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Exitus Venusberg: Mord in Bonn
Exitus Venusberg: Mord in Bonn
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eBook290 Seiten4 Stunden

Exitus Venusberg: Mord in Bonn

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Über dieses E-Book

Ein junger Assistenzarzt liegt ermordet in den Katakomben des Universitätsklinikums Bonn. Die beiden Kommissare Margot Lukas und Fabian Faust finden zuerst trotz wenig Schlaf und eifrigen Nachforschungen weder Mörder noch mögliches Motiv. Auch die Ermittlungen in der Familie des Opfers und im Studentenheim, in dem der Arzt bis zu seinem Tod lebte, bringen die beiden nicht weiter. Doch dann erfahren die Kommissare, dass es vor wenigen Jahren schon einmal den ähnlichen Todesfall einer jungen Ärztin gab. Diese Nachricht führt Margot und Fabian auf eine neue Fährte, die sie selbst in Gefahr bringt ...
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition Lempertz
Erscheinungsdatum22. Mai 2015
ISBN9783960581918
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    Buchvorschau

    Exitus Venusberg - Ditmar Doerner

    Auftakt

    Kapitel 1

    Die Neonröhren werfen kaltes, abweisendes Licht quer durch den langen Keller. Jeder Zentimeter ist ausgeleuchtet, sogar das uralte Trichternetz unterhalb der Lüftungsluke erscheint durch den glänzenden Kunstschein fast wie neugesponnen. Dabei ist die letzte Große Winkelspinne hier bereits vor mehr als zwanzig Jahren ausgetrocknet; es gab kein Insekt mehr, das sich in ihren Fangfäden verheddern konnte. Kleine, ausrangierte Nachttischchen aus Patientenzimmern, unzählige alte Vasen, die zum Teil auf dem nackten Boden stehen und auf einem langen Tisch, der voller Flecken schon vor sieben Jahren aus der Station Schurmann aussortiert wurde, füllen eine Längsseite des mehr als zwanzig Meter langen Raumes. Gegenüber steht ein gutes Dutzend alter Krankenhausbetten, überzogen mit dicken, durchsichtigen Plastikbezügen. Kreuz und quer berühren sie die Wand, so als seien sie ohne jegliche Ordnung mit geschlossenen Augen einfach hier hineingeschoben worden, mit einem kleinen Stups vielleicht und der Gewissheit oder Gleichgültigkeit, ihren Platz allein finden zu können.

    Nichts regt sich hier unten, die Zeit scheint bereits vor der Jahrtausendwende stehengeblieben zu sein. Doch das stimmt nicht ganz: Bis vor drei Minuten störte ein Geräusch die absolute Stille im Kellerraum und schien das hier vergessene Leben zurückzubringen. Nun aber ist es wieder still, zumindest beinahe.

    Von einem der übelriechenden Betten tropft blauer Desinfektionsreiniger herab auf den Boden und vermischt sich dort mit dem Staub der vergangenen Jahre.

    Bis vor drei Minuten floss der Reiniger stetiger auf den Boden, aber der Mann, aus dessen Mund die Flüssigkeit quoll, ist nun tot. Er trägt eine weiße Arzthose, ein weißes Polohemd und einen weiten Arztkittel, den er zu Lebzeiten gerne offen trug, da er ihm beim schnellen Gehen durch die Stationsgänge vorbei an Schwestern, Pflegern und Patienten immer die Aura von Wichtigkeit und Vitalität verleihen sollte.

    Der Mann ist jung, Anfang dreißig, und sein Gesicht glänzt auch jetzt noch so schweißüberströmt wie seine Brust, auf der sich der Schweiß mit dem blauen Reiniger vermischt hat. An Armen und Beinen ist er mit vier jeweils fünf Zentimeter breiten dunkelbraunen Rindslederriemen fixiert. Seine Glieder sind erschlafft, auch sein Gesichtsausdruck ist entspannt – ganz so, als habe er sich gegen den Tod nicht gewehrt.

    Die eher kleine Gestalt auf der linken Bettseite betrachtet den toten Mann mit fast unbeteiligtem Gesichtsausdruck. Sie bückt sich, hebt sorgsam die weiße Plastikflasche vom Boden auf und schraubt den roten Sicherheitsverschluss zu. Ein paar Sekunden verweilt sie neben dem Toten, wirft einen kurzen Blick auf die Lüftungsluke, ohne allerdings das alte Trichternetz der letzten Bewohnerin dieses Raumes zu bemerken, und verlässt ohne jegliche Hast den Raum.

    Kapitel zwei

    Margot:

    Die Balkontür im Mietshaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite öffnet sich und zwei Gestalten schlüpfen kichernd nach draußen. Kurz wird die Musik lauter. „Du ming Kölle!, höre ich, „du ming Stadt. Hinter den Fenstern neben den beiden sehe ich ein Dutzend Gestalten weiter tanzen und schunkeln.

    Kurz schließe ich die Augen. Als ich sie wieder öffne, sehe ich, wie sich der Mann tanzend seine Pappnase auf die Stirn setzt und versucht, die Frau im Hasenkostüm zu küssen. Beide kichern und ich hoffe, Fabian kommt, ehe es bei den beiden zum Austausch von weiteren Zärtlichkeiten kommt.

    Warum muss ich mitten in der Nacht in dieses Vor-Karnevalstreiben geraten? Warum?

    Mein Seufzen war wohl etwas zu laut, die beiden Gestalten auf dem Balkon halten in ihrer Umarmung kurz inne und schauen in meine Richtung. Kichernd drücken sie sich tiefer in die dunkle Ecke des Balkons, halb verborgen hinter einem Wäscheständer.

    Obwohl ich erst zwei Minuten im Regen stehe, spüre ich die Nässe in meinem Nacken. Die Aussicht auf die kommenden Wochen, den Beginn des rheinischen Karnevals, macht das Ganze nur noch schlimmer.

    Fabian lässt mich warten. Kurz vor drei. Vor gut zehn Minuten hat er mich aus dem Schlaf gerissen und mir am Telefon erklärt, er werde mich sofort abholen, ich solle mich beeilen, er stehe jeden Augenblick vor meiner Türe, wir hätten absolut keine Zeit. Und jetzt? Wo ist er?

    Fabian Faust ist mein Partner bei der Kripo. Hauptkommissar wie ich, genauso alt wie ich, aber weitaus begeisterungsfähiger. Bis vor einem Jahr hat er in Südasien gearbeitet, hat in Bangladesch mitgeholfen, eine Polizeieinheit in Dhaka auszubilden, und immer, wenn ich schlecht gelaunt bin, erinnert er mich enthusiastisch daran, wie gut hier doch alles sei.

    Davon will er mich auch überzeugen, wenn wir gerade mitten in einem Tatort stehen, wenn auf seinen Überziehern Blutspritzer abperlen, weil er wieder einmal die Arbeit der Kollegen der Spurensicherung behindert. Sein Einweganzug spannt sich dann über seinem dicken Bauch und sein rundes Gesicht strahlt dabei noch eine Zuversicht aus, dass man glauben könnte, die tote Person am Boden würde jeden Augenblick allein durch Fabians positive Ausstrahlung wieder ins Leben zurückkehren. Wenn es soweit ist, gebe ich meinen Job auf.

    Ich versuche den Kragen meines Mantels enger an meinen Hals zu drücken, spüre dadurch aber nur umso mehr die Nässe in meinem Nacken. Ich betrachte meine Stiefel, Größe 42. Irgendwie ist alles an mir zu groß: mein Kopf, mein Busen, meine Nase. Das Gefühl, anders zu sein, hatte ich schon in der Schule, ab der dritten Klasse. Seitdem bin ich es nicht mehr losgeworden.

    Ein Rhododendron schüttelt sich im aufkommenden Wind und auch auf den andern Sträuchern vor meinem Haus glänzen auffliegende Wasserperlen, beleuchtet von den Straßenlaternen, die den Bürgersteig und die Rilkestraße erhellen. Seit zwei Jahren wohne ich nun schon hier im Bonner Stadtteil Beuel, arbeite bei der Kriminalpolizei und –

    Ich höre die Zombies, bevor ich sie sehe. Was aber nicht verwunderlich ist, denn sie singen irgendein anderes dieser unendlich vielen „Ming Kölle am Rhing"-Lieder. Alle ein bisschen in der Melodie abgewandelt, aber alle gleich unerträglich, möge ich mit dieser Meinung im Rheinland auch allein sein.

    Sie kommen von der Limpericher Straße, Richtung Beueler Hallenbad. Sie haben mich noch nicht entdeckt, meinen schwarzen Schatten am Ende des Vorgartens neben der kleinen Trauerbirke. Sie sind ganz in ihre Darbietung vertieft. Ming Kölle so schön!

    Drei Männer, nicht mehr jung, vielleicht Anfang vierzig, alle drei gut gekleidet, mit langen, schwarzen Mänteln, Bügelfaltenhosen und glänzenden Schuhen, was aber auch am Regen liegen kann. Vielleicht kommen sie gerade von einer Männersitzung, dafür wirken sie aber extrem unkostümiert, vielleicht von einem gelungenen Vertragsabschluss, aber ach, eigentlich ist mir das auch egal.

    Mitten im Refrain halten sie inne, die letzte Silbe des Refrains (schön!) bleibt in ihren Bierkehlen stecken, es wird ruhig, ich höre nur die Regentropfen weiter auf meine Jacke fallen. Jetzt haben sie mich entdeckt. Natürlich, sie sind ja auch nur betrunken, nicht blind!

    Ich wappne mich innerlich, versuche ruhig zu atmen, mich leicht zu machen, zu entspannen. Vielleicht sind sie ja freundlich, vielleicht haben sie aufgehört zu singen, weil sie mich nicht verschrecken wollen, eine Frau ganz allein mitten in der Nacht an der Straße, vielleicht wollen sie sich ja sogar entschuldigen, akustisch randaliert zu haben. Allerdings bin ich lange genug auf der Welt, um zu wissen, dass dem nicht so sein wird. Ich sehe sie förmlich schnuppern wie Hunde, die versuchen, einen verführerischen Geruch zu orten. Und dann gleich loszujagen.

    Sie werden mich nicht ignorieren, nicht freundlich grüßend an mir vorbeigehen, geschweige denn sich für den Krach zu entschuldigen. Stattdessen werden sie mindestens einen dummen Spruch pro Person lallen, mich vielleicht auf einen Drink, oder, wenn sie besonders betrunken oder dämlich sind, direkt zu sich nach Hause einladen („Hasse nich Lust auf ’ne kleine Massasche, Herzchen?").

    Jetzt stehen sie mir fast direkt gegenüber, fünf Meter entfernt, straßenbreit, halten sich aneinander fest, schauen mich aus zusammengekniffenen Augen an, als sei ich das achte Weltwunder, ein sprechender Kirschbaum oder ein fliegender Gartenzwerg (ja, das wäre schön: hurtig direkt in ihre einfältigen Fratzen hinein!).

    Sie wanken ein wenig von rechts nach links, drei überdimensionierte Dominosteine, dann beginnen sie erneut ein Liedchen zu brummen, diesmal ist es die Hymne des allenfalls mittelmäßigen Fußball-Clubs hier in der Nähe, der ebenso schlicht ist wie das Vereinsmaskottchen, ein Geißbock.

    Ich spüre ihre Aura und weiß, dass sie sich sammeln wie ein Rudel Löwen, das am Wasserloch eine junge Antilope entdeckt hat. Sie warten auf den jeweils anderen, den ersten Schritt zu machen, der Kleinen (haha!) da drüben mal zeigen, wo der Hammer hängt. Gott, wie mich das langweilt!

    Zwei der Zombies sind schlank, bei dem Dritten wölbt sich eine dicke Kugel unter seinem Mantel, ähnlich wie bei Fabian. Er ist auch der einzige, der noch dichtes Haar besitzt, bei den beiden anderen fliegen die Strähnen munter im Nachtwind. Sie schieben sich einen halben Schritt hinter den Dickeren, so als wollten sie ihm ganz freundschaftlich den Vortritt lassen, das Bienchen da drüben mal anzutesten, abzuchecken, vielleicht sogar klarzumachen.

    „Hey, Schätzelein, was machst’n so spät noch auffer Straße hier? Hat dein Freund dich versetzt, hm?" Er lacht erst mich und dann seine beiden dämlichen Kumpels an. Alle drei knuffen sich in die Seite, als sei die Show, die sie hier abziehen, unglaublich ausgefallen und originell. Manchmal ist es mir einfach unbegreiflich, auf was Männer stolz sein können.

    Ich spiele kurz mit dem Gedanken, in meine linke Brusttasche zu greifen und ihnen meinen Dienstausweis zu zeigen. Aber irgendetwas hindert mich daran. Vielleicht ist es nur ein Überschuss an Aggressivität, weil mich Fabian aus dem Schlaf gerissen hat, vielleicht einfach nur Neugierde.

    Keine Furcht haben zu müssen ist schön. Vor allem dann, wenn das Gegenüber genau das nicht vermutet und vom Gegenteil überzeugt ist. Zugegeben, die Lektion, die ich nun vorhabe, entblößt eine unschöne Seite von mir, aber wer, sage ich mir, ist schon vollkommen?

    Der Dicke, der mich angesprochen hat, macht einen Schritt nach vorn. Die Kante des Bürgersteigs macht ihm Probleme, er gerät ins Straucheln, aber ich bemerke, dass er nicht so betrunken ist, wie er mir vorzugaukeln versucht. Ich sehe es im Blick seiner Augen. Sie besitzen etwas Lauerndes, Verschlagenes und sehr Waches. Mitten auf der Straße bleibt er stehen, sein Oberkörper schwingt leicht von links nach rechts, unmerklich wie die Türme von Wolkenkratzern. Er schaut mich an. Sein dickes Gesicht wirkt jugendlich, ohne Falten und rund wie ein Pfannkuchen. Ich achte auf seine Hände, habe sie genau im Blick, auch wenn ich ihm weiter ins Gesicht schaue. Die beiden anderen stehen weiterhin auf der anderen Straßenseite, rühren sich nicht, ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie überhaupt noch atmen. Wahrscheinlich sind sie gerade unsinnig stolz auf ihren Freund, der einfach mir nichts dir nichts mitten in der Nacht fremde Frauen anquatscht, anbaggert, angräbt, ohne jede Scheu. Hervorragender Typ das!

    Einer der beiden im Hintergrund ruft plötzlich: „Hey, Manni, sei vorsichtig, die reißt dir die Eier ab!" Dann lachen beide und betatschen gegenseitig ihre Schultern.

    „Süße, ist das wahr, bist du gefährlich? Manni lächelt. „Was machst du denn hier, so ganz allein?

    Vielleicht ist es die Tatsache, dass ich nicht zurückweiche, vielleicht passt mein Verhalten nicht in das Muster, das er von Frauen hat, die nachts allein auf der Straße stehen, jedenfalls hindert ihn irgendetwas, näherzukommen. Im günstigsten Falle, sage ich mir, ist es sein gesunder Menschenverstand. Aber ich weiß, dass der nicht die Oberhand behalten wird. Das tut er bei solchen Typen ja nie.

    „Für wen gefährlich?", frage ich, aber die Doppeldeutigkeit meiner Frage erkennt er vermutlich nicht. Ich zögere, will nun doch meinen Ausweis aus der Tasche ziehen, als er langsam bis auf einen Meter an mich herankommt.

    „Bist du für’s Gebumse hier auf der Straße nicht ’n bisschen zu alt?" Er lacht wieder, gluckst fröhlich vor sich hin, als habe er ein wertvolles Spielzeug aus Kindertagen wieder gefunden, und schaut sich wonnetrunken zu seinen Freunden um. Ein schöner Moment, um ihn mit einem Schlag flach zu legen, aber ich lasse ihn vorüberziehen.

    Vielleicht kommt Manni ja doch noch zur Vernunft. Ich will ihm nicht weh tun, jedenfalls nicht, wenn es nicht sein muss. Seine Freunde nicken und ich warte nur darauf, dass sie den Daumen hochrecken und ihn anfeuern, weitere geistreiche Bemerkungen abzugeben. Kurz wundere ich mich, dass sie nicht Block und Kugelschreiber gezückt haben, um all dies mitzuschreiben.

    Manni dreht sich wieder zu mir. „Schätzelein, wenn du nichts mehr vorhast heut Nacht, und das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dann lass uns vier doch alle zu dir gehen, was meinste?" Wieder lächelt er mich an, und ich lächle zurück, amüsiert und ungläubig. Ich lasse meine Arme ganz locker herabhängen, entspanne die Beinmuskeln gerade so weit, um leicht, aber doch standfest zu sein.

    Ich flüstere: „Zieh Leine, Dicker, sonst schlag ich dich."

    Es ist gut, in einer solch angespannten Situation leise zu reden, es verunsichert das Gegenüber. Der Angesprochene möchte vermuten, sich verhört zu haben, ahnt aber, dass dem nicht so ist und bemerkt, dass sich die Situation anders entwickelt, als er sie geplant hat.

    Auch Mannis Lächeln gefriert. Er drückt den Rücken durch, sein Bauch verschwindet fast unter dem Mantel, in dem er allerdings ohnehin nicht kämpfen könnte, selbst, wenn er wollte. Dafür ist er viel zu dick. Er ist einen halben Kopf größer als ich. Seine Arme sind angewinkelt, und seine ganze Haltung hat nun etwas Wütendes und Verkrampftes.

    Ich höre seinen Atem. Schnell und kurz zieht er die Nachtluft in die Lunge. Er ist empört! Ich habe ihn beleidigt.

    Sollte ich ihm den Tipp geben, ruhig zu bleiben, entspannt zu atmen und stattdessen beginnen zu denken? Ihm vielleicht sagen, dass es häufig verletzter Stolz ist, der Männer zu Verlierern macht?

    Seine Augen werden zu Schlitzen. „Was haste gesagt?", fragt er.

    Ich rieche seinen Atem und bin mir nicht mehr sicher, ob er nicht doch vollkommen betrunken ist. Soll ich nicht einlenken und die Situation deeskalieren, wie ich das in Dutzenden langweiligen Psychoquatsch-Seminaren, die nicht viel mit der Realität zu tun haben, gelernt habe?

    „Du hast mich ganz genau verstanden, du Wicht!", sage ich wieder leise, und vielleicht klinge ich noch böser als beabsichtigt.

    Allein durch seine Größe und sein Gewicht wähnt er sich im Vorteil. Dabei weiß er wahrscheinlich nicht, dass Größe und Gewicht bei körperlichen Auseinandersetzungen nur richtig eingesetzt einen Vorteil darstellen.

    Mit dem rechten Arm greift er nach mir, tapsig und langsam wie ein Bär. Ich bleibe weiter defensiv und trete einen Schritt zurück. Gleichzeitig denke ich: Fabian, beeil dich, noch ist Zeit, ihn zu retten, komm endlich! Aber Fabian denkt gar nicht daran, pünktlich um die Ecke zu biegen.

    Manni rückt einen Schritt nach, jetzt sind wir wieder nur auf Armeslänge getrennt. „Du kleines Flittchen, was fällt dir denn ein, ich werde dich …! Er stutzt und schaut auf meine linke Hand. „Hey, was hast’n da gemacht? Da fehlt dir was.

    Hurra, gebt dem Genie einen Schokoriegel! Er hat entdeckt, dass mir links der kleine Finger fehlt. Seine Augen werden groß, als habe er so etwas noch nie gesehen. Er verzieht den Mund zu einem Lächeln „ Dann hab ich ja sogar zwei mehr!" Er dreht sich zu seinen Kumpels und erwartet Applaus für diese Spitzfindigkeit.

    „Ja, sage ich, „zumindest von der Größe könnte das ungefähr hinkommen, oder?

    Niemand außer meinen Eltern hat mir gesagt, dass ich immer freundlich sein muss.

    Diesmal greift er mit dem linken Arm nach mir, aber ich bin gewarnt und weiche mit dem Oberkörper zurück, sodass er beinahe das Gleichgewicht verliert.

    Tatsächlich fehlt mir mein kleiner linker Finger. Seit sieben Jahren. Ich bemerke es kaum noch, nur ab und zu, wenn ich nach etwas Schwerem oder Unhandlichem greife, kommt die Erinnerung an den Oktober vor sieben Jahren zurück. Am liebsten würde ich diese vier Tage ausblenden, sie aus meinem Leben streichen, aber das funktioniert natürlich nicht. Meine Träume erinnern mich mindestens drei- bis viermal im Monat daran.

    Ich sehe Mannis rechte Hand auf mein Gesicht zutapsen. Langsam und tölpelhaft. Seine Ohrfeige geht ins Leere und durch den fehlenden Widerstand stolpert er an mir vorbei. Ich spüre einen Luftzug, rieche kurz die Reste irgendeines zu herben Herrenparfüms ohne Stil, trete ein paar Zentimeter beiseite und greife sein linkes Handgelenk. Es knackt ein bisschen, als ich es umdrehe und ihm gleichzeitig den Rücken hinaufschiebe. Er knickt nach vorne, jämmerlich jaulend, während ich ihm mit dem rechten Fuß die Beine wegtrete. Weil er so schwer ist, lasse ich ihn einfach fallen und sein dicker Hintern platscht mit einem satten Geräusch auf den Asphalt.

    Ein kurzer Blick sagt mir, dass seine beiden Freunde weiter artig auf der anderen Straßenseite stehen. Sie werden den Teufel tun und ihrem Kumpel helfen. Diese Typen haben mehr Angst um ihre Bügelfalten als um ihren Kollegen. Trotzdem hebe ich als Warnung kurz den Zeigefinger in ihre Richtung. Dann hocke ich mich hinter Manni, packe seine Ohrmuscheln und ziehe sie langsam auseinander. „Hör zu, Manni. Du schnappst dir jetzt deine beiden Jecken da drüben und verkrümelst dich schnell nach Hause, ja? Du sprichst keine anderen Frauen mehr an, du singst keine unanständigen Lieder. Du gehst nur brav geradeaus, bis du die Tür erkennst, hinter der du jeden Abend verschwindest, okay?"

    Sogar mir kommt der Spruch zu dick aufgetragen vor, aber irgendwie muss ich meinen Überschuss an Adrenalin abbauen. Seine Ohrmuscheln fühlen sich hart und knorpelig an. Manni nickt und ich lasse ihn los. Er rappelt sich hoch und torkelt langsam zurück zur anderen Straßenseite. Die beiden anderen Musketiere nehmen ihn schulterklopfend in Empfang, als sei sein Auftritt doch gar nicht so übel gewesen. Alle drei schauen mich noch einmal an, und als ich das Gefühl habe, Manni möchte noch etwas sagen, lege ich meinen rechten Zeigefinger warnend auf den Mund. „Pssst!"

    Alle drei hasten duckend davon, wie Wiesel, die erfolglos versucht haben, einen Hühnerstall zu plündern.

    Als ich ihnen hinterher schaue, tasten aus der anderen Richtung die Scheinwerfer von Fabians Geländewagen auf mich zu. Gutes Timing! Vier strahlend helle Lichter, die jedes für sich ein Fußballstadion erhellen könnten. Der Motor des Wagens, ein alter Jeep Cherokee mit extrabreiten Reifen, einem gigantischen Ochsenfänger und über 250 PS unter der Haube, röhrt wie ein Bagger. Fabian hält genau auf meiner Höhe. Die Fensterscheibe surrt herunter und ein grau-weißer Schwall Zigarettenrauch stürzt sich auf mich. Fabian gehört wahrscheinlich zu den hundert letzten Menschen auf dieser Erde, die „Winston rauchen. Wahrscheinlich, weil er den ultimativen Werbespruch für die Marke erfunden hat, wie er mich jede Woche mindestens einmal wissen lässt. Er hat sogar einmal an Philipp Morris geschrieben, weil er seinen Slogan „Wie findst’n Winston? für unschlagbar hält.

    Er reckt sich ein bisschen in meine Richtung. „Margot, um Himmels willen, was hast’n mit denen gemacht?"

    Ich schaue dorthin, wo die drei mittlerweile verschwunden sind. „Nichts, sage ich und öffne die Beifahrertür, die schon so lange klemmt, wie ich bei ihm mitfahre, also seit einem halben Jahr. Irgendein asiatischer Klangteppich aus Harfe und Flöte aus seinem CD-Player wirft mich fast aus der Bahn. Herrje! Ich bitte ihn, den Mist leiser zu drehen. Das ist ja fast noch schlimmer als „Ming Kölle am Rhing!

    Fabian schaut mich prüfend an. Er kennt mich mittlerweile ziemlich gut und weiß fast immer, wenn ich etwas verschweige. „Na ja, ehrlich gesagt, ich will’s gar nicht wissen. Hätten wir nur wieder einen Bericht schreiben müssen. Bin ja froh, dass du keinen erschossen hast!" Er lacht.

    Ich mache nur „Haha!", lehne mich zurück und schließe die Augen.

    „Wohin?", frage ich nach einer Minute. Das tiefe Brummen des Cherokees schläfert mich ein, das Adrenalin, das mich bis eben wach gehalten hat, verschwindet langsam. Wir fahren über die Friedhelm-Ebert-Brücke. Dutzende Laternen erhellen die Nordbrücke, wie sie bei den Bonnern heißt, in einem warmen, orangefarbenen Licht.

    „Venusberg."

    „In die Unikliniken?", frage ich. Wir nehmen die Ausfahrt Poppelsdorf und haben Glück mit einer grünen Ampel. Die Luft im Wagen ist grauenhaft, aber wenigstens hat sich Fabian keine neue Winston angezündet. Das schmachtende Asien-Gedudel höre ich kaum noch.

    „Ja. Einer der Bereitschaftsärzte. Im Keller gefunden. Irgendjemand hat ihn an ein ausrangiertes Patientenbett gefesselt und dann wahrscheinlich vergiftet. Mateus ist schon da. Eine Schwester hat ihn gefunden. Die liegt jetzt wohl selbst in der Ambulanz. Der Tote hatte Dienst und war plötzlich nicht mehr da. Alle haben nach ihm gesucht, außer den Patienten natürlich."

    Zur Info: Ben Mateus ist der Leiter der Gerichtsmedizin Bonn. Ich mag ihn und arbeite gerne mit ihm zusammen, ein absolut integrer Kollege. Das Auffallendste an Mateus sind seine zurückgegelten Haare. Ähnlich wie bei Dean Martin früher. Nur kann Mateus nicht so gut singen. Mateus liebt seine Arbeit so sehr, dass einem schlecht werden kann. Jedesmal wenn ich notgedrungen in die Pathologie am Stiftsplatz muss, hält er mir einen Vortrag über Leichenflecken und all das, was mich in manchen Nächten verfolgt.

    Der Motor brummt und schläfert mich allmählich ein. Ich frage mich, ob ich alle Lichter

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