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Sturm nach der Ruhe
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eBook314 Seiten3 Stunden

Sturm nach der Ruhe

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Über dieses E-Book

Surrey Hills, Südengland - Laury und Samantha arbeiten auf demselben Gestüt und sind zufrieden mit ihrem Leben, bis Laury in einen Unfall verwickelt wird, der ihr Leben von heute auf morgen vollkommen verändert.

Ausgerechnet in dem alten, schlagfertigen Gutsbesitzer Baron McCarthy findet sie einen Gefährten, der ihr auf humorvolle Art hilft, mit diesem Erlebnis fertigzuwerden.

 

Samantha findet sich unterdessen unverhofft in der Rolle einer Nanny wieder. Ihr Leben gleicht einem Drahtseilakt: Ihrer Mitbewohnerin und Kollegin Laury eine gute Freundin sein und gleichzeitig ihr Herz nicht an der kleinen Halbwaise Malina verlieren. Und schon gleich gar nicht an Jonathan, den sympathischen Neffen des Barons, und - was Samantha nicht weiß - Malinas Vater ...

 

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum5. Sept. 2022
ISBN9783755420156
Sturm nach der Ruhe

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    Buchvorschau

    Sturm nach der Ruhe - Jil Hasley

    Prolog

    Völlig in Gedanken versunken nahm sie das Stampfen der Hufe auf dem kalten, sandigen Boden wahr, spürte den Hauch des Schnaubens in ihrem Nacken und wie die Härchen der Nüstern am Hals kitzelten. Mit einer Vertrautheit, als wäre es das Normalste der Welt, küsste sie das samtweiche Fell der jungen, verunsicherten Stute.

    Ganz ruhig, flüsterte sie, während sie vorsichtig den Strick vom Halfter löste. Sobald die Gescheckte Freiheit witterte, stob sie davon und begann, sich übermütig auszutoben.

    Voll und ganz zufrieden, wie der Morgen verlaufen war, sah Samantha dem jungen Pferd dabei zu, wie es sich wälzte und schließlich genüsslich zu grasen begann. Mit einem leichten Schmunzeln kehrte sie zu den Stallungen zurück und zog ihr Smartphone aus der Jackentasche, drückte auf den grünen Hörer, um die letzten Telefonate einzusehen. Dann wählte sie Laurys Nummer und wartete auf das Freizeichen.

    Hm?, grummelte es auf der anderen Leitung.

    Aufstehen.

    Bin schon wach, nuschelte Laury in den Hörer.

    Mag ja sein. Und wie lang steht Madam schon mit ihren Füßen auf dem Boden?

    Abwartend zog Sam die Augenbrauen hoch, während sie sich lässig gegen die Stallmauer lehnte und den Anblick des Morgennebels genoss.

    Hmm ... schon ..., rappelte sich die andere verschlafen auf, ganze zwei Sekunden.

    Leg dich ja nicht wieder hin.

    Ja, schon klar, verdrehte Laury die Augen, wobei sie sich ziemlich sicher war, dass Sam genau wusste, dass sie es tat, Wenns recht ist, dann geht die Madam jetzt unter die Dusche und besorgt uns dann was zum Frühstücken.

    Eine knappe halbe Stunde später betrat Laury das Stallbüro, wo die andere gerade dabei war, den Wochenplan zu überarbeiten.

    Hier, reichte die Freundin ihr einen vollen Papierkaffeebecher und stellte sich hinter sie.

    Gestützt auf die Stuhllehne, lugte sie neugierig in die Übersicht und tippte schließlich auf die Spalte Dienstag.

    Da kann ich nicht. Wir haben doch ausgemacht, dass ich mich Dienstagvormittag um die Datenpflege vom letzten Verkauf kümmere.

    Hast recht, entsann sich Sam und nippte an dem heißen Getränk, Dann übernehme ich das mit der Ablage. Hast du mal wieder Glück. Man könnte fast meinen, du drückst dich mit Absicht davor.

    Vielsagend grinste die Jüngere der beiden, bevor sie das Büro verließ und ihrer Freundin noch über die Schulter ein Kommst du? zurief.

    Hungrig folgte sie ihr zu den kleinen Graskoppeln, an deren Wegrand ein Holzpavillon stand. Hier saßen sie oft gemeinsam, konnten sich ungestört unterhalten. Es war ihr Ort.

    Was hast du letzte Nacht noch so lang gemacht? Als ich auf die Uhr gesehen habe, war die halbe Nacht schon vorbei und da warst du immer noch voll auf den Laptopbildschirm fixiert.

    Neugierig war Laury seit eh und je.

    Ich wollte noch ein wenig über unseren neuen Baron erfahren. Sein zweiter Name ist Felix, informierte Sam.

    Aha. Und das war alles?

    Also gut, pass auf. Er hat noch drei weitere Gestüte. Zwei davon hat er von seinen Schuldnern übernommen, da die nicht liquide genug waren und ihm horrende Summen schuldeten. Er hat noch einen Bruder und eine Schwester. Sein Bruder lebt in Schottland. Und seine Schwester hat einen 'Bürgerlichen' geheiratet. Davon war er nicht begeistert. Jedoch ist er wohl heiß und innig in seinen Neffen, also ihren Sohn, vernarrt.

    Okay, speicherte Laury die Informationen systematisch in ihrem Gedächtnis, Und weiter?

    Tja. Ich habe ja noch echt lange gesucht, aber wie nicht anders zu erwarten ...

    Keine Auffälligkeiten seinerseits, schlussfolgerte Laury richtig, Ich hätte ja wetten können, dass der Gute keine saubere Weste hat.

    Einige Momente hing jede ihren Gedanken nach, ehe sie sich erhoben und sich an die Arbeit für heute machten.

    Ach, bevor ich es vergesse ..., fiel es Laury in letzter Sekunde ein und Sam drehte sich nochmals um, bevor sie wieder im Büro verschwand, Bobbie hat uns für heute Abend eingeladen. Er meinte, er wolle für uns kochen.

    Kochen? Dein Bruder Bobbie? Was ist das? Na gut. Dann esse ich vorher schon mal was. Wenn er die Kochkünste seiner Schwester besitzt, dann bin ich gerne bereit, zu verzichten.

    Der hat gesessen. Das wirst du büßen.

    Ja, ich freue mich schon darauf, grinste Sam keck und streckte dabei die Zunge raus.

    Laury machte sich auf den Weg zu den Stallungen. Routiniert ging ihr Kopf den heutigen Ablauf durch. Während sie kurze Zeit später mit Mistgabel und Schubkarre begann, die Pferdeäpfel und das dreckige Stroh aus den Boxen zu schaffen, saß Sam im Büro über einem Stapel Unterlagen.

    Papierkram war lästig, musste jedoch auch erledigt werden. Sie wusste genau, welche Qual Büroarbeit für ihre Freundin bedeutete. Laury war ein kleiner Wirbelwind. Eine, die immer draußen sein musste und irgendetwas tun wollte. Auch Sam liebte die Natur und die Arbeit mit den Pferden. Doch irgendjemand musste nun mal Ordnung im Büro halten.

    Unerwartet schoss ihr das erste Aufeinandertreffen mit ihr durch den Kopf. Es war im Kindergarten gewesen. Die vor einigen Tagen erst neu zugezogene Laury hatte die Erzieherinnen so lange in die Verzweiflung getrieben, bis sie in die Strafecke gesetzt wurde. Wo schon Sam saß und schmollte.

    Es dauerte nicht lange, bis die beiden sich auf kindliche Art angefreundet hatten. Von da an war kaum noch jemand vor ihren Streichen sicher gewesen. Trotz des Altersunterschiedes von zweieinhalb Jahren gingen sie seit jener Begegnung durch dick und dünn.

    Unter anderem verband die beiden ihre Leidenschaft für Pferde, die sich auch so lange gehalten hatte, dass beide nun die Ausbildung zur Pferdewirtin abgeschlossen hatten und auf dem gleichen Gestüt arbeiteten. Vor einiger Zeit hatten sie sogar schlussendlich entschieden, eine WG zu gründen.

    Konzentriert wandte sich Sam dem nächsten Blatt Papier zu. Doch statt eines formellen Stücks hielt sie nur einen kleinen Fetzen mit einer markanten Schrift in der Hand. Es war Laurys Notiz, die sie anscheinend gestern unter die Verträge und Rechnungen gemischt hatte: MORGEN, 2:00 p.m. – BARON, HMPF

    Hmpf?

    Sam konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Das war so typisch Laury. Eigentlich konnten sie froh sein, dass Gary Jordan, der ehemalige Gutsbesitzer - welcher nicht nur verschuldet, sondern offensichtlich auch in korrupte Machenschaften verwickelt gewesen zu sein schien - nun nicht mehr hier war. Doch Laury stand der adeligen Abstammung des neuen Gutsbesitzers misstrauisch gegenüber.

    Und wenn diese erst einmal gegen etwas war, gestaltete es sich mitunter sehr schwierig, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Sam zuckte die Schultern. Noch wenige Stunden, dann würden sie den Baron ja kennenlernen und dann konnten sie sich ein unvoreingenommenes Bild von ihm machen.

    Sam ordnete ihre leicht wirren Haare und verzog das Gesicht beim eigenen Anblick im Spiegel. Laury stand hinter ihr und grinste.

    Schön machen für den Herrn Baron?

    Sam verdrehte die Augen.

    Als die beiden Freundinnen ins Freie traten, stand bereits ein klischeehaft schwarzer, teurer Wagen dort, dem gerade zwei Männer entstiegen.

    Chauffeur hat er also auch, knurrte Laury leise, wofür sie einen missbilligenden Blick erntete.

    Der Baron war ein älterer Herr mit ergrautem Haar und einer schmalen, randlosen Brille auf der Nase. Freundlich blickte er die zwei jungen Frauen an. Aus der Fahrerseite stieg ein junger, dunkelhaariger Mann. Er trat neben den Baron, den er doch um einige Zentimeter überragte. Für den Bruchteil einer Sekunde betrachteten sich alle gegenseitig.

    Sam, auf die der Baron recht sympathisch wirkte, sah zu dessen Begleiter und für einen Moment hielt sie die Luft an. Sie blickte in unergründliche, grüngraue Augen, die keinen noch so kleinen Ansatz von Vermutung preisgaben, was dahinter vor sich ging. Beinahe vermeinte sie jedoch, so etwas wie Wehmut darin zu erkennen. 

    Der Blickkontakt dauerte wohl nur kaum eine Sekunde. Ein leichter, unauffälliger Stoß in die Seite riss Sam aus ihrer Faszination. Erschrocken über sich selbst, fixierte sie den Boden und schloss sich Laury an, die bereits auf die beiden Herren zuging, um sie zu begrüßen.

    Der Baron stellte den Mann neben sich als seinen Neffen Jonathan Cartwright vor, der wohl künftig bei den organisatorischen Tätigkeiten die Verantwortung übernehmen würde. Sams Mundwinkel zuckte – vielleicht lohnte sich der Papierkram ja doch – und reichte dem Baron freundlich die Hand.

    Und dann umschlossen auch schon sanfte, warme Finger die ihren und sie sah wieder in diese tiefgründigen Augen. Der Händedruck bescherte Sam gerötete Wangen. Sich im Klaren darüber, riss sie sich möglichst unauffällig los und folgte erneut Laury, die schon vorausgegangen war.

    Um Jons Lippen legte sich ein leichtes Lächeln. Die Offenheit der jungen Miss Evans erinnerte ihn an ...

    Er holte tief Luft.

    Vergangenheit.

    Das war Vergangenheit. Jetzt herrschte Gegenwart.

    Und diese Frau, diese Miss Evans, sie sollte ihn lieber nicht faszinieren. Er schüttelte leicht den Kopf.

    Jon? Alles in Ordnung?

    Ein besorgter Blick seines Onkels traf ihn. Er nickte schnell.

    Alles bestens Onkel.

    Desselben späten Nachmittags saß Samantha in ihrem Zimmer und betrachtete nachdenklich die weiße Wand - mit den Gedanken weit entfernt - als es leise klopfte und Laury ins Zimmer trat.

    Hey du ... Oh, eine Wand.

    Im nächsten Moment hatte sie ein Kissen im Gesicht. Unbeeindruckt lachte sie und warf es zurück, ehe sie sich auf die Bettkante setzte.

    Jonathan Cartwright also?

    Sam seufzte tief.

    Sag nichts. Einfach nichts. Bitte.

    Okay. Nichts.

    Du bist so ungemein witzig, grummelte Sam und vergrub ihr Gesicht im Kissen.

    So schlimm?, fragte Laury besorgt.

    Nein. Ich bin nur ... verwirrt. Hast du seinen Gesichtsausdruck gesehen?

    Abwartend betrachtete sie ihre Freundin, realisierte aber schon bald, dass vonseiten dieser kein anständiges Gespräch zu erwarten war.

    Ich muss noch kurz einkaufen, wandte sich Laury auch schon wieder zum Gehen, Kommst du mit oder starrst du in der Zeit lieber die Wand an?

    Wieder traf sie ein Kissen.

    Ich bleibe hier. Muss noch duschen.

    Okay, bis gleich dann.

    Okay, bis gleich dann.

    Diese Worte hallten immer noch in Sams Ohren, als sie fertig geduscht und angezogen war sowie zum gefühlt hundertsten Mal auf die Uhr gesehen hatte. Dass Laury sich nicht unbedingt was aus Pünktlichkeit machte, wusste sie. Aber eine ganze Stunde später als geplant?

    Ans Smartphone ging sie auch nicht und Bobbie wusste ebenfalls nichts. Langsam bekam Sam ein ungutes Gefühl.

    Als es nach weiteren zehn Minuten an der Tür klingelte, sprang sie sofort auf. Endlich! Jetzt würde sie aber was zu hören ... 

    Moment. Warum sollte Laury klingeln? Sie hatte doch einen Schlüssel ...

    Kurz holte Sam tief Luft und hoffte, dass alles eine logische Erklärung haben würde. Eine angenehme, logische Erklärung.

    Eine erklärende Laury, die irgendetwas von Katzenbabys am Straßenrand sagte. Irgendetwas. Hauptsache, es ging ihr gut und sie stand vor dieser Tür.

    Langsam drückte Sam die Klinke herunter.

    Sie sah in zwei unbekannte Gesichter, die zu uniformierten Männern gehörten.

    Miss Samantha Evans?

    Ja?, brachte sie heraus, ihre Kehle wie zugeschnürt.

    Wohnt hier Miss Laury McLean?

    Diesmal konnte sie nur noch nicken. Eine schreckliche Ahnung beschlich sie.

    Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Miss McLean in einen Unfall verwickelt war.

    Nein. Nein. Nein ...

    Kapitel 1 - Nichts

    Zögernd hob Samantha die Hand gegen die hölzerne Tür. Sollte sie klopfen? Oder sollte sie Laury einfach ihre Ruhe lassen? Langsam ließ sie die Hand wieder sinken. Gestern Abend hatte Laury noch gesagt, dass sie heute definitiv wieder mit zur Arbeit kommen wollte. Doch war sie dafür schon bereit?

    Seufzend lehnte Sam sich gegen den Türrahmen und schloss für einen Moment die Augen, als die Tür auch schon schwungvoll aufging.

    Hey, grüßte Laury ihre Freundin leise.

    Hi. Du bist dir wirklich sicher, dass du heute mitkommen willst?

    Laury nickte.

    Mir gehts gut. So einigermaßen ...

    So einigermaßen. Den Umständen entsprechend. Im Großen und Ganzen. Das waren die Floskeln, die Laury wohl zurzeit am häufigsten verwendete. Früher, da war alles entweder ganz oder gar nicht gewesen. Jetzt machte sie selten genaue Angaben.

    Wie selbstverständlich ging Sam auf ihr Auto zu, mit dem sie eigentlich jeden Morgen zum Hof fuhr. Doch Laury blieb stehen und starrte den Wagen mit zusammengekniffenen Augen an.

    Laury? Alles okay?

    Können wir ... können wir bitte laufen?

    Natürlich.

    Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her, beide gedankenverloren. Hohe Linden säumten den geschotterten Weg inmitten der schönen Surrey Hills im Süden Englands. Unweit verlief parallel die geteerte Straße.

    Es waren jetzt zwei Wochen vergangen.

    Zwei Wochen seit dem Unfall, der Laurys Leben und damit auch das ihrer engsten Freundin so sehr verändert hatte. Von einer Sekunde auf die andere war nichts mehr wie vorher gewesen. In einer uneinsichtigen Kurve im Wald hatte Laury einen jungen Mann mit dem Auto erfasst. Er war wie aus dem Nichts aufgetaucht und, wie sich herausgestellt hatte, die Böschung hinuntergerutscht. Zu jenem Zeitpunkt war er alkoholisiert und musste das Gleichgewicht verloren haben.

    Obwohl sie aufgrund der Wetterverhältnisse langsam gefahren war, konnte sie nicht rechtzeitig bremsen.

    Er war sofort tot.

    Laury hatte bei dem Unfall keine körperlichen Verletzungen erlitten, die seelischen waren dafür umso gravierender. Schon seitdem sie im Hospital wieder aufgewacht war, litt sie an einer Amnesie. Erst war ihre gesamte Erinnerung verschwunden, doch als ihre Eltern, Bobbie und Samantha aufgetaucht waren, kamen die Erinnerungen nach und nach zurück. Jedoch nur bis zu dem Zeitpunkt, als sie ins Auto gestiegen war. Danach war da nichts mehr.

    Schwärze, ein großes Nichts.

    Dabei war es keine sonderliche Hilfe, dass die Polizei anfangs häufig angerufen hatte, um sich nach Fortschritten zu erkundigen, da sie ihre Aussage aufnehmen wollten. Dieser Druck, der auf Laurys Schultern und ihrem Gedächtnis lastete, trug nicht gerade zur Besserung bei.

    Laury und Sam schüttelten gleichzeitig den Kopf. Verdutzt sahen sie einander an. Sam lachte leise auf und Laury brachte zumindest ein Schmunzeln zustande.

    Wie geht es dir?, fragte Sam sie vorsichtig.

    "Ich habe nur gerade ... daran gedacht."

    Das heißt, du ...

    Laury schüttelte wieder den Kopf.

    Nein, ich erinnere mich nicht. Ich denke nur an das, was man mir erzählt hat.

    Ihr Gesicht nahm einen gequälten Ausdruck an. Sie fixierte den Boden.

    Laury ..., setzte Sam an und zögerte.

    Was?

    Du machst dir Vorwürfe.

    Es war keine Frage.

    Sanft legte sie ihren Arm um die andere. Diese versteifte sich für einen Moment, entspannte sich dann wieder.

    Tapfere Lauryley.

    Zufrieden beobachtete Sam, wie ihre Freundin angesichts des alten Spitznamens lächelte.

    Dich trifft keine Schuld. Es hätte jedem anderen passieren können. Du bist vorsichtig gefahren. Du hättest nichts tun können, um es zu verhindern!

    Ich weiß. Ich weiß, aber ...

    Ich weiß aiuch, flüsterte Sam und zog sie in eine Umarmung.

    Der Tag verging quälend langsam. Immer wieder konnte Sam Laury dabei beobachten, wie sie abwesend irgendwo herumsaß und in die Luft starrte. Sie versuchte, stark zu sein, das war offensichtlich. Doch nur zu gut konnte Sam das tiefe, schwarze Loch sehen, auf das sich Laury gerade zubewegte.

    „Hey?, stupste Sam sie nun zum dritten Mal an, „Laury?

    „Hm?", wandte sich diese um und blickte anfangs durch Sam hindurch, ehe sie sie wirklich fokussierte.

    „Du solltest nach Hause gehen. Du siehst nicht gut aus, versuchte Sam, die Sorgenfalten auf ihrer Stirn zu vermeiden, was ihr nur halb gelang, „Du hast seit zwei Wochen kaum geschlafen.

    „Nein, erwiderte Laury nur stur, „Ich hab noch zu viel zu erledigen. Mach dir keine Sorgen.

    Und damit ließ sie ihre beste Freundin einfach zurück.

    Hilflos ließ Sam ihre Schultern hängen und wollte gerade zurück ins Büro gehen, als sie hinter sich jemand ihren Namen aussprechen hörte. Sie drehte sich um und vor ihr stand Mr. Cartwright.

    „Guten Tag, Miss Evans."

    „Hallo Mr. Cartwright. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?"

    Sie sah ihn nur ganz kurz an. Er sollte ihre Verwirrung und Hilflosigkeit nicht bemerken. Langsam bewegten sie sich in Richtung Büro.

    „Ja, bitte. Ich habe gerade in den Unterlagen nach den Kontoauszügen der letzten Wochen gesucht. Leider habe ich sie nicht gefunden", folgte er ihr und wartete dann auf eine Reaktion.

    „Okay."

    In Sams Kopf wütete ein Orkan und sie musste scharf überlegen, was er gerade zu ihr gesagt hatte.

    „Die Kontoauszüge, richtig?"

    „Ja", bestätigte der Mann und versuchte zu ergründen, was gerade in der jungen Frau vorging. Sie wirkte völlig überfordert.

    „Geht es Ihnen nicht gut, Miss Evans?"

    „Ich? Doch, doch ..., fasste sie sich kurz an die Stirn, auf der sich Schweißperlen zu bilden begannen, „Ich werde sie Ihnen umgehend zukommen lassen, wenn ich sie gefunden habe. Wäre das in Ordnung für Sie, Mr. Cartwright?

    „Selbstverständlich", nickte Jon noch einen Gruß und verzog sich dann möglichst diskret.

    Irgendetwas stimmte nicht mit ihr.

    Heilfroh, endlich allein zu sein, ließ sich Samantha in den Bürostuhl plumpsen und stützte ihren Kopf in die Hände. Sie zählte bis zehn und atmete dabei immer und immer wieder tief durch.

    „Wir kriegen das hin, wir kriegen das hin", redete sie sich immer wieder ein und hoffte, damit Erfolg zu haben.

    Nach einigen Minuten hatte sie sich tatsächlich wieder gefangen und konnte wenigstens zwei Stunden durchgehend ihrer Büroarbeit nachgehen. Gerade als sie fertig war und den Laptop herunterfahren ließ, klingelte das Smartphone. Es war Bobbie, Laurys Bruder.

    „Bob, schön, dass du anrufst."

    „Wie geht es meiner Schwester?"

    „Ich habe kein gutes Gefühl. Sie ist heute mit in die Arbeit gekommen, berichtete Sam besorgt, „Sie sieht nicht gut aus, Bob. Ich weiß nicht, was ich tun soll.

    „Wir müssen sie jetzt einfach gut beobachten. Eventuell wird sie ihre Erinnerung an den Unfall plötzlich zurückerlangen und dann ist sie voll und ganz auf uns angewiesen, äußerte er seine Sorgen, „Du bist stark, Sam, du wirst das schaffen. Und du bist nicht allein, hörst du?

    „Ja, ich weiß", und dennoch fühlte sie sich in diesem Moment hundeelend und einsam.

    In der darauffolgenden Nacht hatte auch Sam einen sehr unruhigen Schlaf. Immer wieder hörte sie, wie sich Laury in ihrem Bett hin und her wälzte. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus und tapste leise zu ihrem Zimmer hinüber. Ganz vorsichtig öffnete sie die Türe und versuchte durch das Licht des Mondes zu erkennen, ob sie schlief oder nicht.

    Abrupt zuckte Laury zweimal und drehte sich dann schnell wieder um. Sam vermutete, dass sie gerade schlecht träumte und es tat ihr im Herzen weh, dass sie das alles durchmachen musste. Behutsam setzte sie sich auf den Bettrand und strich ihr über das Haar, das verklebt an den Wangen hing. Dann legte sie sich langsam zu ihr und umarmte sie von hinten. Nur kurz bewegte sich Laury.

    Als sie wach wurden, schien die Sonne durch die dünnen Chiffonvorhänge.

    Kapitel 2 - Schmerz

    Eine weitere Woche verging und lastete schwer auf den beiden jungen Frauen. Von Tag zu Tag war deutlicher erkennbar, wie Laury immer mehr in sich kehrte. Sie aß kaum etwas und - was am schlimmsten zu ertragen war - sie redete fast nicht mehr. Meist, wenn Sam sie ansprach, bekam sie nur ein Achselzucken oder ein „Mir egal".

    Bobbie hatte sich noch einmal mit einem Spezialisten für Traumapatienten unterhalten sowie einen Traumatologen ausfindig gemacht, der - so hoffte er - mehr positiven Einfluss auf seine Schwester nehmen konnte.

    „Laury, Bobbie ist am Telefon", hielt Sam ihr zögernd das Gerät entgegen.

    Diese starrte das Teil nur gleichgültig an und nahm es dann entgegen.

    „Hallo?", meldete sie sich.

    Für einen Moment war es still, ehe sie etwas erwiderte.

    „Lass mal, Bobs, ich schaffe das schon allein."

    Sie hielt von der Idee des neuen Psychologen wohl nichts.

    Und dann legte sie einfach auf.

    „Laury, er will dir doch nur helfen", wandte Sam ein.

    Schon zu lange stauten sich die Gefühle in Sam auf. Und als sie in die glanzlosen Augen der jungen Frau sich gegenüber blickte, konnte sie nicht mehr an sich halten und all ihre Emotionen – Angst, Trauer, Sorge, Unsicherheit – bahnten sich ihren Weg nach draußen.

    Bitterlich begann sie zu weinen.

    „Warum?, fuhr sie aus der Haut, „Wir wollen dir doch nur helfen. Wenn du es für dich schon nicht tust, dann tu es doch wenigstens uns zuliebe!

    Und damit verließ sie das Haus und rannte, so schnell sie ihre Beine trugen, den Waldweg in Richtung Gestüt entlang. Völlig außer Atem ließ sie sich neben dem Pavillon der Koppeln zu Boden sinken. Ihr ganzer Körper zitterte wie Espenlaub.

    Es dauerte lange, bis sie alles aus sich heraus geweint hatte. Kopf- und Halsschmerzen brachten sie fast dazu, wieder loszuheulen, weil es so wehtat. Die Augen brannten und waren völlig verquollen. Doch der angestaute Schmerz unter der Brust hatte endlich etwas nachgelassen.

    Allmählich kroch die Kälte in ihre Glieder. Es war schon Herbst und sowohl Laub als auch Gras waren

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