Angovonn 2: Tiefer Schlaf
Von Lukas Katzmaier
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Über dieses E-Book
Nachdem Anisha gerade erst dabei geholfen hat, die letzten Schäden in der Stadt Angovonn zu beseitigen, ziehen auch schon neue dunkle Wolken auf.
Aus der Stadt wurden einige vermeintlich harmlose Substanzen gestohlen, die in den falschen Händen allerdings für große Gefahr sorgen könnten.
Anisha und die anderen folgen daher sofort der Spur der vermeintlichen Täterin - der Entrainerin Tanita.
Es zeigt sich schon bald, dass diese nicht die Einzige ist, die Rachepläne schmiedet.
Um die Pläne der Entrainer zu durchkreuzen, muss Anisha zu jenem Ort zurückkehren, an dem alles seinen Anfang genommen hat.
Band 2 der Angovonn-Trilogie.
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Buchvorschau
Angovonn 2 - Lukas Katzmaier
»Neuer Glanz«
Unter Rissen sticht hervor,
glatter, zarter Glanz,
bröckelt ab vom finstren Tor,
schwacher Lichtertanz.
Altes bleibt doch Neues kommt,
alter, neuer Glanz,
Schlüssel sich im Finstern sonnt,
starker, heller Kranz.
Anisha taumelte, als ein großer Brocken Gestein von einem der stachelartigen Auswüchse der Hausfassaden abbröckelte.
»Jetzt nimm endlich einen Energiestein, Anisha. Du musst dich nicht immer beweisen!«, fuhr Daya sie an.
»Naja, irgendwie ist das doch alles meine Schuld gewesen. Hätten sie es nicht auf mich abgesehen gehabt, hätten sie die Stadt nicht so … zugerichtet«, murmelte Anisha leise. Vor ihrem geistigen Auge zeigten sich in vorbeiziehenden Bildern, wie die ihr nach wie vor so fremde Stadt Angovonn einst ausgesehen hatte. Die Schäden in der Stadt waren beträchtlich gewesen, sodass sie nun immer noch dabei waren, diese zu beseitigen.
Unbeirrt tastete Anisha eine weitere verbrannte Stelle an der Hausfassade ab, spürte das altbekannte Brennen in ihren Handflächen, das immer einsetzte, wenn sie ihre neu entdeckten Kräfte benutzte. Sie spürte das Kribbeln, das die Energie verursachte, die durch sie und das Gestein des Hauses floss, schaffte es so, eine der am Boden bereit liegenden Bausteine zu formen und die verbrannte Stelle des Hauses zu reparieren – ganz ohne Energiestein.
Seit der verheerenden Schlacht vor einigen Tagen, hatte sie vor allem die normale Kraft der Ambiter – das Verformen – besser in den Griff bekommen. Es passierte ihr nun immer seltener, dass sie hierbei ihre Spezialkräfte - das Teleportieren - aus Versehen verwendete.
Ein feiner Riss tat sich plötzlich unweit der von ihr eben reparierten Stelle auf.
Daya schnaubte neben ihr. Sie ging zu Anisha, schnappte ihre Hand und presste ihr den Energiestein förmlich hinein.
»Denke an die Grundlagen, denk immer daran, was es heißt, eine Ambiterin zu sein. Die Energie für den Einsatz deiner Kräfte beziehst du überwiegend aus der Umgebung und nicht aus deinem Inneren. Du bist keine Selbers, Anisha. Also benütze jetzt verdammt noch mal einen Energiestein! Es nützt ja nichts, wenn du die Fassade reparierst und dabei eine andere Stelle zerstörst. Mal ganz davon abgesehen, dass du dich ohne Energiestein leicht überanstrengen könntest. Ich hab kein Bock dich schon wieder halblebig vom Boden aufzulesen oder hinter dir aufräumen zu müssen!«
Anisha seufzte. Seit dem Tod von Dayas Mutter war es mit Daya noch viel anstrengender geworden. Seit neustem belehrte Daya sie häufig.
»Ich mag nun mal diese Energiesteine nicht. Deren Energie fühlt sich so … unkontrolliert und unnatürlich an. Außerdem: Was ist, wenn die Steine mal ausgehen sollten? Wir brauchen ja zur Zeit ganz schön viele davon, um die ganzen Schäden zu reparieren.«
»Die gehen schon nicht aus. Und falls doch benützen wir halt was anderes. Einen anderen Stein, ein Stück Holz oder so. Das wäre zwar nicht so effektiv, aber würde den Schaden der Umgebung auch aufhalten. Jetzt konzentriere dich lieber auf deine Aufgabe und halte dich nicht mit so schwachsinnigen Fragen auf. Und verdammt noch mal quäle dich nicht dauernd mit diesen dämlichen Schuldgefühlen herum! Du hast dir das Ganze ja nicht ausgesucht. Nein, du bist nicht Schuld! Schuld sind nur diese verfluchten Entrainer. Ich werde alle vernichten, auch wenn es das letzte ist, was ich tue. Das schulde ich meiner Mutter. Dabei kannst du mir dann gerne helfen. Aber jetzt mach endlich weiter. Wir wollen hier heute noch fertig werden!«, kam es aus Daya raus, deren Augen wütend funkelten. Da ist ja ihr altes Feuer wieder, dachte Anisha. Erneut drückte Daya nun Anishas Hand mit dem Energiestein, sodass Anisha gar nichts anderes übrig blieb, als die Energie des Steines zu nutzen.
Anisha spürte, wie die Wärme sich ihren Händen ausbreitete. Als wäre es ein natürlicher Reflex lenkte sie einen Teil der Energie - die nun ganz ihre Hand erfüllte - in einen weiteren Brocken, mit dem sie schließlich auch noch die letzte verbrannte Stelle reparierte.
Rachel unterbrach ihr Training. Sie fand, sie hatte genug Elektrizität abgegeben, beherrschte ihre Sonderfähigkeit, die sie von all den anderen Selbers unterschied, gut genug. Meistens reichte ihre Energie sowieso nur für einen kräftigen Blitz, oder für mehrere kleine Funken – mit denen sie dann aber höchstens im Nahkampf punkten würde. Sie starrte auf die Klangschalen, die überall in dem Trainingsraum der Selbers standen. Eigentlich ging es im Training auch nie so wirklich um die Fähigkeit an sich, sondern darum die richtige Menge an Energie einzusetzen ohne sich zu verausgaben – wie es den Selbers leider viel zu oft erging. Dennoch, Rachel hatte einen Entschluss gefasst und den würde sie jetzt ihrer Mentorin Megan mitteilen, was auch immer diese davon halten würde.
»Was soll das denn alles noch? Ich hab das alles im Griff. Ich übernehme mich nicht mehr – mal ganz davon abgesehen, dass ich auch schon Jahre bevor ihr mich nach Angovonn verschleppt habt, Zeit hatte zu trainieren.«
Megan blickte sie erstaunt an, verlor aber auch jetzt nicht ihr nervtötendes Dauergrinsen.
»Nun gut. Aber soweit ich weiß, hast du deine Sonderfähigkeit nicht besonders oft benutzt, sonst hätten wir dich viel früher gefunden. Womit du allerdings Recht hast, ist, dass du hier bereits große Fortschritte gemacht hast, insbesondere was die Kontrolle deines Energiehaushalts angeht.« Megan hielt kurz inne, seufzte und setzte dann wieder sofort ihr Lächeln auf. »Also gut. Wir beenden dein Training – zumindest was deine Sonderfähigkeit anbelangt. Ist mir auch recht. Dann können wir uns gänzlich dem widmen, was eine Selbers eigentlich ausmacht: dem Heilen«
»Dem destruktiven Heilen«, korrigierte Rachel sie, denn nur Eira, die Heilerin der Ambiter, konnte heilen, ohne sich selbst zu verausgaben.
»Kein Heilen ist wirklich destruktiv, Rachel. Das weißt du genau. Wir erholen uns schließlich auch wieder davon. Alles eine Frage der Balance – auch wenn diese beim Heilen zugegebenermaßen noch schwerer zu halten ist, als bei deiner Sonderfähigkeit.«
»Das weiß ich doch. Schließlich bin ich selbst fast drauf gegangen, als ich Anisha geheilt und ihr Kraft gegeben habe. Es war schließlich nicht sie alleine, die die Stadt gerettet hat. Und du warst doch auch dabei. Da haben wir bestens gesehen: Es bringt nicht so viel alleine auf die destruktive Weise zu heilen. Ich würde viel lieber lernen, richtig zu heilen. Du weißt schon … auf fluchlose Weise. Ich will wirklich helfen können, falls Anisha oder den anderen etwas passiert und nicht immer gleich kraftlos zusammenbrechen.«
Megans Lächeln wurde noch breiter – falls das überhaupt möglich war.
»Verstehe ich das richtig? Du willst also zu einer vollwertigen Heilerin ausgebildet werden?«
Rachel runzelte die Stirn. »Wenn vollwertige Heilerin bedeutet, nicht nur meine Selbers-Fähigkeiten zum Heilen zu benutzen, sondern auch Medikamente zu verabreichen und Wunden zu versorgen, dann ja. Ich will. Ich will nie wieder Anisha so schreien hören, ohne selbst eingreifen zu dürfen«, sagte sie entschlossen, dachte mit Schaudern an jenen Tag, als sie auf der Krankenstation lag und Anishas Schmerzensschreie mitanhören hatte müssen.
»Sehr schön. Darauf habe ich die ganze Zeit gewartet. Endlich folgst du dem eigentlichen Weg, den die meisten Selbers gehen, wenn sie ihre Fähigkeiten einigermaßen beherrschen. Ich weiß nicht, ob du es schon bemerkt hast: In Angovonn gibt es nicht mehr sehr viele Selbers und die Ausbilderin aller Heiler ist die einzige Ambiter-Heilerin Eira. Nicht nur, dass sie eben anders ist als wir Selbers, sie ist auch sonst ein bisschen eigen. Sie willigt nur ein, diejenigen zu lehren, die freiwillig zu ihr gehen. Wenn sie merkt, dass nur eine Mentorin wie ich oder etwa Mr. Parent, einen Selbers zu ihr schickt, weil Selbers eben für derartige Tätigkeiten bestimmt sind, dann schaltet Eira sofort auf stur.«
Das wiederum konnte Rachel sich sehr gut vorstellen, denn auch wenn Eira immer so freundlich und mitfühlend wirkte und optisch eher den Selbers ähnelte, hatte Rachel selbst schon miterlebt, wie bestimmend sie auch sein konnte. Dennoch: Rachel war entschlossen sich bei Eira ausbilden zu lassen.
»Ich werde schon mit ihr klar kommen«, brummte Rachel.
Während die anderen schon seit einer gefühlten Ewigkeit entlassen worden waren, die Stadt wieder aufbauten und ihrem Training nachgingen, lag Phil immer noch auf der Krankenstation. Eira wollte ihn einfach nicht entlassen. Er sei nach wie vor zu schwach, sagte sie immer, dabei lag er hier bestimmt schon seit Wochen. Immerhin hatte er ab und an aufstehen und ein paar Schritte gehen dürfen. Aber ja, zu Phils Ärger war das jedes Mal so anstrengend, als würde er einen Marathon laufen und so langsam verlor er die Hoffnung, dass dies je besser werden würde.
Er wusste nicht, wie lange er schon in dieser ihm immer noch fremden, verfluchten Welt von Angovonn war. Sein Zeitgefühl hatte er längst verloren. Nun sah es so aus, als würde diese Welt ihm – dem Fluchlosen – zum Verhängnis werden. Ja, als Fluchlosen bezeichneten sie ihn, weil alle anderen hier in Angovonn, die über diese seltsamen Fähigkeiten verfügten, angeblich »verflucht« waren. Es hieß Verfluchte, ihre Verwandte und alle die sie lieben, starben früher. Ebenso schadete der Einsatz ihrer Kräfte immer irgendwem – sei es auch nur der Umgebung. Aber die Verfluchten erholten sich schließlich wieder und die Umgebung lässt sich ja wieder reparieren. Doch bei ihm – dem Fluchlosen – sah alles wohl anders aus. Wer ist denn hier wirklich verflucht?, dachte Phil nicht zum ersten Mal.
Dann kamen sie. Neben Eira besuchte ihn auch Leeroy, der in Begleitung eines älteren Herren mit asiatischen Gesichtszügen war.
Der Mann strahlte irgendetwas aus, das Phil beunruhigte. Er verkniff angestrengt das Gesicht und dann wusste er, was von dem Mann ausging: Macht. Er hatte diese Aura von Macht und Kraft. Der Mann blickte auf Phil herab, seine Augen schimmerten dabei seltsam silbern wie eine alte Münze.
»Ha … hallo? Wer sind sie?«, brachte Phil hervor, merkte, dass seine Stimme immer noch nicht so kräftig klang wie früher.
Leeroy, der sich im Hintergrund gehalten hatte, trat nun ebenfalls näher an Phils Bett heran. »Das ist der Besitzer der Stadt, der einzige Aller«, zischte er.
Der einzige Aller lächelte mild. »Hallo. Kanda, mein Name. Freut mich dich endlich persönlich kennenzulernen, Phil. Ich habe lange keine Fluchlosen mehr zu Gesicht bekommen.«
»Was? Sie sind … der Besitzer der Stadt? Und wie komme ich zu der Ehre?«, fragte Phil.
Jetzt trat Eira zu ihnen. »Hm. Ich muss gestehen, ich habe das, was ihr Fluchlosen ärztliche Schweigepflicht nennt, gebrochen und Mr. Kanda von deinem Fall erzählt.«
»Keine Sorge Eira, du bekommst keinen Ärger deswegen. Nein, ich bin dir sogar dankbar, dass du es getan hast, denn ich denke, ich kann dir vielleicht helfen, Phil. Eira und auch Leeroy haben mir erzählt, dass du wohl mehrere … Energietransfers an Entrainer überlebt hast. Allein das habe ich doch als außergewöhnlich empfunden. Die meisten Fluchlosen überleben meiner Kenntnis nach nicht einmal einen dieser Energietransfers. Wenn du gestattest, würde ich dich daher gerne einmal persönlich untersuchen.«
»Äh … klar. Warum nicht?«, brachte Phil etwas perplex hervor. Er begriff noch nicht ganz so recht, was da soeben geschah.
Ein seltsames Ziehen und Kribbeln riss Phil aus seinen Gedanken. Er zitterte beinahe, als Mr. Kandas Hände wie fleischgewordene Scanner über seinen Körper glitten. Auch sonst war ihm das Ganze mehr als unangenehm und auch viel schlimmer als die inzwischen fast schon angenehmen Untersuchungen durch Eira.
»Euer Rufen nach mir war richtig, Eira, Leeroy. Phil hier ist mehr als außergewöhnlich«, sagte Mr. Kanda schließlich und ließ von ihm ab. »Du solltest eine Selbers rufen, Eira. So viele Legenden haben nur einen wahren Kern, aber diese eine scheint nun gänzlich Realität geworden zu sein.«
Eira fragte erst gar nicht weiter nach, was Mr. Kanda meinte und rief sofort nach Hailey - einer Selbers, die Phil schon öfter auf der Krankenstation gesehen hatte, weil sie Eira öfter zur Hand ging.
Leeroy war schneller als Phil selbst und hakte wegen Mr. Kandas mysteriöser Aussage als erster nach. »Was genau haben Sie denn nun entdeckt, Mr. Kanda?«
»Nun, Leeroy. Phil hier«, Mr. Kanda blickte Phil nun genau in die Augen, »ist nicht vollkommen fluchlos.«
»Was?«, stieß Phil aus. Auch Leeroy starrte ihn nun an.
»Halb und Ganz«
Die Sonne geht, der Mond kommt,
die Erde bebt, der Himmel sonnt
sich nicht halb und nicht ganz.
Der Weg weicht, die Kraft flieht,
der Strom findet, das Wasser schiebt
langsam nicht halb und nicht ganz.
Es dauerte nicht lange, da tauchte Hailey, wie immer fröhlich und unbekümmert, auch schon an Phils Bett auf. Jene junge Selbers – die kaum älter als er selbst sein konnte und die er - neben Eira - in den letzten Tagen am häufigsten gesehen hatte. Die wenigen anderen Selbers waren nämlich, nachdem die meisten Verwundeten der Schlacht versorgt worden waren, wieder abgezogen.
»Was gibt es denn?«, quietschte Hailey erst, hielt dann jedoch abrupt inne und vergaß zu Phils Erstaunen beinahe ihr Dauergrinsen aufzubehalten.
Hailey, die optisch typische Selbers mit ihrem hellen Haar und der dürren Statur, starrte an Phil mit ihren himmelblauen Augen vorbei, schaute den seltsamen Mann, diesen einzigen Aller, an.
»Wie kommen wir zu der Ehre den einzigen Aller auf der Krankenstation begrüßen zu dürfen?«
»Hallo Hailey. Schön dich auch einmal wieder zu sehen. Ist lange her, nicht? Nun, ich bin wegen dem jungen Fluchlosen hier, wegen Phil. Ich habe mir euren Patienten einmal genauer angeschaut und musste feststellen: er ist nicht komplett fluchlos.«
Phil, dem es überhaupt nicht gefiel, dass alle so redeten, als wäre er nicht anwesend, wollte schon etwas