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Tales of Dublin: Die Hoffnung auf Freiheit: Historischer Liebesroman
Tales of Dublin: Die Hoffnung auf Freiheit: Historischer Liebesroman
Tales of Dublin: Die Hoffnung auf Freiheit: Historischer Liebesroman
eBook694 Seiten8 Stunden

Tales of Dublin: Die Hoffnung auf Freiheit: Historischer Liebesroman

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Über dieses E-Book

Ein mitreißender historischer Roman über eine junge Frau, die sich auf eine Reise ins Ungewisse begibt und dabei mehr entdeckt, als sie jemals erwartet hatte.

Dublin, 1879. Nach einem folgenreichen Skandal steht Jolyne Lawson plötzlich mittellos und ohne Aussicht auf einen wohlhabenden Ehemann da. Notgedrungen nimmt sie eine Stelle als Gesellschafterin in Australien an, was zunächst viele herausfordernde Monate auf hoher See bedeutet. Nur schwer arrangiert sie sich anfänglich mit dem Leben an Bord des Handelsschiffs Glackmore, nicht zuletzt dank des sturen und verschlossenen Captains.

Was sie noch nicht ahnt: Ihre neue Position führt sie direkt in das Haus von Captain Coldwell. Die Zeit auf See könnte bereits das Scheitern ihres Neuanfangs bedeuten – oder das Blatt für sie wenden …

Auf den Spuren der Handelsroute findet Jolyne sich in Welten voller Abenteuer, neuer Freundschaften und unerwarteter Gefühle wieder. Wird sie vielleicht sogar mehr finden als nur ihren Platz in dieser fremden Welt?

Dies ist die überarbeitete Neuauflage von "Jolyne: Ruf der Ozeane" (2019 erschienen) und der erste Band der "Dublin-Saga". Der zweite Band "Die Illusion der Liebe" ist jetzt erhältlich!

SpracheDeutsch
HerausgeberZeilenfluss
Erscheinungsdatum25. Juli 2023
ISBN9783967143522
Tales of Dublin: Die Hoffnung auf Freiheit: Historischer Liebesroman

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    Buchvorschau

    Tales of Dublin - Jil Hasley

    1

    Jolyne

    Dublin, 24. März 1879

    »E s steht nicht zur Debatte, Kind! Onkel Charles und ich haben uns geeinigt.«

    Wild fuchtelte meine Mutter mit den Händen und versuchte aufrechten Ganges ihre Autorität kundzutun.

    »Ich denke nicht daran. Womit habe ich das verdient?«

    Wie unglaublich fragil mein Leben doch war. Vor wenigen Tagen noch hatte mich lediglich die Anwesenheit des Schiffsmannes beunruhigt. Jetzt stand ich vor einer Tragödie.

    Mein Vater, vollkommen unerwartet, abgeführt von zwei Konstablers. Und wie sich nun nach und nach durch Berichte aus Zeitungen herauskristallisierte, betrachtete man das Haus Lawson nur noch voller Missachtung und Geringschätzung.

    Man nahm uns völlig auseinander. So gut wie jedes Magazin schmückte seine Titelseite mit dem Skandal. Es trug sich über die Grenzen Dublins hinaus, dass Sir Edmund Lawson einer geheimen Bewegung irischer Widerständler angehörte.

    Wäre da nicht meine Sorge um Vater gewesen, so hätte ich mich eingehender mit den vorgebrachten Anschuldigungen auseinandergesetzt. Doch politisch gab ich mich nie sonderlich versiert. Und so nahm ich zu Beginn an, dass hier viel Wind um nichts gemacht wurde. Von ernsthaften Schwierigkeiten war in meinen Augen gar nicht die Rede.

    »Kindchen, womit habe ich das verdient?«

    Untrüglich kämpfte nun auch Lady Margaret mit aufkeimender Hysterie.

    »Wir haben keine andere Wahl, Jolyne«, schaltete sich nun auch Onkel Charles ein. »Dein Vater hat der Familie nichts als einen Schuldenberg hinterlassen.«

    »Ausgeschlossen. Wir haben doch noch die Aussteuer.«

    Empört wandte ich mich ab. Ich war des Anblicks meiner Mama überdrüssig, die sich in Selbstmitleid suhlte.

    »Es gibt keine Aussteuer, Jolyne, verstehst du denn nicht?« Charles' Stimme nahm jetzt eine alarmierende Tonlage an, was mich aufhorchen ließ. »Ihr seid völlig mittellos!«

    Erzürnt legte ich die Stirn in Falten.

    »Du unterstellst Vater, dass er uns in den Ruin getrieben hat? Wie kannst du es wagen, seinen Namen so in Verruf zu bringen?«

    »Ich unterstelle es ihm nicht. Ich weiß es.« Erschöpft von den andauernden Diskussionen rieb er sich die Stirn. »Er hat es mir persönlich in einem Schreiben mitgeteilt.«

    Fassungslos starrte ich ihn an. Das konnte unmöglich der Wahrheit entsprechen. Allmählich erkannte ich, dass es den beiden ernst war. Sie wollten mich nach Australien verschiffen. Als Gesellschafterin. Angestellte. Dienstkraft in einem reichen Haus.

    Aufgestaute Wut drohte, aus mir auszubrechen. Ich war stur, und ganz gewiss besaß ich zu viel Würde, um mich derartig degradieren zu lassen. Ich stammte aus wohlgeborener Familie mit Abstammung. Sieben Generationen mit Adelsträgern.

    »Niemals!« Beinahe entglitt mir die Stimme. »Ihr bekommt mich niemals auf dieses Schiff!«

    Ich betonte meinen Entschluss nochmals durch eine schneidende Handbewegung und machte dann auf dem Absatz kehrt.

    Auf schnellstem Wege und doch mit gelerntem Anstand suchte ich mein Zimmer auf, schloss die große Mahagonitür leise, wie immer, nur um daraufhin ein ersticktes Schluchzen von mir zu geben. Nicht gekannter Hass bahnte sich seinen Weg, und verzweifelt ließ ich einen Schrei los und fegte unkontrolliert alles vom Sekretär, vor dem ich nun stand.

    Blaue Tinte ergoss sich auf dem hellen Teppich. Blätter glitten in Wellen zu Boden. Tränen liefen mir über die Wangen. Wann hatte ich zuletzt geweint? Gefühle solcher Intensität waren mir bisher unbekannt. Ich wusste weder ein noch aus, wusste nicht, wohin mit mir.

    Immer mehr wurde mir klar, dass man mir keine Wahl lassen würde. Man würde mich zwingen, an Bord zu gehen und die Stelle als Gesellschafterin anzunehmen.

    Ich besaß die besten Voraussetzungen, wie Mutter betont hatte. Ich wuchs mehrsprachig auf, genoss jeden Unterricht der Etikette, wies einen gesunden Ruf auf. Geradezu ideal für eine Gesellschafterin.

    Gefühle von Hilflosigkeit schwappten in mir über, und ich fühlte mich einmal mehr gefangen in diesem Haus. Mit pochendem Herzen sah ich aus dem Fenster.

    Geliebtes Dublin.

    Geliebtes Irland.

    Allein die Vorstellung, ich könnte das Land vielleicht nie wieder zu Gesicht bekommen, löste eine tiefe Traurigkeit in mir aus. Mir war nie bewusst gewesen, wie gern ich hier lebte, die Möwen beobachtete, am Strand ausritt und mich von der Landschaft für Gemälde inspirieren ließ.

    Von alldem sollte ich mich verabschieden? Wochen und Monate auf diesem Handelsschiff dahinvegetieren? Und das auf Capt'n Coldwells Schiff! Oh Herrschaft, wie konnte es nur so weit kommen?

    Sosehr ich mich noch offiziell weigerte, den Tatsachen ins Auge zu sehen, so wusste ich im Innern doch längst, dass ich würde kapitulieren müssen. Ich würde in Kürze ein Handelsschiff namens Glackmore beziehen und über Tausende von Meilen über die Ozeane reißen. Ob ich nun wollte oder nicht.

    Schon der Gedanke, mit räudigen Schiffsmännern, Onkel Charles und nicht zuletzt Capt'n Coldwell über einen so langen Zeitraum auf engstem Raum eingesperrt zu sein, ließ mich nach Luft schnappen. Wie konnte man das überstehen?

    Langsam zeichneten sich pastellfarbene Streifen am Himmel ab. Der Sonnenuntergang kündigte den Abend an. Stoisch betrachtete ich die Aussicht von den großen Fenstern des Zimmers aus. Am Horizont konnte man das Meer sichten. Dieses große Dunkel, welches mich auf einen anderen Kontinent tragen sollte. In nicht einmal zwei Tagen!

    Stunden waren vergangen. Das sagte mir die pompöse Standuhr. Und ganz plötzlich kam mir mein Zuhause absolut nüchtern vor. Sämtliche Güter und Möblierungen, wie sie hier standen, hingen, lagen. Es war doch alles nichts wert. Was sagte es schon aus, ob man Perserteppiche besaß oder golden überzogene Kerzenleuchter?

    Allmählich veranlasste mich meine Ausnahmesituation zum Denken und Handeln. Benommen versuchte ich, mich der Trance zu entreißen. Vorbereitungen mussten getroffen werden. Noch heute. So einiges würde ich bereinigen müssen, ehe ich Irland verließ.

    Intuitiv suchte ich das Zimmer meiner Schwester auf, klopfte an, und Sekunden später öffnete sie mir. Eine völlig aufgelöste Cecily stand vor mir. Ihre Augen waren gerötet. Hastig wischte auch sie sich Tränen fort.

    »Darf ich eintreten?«

    »Gewiss.«

    Schwungvoll öffnete sie die Türe ganz und gewährte mir damit Einlass.

    »Was wird aus dir?«

    Ich kam ohne Umschweife auf den Punkt. Und es war vermutlich das erste Mal seit langer Zeit, dass ich mein Interesse so offen an ihr kundtat. Schon vor vielen Jahren hatten wir uns so auseinandergelebt, dass es kaum für kurze Konversationen reichte.

    Sie schüttelte nur den Kopf und begann erneut zu weinen. Erstaunt über das eigene Mitgefühl hatte ich abermals Schwierigkeiten, meiner Emotionen Herr zu werden.

    »Ich weiß es nicht. Als gute Partie gelte ich nicht mehr. Und als Gesellschafterin wird man mich im ganzen County in zehn Jahren nicht einstellen. Oh Jolyne, du hast solches Glück!«

    »Du solltest mit mir reisen. In Australien findest du sicherlich eine gute Stelle.«

    Die Begriffe der Arbeitswelt klangen so vollkommen ungewohnt und unbeholfen aus meinem Mund.

    »Es gibt nicht genug Platz. Onkel Charles hatte schon Mühe, dich mit an Bord nehmen zu dürfen.«

    Man konnte ihr die Verzweiflung regelrecht ansehen.

    »Cecily. Es wird eine passable Lösung geben.«

    Ich versuchte ihr Mut zu machen und gab mir redlich Mühe dabei, die verständlichen Zweifel zu verbergen.

    »Du hast leicht reden.«

    Verbittert verschränkte sie die Arme vor sich und lief unruhig auf und ab.

    In jenem Augenblick klopfte es erneut an der Tür, und Leo trat ein.

    Sein Blick verriet Bestürzung. Ich war überzeugt, sie rührte aufgrund unserer äußeren Erscheinung. Wir mussten beide ja auch ein ziemlich konfuses Bild abgeben.

    »Onkel Charles hat es mir soeben mitgeteilt. Jolyne, du wirst mit ihm gehen?«

    Stumm nickte ich kurz und musterte ihn dabei aufmerksam, um festzustellen, was in meinem Bruder vor sich ging. Er wirkte beherrscht, doch an der hektischen Bewegung seiner Augen, die im Raum umherirrten, war klar, dass dem nicht so war.

    »Haben Sie für dich ebenfalls schon eine Perspektive ausgehandelt?« Beißender Sarkasmus schwang in meinen Worten mit.

    Bedauernd schüttelte er den Kopf.

    »Ich beneide dich. Du darfst auf die Glackmore«, gab er ohne Umschweife zu.

    »Ich weiß.« Ich schenkte ihm ein mitfühlendes Lächeln.

    Ich hätte nur allzu gern Schicksal mit ihm getauscht. Doch da ich nicht wusste, wohin seine Reise führte, und es zudem rein utopisch war, verwarf ich diesen Gedanken alsbald. Welche Zukunft bot sich einem hier als Frau noch?

    Allmählich spürte ich einen sich von selbst entwickelnden Zorn auf meinen Vater. Nun ergaben auch all seine Aussagen einen Sinn. Ich hörte sie noch deutlich in meinem Kopf:

    Es gilt hier, eine Portion Cleverness an den Tag zu legen. Sein Herz nicht auf der Zunge zu tragen. Bewusstes, taktisches Handeln bewahrt dich vor unüberlegten Entscheidungen. Deine Gedanken kann dir niemand verwehren, Kind. Nur handle stets mit Bedacht.

    Und noch klarer erinnerte ich mich an seine letzten Worte:

    Ich hatte meine Gründe. Und ich bin überzeugt, du wirst mich verstehen. Zu gegebener Zeit wird sich alles klären, und du wirst verstehen.

    Welche Gründe mochte ein Vater haben, seiner Familie eine solche Tragödie zuzumuten? Wenn er sich nicht tatsächlich getäuscht hatte in seiner Überzeugung, ich würde verstehen. Denn in ebenjenem Moment war mir ganz und gar nicht nach Verständnis zumute. Und auch nicht nach Geduld, bis besagte gegebene Zeit eintreten würde.

    Was immer ihn bewegt haben mochte: Ich war zweifelsohne nicht gewillt, ihm irgendeine Rechtfertigung zuzugestehen.

    2

    Dermot

    Ich war gerade dabei, die nächste Route mit dem Zirkel abzumessen, und tat mir zusehends schwerer, mich dabei zu konzentrieren. Charles knabberte mir seit geraumer Zeit das Ohr ab, und ich war kurz davor, nachzugeben.

    »Komm schon, Derry, bitte.«

    Seine Stimme wurde noch eine Nuance flehentlicher.

    »Charles, du weißt, ich kann deiner Bitte nicht nachkommen. Weißt du, was uns droht, wenn wir hier eine Frau an Bord bringen? Ich kann doch nicht ständig meine Mannschaft im Auge behalten. Es wäre nicht fair. Sie sehen monatelang ihre Familien nicht, wenn sie denn welche haben.«

    »Ich weiß, ich weiß. Aber ich werde auf sie achtgeben. Sie wird ihre Kabine nur in meiner Begleitung verlassen dürfen.«

    Jetzt redete er schon so, als wäre es bereits beschlossene Sache! Wie kam ich da nur wieder heraus? Und auch noch Lady Jolyne. Warum denn nicht wenigstens Cecily?

    »Was ist mit deiner anderen Nichte?«

    Einen Versuch war es wert.

    »Sie würde diese Reise nicht ohne Schaden überstehen. Abgesehen davon hat sie nur ansatzweise die Ausbildung genossen, wie sie Jolyne bereits besitzt.«

    Bedauernd winkte mein Freund ab.

    Ausbildung also. Nun. Selbstbewusstsein besaß sie, das war nicht zu leugnen. Und Anstand behielt sie, wenn man sie nicht gerade reizte. Ich dachte an unsere letzte Unterhaltung. Sonderlich akkurat hatte ich mich ja wirklich nicht verhalten.

    »Also, was ist nun?«, ließ Charles nicht locker. »Derry, tue es für mich. Als mein Freund.«

    »Also wirklich. Meinst du, mit dieser Masche kriegst du mich?«

    Empört über seine plumpe Überredungskunst widmete ich mich wieder Zirkel und Karte.

    »Denk nur, welche Zukunft ihr hier blüht. Sie wird als Dienstmädchen in einem der niedrigsten Häuser schuften müssen. Das hat sie doch nicht verdient. Sie ist ein kluges Kind. Wenn für Cecily schon alles zu spät ist, so biete doch Jolyne wenigstens die Möglichkeit auf eine bessere Zukunft. Du suchst ohnehin schon seit Ewigkeiten nach einer passenden Gesellschafterin. Deine Mutter wird es dir danken.«

    Da hatte er bedauerlicherweise recht. Meine Mutter war schon zu lange allein. Nachdem mein Vater vor drei Jahren dem Tod entschlafen war, lebte sie einsam in der großen Villa. Und die wenigen Male, die ich sie in Abständen von Monaten oder gar Jahren besuchte, reichten nicht aus.

    Jetzt hatte mein Freund erreicht, was er wollte. Die gewohnten Schuldgefühle bahnten sich ihren Weg nach oben. So begann ich, ernsthaft über die Option nachzudenken.

    Es würde nicht einfach werden. Monatelang auf einem Schiff, auf kleinstem Raum. Sie würde sicherlich mit Übelkeit zu kämpfen haben. Es war kein Arzt zur Stelle. Und die wenigen Kenntnisse, welche Amir, ein Besatzungsmitglied türkischer Abstammung, aufwies, waren unter Umständen nicht ausreichend.

    Es gab kein fließendes Wasser. Der Hygiene war schwerlich nachzukommen. Es gab weder abwechslungsreiche Mahlzeiten noch gesellschaftlichen Zeitvertreib an Bord. Zu was für einem Menschen würde die Reise sie machen? Wäre sie dann in der Lage, sich meiner Mutter anzunehmen? Und war sie denn überhaupt dazu bereit?

    »Was sagt denn die werte Lady Jolyne persönlich dazu?«, wollte ich doch noch einmal auf den Busch klopfen.

    »Sie ist froh um jede Chance, die sich ihr bietet.«

    Ich kannte Charles nun schon einige Jahre, und diese lebten wir auf engstem Platz. Daher ertappte ich ihn dabei, wie er seine Aussage so verpackte, dass es nicht gelogen war und dennoch nicht meine Frage beantwortete. Seine aufgesetzten Gesichtszüge verrieten mir, dass die junge Frau von der Abenteuerreise nämlich noch gar nichts wusste.

    Wohl wissend zog ich die Augenbrauen hoch und musterte ihn so lange, bis er mit der Wahrheit herausrückte.

    »Sie wird sich damit anfreunden.«

    Gekonnt unterdrückte ich ein Schmunzeln. So selbstsicher, wie seine Nichte war, würde er sich die Zähne daran ausbeißen, sie hier an Bord zu bekommen. Und obgleich ich wusste, dass eine Eventualität bestand, sie würde tatsächlich klein beigeben, war ich doch optimistisch, dass dem nicht der Fall sein würde.

    »Also, wenn du es tatsächlich schaffst, sie zu überzeugen, dann bring sie mit. Übermorgen hissen wir den blauen Peter. Also sei pünktlich zurück.«

    »Capt'n Coldwell!«

    Da ich mich in meiner Kajüte befand, war mir schleierhaft, wie Fin dazu kam, mich rauszuschreien. Dass er mich beim Namen rief – was eigentlich ein alarmierendes Zeichen hätte sein müssen –, entging mir vollkommen. Ich hatte mich sehr deutlich ausgedrückt, als ich meinte, ich wolle nicht gestört werden.

    »Was?«

    Barsch riss ich die Tür auf und fauchte den Schweden an. Mir war nun wirklich nicht danach, eine Standpauke zu halten.

    Unerwartet stumm zeigte dieser nur zum Dock. Und da sah ich das Dilemma. Eine Postkutsche und ein Zweispänner hatten vor meinem Schiff gehalten. Am Steg stand Charles mit seiner Familie. Und die vielen Koffer und Truhen am Kai verrieten mir, dass ich mich in den nächsten Minuten hochgradig unbeliebt machen würde. Keiner meiner Männer war darauf vorbereitet worden.

    Da ich Charles in den letzten zwei Tagen nicht zu Gesicht bekommen hatte, war ich mir sicher gewesen, wir würden wie gehabt in gewohnter Besatzung ablegen. Entnervt rieb ich mir über die Augen. Wie konnte ich so leichtsinnig gewesen sein und mich überreden lassen?

    Ratlos atmete ich durch den Mund aus und schürzte die Unterlippe.

    »Capt'n?«

    »Ja, Fin. Sie wird mit uns reisen«, erwiderte ich auf seinen ungläubigen Blick und rieb mir dabei die Schläfe, »Ruf die Mannschaft in die Gemeinschaftskajüte. Jetzt sofort!«

    Charles blickte auf das Schiff, und unsere Blicke trafen sich. Vernichtend funkelte ich ihn an. Wir wussten beide, dass diese Geschichte ein Nachspiel haben würde.

    Alle Gesichter waren auf mich gerichtet und rechneten scheinbar mit einem Einlauf. Für gewöhnlich rief ich sie nicht so unvermittelt von ihrer Arbeit fort.

    »Männer, wir werden die nächsten Monate Besuch haben.«

    Prüfend wanderten meine Augen durch die Crew. Die Mimik einiger bewies, dass sie bereits etwas wussten. Und doch wollte ich durch mein unnachgiebiges Auftreten und meine förmliche Anrede klarmachen, dass hier keine Widerworte erwünscht waren.

    »Eine Lady.«

    Grummeln ging durch die Runde.

    »Cherchez la femme.«

    Etienne war der Erste, der klarmachte, was er davon hielt.

    »Etienne, Sie werden die komplette nächste Woche abbacken! Möchte sich sonst noch jemand dazu äußern?« Ich wusste, dass der Franzose Küchenarbeiten hasste.

    Stille trat ein.

    Es war nun enorm von Bedeutung, wie sehr die Besatzung mich respektierte. Etwaige Folgen einer fehlenden Autorität wollte ich mir nicht ausmalen.

    Wenngleich die Männer wenig Begeisterung für die Neuigkeit übrighatten, erstarb das Gemurmel, und mir galt die volle Aufmerksamkeit.

    »Ich erwarte von jedem Einzelnen absolute Diskretion. Sie werden sich der Dame nicht nähern, es sei denn, Sie haben den ausdrücklichen Befehl dazu erhalten. Sollte sich jemand dieser Anweisung widersetzen, darf er sich auf die Suche machen, auf einem anderen Schiff angeheuert zu werden. Haben wir uns verstanden?«

    Einvernehmliches Schweigen und gelegentliches Nicken waren mir genug Bestätigung.

    »Zurück an die Arbeit! In drei Stunden legen wir ab.«

    Ich wollte meiner Truppe folgen und die Kabine verlassen, als ich Charles in dem schmalen Türrahmen erblickte. Wir musterten einander, und drückendes Schweigen trat anstelle des geschäftigen Tuschelns der Männer. Minuten schienen zu vergehen, ehe sich einer von uns rührte.

    »Derry. Ich ging davon aus, du meintest deine Bedingung ernst.«

    Entnervt stieß ich die Luft aus der Nase und verdrehte die Augen, ehe ich ihn wieder ansah.

    »Tat ich auch.«

    Abgespannt rieb ich mir abermals die Schläfen. Elendes Wetter. Ich war froh, wenn wir alsbald hier fort waren. Die stetig trübe Suppe verursachte mir anhaltende Kopfschmerzen.

    »Soll ich sie hierlassen?«

    Ich wusste, wie viel Überwindung meinem Freund diese Frage kostete. Und ich rechnete es ihm hoch an. Doch ich stand zu meinem Wort.

    »Du weißt, es wird riskant?« Ich wollte sichergehen, dass er sich bewusst war, welchen Unterfangens wir uns damit soeben annahmen.

    »Das ist mir bewusst. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, damit der Alltag weiterhin in gewohnten Bahnen verläuft. Ich habe mit Jolyne gesprochen. Sie wird sich nicht bemerkbar machen.«

    »Oh, mein Freund, das wird sie. Ihre bloße Anwesenheit ist genug.«

    »Das ist korrekt.«

    Schuldbewusst spielte Charles mit seinem Hut in den Händen.

    »Lass gut sein, Charly. Irgendwie werden wir es überstehen.«

    Versöhnlich klopfte ich ihm auf die Schulter.

    Mir war bewusst, dass ich soeben eine gänzlich falsche Entscheidung getroffen hatte. Und auch, dass ich sie wohl noch am selbigen Tag bereuen würde. Aber Charles war mein Freund. Er war stets für mich da gewesen und würde mir sein letztes Hemd überlassen.

    Viel zu müde für diese Uhrzeit lehnte ich mich an den Türrahmen und suchte die Lawson-Familie am Kai. Charles hatte Amir und Hayden, den taubstummen Koch, abgestellt, um die Habseligkeiten seiner Nichte an Bord bringen zu lassen.

    Entsetzt kam mir der Gedanke, dass die freie Kabine seit ewigen Zeiten niemand mehr betreten hatte. Ich hoffte nur, dass Charles so viel Umsicht bewiesen und zumindest den gröbsten Staub zu beseitigen gewusst hatte.

    Lady Margaret tupfte sich alle heilige Zeit mit einem feinen Seidentuch über die Augen und verbarg die restliche Zeit ihr Gesicht hinter einem verschleierten Hut. Der junge Leo hingegen bekam seine Augen gar nicht mehr von meinem Schiff los. Völlige Faszination spiegelte sich in diesen wider.

    Jolyne umarmte ihre Schwester. Es war ein kurioser als pittoresker Anblick, die beiden Arm in Arm zu sehen, hegten sie offensichtlich nicht die größte Zuneigung füreinander.

    Nachdem sie sich von ihrer Familie verabschiedet hatte, betrat sie gemeinsam mit ihrem Onkel die Bordstelling und setzte den ersten Fuß auf mein Schiff. Noch nie bisher hatte eine Lady die Glackmore betreten, abgesehen von der Person meiner Mutter. Und dieses Bild wollte sich einfach nicht einfügen.

    Sie trug ein Tournüre-Kleid in dunklem Beige und üppiger Schleppe. Ein kleiner Hut mit Federn schmückte ihren zierlichen Kopf und die strenge Steckfrisur. Eine einzelne Locke fiel wohl platziert auf ihre Schulter. Sie wirkte wie eine Porzellanpuppe.

    Und da war er auch schon. Der Moment, in dem ich meine Einwilligung bedauerte. Doch nun war es zu spät. In Kürze würde sie ihren ersten Sonnenbrand bekommen, und das sorgfältig toupierte Haar würde wild aus allen Reihen tanzen.

    Ihrer Ausstrahlung nach konstatierte ich absolute Haltung, welche sie undurchschaubar wirken ließ. Doch ich nahm wahr, dass sie höchst unfreiwillig zu dieser Entscheidung gefunden hatte. Kaum merklich rümpfte sie das Näschen. Ungläubig, was ich mir da eingebrockt hatte, machte ich mich entgegen ihrer Richtung auf den Weg zu meiner Kajüte.

    3

    Jolyne

    26. März 1879

    Howes hatte dafür gesorgt, dass auch die letzten Gepäckstücke nach unten getragen und auf der Postkutsche festgezurrt wurden. Mein ganzes Dasein war nun in zwei Truhen und acht Tragetaschen verstaut. Doch im Grunde es war nur ein Bruchteil dessen, was ich eigentlich besaß. Doch mehr gestattete mir Onkel Charles nicht, mitzuführen.

    Nachdem mir nur noch zwei Tage die Gelegenheit geblieben war, alles Nötige zu regeln, war es kaum noch möglich gewesen, ruhigen Schlaf zu finden. Entsprechend gepolt war mein Gesamtempfinden. Ich war übellaunig und angespannt.

    Ich ließ nach Charlotte rufen. Über sie hatte ich mir erstaunlicherweise die meisten Gedanken gemacht.

    »Sie ließen nach mir rufen, Mylady?«

    Adrett stand sie im Türrahmen, eine Hand akkurat auf der Klinke.

    »Ja. Bitte tritt ein und schließe die Tür hinter dir.«

    Verunsichert kam sie meiner Bitte nach.

    »Charlotte, du hast gute Arbeit geleistet. Sehr gute Arbeit sogar. Ich möchte, dass es dir in Zukunft an nichts mangelt.«

    Charlottes Augen wurden größer.

    »Ich habe hier etwas für dich.«

    Ich überreichte ihr eine kleine Schachtel, und nachdem sie diese geöffnet hatte, schnellte ihre freie Hand zu ihren Lippen. »Mylady, das kann ich unmöglich annehmen.«

    »Und ob du kannst. Ich habe es mir genauestens überlegt. Die Kette müsste dreihundert Pfund wert sein, ich habe sie schätzen lassen. Mit diesem Geld wirst du dir deine Zukunft verbessern. Geh zum Händler in der Sackville Street.«

    »Aber –«, setzte das Mädchen an.

    »Nichts aber. Diesen Brief hier legst du vor, sollte man dir nicht glauben. Darin steht, dass die Kette ein Geschenk von mir an dich war.«

    Fassungslos starrte sie mich an, unfähig irgendetwas von sich zu geben.

    Ich nahm sie bei der Hand und führte sie zu meinem Bett. Darauf lag eine weitere, weitaus größere Schachtel.

    »Dieses Kleid wirst du tragen, wenn du die Kette verkaufst. So kommt niemand in die Verlegenheit, dich für eine Hehlerin zu halten. Anschließend kannst du auch das Kleid verkaufen. Dies bleibt dir überlassen.«

    Tränen sammelten sich in den unschuldigen Augen meiner Kammerzofe, und ich konnte mir lebhaft vorstellen, dass ich sie damit wohl ziemlich überrollte.

    »Ich kann das wirklich nicht annehmen, Lady Lawson.«

    »Wir wollen uns nicht darüber streiten, meine Liebe. Nun nimm dein Eigentum und bringe es auf dein Zimmer. Mit Howes habe ich gesprochen. Er wird dir den nötigen Freigang schon morgen ermöglichen.«

    Jetzt ließen sich ihre Tränen nicht mehr zurückhalten.

    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«

    »Ist gut jetzt, Charlotte. Versprich mir einfach, dass du nicht dein Leben lang Dienstmädchen bleiben wirst. Tu dein Bestes, etwas daraus zu machen.«

    »Ich verspreche es. Ja, ganz bestimmt.« Eifrig nickte sie, während sie sich ihre Wangen trocknete und ein zaghaftes Lächeln hervorbrachte.

    Damit war ich zufrieden, und so überreichte ich ihr die verpackte Goldkette sowie mein wertvollstes Alltagskleid in der Schachtel, ehe ich sie wieder in den Dienstbotenbereich schickte.

    Nachdenklich trat ich – wie so oft in den letzten Tagen – an das Fenster und sog die Umgebung in mich auf. Meine ganze Vorstellungskraft gebrauchte ich dafür, mir dieses Panorama einzuprägen, es in meine Erinnerungen zu brennen. Ich wusste schließlich nicht, ob ich jemals zurückkehren würde.

    Leise klopfte jemand an.

    »Herein!«

    »Miss Lawson, es ist alles fertig zur Abreise.«

    Der Butler ließ nicht im Mindesten erkennen, wie sehr ihn diese Sache beschäftigte. Doch war ich mir sicher, dass auch er sich Sorgen um die Zukunft machte.

    »In Ordnung, ich komme sofort.«

    Geschäftig lief ich zum Sekretär, nahm meine langen, beigefarbenen Handschuhe an mich und streifte sie über die Hände. Ein letztes Mal, und diesmal selbstständig, setzte ich mir den passenden Hut auf und befestigte ihn mehrfach. Ich besah mich im Spiegel, machte einen tiefen Atemzug und verließ mein Zimmer.

    Das laute Geschepper der Wagenräder hallte durch die Straßen. Kopfsteinpflaster schluckte das Hufgetrappel, und ein letztes Mal nahm ich den gewohnten Geruch von Pferdemist und gebrannten Maronen wahr. Ob es so etwas auch in Australien geben würde? Gebrannte Maronen?

    Stillschweigend saß mein Onkel neben mir, gegenüber Leo. Mutter hatte darauf bestanden, uns mit dem Zweispänner zu folgen. Ihr Gemüt verkrafte eine ruppige Postkutsche heute nicht, so ihre Rede.

    Und heute ließ ich es mir nicht nehmen, ungewohnt schaulustig aus dem Fenster zu gucken. Ich ließ meine Augen über die hohen Gebäude im viktorianischen Stil schweifen, betrachtete den Liffey River. Gab er seit jeher ein solch tristes und trostloses Bild ab?

    Unterbewusst merkte ich, dass wir nicht mehr weit vom Hafen entfernt sein konnten. Zahlreiche Möwen schwebten über uns hinweg und absolvierten akrobatische Manöver. Angestrengt schloss ich die Augen, als hätte ich den Moment des Abschieds damit hinauszögern können.

    Obgleich ich kein Musterverhältnis zu meiner Familie gepflegt hatte, spürte ich in meinem Innern den starken, durchdringenden Schmerz von Verlust, der nicht mehr fern war. Natürlich. Mutter konnte unausstehlich und kühl sein. Doch sie war meine Mutter. Und ich liebte sie.

    Und was Cecily anging, so überkam mich in jenem Moment ein tiefes Bedauern. Hätte ich doch mehr Anstrengungen in unsere Geschwisterliebe investiert. Schließlich würden wir, so hoffte man, gemeinsam alt werden.

    Die Kutsche hielt mit einem Ruck und ließ uns schaukeln. Charles beeilte sich, auszusteigen und mir anschließend eine Hand zu reichen, um mir behilflich zu sein. Ich trug mein Reisedress. Bisher hatten große Ausflüge in meinem Leben keinen besonders wichtigen Platz eingenommen. Und nun unternahm ich – wohl bemerkt unfreiwillig – gleich eine Weltreise.

    Bemüht teilnahmslos studierte ich die Szenerie um mich herum. Alles wirkte schrecklich surreal. Mein Onkel war plötzlich verschwunden, und so leistete mir Leo Beistand, so gut es ihm möglich war. Nun … Sein Schweigen trug nicht sonderlich zur Besserung meines Gemüts bei.

    »Leo, ich habe furchtbare Angst.«

    Wortlos sah er mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Hilflos zuckte er mit den Schultern.

    »Was soll ich sagen, Joy? Du bist gescheit. Wenn du damit nicht fertigwirst …«

    »Du irrst. Ich bin es nicht. Nicht in Wirklichkeit.«

    »Doch, das bist du. Halte dich stets an Onkel Charles, dann brauchst du dir keine Sorgen zu machen.«

    »Jolyne, mein Kind. Ich halte diesen entsetzlichen Abschied keine Minute länger aus. Sei artig, denke zu jeder Zeit daran, was du mit auf den Weg bekommen hast.«

    Mutter weinte. Sie weinte.

    Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich sie derart gefühlsbetont erblickte. Aus dem Impuls heraus drückte ich sie an mich. Und wenngleich sie steif wie ein Stock in meinen Armen lag, so konnte ich spüren, wie sie die Umarmung einen kleinen Moment lang erwiderte, ehe sie sich beherrscht von mir löste.

    Benommen näherte sich auch Cecily. Ich versuchte ein aufmunterndes Lächeln. Es war vertrackt. Denn trotz meiner leidlichen Situation, so schien ihre Zukunft um einiges tragischer. Ihr galt all mein Mitgefühl, welches ich aufzubringen vermochte.

    Überrascht stellte ich fest, dass sie einen Schritt auf mich zumachte und ihre Arme um mich legte. Sie wirkte in diesem Augenblick so zerbrechlich. Und am liebsten hätte ich sie umgehend an Bord geschleift und mitgenommen. Ich erwiderte den Druck ihrer liebevollen Geste.

    »Wirst du mir schreiben?«

    Ich erriet mehr, was sie in mein Ohr flüsterte.

    »Natürlich. Und du mir hoffentlich auch?«

    Darauf folgte lediglich ein Nicken, welches ich an meiner Wange fühlte.

    »Jolyne.«

    Alarmiert wandte ich mich um. Vor mir stand mein Onkel. Etwas irritiert registrierte ich, dass mein gesamtes Gepäck schon an Bord gebracht worden war und ein orientalisch aussehender Mann soeben meine letzte Tragetasche auf die Glackmore trug.

    Ein kurzer Blick zeigte mir ein gepflegtes Handelsschiff in seiner besten Zeit. Der schwarze Bauch wirkte wuchtig und gab dem Gefährt etwas Majestätisches. Helle Akzente setzten sich ab. Masten und Aufbauten waren mit gepflegtem, naturbelassenem Holz verkleidet. Ich hatte schon Schiffe in beklagenswerterem Zustand zu Gesicht bekommen.

    »Bist du bereit?«

    Jäh wurde ich aus meinen Gedanken gerissen.

    Nun … War ich bereit?

    Was, wenn nicht?

    Hatte ich denn eine Wahl?

    Worauf sollte ich warten, was meine Lage nun noch verbessern konnte?

    »Gewiss.«

    Erhobenen Hauptes folgte ich ihm auf die Stelling, welche uns auf das Schiff führen sollte. Hellwach setzte ich meinen ersten Fuß auf die Dielen und atmete ein weiteres Mal tief ein und wieder aus.

    Einige wenige Herren in Seemannskluft kamen an mir vorbei und achteten stur auf ihre Füße. Sie ignorierten mich – ich mochte fast sagen – penetrant. Besaßen sie keinen Anstand? So hatte ich mir meine Ankunft auf meiner vorübergehenden Bleibe nicht vorgestellt.

    Schon jetzt stellte sich Enttäuschung und Panik ein. Konzentriert als distanziert musterte ich mein neues Zuhause. Fast unmerklich erschrak ich, als ich den Capt'n der Glackmore ein Stück weiter am Eingang einer Kajüte ausmachte. Als hätte ich ihn nicht gesichtet, starrte nun auch ich zu Boden.

    Er lehnte vollkommen desinteressiert am Türrahmen, und ich hegte keinen Zweifel daran, dass er mich hier nicht haben wollte. Womit wir schon zu zweit waren. Eine Gemeinsamkeit, auf die wir aufbauen konnten. Und doch traf mich seine kühle Gleichgültigkeit unerwartet heftig.

    Kälte schien in mich hineinzukriechen. Ich fühlte mich unglaublich allein. Um meine aufkommenden Tränen zu verbergen, begab ich mich an die Reling und hielt mich daran fest, sodass meine Knöchel weiß hervortraten.

    In Selbstmitleid zerfließend beobachtete ich meine Familie dabei, wie sie auf den Zweispänner stieg und uns noch einen Augenblick des Abschieds gönnte. Und schließlich setzte sich das Gefährt in Bewegung, die Pferde zogen an, und Mutter, Cecily wie Leo winkten mir zum Lebewohl.

    4

    Dermot

    Der Hafenkommandant winkte mir noch einen Gruß, ehe meine Männer die letzten Tampen einholten und den Fockmast in Segel setzten. Ein frischer Wind zog auf, welcher uns gerade recht kam. Zügig ließen wir Dublins Kulisse hinter uns.

    Ich stand am Steuerrad auf der Brücke, ließ meine Augen prüfend über das Gewässer gleiten. Der Wellengang verriet eine turbulente Nacht, was mich unruhig werden ließ. Obgleich wir keinerlei Sympathie füreinander hegten, so tat mir die junge Lady doch leid. Sie würde schon in ihrer ersten Nacht die unbarmherzige Seite der Seefahrt kennenlernen.

    Nachdenklich wandte ich mich um und musterte sie konzentriert. Sie stand unverändert seit Ablegen vom Hafen an der Reling des Hecks und starrte auf den Horizont, der ihre Heimat soeben geschluckt hatte.

    Ihre Haltung strahlte Traurigkeit aus. Hängende Schultern untermalten ihre Hoffnungslosigkeit. Es wurde Zeit, dass ich mit Charles ein Hühnchen rupfte. Ich ließ Amir antraben, er sollte ihn ausfindig machen und zu mir schicken.

    »Ich habe sogar die Vorhänge gewaschen«, ereiferte sich mein Freund, in der Annahme, er konnte mich damit beeindrucken.

    »Hast du ihr nur im Ansatz klargemacht, was da auf sie zukommt?«

    »Derry. Du weißt ebenso gut wie ich, dass sie dann garantiert keinen Fuß auf dieses Schiff gesetzt hätte. Aber du wirst sehen, sie wird alsbald dennoch erleichtert sein über die Zukunftsperspektive, die sich ihr durch diese Reise bietet.«

    Verständnislos schüttelte ich den Kopf. Eine Frau hatte einfach nichts auf hoher See verloren. Dafür war sie nicht geschaffen. Und schon gar keine in Lady Lawsons Alter. Vermutlich hatte sie gerade einmal das sechzehnte Lebensjahr hinter sich. Allein der Gedanke, dass sie von so vielen rauen Seeleuten umgeben war, bereitete mir einen unruhigen Magen.

    »Es war schlichtweg unvernünftig. Sieh sie dir an! Wenn sie noch länger draußen stehen bleibt, holt sie sich eine Lungenentzündung.«

    Selbst mir wehte unnachgiebig der Wind um die Ohren, klaute mir fast meinen Hut. Ich nahm eine Kursänderung vor und ließ die Glackmore abfallen, sodass sie nicht mehr gegen die Windrichtung steuerte. Der St.Georges-Kanal – wie man üblicherweise das Gewässer zwischen Irland und Wales nannte – hatte noch nie zu meinen bevorzugten Routen gehört.

    Starr beobachtete ich kurze Zeit später Charles mit seiner Nichte. Die aufgewühlte See übertönte die beiden, lediglich auf Gesten und deren Mimik konnte ich mir einen Reim machen. Jämmerlich verzog sie ihre Lippen zu einem Schmollen. Das Haar flog ihr wirr über das Gesicht, und der dünne Mantel glich einem Sommerhemd.

    Charly nahm sie am Arm, wollte sie zum Mitkommen bewegen, doch eisern hielten ihre Hände an der Brüstung fest. Seine steile Stirnfalte deutete darauf hin, dass er keinen Widerspruch akzeptierte, und auch, dass sein Geduldsfaden nicht mehr viel auszuhalten bereit war.

    Daran ließ sich ausmachen, wie angespannt auch er war. Und ich kannte in der Regel kaum jemanden, der ein solch gelassenes und tolerantes Gemüt besaß wie Charly.

    Schließlich ließ sie sich wohl überzeugen. Schnellen Schrittes, und offensichtlich sehr trittsicher, machte sie sich auf den Weg zu ihrer Kajüte. Augenscheinlich hatte sie noch nicht mit Übelkeit zu kämpfen. Doch würde diese nicht allzu lange auf sich warten lassen, wenn der Lady einmal keine Sicht mehr auf den unbeweglichen Horizont möglich war.

    »Capt'n. Wird die Mylady nicht mit uns zu Abend essen?«

    Etienne mit seinem vorlauten Mundwerk lernte wirklich nicht dazu. Dass seine Gedanken um die Lady kreisten, machte mich zunehmend nervös.

    »Nein, Etienne. Sie wird mit ihrem Onkel dinieren. Etwas, worüber du dir keine Sorgen zu machen brauchst.«

    Wortlos bat ich Hayden per Handzeichen um Nachschlag.

    Hayden Connor war gerade junge einundzwanzig Jahre alt. Ich hatte ihn in London aufgeschnappt. Gerade, als ich die Smiths Tavern verlassen wollte, hatte der Eigentümer ihn hochkantig rausgeschmissen. Wie ich rasch herausgefunden hatte, war Hayden damit obdachlos geworden.

    Bis dato hatte ich keinen Koch beschäftigt. Jeder der Crew hatte seine Kochkünste walten lassen müssen. Aus Mitleid heraus hatte ich ihn also angeheuert. Seine erste große Reise auf der Glackmore hatte er schon hinter sich, und ich schätzte ihn sehr – als Koch wie auch menschlich.

    Obgleich Hayden taubstumm zur Welt gekommen war, fehlte es ihm nicht im Mindesten an Fähigkeit. Er war weder begriffsstutzig noch faul. Im Gegenteil. Er suchte nach Beschäftigung. Stand er nicht am Herd, so brachte er sich in die Arbeiten als Decksmann mit ein. Und wenn ich seine Handsprache auch nicht gänzlich beherrschte, so machte er es doch wett durch seine gute Kombinationsgabe.

    Schon des Öfteren hatten wir ausgelassen die Heiterkeit und den Humor des jeweils anderen genossen, während die Besatzung an Deck einsam ein jeder an seiner Position verweilen musste.

    Mit einem kaum merklichen Schmunzeln und Augenzwinkern bedankte ich mich bei ihm und nahm den gefüllten Teller entgegen.

    »Wird die Lady dich an Land begleiten?«

    Mit geblähten Nasenflügeln riss ich den Kopf von meiner Mahlzeit hoch und richtete meinen Blick in die Runde.

    »Noch ein Wort über die Lady und wir legen einen Tag Pause zum Deckschrubben ein. Ihr dürft Etienne auch jederzeit beim Abbacken Gesellschaft leisten, habe ich mich deutlich ausgedrückt?«

    Kopfduckend schürzte Norick die Unterlippe. Ein Signal für alle, dass jetzt Ruhe vorherrschen sollte. Norick war mein ältestes Besatzungsmitglied. Er war der Erste von allen. Meine ganze Laufbahn als Capt'n hatte er mich begleitet.

    Viele Dogmen, die man mich – bis zu diesem Zeitpunkt vor sechs Jahren – gelehrt hatte, hatten sich bedingt als Theoriegehabe erwiesen. Geschickt in meinem Fach, doch unwissend, unerfahren hatte ich die Glackmore erstanden.

    Es war mein Glück, dass ich Rick an meiner Seite hatte. Auf ihn war Verlass. Allein dank ihm hatte ich zwei starke Wirbelstürme auf hoher See überlebt, Meutereien durch das Anheuern klug ausgewählter Männer verhindert. Und auch das Verhandeln von Frachtpreisen hatte er mir beigebracht. Geschickt leitete er mich an, machte mir klar, welche Priorität es hatte, sein Schiff zu keiner Zeit aus den Augen zu lassen und sich niemals in Sicherheit zu wiegen.

    Über die wenigen Jahre hatte ich mir durch mein Können und akkurates, stets durchdachtes Handeln an Bord den Respekt des alten Mannes erworben und damit auch den der gesamten Crew. Denn nicht nur für mich war Rick eine Autorität, obgleich ich sein Brötchengeber war. Was er vertrat, hatte auch bei den anderen Gewicht.

    Gesättigt und müde verließ ich die Mannschaft unter Deck und trat an die frische Luft. Schemenhaft erkannte ich Charles' Umrisse am Steuerrad. Tief atmete ich die salzige Luft ein und schloss zufrieden die Augen. Auf See fühlte ich mich schlichtweg wohler als in Gesellschaft an Land.

    Schweigend begab ich mich zu meinem Freund, übernahm die Steuerung und sinnierte vor mich hin, konzentrierte mich dabei auf unsere Atemwolken. Der Wind hatte abgeflaut, der Wellengang nachgelassen, was mich insgeheim aufatmen ließ. Die Wahrscheinlichkeit, so einer hysterischen und aufgebrachten Lady gegenüberzutreten, sank damit.

    »Ich danke dir, mein Freund.«

    Erstaunt sah ich ihn an, überrascht von der unerwarteten Kundmachung.

    »Bedanke dich erst, wenn wir sicher im Heimathafen angekommen sind.«

    Mir war nicht nach Reden zumute, und doch hatte ich das Bedürfnis, ihm nochmals intensiv einzuschärfen, dass er seine Nichte keine Minute unbeaufsichtigt lassen durfte. Sie wusste sich weder auf einem Schiff zu verhalten, noch war sie sich ihrer Wirkung bewusst.

    Nachdem ich in Gedanken jedoch alle Mahnreden gründlich abgewägt hatte, kam ich doch zu keinem Ergebnis. Die Unterhaltung musste bis zum nächsten Tag warten.

    »Du hast Feierabend, Charly. Am besten lässt du deine Nichte nicht zu lange warten. Sie ist pünktliche Essenszeiten gewohnt.«

    Ein leicht spöttisches Grinsen legte sich auf seine Lippen, ehe er mir vertraut die Hand auf die Schulter legte und die Brücke verließ.

    Übermüdet und mit Kopfschmerzen wachte ich aus meinem unruhigen Schlaf auf. Ich hatte allen Ernstes einen Albtraum gehabt. Seit wann träumte ich? Das war mir nun schon seit ewigen Zeiten nicht mehr widerfahren.

    Ich würde es tunlichst unterlassen, auch nur irgendwem davon zu berichten. Sogar mir selbst versuchte ich den Traum schnellstmöglich als Hirngespinst darzustellen. Dass dieser Traum von einer Lady gehandelt hatte, die durch Meuterei über Bord ging und ertrank, versuchte ich ebenso rasch zu verdrängen und zu vergessen.

    Gerädert stand ich auf und trank in einem Zug meine Flasche mit Wasser aus. Wie Umstände einen doch in den Schlaf verfolgen konnten. Auch wenn ich zu stolz war und es mir nicht eingestehen wollte, so wusste ich doch insgeheim, dass mich unser neuer Gast mehr beschäftigte, als ich zuzugeben bereit war.

    Allein diese Erkenntnis machte mich wütend auf mich selbst. Wiederum bereute ich die Zustimmung gegenüber Charles. Doch nun musste ich damit leben. Auch wenn ich keinen Schimmer hatte, wie ich das anstellen sollte.

    »Du siehst übernächtigt aus.«

    Charles hätte besser wissen müssen, dass es nicht sonderlich intelligent war, mich in diesem Zustand auf meinen Zustand anzusprechen. Er kannte mich immerhin nicht erst seit gestern.

    Ich brummte ein entnervtes »Hm« und würdigte ihn keines Blickes. Da er derzeit das Kommando innehatte, verzog ich mich zu Hayden. Wie wohltuend es doch sein konnte, dass ich hier nicht angesprochen wurde.

    Die Ironie war nicht zu leugnen, als der Schiffskoch durch seinen Gesichtsausdruck meine Stimmung aufhellte. Mit einem optimistischen Lächeln und hochgezogenen Augenbrauen setzte er mir mein karges Frühstück, das aus etwas Haferschleim bestand, vor die Nase. Es war fast, als wollte er mir damit sagen: ›Hier, mein Freund. Diese Mahlzeit verbessert deine schlechte Laune sicherlich, und nun nimm das Leben nicht so hart.‹

    Dankend nickte ich ihm zu, ehe ich verdutzt konstatierte, dass sich der junge Mann mit an den Tisch pflanzte und scheinbar ein Gespräch führen wollte.

    Zuerst gewillt, die Unterhaltung abzuwehren, entschlüsselte ich jedoch zunächst seine Handgesten. Hatte er mich soeben ernsthaft gefragt, ob ich schlecht geschlafen hatte?

    Ob ich schlecht geträumt hatte? Und ob!

    Verdattert über seine unbestreitbare Wahrnehmung und Assoziationsfähigkeit, wusste ich nicht, was ich darauf erwidern sollte. Doch mein Schweigen war ihm wohl genug. Zielstrebig stand er auf.

    Zurück kam er mit einem kleinen Beutel. Es war eine Kräutermischung aus Hopfen und Baldrian. Er machte mir klar, dass ich diese mit heißem Wasser aufgießen und anschließend trinken sollte.

    Nun konnte ich ein aufrichtiges Lächeln nicht mehr zurückhalten. Der Junge war wirklich erstaunlich. Voller Wertschätzung erhob ich mich, klopfte ihm anerkennend auf die Schulter und hielt ihm die Hand entgegen.

    Mit zunehmend besserem Wohlbefinden stieg ich die Treppe der Küchenkajüte hinauf, während der Kräuterbeutel in den Tiefen meines Mantels verschwand. Und als hätte sich das Wetter über meinen Stimmungswandel gefreut, strahlte die Sonne ein kleines Stück durch die graue Wolkendecke.

    Zufrieden ließ ich von der Brücke aus meinen kontrollierenden Blick über die arbeitende Besatzung schweifen. Alles hantierte auf Hochtouren. Sie setzten weitere Segel, knoteten einige Tampen neu. Rick konnte man dabei beobachten, wie er ein Segel der letzten Reise flickte.

    Etwas abseits blieben meine Augen empört an der jungen Lady Lawson hängen. Was hatte sie dort alleine zu suchen? Wie einstudiert lag eine Hand auf der Reling, die andere hielt sie vor ihren Mund gepresst. Im nächsten Moment fühlte ich mich aus Anstand gedrängt, wegzusehen. Sie hatte sich also nicht umsonst an die uneinsichtige Heckseite postiert. Die Seekrankheit hatte sie eingeholt.

    Ließ ich mir äußerlich nichts anmerken, so empfand ich doch Mitgefühl und beschloss, einem Gegenübertreten nicht weiter aus dem Wege zu gehen.

    5

    Jolyne

    Abgesehen von einer leichten Grippe als Kind war es mir in meinem ganzen Leben noch nie schrecklicher ergangen als zum jetzigen Zeitpunkt. Die Übelkeit kehrte in regelmäßigen Abständen wieder.

    Zu guter Letzt wusste ich mir nicht mehr zu helfen und verließ meine Kajüte. Es dauerte keine Minute, da war nicht mehr zu verhindern, dass sich mein Magen entleerte. Ich fühlte mich elendig. Angeekelt wischte ich mir mit einem Stofftuch über die Lippen.

    Verstohlen suchte ich meine Umgebung ab. Wenn mich nun jemand dabei beobachtet hatte, war es gänzlich vorbei mit meinem Selbstwertgefühl. Der Einzige, den ich aus meiner Position erhaschen konnte, war ausgerechnet der Capt'n, welcher offensichtlich gerade die Brücke verlassen wollte und stattdessen Onkel Charles ans Steuerrad zitierte, wie ich hörte.

    Ob er mich gesehen hatte? Der Gedanke allein verursachte mir schon wieder Übelkeit. Und abermals musste ich den Kopf über die Brüstung strecken.

    Hin- und hergerissen, was ich nun tun sollte, klebten meine Augen am Horizont. Offiziell durfte ich ohne Charles nicht aus meiner Kabine. Trotz einer unruhigen See war es mir in meiner ersten Nacht möglich gewesen, in einen unruhigen, aber dennoch erholsamen Schlaf zu fallen. Der ereignisreiche Tag war daran wohl nicht unschuldig gewesen.

    Doch kaum war ich dem harten Bett entstiegen und hatte mich in eines der Alltagskleider gezwängt, überrollte mich schonungslos das flaue Gefühl in meinem ohnehin schon malträtierten Magen. Seitdem war mir kein klarer Gedanke mehr möglich.

    Ich spürte, dass mir die Sicht auf das weite Meer guttat. Mein Inneres beruhigte sich allmählich. Ein lauer Wind wehte mir um die Nase. Es roch salzig und frisch. Einzigartig wahrscheinlich. Nicht einmal mit der Brise an Dublins Stränden ließ sich dieser Geruch vergleichen.

    Mit geschlossenen Augen reckte ich den Kopf leicht nach oben. Meine streng gesteckte Frisur machte sich, wie zu erwarten, selbstständig. Wofür hatte ich mir am heutigen Morgen über eine Stunde lang die Mühe gemacht? Ich wusste die Antwort. Und sie war gleichsam beschämend wie verständlich.

    Nur weil ich auf einem Schiff verweilte, bot mir dies keinen legitimen Grund, mich gehen zu lassen. Eine Lady hatte stets anständig und nach Vorschrift der Etikette aufzutreten.

    Wenngleich ich mich nicht zu den vornehmlichen Vertretern ebenjener Ordnung zählte, so ließ es doch mein Gefühl der Würde nicht zu. Ich war einem gesellschaftlichen Rang zu eigen, welcher dem Anstand und der Selbstachtung Tribut zollte.

    »Guten Tag, Lady Lawson.«

    Bestürzt schreckte ich zusammen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Direkt neben mir stand Capt'n Coldwell, und ich hatte ihn nicht im Mindesten bemerkt.

    Mit geröteten Wangen und wild schlagendem Herzen wandte ich mich ihm zu. »Guten Tag, Capt'n Coldwell.«

    Schweigen breitete sich über uns aus.

    Geschwind arbeitete sich mein Kopf einen passenden Kommentar zurecht, der die seltsame Stimmung beseitigen sollte. Der Mann musste nicht wissen, wie schlecht es mir erging.

    »Ich möchte Ihnen danken, dass Sie mich auf Ihrem Schiff so herzlich aufgenommen haben. Es entspricht sicher nicht Ihren Prinzipien, eine Lady über den Ozean zu schiffen.«

    Erst als ich meinen Satz beendet hatte, fiel mir auf, dass man diese Aussage auch sarkastisch interpretieren konnte. Und diesmal hatte es nicht in meiner Absicht gelegen.

    Fast unmerklich zog Sir Coldwell die rechte Augenbraue hoch, doch erwiderte er nichts darauf.

    »Nun … Ich dachte, Sie könnten das hier gut gebrauchen.«

    Er überreichte mir einen kleinen Beutel. Ich öffnete ihn und fand Ingwer darin.

    Mein fragender Blick war ihm nicht entgangen, denn er setzte zu einer Erklärung an.

    »Wenn Sie ihn in Stücke schneiden und kauen, vergeht die Übelkeit.«

    Waren meine Wangen eben noch etwas gerötet, so musste ich nun mit hochrotem Gesicht vor ihm stehen. Ich spürte in Sekundenschnelle, wie mir die Hitze in den Kopf schoss. Er hatte mit ziemlicher Sicherheit mitbekommen, wie sehr ich mit mir kämpfen musste. Wie überaus unangenehm!

    Ungeachtet dessen, dass mir zum Überbordspringen zumute war, bewahrte ich die Contenance und sah ihn geradeheraus an.

    »Ich danke Ihnen. Das ist sehr aufmerksam.«

    Zögerlich nickte er, ehe er sich umwandte zu gehen. Zwei Schritte später hatte er es sich wohl auch schon anders überlegt.

    »Was Ihre Anwesenheit betrifft: Es spricht tatsächlich gegen meine Überzeugungen. Aber da ich der Meinung bin, dass Sie Dame eines Standes sind, die

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