hinter mir gibt es jedoch keine Stäbe mehr. Hinten ist das Gestell geschlossen. Der Abstand zwischen den seitlichen Stäben ist so breit, dass ich meine Hand durchstecken könnte, aber nicht den Kopf.
Ich könnte den Kopf gar nicht durchstecken, denn ich liege platt auf dem Rücken und kann mich nur wenig bewegen. Irgendetwas hindert mich. Meine Beine sind in einem Sack gesteckt und meine Arme unter einer Decke dicht an dem Körper gedrängt. Nur meine Hände kann ich etwas bewegen und auf meinem Körper nach oben zum Gesicht führen.
Das dünne, weiche Tuch, welches unter meinem Kinn liegt, habe ich jetzt über mein Gesicht gezogen und es bewegt sich beim Atmen. Es ist ganz weich. Sehen kann ich die Zimmerdecke nicht mehr, auch nicht die Tür, durch die sonst meine Mama kommt. Aber sie kommt nicht. Ich habe schon genug gerufen, geschrien und geweint. Niemand kommt. Um mich herum ist ein großer heller Raum und auf meinem Gesicht das Tuch, das sich auf und nieder bewegt, während ich erschöpft einschlafe und träume.
Der Weihnachtsmann
Es gibt ein Foto von mir, auf dem ich noch klein, vielleicht drei Jahre alt bin, in einem dunklen Mäntelchen mit Pelzkragen. Ich stehe auf dem Alexanderplatz neben einem großen Mann mit weißem Bart, der einem langen, roten Mantel trägt und in der Hand eine Rute und einem Sack hält. Um uns herum stehen viele Leute und schauen zu. Und jedes Mal, wenn ich das Bild betrachte, höre ich innerlich Weihnachtslieder von Kinderstimmen und im Hintergrund den Verkehrslärm. Es duftet nach gebrannten Mandeln und nach einem scharfen Gewürz. In der Luft liegt eine Ahnung von Schnee, von nasser Kälte und die Dämmerung kündigt sich durch viele Glühbirnen an, die ringsum bereits aufleuchten. Dann höre ich auch meine eigene Stimme: Weihnachtsmann! Ich hab ihm die Hand gegeben
und als Echo höre ich diesen Satz von meiner Mutter sagen, wenn sie mit mir in den Lebensmittelladen in unserem Haus ihre Einkäufe macht und von dem Ausflug zum Weihnachtsmarkt berichtet.
Hat er das nicht hübsch gesagt?
Und alle Leute in dem Geschäft wollen den Satz auch noch einmal von mir hören. Ich schau die Leute an, schüttel den Kopf und die Besitzerin des Ladens bezweifelt, dass ich reden kann. Kann er denn wirklich schon sprechen?
Ich interessiere mich mehr für die silberne Milchmaßkanne, mit der die Frau die Milch aus einem großen Behälter in der Ladentheke herausschöpft und in die mitgebrachten Milchtöpfe füllt. Sie hat zwei Gefäße mit Henkeln. Einen größeren und einen kleineren mit denen sie die weiße Flüssigkeit in unsere Kanne schöpft. So! Einen dreiviertel Liter, bitte schön.
Und ich freue mich schon auf das Schüsselchen Sauermilch mit einer Haut obendrauf und viel Zucker darüber.
Die Wendeltreppe
Wir sind wieder aus dem Keller nach oben gelaufen, die erste untere Wendelung, zweimal im Oval, die Hand immer am glatten Handlauf, der so weit oben ist. Die Holzstufen auf Stahlblech sind eng gewendelt, links schmal, rechts breit, in der Mitte sind sie abgetreten, hellbraun. Das begleitende Blech an der Wand mit dem Schwung nach oben ist grau, auch das Blech in der Mitte am Treppenauge.
Es sind viele Stufen, vielleicht 25, dann ein Podest aus Holzdielen mit einer Tür, stabil aus Rahmen und Füllung gebaut, die abblätternde Farbe ist graubraun. Dort wohnen Kahls.
Und nochmal 25 Stufen. Weiter nach oben im Oval der Spirale. Wieder ein Podest und eine Tür. Das ist der hintere Eingang zu unserer Wohnung, der Kücheneingang. Endlich steckt Mutter den großen Schlüssel ins Schloss und dreht ihn, bis es Klack macht. Jetzt sind wir in Sicherheit. Aufatmen! Alles ist noch da.
Der vertraute Fliesenboden reicht bis zur Hälfte des Raumes, dahinter beginnt das Linoleum mit der abgetretenen Kante an den Fliesen. Gleich hinter der Tür steht ein gusseisernes Ungetüm mit Rankenmustern. Ein hoher Heizkörper ist mit dicken Rohren verbunden, die seit vielen Tagen kalt sind.
Der Tisch steht in der Mitte mit dem Auszugsteil zum Abwaschen und, wenn die Tür endlich geschlossen ist, sehe ich durch das Küchenfenster mit den Glasresten und der dazwischen vorgenagelten Pappe das Hinterhaus aufleuchten und den rötlich gefleckten Himmel. Das Dröhnen der Flugzeuge liegt noch in der Luft und eine brennende Hitze und stickiger Rauch.
Kann ich jetzt wieder in mein Bett?
Der kleine Koffer
Der kleine Koffer hat einen Ledergriff, der aus mehreren Schichten besteht. Zwei blanke Schnappverschlüsse, die durch seitliches Schieben der Schlossknöpfe aufspringen, machen dann Klack. Der Koffer birgt meine Schätze. Er liegt auf meinen Knien. Wenn ich den Deckel aufmache, dann sehe ich zuerst den Klettermax, der auf der Leiter immer abwärts saust und sich um sich selbst dreht, auf die nächste Sprosse hinunterfällt, sich wieder um sich selbst dreht bis er ganz unten in den Kofferkasten fällt. Nun nehme ich ihn wieder und stecke ihn auf die oberste Sprosse und sein Abstieg beginnt erneut. Ich kann ihn nicht deutlich sehen. Es ist nicht sehr hell hier unten in dem Raum mit den vielen Menschen. Eine kleine Glühbirne schwingt hin und her, manchmal flackert sie, zeitweise ist es dunkel. Es rumpelt, die Wände beben, Putz rieselt. Ich höre noch das Klack, Klack des Klettermaxen und dann auch das Atmen und Jammern um mich herum. „Wie lange wird es diesmal dauern?", fragt eine Stimme.
Ganz eng sitzen wir hier auf Holzstühlen mit dem Rücken zu unverputzten Wänden aus Ziegeln, die weiß überstrichen sind. Jetzt ist das Dröhnen wieder stärker, das um uns herum wie Staub die Luft erfüllt. Das Dröhnen nimmt so zu, dass ich den Mund aufmachen muss. Jetzt wieder das Beben, dass alle Wände zittern und dazu die Dunkelheit. Mutter ist dicht bei mir und Oma auch. Den Koffer halte ich ganz fest auf meinen Knien: Sie sind wieder weiter
, sagt jemand erleichtert. Das Dröhnen nimmt ab, die Lampe flackert wieder. Die Eisentür mit den großen Griffen wird aufgemacht und Brandgeruch zieht durch den Keller. Dann das Aufrappeln, Aufatmen und Schlurfen von müden Füßen um mich herum, und ich gehe wieder an der Hand, die so vertraut ist, durch den langen, dunklen Kellergang zur Wendeltreppe. Die Kerze flackert und wirft merkwürdige Schatten. Der phosphoreszierende Anstrich an den Wanddurchgängen reflektiert schwach das Licht.
Weihnachtsbäume am Himmel
Atemlos, nachdem wir die Treppe runtergelaufen sind, blicken wir in den Nachthimmel. Das Dröhnen der Flieger, das Pfeifen, Kreischen und Wummern der abgeworfenen Bomben hat nachgelassen. Jetzt hören wir wieder die Sirenen und die Fanfaren der Feuerwehr. Prasseln und Bersten von Feuer, Knistern und Brechen von zusammenstürzenden Decken und Wänden dringen von verschiedenen Seiten auf uns ein. Über uns am Himmel, beleuchtet von Flakscheinwerfern, die noch hin und her wandern auf der Suche nach feindlichen Flugzeugen, sehe ich die Leuchtmarkierungen, die langsam nach unten schweben. Helle Lichtkaskaden lösen sich auf und sinken als einzelne Punkte wie eine Lichterkette zur Erde. In dem Ausschnitt des Himmels, den unser Hof bildet, erkenne ich mehrere sogenannte Weihnachtsbäume, die eine Fläche nördlich von uns markiert haben. Dort sind Sprengbomben und Phosphorbomben abgeworfen worden. Wir haben diesmal Glück gehabt.
Ganze Areale werden so markiert, damit die Bomber in der Nacht ihre Ziele nicht verfehlen. Systematisch zerstören sie Quartier für Quartier. Einzelne Häuser bleiben verschont und ragen wie Symbole des Widerstandes aus den Ruinen. Ich kann meine Augen gar nicht von dem himmlischen Feuerwerk lassen, aber Mutter zieht an meiner Hand. Wir müssen weiter hinunter in den Luftschutzkeller. Die nächste Angiffswelle dröhnt schon am Himmel.
Heute sind wir spät dran. Wir hätten schon längst im Keller sein müssen, wo die anderen Hausbewohner und Oma seit vielen Stunden ausharren. Aber ich wollte doch wenigstens einmal die Weihnachtsbäume
am Himmel sehen
Es brennt
Wir, Mutter und Ich, kommen von unten aus dem Keller, über die Wendeltreppe, durch die Küche, sehen den flackernden Himmel im Küchenfenster. Durch den kleinen Flur, der dunklen Schutz bietet, erreichen wir das Wohnzimmer, das in rotgrelle Helligkeit getaucht ist. Jetzt sehe ich die Feuerwand. Es knallt und berstet. Es riecht nach Brand, es zischt und stürmt. Ich stehe wie erstarrt. Ganz vorsichtig, Schritt für Schritt gehe ich durch die große Flügeltür in das Erkerzimmer mit den grossen Fenstern. Viel Glas ist nicht mehr vorhanden, nur noch gesprengte Reste. Die Pappen, als Glasersatz aufgenagelt, verfärben sich jetzt gelblichrot. Sie verziehen und wellen sich. Eine unglaubliche Hitze dringt wabernd in den Raum, sie nimmt mir den Atem.
Es ist eine riesige, erdrückende Feuerwand, rotgelb, an den Rändern bläulich weiß. Sie greift in den dunklen Himmel, der nicht mehr dunkel ist, weil überall die Flammen über den Häusern stehen. Der Dachstuhl des Hauses gegenüber, der mir doch seit Jahren als rotbraune Ziegelfläche so vertraut war, ist verschwunden. Es knallt und das Feuer rutscht und stürzt in die Wohnung darunter, brennt sich durch die Decken und schlägt aus den Fenstern. Die Flammen werden immer höher. Das unerträglich laute Lodern und Knacken des Feuers und das Brechen von Steinen, Balken und Möbeln, die sich aufgeben, verbinden sich mit dem Brausen all der Feuer um uns herum und mit dem Zischen des Löschwassers.
Jetzt sind Rufe von Helfern zu hören.
Ich stehe still und starre auf die Gewalt des Feuers und bin irgendwie auch fasziniert von der Schönheit und der Kraft der Veränderung, die das Feuer bringt.
Wie anders das Haus gegenüber jetzt aussieht. Und wie wird es morgen bei Tage sein?
Schwarz auf weiß
Im Herbst und Winter des Jahres 43-44 waren wir bei Onkel Ernst in Schievelbein auf seinem Landgut. Mutter hatte alle Möbel des Schlaf- und des Wohnzimmers in einer Scheune unterstellen lassen. Und wir drei, Mutter, Oma und ich waren dort einige Monate zu Gast. Viele Kinder mussten Berlin wegen der Bombenangriffe verlassen und waren bei irgendwelchen Leuten oder in Heimen untergekommen. Ich hatte Glück und konnte mit meiner Familie in das schöne Haus auf dem Land unterschlüpfen.
Das Klinkerhaus lag von Bäumen umgeben allein in der flachen Landschaft. Mutter erzählte mir, dass Onkel Ernst als Sanitätsrat bereits pensioniert wäre. Er hatte daher viel Zeit für uns und auch für seine Hunde und Pferde. Ein Pony hatte es mir besonders angetan, auf dem ich im Kreis reiten durfte. Vor den Gänsen hatte ich Angst, sie rannten mit ihren langen Hälsen auf mich los und schnappten nach mir. Aber sonst war es dort sehr schön und ruhig nach den schrecklichen Nächten in Berlin. Immer aus dem Schlaf geschreckt und an Mutters Hand durch die Wohnung taumeln, die Wendeltreppe im Dunkeln runter, durch den Keller hasten, in den Luftschutzraum hinein und warten bis die Sirenen zur Entwarnung heulten, das gab es dort nicht. Da gab es gutes Essen und gute Landluft. Es ist wie in der Sommerfrische
, meinte Mutter.
Einmal ging sie mit mir auf der Chaussee mit den großen Bäumen zur nächsten Kleinstadt. Das war ganz schön weit und das Pflaster mit dem nassen Laub rutschig. Diese endlose Weite des flachen Landes, der pfeifende Wind, der die Bäume bewegte und meine Atemwolke, die ich vor mir sah, sind noch Erinnerungen an diesen Weg zu einem Kino. Aus einem Spielfilm mit dem Titel „Schwarz auf Weiß" erinnere ich eine Szene: ein Schornsteinfeger hinterlässt mit seiner Hand auf dem Hintern der Köchin einen Abdruck, auf ihrer weißen Schürze. Den ganzen langen Weg auf der Landstraße zurück, bis in die Gegenwart, sehe ich immer noch dies Bild vor meinem inneren Auge.
Menschen in der Wohnung
Im letzten Jahr wurde es immer enger in unserer Wohnung. Gut, es ist eine Fünfzimmerwohnung mit großem Bad, Küche, Mädchenkammer und einem WC. Aber vor den Bombenangriffen hatten wir zu viert in den Räumen gelebt: Mutter, Oma, Tante Hete und ich. Vater war im Krieg und wollte auch nicht mehr zu uns zurück. Oma und ihre Schwester wohnten früher in Friedenau. Nun, in diesen schlimmen Zeiten war es besser zusammenzuziehen, sagten sie mir. Außerdem war Tante Hete schon ganz wackelig auf den Beinen. Als ich mal in die Küche rannte und sie voll Freude umklammerte, rief sie aufgeregt, er wirft mich um, er wirft mich um!
und sie hielt sich an der Kochmaschine fest.
Seit ein paar Tagen wohnt nun eine Familie, die ausgebombt waren, mit in unserer Wohnung. Sie wurden eingewiesen. Mutter hat das Büro vom Vater ausgeräumt. Es stand sowieso nicht mehr viel darin und mein Kinderzimmer ist jetzt auch verändert. Die Zimmer sind nicht groß, aber ausreichend. Die Leute haben keine Möbel mehr. Erstmal haben sie Matratzen zum Schlafen hingelegt. Die Vorhänge hat Mutter hängen lassen. Einen alten Tisch und ein paar Stühle haben die Ausgebomten