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kein mord.: Roman
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eBook241 Seiten3 Stunden

kein mord.: Roman

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Über dieses E-Book

"Keineswegs!", antwortete sie mit Bestimmtheit. "Ich versuche nur, eine angemessene Erwiderung auf diese ganzen Geschehnisse zu finden. Aber eins steht fest:
Es war kein Mord. Punkt."

Ein überaus wohlhabender Geschäftsmann stürzt vom Balkon seines Penthouses und erliegt seinen Verletzungen. Die Polizei steht vor einem Rätsel. Weder gibt es irgendeinen Hinweis auf Fremdeinwirkung, noch lässt sich ein plausibles Motiv für einen Suizid finden, da sich das Opfer in der Öffentlichkeit aufgrund seiner Großzügigkeit und seines sozialen Engagements außerordentlicher Beliebtheit erfreute. Schließlich wird der Todesfall zum tragischen Unfall erklärt und die Akte geschlossen.
Der Kripo-Beamte Markus jedoch hegt Zweifel an dieser Theorie und bittet seinen besten Freund und ehemaligen Kollegen Leopold um Hilfe. Völlig orientierungslos und in seinen Nachforschungen zusätzlich durch die beginnende Corona-Pandemie beeinträchtigt, stolpert Leo von einer befremdlichen Information zur nächsten.
Erst, als sein Freund längst aufgegeben hat, fallen ihm zwischen all diesen Episoden Zusammenhänge auf, die immer wieder auf das Unfallopfer deuten und sich um das Schicksal dreier Frauen winden.

"kein mord." von Sabeth Ackermann ist ein Roman mit kriminologischem Hintergrund. Die Autorin gewährt ihren Leserinnen und Lesern gegenüber ihrem heimlichen Helden Leo einen gehörigen Informationsvorsprung mit teilweise erschütternden Details, dennoch bleibt die Todesursache unklar.
Wird es eine Auflösung geben?
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum13. Dez. 2022
ISBN9783347585850
kein mord.: Roman
Autor

Sabeth Ackermann

Sabeth Ackermann, Jahrgang 1960, wächst mit vier Geschwistern in Süddeutschland auf. Die spätere Scheffelpreisträgerin ist bereits als Kleinkind von Geschichten fasziniert und beginnt mit sieben Jahren ihre eigenen Phantasien in Wort und Bild umzusetzen. Als alleinerziehende Mutter von drei Kindern und berufstätige Lehrerin reicht die Zeit jedoch lediglich zum Ordnen der unzähligen handschriftlichen Notizen, die sich über eine lange Zeit angesammelt haben. Nachdem der Nachwuchs nach und nach das Haus verlassen hat, kann sie im Mai 2021 ihren Debütroman „Zeit, mich zu finden“ fertigstellen, in dem die Ereignisse auf einem Schulfest das Leben der sechzigjährigen Pia, die noch immer mit den Folgen einer lieblosen und gewalttätigen Erziehung in den 1960er-Jahren zu kämpfen hat, durcheinanderwirbeln. In ihrem zehn Monate später fertiggestellten Zweitwerk „kein mord.“ bringt ein mysteriöser Todesfall den gutmütigen Ermittler Leo gleich in mehrfacher Hinsicht an seine Grenzen. Im Band "Neues aus 125 Jahren" finden sich 68 kurze Familiengeschichten speziell für erwachsene Menschen mit Konzentrationsproblemen und bei beginnender Demenz zum Lesen oder Vorlesen. Die Autorin, die sich leidenschaftlich für psychologische Themen, Detektivgeschichten, Fotografie und Traumforschung interessiert, lebt heute mit ihrem zweiten Mann in der Nähe ihrer großen Familie.

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    Buchvorschau

    kein mord. - Sabeth Ackermann

    1

    Das Schiff war riesig – eine eigene kleine Stadt, die mit allem ausgestattet war, was das Leben zum Genuss machte.

    Leo lümmelte sich, halb aufgerichtet, in bequemen Shorts und seinem Lieblingspolo auf einem Deckchair und beobachtete hinter seiner Sonnenbrille die Gazelle im weißen Bikini, die soeben dem Pool entstieg. Ihre blondgesträhnten, nassen Haare schmiegten sich an ihr Gesicht und ihren Hals und bedeckten schließlich, nachdem sie die letzte Sprosse erklommen hatte, ihre beiden Schultern.

    Im Trockenen angekommen, strich sie sie mit beiden Händen langsam nach hinten und drückte sie im Vorübergehen aus, so dass sich feine Rinnsale bildeten, die sich glitzernd über die glatte Haut ihres Rückens und ihrer leicht gebräunten Beine in Richtung ihrer Füße schlängelten.

    Dort hinterließen sie bei jedem ihrer Schritte kleine, nasse Spuren auf den edlen Holzplanken.

    Leo griff nach seinen Panama-Hut, der unschuldig neben seinem Bier auf einem Beistelltischchen lag, und drapierte ihn so unauffällig wie möglich über seine 2XL-Shorts, um sein Umfeld nicht mit dem sichtbaren Teil seiner heftig aufkeimenden Emotionen zu behelligen. Dann schloss er seine Augen und stellte sich vor, wie die Schöne lächelnd zurückkehrte und die leere Liege neben der seinen ansteuerte.

    Er versuchte sich auszumalen, dass sie eine Frau wäre, die ab und zu gerne einmal ihre gewohnten Kreise verließ, um sich an bodenständigem Brot- und Butter-Sex zu erfreuen. Und er hoffte, dass sie bei der Auswahl eines für diesen Zweck geeigneten Partners ihr gängiges Beuteschema zugunsten der Attribute, die er, Leo Lanzinger, repräsentierte, wenigstens dieses eine Mal vernachlässigen würde.

    Mangels realer Erlebnisse in der Ausgestaltung derartiger Phantasien erprobt, spürte er, wie sein Herz bereits heftiger schlug und er sich unaufhaltsam dem Gipfel näherte, als auf einmal eine Amsel unvergleichlich schön dazu zu zwitschern begann. Dann unterbrach sie für einen Moment ihren romantischen Gesang, um gleich darauf wieder einzusetzen.

    Leo war irritiert.

    Als die perlende Tonfolge das zweite Mal ertönte und unmittelbar darauf wieder aussetzte, zog sein Körper nach und beendete den Aufstieg in lustvolle Höhen kurz vor dem Ziel.

    Die Schwarzdrossel schien das nicht weiter zu stören und stimmte zum dritten Mal das Gezwitscher an, das Leo unter normalen Umständen sehr gerne hörte. Doch jetzt fühlte er sich verspottet und spürte Ärger in sich aufsteigen. Er zwang sich, seine Augen zu öffnen, während sich ihm im selben Moment die Frage aufdrängte, was wohl eine Amsel auf einem Kreuzfahrtschiff zu suchen habe.

    Dunkelheit umfing ihn; nur auf dem kleinen Schränkchen rechts neben ihm leuchtete der Namenszug „Mark" auf.

    Seufzend grabschte Leo nach dem dazugehörigen Endgerät, bekam es zu fassen und beendete mit einem Fingertip den Gesang seines Lieblingsvogels.

    Er war viel zu müde, um sich zu melden, was aber auch nicht von ihm erwartet zu werden schien; stattdessen gab das Smartphone einige undefinierbare Geräusche von sich. Leo schaltete den Lautsprecher ein und warf das Handy auf das stets unbenutzte Kopfkissen links neben seinem; dann schloss er seine Augen wieder.

    „Ich muss dich unbedingt sprechen!, quäkte es in sein Ohr. „Lanze, hey Lanze – hörst Du mich? Sag doch was! Leo Lanzinger grunzte.

    „Tut mir leid, wenn ich dich geweckt habe. Aber du bist der einzige, mit dem ich über meine Gedanken reden kann, und der mich dabei versteht und ernst nimmt – und mein einziger wirklicher Freund!", kam es etwas hilflos hinterher.

    Leo ließ sich mit einem Kommentar Zeit.

    „Aus der Anzahl deiner sonstigen Anrufe lässt sich diese Tatsache nicht so eindeutig erschließen", brummte er schließlich.

    „Lanze – Leo – bitte, jetzt sei doch nicht so furchtbar pedantisch, ertönte es nun etwas kleinlauter. „Aber während du dich nur noch um deine Depressionen kümmern musst, versuche ich einem anstrengenden Beruf, einer anspruchsvollen Ehefrau und zwei Nervensägen im Teenageralter gerecht zu werden.

    „Und vor lauter Frust darüber musst du mich mitten in der Nacht anrufen?"

    So langsam wurde Leo klar, dass es keine Möglichkeit mehr geben würde, wieder in seine angenehme Traumwelt zurückzugleiten; außerdem war er aufgrund des ungeschickten Kommentars seines Freundes bezüglich seiner einstigen psychischen Erkrankung verschnupft. „Mitten in der Nacht? Lanze, es ist sieben Uhr durch! Ich trinke gerade noch einen Kaffee und muss dann auch gleich zum Dienst." Markus ließ ein amüsiertes Lachen hören, schien sich aber gleich darauf an seinem Heißgetränk zu verschlucken und verfing sich für etwa zehn Sekunden in einem Hustenanfall, den Leo ungerührt zur Kenntnis nahm. Strafe muss sein.

    Schließlich flüsterte Mark heiser: „Sollen wir uns heute Abend auf ein Bier bei Antje treffen? Ich lade dich ein. „Zwei Bier und den Schnitzelteller mit Bratkartoffeln; du kannst mich um sieben abholen, vernahm Markus noch; dann hatte sein Freund aufgelegt.

    2

    Markus steuerte mit seinem schwarzen Kombi die einzig freie Lücke in der Blechschlange vor der parallel dazu verlaufenden Altbauten-Flucht an und quetschte ihn in drei kurzen Zügen gekonnt hinein, wobei er das Halteverbotsschild geflissentlich ignorierte. Während er seinen Freund per SMS über seine Ankunft informierte, ließ er den Motor laufen, um auch weiterhin den wohligen Komfort der Kombination aus Warmluft und Sitzheizung genießen zu können. Er hasste Kälte; und an diesem Abend Mitte Januar war es kalt, obwohl der Monat bisher ungewöhnlich mild gewesen war.

    Ihr nicht mehr so oft ausgesetzt sein zu müssen, war ein weiterer -wenn auch nicht der wichtigste- Grund gewesen, dass er sich vor über zwanzig Jahren dazu entschlossen hatte, noch einmal zu studieren, um den mittleren Polizeidienst durch den gehobenen zu ersetzen.

    Den wesentlichen Impuls dafür hatte er allerdings von Nina erhalten, seiner Frau. Nina war Lehrerin, schön, intelligent und überaus ehrgeizig; und als sie vor knapp einem Vierteljahrhundert ein Paar geworden waren, hatte sich sein gesamtes Leben von Grund auf geändert.

    Seither hatte sich seine Partnerin um seine Ernährung, seine Fitness, sein Styling und seine Finanzen und zu guter Letzt auch um seine Karriere gekümmert. Nachdem Markus schließlich bei der Kripo gelandet war, hatte er sich endlich getraut, um ihre Hand anzuhalten. Der glamourösen Hochzeit waren alsbald ein Haus am Stadtrand, ein Hund und zwei Kinder gefolgt.

    Mark liebte Nina und akzeptierte ihre Dominanz, deretwegen er im kollegialen Umfeld immer wieder mal aufgezogen wurde.

    Eine dick vermummte Frau mit einem Kinderwagen näherte sich seinem Wagen und klopfte schließlich an seine Fensterscheibe. Markus ließ sie halb herunter.

    „Sagen Sie mal, reicht es nicht, dass Sie hier im Halteverbot stehen; müssen Sie auch noch den Motor laufenlassen und die Luft verpesten!", heischte sie ihn an. Sie war noch jung und ihr Gesicht von der Kälte gerötet; und als sie sich zum Fenster hinunterbeugte, beschlugen prompt ihre Brillengläser.

    „Stellen Sie sofort den Motor ab, sonst rufe ich die Polizei", drohte sie verärgert.

    „Ich bin die Polizei", entgegnete Mark trotzig und bereute seine Unüberlegtheit im selben Moment. Als sie ein Handy aus ihrer Manteltasche zog, begann er sofort, sich zu entschuldigen. Nina war Nina; bei anderen Frauen jedoch, die so mit ihm sprachen, regte sich bei ihm jedes Mal reflexartiger Widerstand, was er hasste, da er nicht gerne die Kontrolle über sein Handeln verlor.

    „Es tut mir leid, erwiderte er, während er den Motor abstellte, „aber ich warte gerade auf meinen gehbehinderten Freund, und der verträgt Kälte sehr schlecht. Während die junge Mutter noch überlegte, ob seine Worte ernst gemeint waren, öffnete sich tatsächlich eine der Haustüren, und Leo erschien auf dem Bürgersteig. Ihn als „gehbehindert" zu bezeichnen, war eine dreiste Ausrede gewesen; dennoch wirkte sein Gang schwerfällig und unrund. Aus seinem Mund traten stoßweise kleine, weiße Wölkchen aus; und irgendwie schien er mit seiner ganzen Erscheinung das Mitleid der jungen Frau zu erregen.

    „Na gut, meinte sie jetzt, während ihre Hand zurück in die Tasche glitt, „aber bitte denken Sie auch mal an die Umwelt und an die Menschen, die den ganzen Mist einatmen müssen und sich nicht dagegen wehren können.

    Markus nickte abwesend und rutschte nach rechts, um seinem Freund die Beifahrertür zu öffnen. Leo stieg umständlich ein und ließ sich ächzend ins Polster fallen. „Hey, Dicker", lächelte Mark, und sein Beifahrer ließ sein übliches Grunzen hören – noch mehr herzliche Wiedersehensfreude wäre völlig überflüssig gewesen.

    Bei Antje war es erwartungsgemäß voll; doch Mark hatte rechtzeitig das beliebte „Séparée" reserviert, das sich in einem Eck befand und zusätzlich noch durch zwei, mit einem Vorhang verbundene Trennwände vor Einblicken geschützt war. Er wusste, dass sich Leo zwischen vielen Menschen unwohl fühlte, was sich durch seine psychische Erkrankung noch verstärkt hatte.

    Dass er überhaupt mit zu ihr ging, lag an ihrer deftigen Hausmannskost, die sie auf üppig gefüllten Tellern servierte und sich großer Beliebtheit erfreute.

    Die beiden Männer hatten sich vor etwa dreißig Jahren bei der Ausbildung zum Polizeidienst kennengelernt und waren später derselben Dienststelle zugeteilt worden. Sowohl optisch als auch vom Charakter her hätten sie unterschiedlicher kaum sein können, was aber ihrer Freundschaft keinen Abbruch getan hatte.

    Der pragmatische Markus und der sensible Leopold hatten sich stets hervorragend ergänzt. Als Team hatten sie gleichzeitig Kompetenz und Vertrauen ausgestrahlt; waren aber auch, dank Leos überdurchschnittlicher Intuition und Markus‘ Tatkraft, sehr reaktionsschnell gewesen, wenn die Situation es erfordert hatte. Davon hatte ihre Arbeit derart profitiert, dass sie von ihren Vorgesetzten regelmäßig zum gemeinsamen Streifendienst eingeteilt worden waren.

    Der dicke Vorhang ihrer lauschigen Höhle wurde beiseitegeschoben, und die Chefin höchstpersönlich erschien mit einem riesigen Tablett, stellte es auf dem Tisch ab und verteilte Teller, Flaschen, Gläser und Besteck.

    „So schön, Euch wieder mal zusammen zu sehen, Jungs, lachte sie. „Eigentlich hätte ich die Küche gerade gar nicht verlassen dürfen, weil bei diesem Betrieb sonst sofort das Chaos ausbricht - aber so viel Zeit muss sein! Sie drückte die beiden kurz und kniff Leo zusätzlich in die Wange. Dann war sie schon wieder draußen, eine Duftwolke gebrauchten Frittierfetts zurücklassend.

    Die Freunde machten sich sofort über ihre fleischlastigen und vitaminarmen Riesenportionen her; und es dauerte eine ganze Weile, bis Markus das erste Mal pausierte und sein Besteck ablegte.

    „Ich habe einen Fall, bei dem ich nicht weiterkomme, begann er zu sprechen. „Der Besitzer eines Clubs ist vor zwei Tagen mitten in der Nacht in Bademantel und Hausschuhen vom Balkon seiner Penthouse-Wohnung gestürzt; fünfter Stock – er muss sofort tot gewesen sein. Von Leo kam keine Reaktion; er war immer noch damit beschäftigt, eines der ursprünglich vier Schnitzel in Stücke zu zerteilen, die man gerade noch soeben als „mundgerecht" bezeichnen konnte; dann legte er das Messer beiseite und aß mit der Gabel weiter. Doch Mark wusste, dass er trotzdem alles mitbekam, was er sagte, und jede Information sofort in ein nur ihm verständliches System einordnete.

    „Das Problem ist, dass wir nicht den geringsten Anhalt dafür haben, ob es sich um Suizid, Mord oder einen tragischen Unfall handelt. Seine Sicherheitstür war verschlossen gewesen, und es gibt bis jetzt keinerlei Hinweise auf einen Kampf oder überhaupt einen vorherigen Besuch in der Wohnung. Der Mann war groß und kräftig gewesen; den hätte niemand mit Gewalt über die Balkonbrüstung befördern können, ohne dabei Hämatome zu verursachen. Im Moment liegt er in der Pathologie. Sollten die etwas finden, müssen wir das Penthouse natürlich intensiver nach Spuren absuchen; es ist derzeit noch versiegelt. „Und warum wartest du jetzt nicht einfach das Ergebnis ab?, kam es etwas undeutlich aus Leos Mund. „Weil ich, ganz unabhängig davon, überhaupt keinen nachvollziehbaren Grund für den Tod dieses Mannes sehe; und du weißt, wie unbefriedigend eine solche Situation für mich ist", antwortete Markus.

    „Ich liebe es, am Ende einer Untersuchung einen Fall sauber protokolliert und mit einer möglichst eindeutigen Beschreibung von Tathergang und Motiv ablegen zu können. Koslowski aber ist ein überaus erfolgreicher Geschäftsmann gewesen und hat alle möglichen regionalen sozialen Einrichtungen unterstützt. Er hat ein Leben in Wohlstand geführt, aber auch andere daran teilhaben lassen und ist überaus beliebt gewesen. Wer bringt einen solchen Mann um; beziehungsweise, welchen Grund hätte er gehabt haben sollen, sich selbst das Leben nehmen? „Koslowski? Andreas Koslowski?

    Leo hob den Kopf. Seine Mundwinkel und sein Kinn waren fettig verschmiert, aber in seinen graublauen Augen glimmte so etwas wie Interesse auf; und zum ersten Mal an diesem Abend hatte Markus das Gefühl, dass sein Freund wirklich bei ihm war. Er nickte.

    Mark wusste, dass Andreas Koslowski sechzig Jahre alt gewesen war. Er hatte seinerzeit zunächst eine Lehre zum Koch gemacht und dann das Hotelfach erlernt. Mit Anfang Zwanzig hatte er dem etwas heruntergekommenen Speiselokal seines Lehrherrn zu einem neuen Image verholfen. Nachdem sich der Laden zum Erfolgsmodell gemausert hatte, hatte dort einige Jahre lang ordentlich die Kasse geklingelt, bis ihn der Chef mit enormem Gewinn veräußert, sich zur Ruhe gesetzt und Koslowski als Dank eine großzügige Abfindung überlassen hatte. Mit dieser und einem zusätzlichen Kredit hatte der dann sein erstes eigenes Lokal erworben. Schon damals hatte er ein Gespür dafür bewiesen, wie man nicht mehr ganz junge Menschen mit leckeren Speisen und Getränken sowie stets persönlicher Ansprache in einer gediegenen Umgebung glücklich machen konnte.

    Nachdem auch dieses Projekt zur Goldgrube avanciert war, hatte er es mit hohem Gewinn verkauft und das nächste Projekt in Angriff genommen. In den folgenden Jahren hatte er so seine Spuren hinterlassen und war, auch mithilfe einiger geschickter Geldanlagen, immer wohlhabender geworden. Sein größter Coup aber war eine ziemlich heruntergekommene und bereits seit längerem geschlossene Diskothek gewesen, die er sehr aufwändig renoviert und in einen Tanzclub für die Generation Ü 30 umgewandelt hatte – das „Paradise".

    Hinter dem altbackenen Namen hatten sich ein ebenso biederes Ambiente mit hohem Wohlfühlfaktor und einer noch höheren Wahrscheinlichkeit, dort -ob für eine Nacht oder auch für einen ausgedehnteren Zeitabschnitteinen Partner oder eine Partnerin kennenzulernen, befunden. Die zwölf Meter lange Theke mit ihren bequem gepolsterten Barsesseln hatte den Spitznamen „Heirats-Bar" besessen. Es hatte aber auch kleine, gemütliche Sitzgruppen zum Hineinkuscheln gegeben, von denen einige sogar mit nostalgischen Tischtelefonen ausgestattet gewesen waren.

    Im Bistro-Bereich waren appetitliche Leckereien angeboten worden; und die Kellner -allesamt gutaussehende Männer unterschiedlichen Alters- hatten Snacks und Getränke auch im wie ein gemütliches Wohnzimmer eingerichteten Vorraum der Damentoilette im Untergeschoss serviert, zu dem ausschließlich Frauen Zutritt gehabt hatten. Es hatte mehrere attraktive Partytänzer, die einsame Herzen zum Tanzen aufgefordert hatten; und der Chef selbst war entweder hinter der Theke gestanden oder hatte sich unters Volk gemischt, um seinen Charme spielen zu lassen.

    Die Parkplätze waren beleuchtet gewesen; und falls eine Frau dennoch Angst gehabt hatte, alleine zu ihrem Wagen zu gehen, war ihr kostenlos ein männlicher Begleiter -allerdings nur bis zu ihrem Auto- zur Verfügung gestellt worden. Das weibliche Geschlecht hatte von Andreas Koslowski definitiv die größte Aufmerksamkeit erfahren; doch das war alles Kalkül gewesen. Frauen bis ins Rentenalter hinein hatten sich bei ihm wohlfühlen, die Aufmerksamkeit attraktiver Männer genießen und nicht das Gefühl haben sollen, mit hübschen Kellnerinnen konkurrieren zu müssen. Dies war auch einer der Gründe gewesen, warum während der Öffnungszeiten grundsätzlich keine weiblichen Angestellten zu sehen gewesen waren. Seine männlichen Gäste hatten ihre Aufmerksamkeit ausschließlich den anwesenden Frauen widmen sollen und umgekehrt. Um dieses Ziel zu erreichen, hatte jeder Partytänzer mit derselben Frau an einem Abend nur eine Runde tanzen und die Kellner und Barmänner zwar ständig lächeln, sich mit Gästen aber niemals über etwas anderes als deren Bestellwünsche unterhalten dürfen. Darüberhinausgehende Angelegenheiten waren grundsätzlich Chefsache gewesen.

    Auch einem der Kellner, dem vor einiger Zeit von einem männlichen Gast ein Zettel zugesteckt worden war, war noch in derselben Nacht fristlos gekündigt worden. Diese Form der Abschreckung hatte das erfolgreiche Gesamtkonzept des Clubs unterstützt. Und so war das „Paradise" von mittwochs bis samstags und vor Feiertagen stets gut besucht gewesen. Mit Mitte vierzig hatte sich Koslowski

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