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Soultaker 2 - Die zwei Seiten der Liebe
Soultaker 2 - Die zwei Seiten der Liebe
Soultaker 2 - Die zwei Seiten der Liebe
eBook443 Seiten5 Stunden

Soultaker 2 - Die zwei Seiten der Liebe

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Über dieses E-Book

Band 2 der Soultakerreihe: Die Geschichte von Alexandra geht in die nächste Run-de...

Schatten und Zwielicht...

... gehören untrennbar zu Alexandras Leben. Fernab von den White Takern geraten ihre Fähigkeiten immer weiter außer Kontrolle und sie wird zu einer Gefahr für die Menschen in ihrer Umgebung. Eine Rückkehr zu ihren Freunden soll ihre Kräfte wieder ins Gleichgewicht bringen. Aber auch dort warten zahlreiche Konflikte auf sie und sie gerät immer mehr in ein Gefühlschaos zwischen ihrer Zuneigung zu Sam und den Gefühlen für ihren Freund André. Dabei merken sie nicht, dass ihre hei-lenden Fähigkeiten noch ganz andere Mächte auf den Plan rufen.

Alle Infos zur Buchreihe unter www.soultaker.hamburg
SpracheDeutsch
HerausgeberPlattini Verlag
Erscheinungsdatum1. Okt. 2021
ISBN9783947706457
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    Buchvorschau

    Soultaker 2 - Die zwei Seiten der Liebe - Christiane Grünberg

    CHRISTIANE GRÜNBERG

    Soultaker

    Die zwei Seiten der Liebe

    1. Auflage 2021

    ISBN 978-3-947706-44-0 (Taschenbuch)

    ISBN 978-3-947706-45-7 (e-Book)

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de

    © Plattini-Verlag – Alle Rechte vorbehalten.

    https://www.plattini-verlag.de

    Lektorat: Lektorat Feder und Eselsohr – Troisdorf

    Korrektorat: Jana Oltersdorff – Dietzenbach

    Umschlaggestaltung: Renee Rott – Eitzweiler

    Konvertierung: Sabine Abels – www.e-book-erstellung.de

    www.soultaker.hamburg

    Diesen Roman widme ich meinem Ehemann

    und meinen beiden Töchtern.

    Mein Glück liegt in euren Händen.

    1 Die Heilung

    Ausgelassen spielten die kleinen Kinder im Aufenthaltsraum mit ihren Bauklötzen. Ein Mädchen setzte sich ganz nah neben mich, als ich begann, die Geschichte von der Spinne Widerlich und ihren Freunden vorzulesen. Die Eltern saßen um uns herum, teils angespannt, teils mit einem kleinen Lächeln auf dem Gesicht. Die Atmosphäre schien gänzlich anders zu sein als noch vor zwei Wochen im Seniorenheim. Die Fröhlichkeit und Verspieltheit der Kids ließen im ersten Augenblick nicht die Schicksalsschläge erahnen, die sich hier hinter jedem kleinen Gesicht verbargen.

    Wo ich war? Ich befand mich zusammen mit André in einem Kinderhospiz von Hamburg. Wir hatten vor wenigen Wochen beide einen Nebenjob bei der Arbeiterwohlfahrt angenommen, um in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen den Patienten vorzulesen, Geschichten zu erzählen und zu singen. André konnte Gitarre spielen, und mein Gesang reichte völlig aus, um die Menschen zu unterhalten und von ihren Krankheiten abzulenken. Mit dieser Aufgabe wollte ich meine neu erworbenen Heilkräfte trainieren.

    Unser Einsatz im Altenpflegeheim war ein voller Erfolg gewesen. Zwei älteren Herrschaften konnte ich helfen, ihre Demenz in ein Stadium zurückzudrängen, das es ihnen ermöglichte, wieder am Leben der anderen teilzunehmen. Sie wirkten wie aus einem Dornröschenschlaf erwacht. Freudestrahlend fielen sie ihren Pflegern in die Arme, die zunächst gar nicht wussten, was los war. Erst nachdem ein Angehöriger durch einen Besuch und in der Interaktion mit seinem Verwandten die Wandlung bemerkte, wurden die Pfleger auf das Wunder aufmerksam. Aber niemand führte das auf mich zurück. Ich wollte meine Gabe in Ruhe trainieren. Und das sollte auch so bleiben.

    Ein Soultaker durfte die Öffentlichkeit nicht auf sich und seine Gabe aufmerksam machen, denn das konnte fatale Folgen haben. Warum wir uns Soultaker nannten?

    Ein Großteil von uns besaß die Fähigkeit, anderen Menschen die Lebensenergie zu entziehen. Doch den Überlieferungen nach gab es früher auch einige Heiler unter uns. Eine Gruppe namens White Taker suchte jahrelang nach diesen Heilern, und so stießen sie letztlich auf mich.

    Erst durch einen inszenierten Überfall fand ich heraus, dass ich überhaupt die Lebensenergie anderer Menschen manipulieren konnte. Ich war vollkommen ahnungslos gewesen. Tolle Art, das herauszufinden, nicht wahr? Warum die White Taker mich ins Visier genommen hatten? Ein Mädchen aus ihrer Gruppe hatte angeblich beobachtet, wie ich ein Haustier geheilt hatte, und daher wollten sie unbedingt, dass ich meine Kräfte bewusst einsetzte. Aber niemand hatte sich Gedanken darüber gemacht, ob ich damit leben konnte.

    Sie zwangen mich, mein komplettes Leben hinter mir zu lassen und somit auch meine große Liebe, André. Doch selbst, nachdem ich alle Facetten der White Taker kennengelernt hatte und wusste, wie viel Gutes sie taten, konnte ich André nicht aufgeben. Ein Glück – denn er war der Schlüssel gewesen, um meine Heilkräfte zu aktivieren, nur durch die Liebe zu ihm gelang es mir, Menschen zu helfen. Das Verhältnis zu meinen Freunden, den White Takern, war derzeit etwas unterkühlt.

    Als die Dark Taker, eine Gruppe Soultaker, die ihre Kräfte nicht kontrollieren konnten und wollten, versucht hatten, uns anzugreifen, verschwiegen mir meine Freunde, dass André als Geisel fungierte. Dies und vieles mehr führte dazu, dass ich mich von meinen Freunden abgewandt hatte. Ich war wütend auf sie gewesen, verängstigt und fühlte mich von allen Seiten unter Druck gesetzt.

    Doch ich vermisste sie mit jedem Tag mehr. Auch Sam fehlte mir, er war mir nicht nur als Freund ans Herz gewachsen, sondern hatte tiefer gehende Gefühle in mir geweckt. Nun war ich wieder bei André, aber meine Welt war immer noch auf den Kopf gestellt, und ich hatte keine Ahnung, wie meine Zukunft aussehen sollte.

    Das Mädchen neben mir fragte mich plötzlich nach meinem Namen.

    »Ich heiße Alexandra. Und du?«

    »Mein Name ist Lila, und ich bin vier Jahre alt«, sagte sie ganz stolz.

    Sie hatte strahlend blaue Augen, die mich anfunkelten – so voller Freude und Neugier. Ihr Körper war jedoch sehr dünn, fast abgemagert. Ihre Haare waren ausgefallen, und man konnte erkennen, dass sie mit einer schweren Krankheit, wahrscheinlich Krebs, zu kämpfen hatte. Das war einfach nicht richtig.

    »Wirst du auch in den Himmel gehen?«, fragte sie mich frei heraus ohne eine Spur von Traurigkeit.

    Ich stockte und blickte kurz zu ihrer Mutter, die etwas abseits von uns auf einem Stuhl saß. Sie lächelte verlegen und gequält. Ihre Augen waren gerötet, und Erschöpfung und Kummer hatten sie deutlich gezeichnet, dunkle Ringe unter den blauen Augen ließen sie Jahre älter aussehen. Ich fühlte die Auren der Kinder und ihrer Eltern – die der Kinder waren körperlich schwach, die der Eltern psychisch. Es war schwer zu begreifen, ich fühlte es einfach, und es machte mich unendlich traurig. Nach einem kurzen Räuspern antwortete ich dem kleinen Mädchen:

    »Nicht in nächster Zeit. Aber irgendwann werden wir alle in den Himmel gehen. Jetzt möchte ich euch aber etwas Schönes vorlesen und mit euch spielen.«

    Lila lächelte und nickte. Ich führte die Geschichte fort. André saß ganz still bei mir und baute zusammen mit einem sechsjährigen Jungen einen Duploturm. Es war wichtig, dass er sich unmittelbar in meiner Nähe befand, wenn ich meine Kräfte einsetzte, nur dann funktionierte der Heilvorgang. Warum, konnte mir bis jetzt keiner erklären.

    Während ich die Geschichte weiter las, berührte Lila mich am Arm, und ich nutzte die Gelegenheit, um ihr meine Energie zu geben. Meine Hand begann zu kribbeln, und meine Seele schrie innerlich auf. Der Heilprozess erforderte eine enorme innere Anstrengung und tat höllisch weh.

    Mir dabei nichts anmerken zu lassen, fiel mir schwer, enorm schwer, doch es musste so unauffällig geschehen wie nur möglich, denn wir waren ständig von den wachsamen Augen der Eltern umgeben. Beim Taken brauchte ich die Menschen nicht mehr zu berühren, konnte das sogar über eine bestimmte Entfernung hinweg in die Wege leiten, aber beim Heilen war ein körperlicher Kontakt notwendig.

    Lila runzelte die Stirn, zog aber ihre Hand nicht weg. Der Glanz in ihren Augen verstärkte sich, und ich fühlte, wie ihre Aura zum Leben erwachte. Die Adern an meinem Hals und an den Schläfen begannen zu pochen, und ich musste das Vorlesen unterbrechen, um ein schmerzerfülltes Keuchen zu unterdrücken.

    André reagierte und versuchte durch das scheinbar versehentliche Umkippen des hohen Duploturmes die Aufmerksamkeit von Kindern und Eltern auf sich zu ziehen. Der Junge ermahnte ihn, nicht richtig aufgepasst zu haben, und ich nutzte die wenigen Sekunden, um dem kleinen Mädchen so viel Energie wie nur möglich zu geben. Als mir schwindelig wurde und bunte Sterne vor meinen Augen tanzten, musste ich abbrechen.

    »Geht es Ihnen gut?«, fragte die Mutter von Lila plötzlich besorgt und wollte schon aufstehen.

    »Ja, danke, alles okay. Ich leide unter einer Auto-Immunkrankheit, die gelegentlich dafür sorgt, dass mir ohne Vorwarnung schwindelig wird. Es ist gleich wieder vorbei«, meinte ich und hob beschwichtigend die Hand, um ihr zu verstehen zu geben, dass ich keine Hilfe brauchte.

    André nahm mir schnell das Buch aus der Hand und las den Kindern nun weiter vor, damit ich mich etwas ausruhen konnte. Lila hingegen stand auf und lief zu ihrer Mutter. Sie merkte, dass ihr Körper sich anders anfühlte und plötzlich mehr Kraft hatte. Übermütig sprang sie ihrer Mutter in die Arme, die überrascht und unsicher auf den überschwänglichen Ansturm reagierte und gar nicht mit dieser Wucht gerechnet hatte.

    Lila hingegen lachte aus ganzem Herzen und lief im Raum herum. Ihre Mutter ermahnte sie, sich nicht zu verausgaben, und nach wenigen Minuten nahm sie sie an die Hand und wollte auf ihr Krankenzimmer gehen, damit sie sich ausruhen konnte. Nur widerwillig stimmte ihre Tochter zu, aber bevor sie den Raum verließ, kam sie noch mal zu mir.

    »Bist du mein Schutzengel?«

    Ich war völlig vor dem Kopf gestoßen. Die Augen der Kleinen sahen mir tief in die Seele. Dann lachte sie, sagte Danke und verließ mit ihrer Mutter den Raum. Mein Herz wurde schwer und glücklich zugleich. Ein Engel – das erste Mal wurde mir so richtig bewusst, was meine Kräfte bewerkstelligen konnten.

    Vor Monaten hatte ich gedacht, ich würde anderen Menschen die Lebensenergie nur nehmen können. Ich hatte Angst vor mir und dieser, wie ich dachte, dunklen Gabe, aber heute wusste ich es besser. Es war ein unbeschreibliches Gefühl. Und hier waren noch genug Kinder, denen ich helfen konnte. Meine Kräfte reichten allerdings nicht aus, um allen meine Energie zu geben. Ich schaffte nicht mehr als ein bis zwei Heilungen in einer Woche. Es sei denn, ich würde mir von anderen Menschen die Lebensenergie stehlen, aber das versuchte ich schon seit langem zu vermeiden, auch wenn dies leider ebenso zu meiner Natur gehörte. Es ganz zu lassen, war nicht möglich, auch das hatte ich bei meinen Freunden gelernt.

    Ich spürte, wie das Verlangen nach dem Taken von Tag zu Tag stärker wurde. Die White Taker warnten mich davor, zu lange darauf zu verzichten. Wenn man auch nur einmal einem anderen Menschen die Energie entzogen hatte, verlangte der Körper in gewissen Abständen immer wieder danach, es war wie eine Sucht. Daher setzten die White Taker kontrolliert ihre Kräfte ein, indem sie nachts auf dem Kiez nach Kriminellen Ausschau hielten und deren Energie nahmen, ohne jemandem ernsthaft zu schaden.

    Doch als ich meine Heilkräfte aktiviert hatte, keimte in mir die Hoffnung auf, vielleicht das Taken nicht mehr zu benötigen. Insgeheim wusste ich jedoch, dass ich mich irrte.

    Der Junge, der vorhin mit André gespielt hatte, riss mich aus meinen Gedanken, als er mir ein Puzzle in die Hand drückte und fragte, ob ich nicht mit ihm das Bild zusammenbauen würde. Sein Name war Anton. Wir setzten uns an einen kleinen Kindertisch neben André und begannen, die einzelnen Teile herauszunehmen und farblich zu ordnen.

    Hin und wieder versuchte ich meine Hand auf seinen Arm zu legen, damit ich ihm meine Energie geben konnte, aber Anton war immer in Bewegung, und so fiel es mir schwer den Heilprozess zu starten.

    Allerdings gab ich nicht auf. Irgendwann schaffte ich es und gab Anton, was ich entbehren konnte, doch schon bald spürte ich, dass meine Kräfte langsam an ihre Grenzen kamen. Dann war unsere Besuchszeit auch schon vorbei. Wir verabschiedeten uns von den Kindern mit einem Abschiedslied und wünschten ihnen und ihren Eltern viel Kraft.

    Mir wurde das Herz schwer, die anderen kleinen Kinder ohne eine Heilung zurückzulassen. Wenn ich nur stärker wäre oder jeden Tag hierherkommen könnte! Ich wünschte, meine Kräfte wären größer, dann hätten die Kleinen noch ihr ganzes Leben vor sich und könnten mit ihren Familien eine glückliche Zeit verbringen, sie würden die Chance bekommen, groß zu werden. Ich bewunderte die Pflegekräfte für die aufopfernde Arbeit, die sie jeden Tag leisteten, trotz nicht angemessener Bezahlung, unflexibler Arbeitszeiten und hoher emotionaler Belastung.

    Als wir den Flur Richtung Ausgang entlang gingen, wären wir fast mit einem Vater zusammengestoßen, der aus einem der Intensivzimmer herauskam. Seine Augen waren geschwollen, seine Wangenknochen stachen hervor. Er sah müde und abgeschlagen aus. Er wirkte selbst mehr tot als lebendig. Vielen Eltern ging es so, wenn es mit ihren Kindern zu Ende ging. Ein Teil von ihnen starb mit den Kleinen.

    Eine Schwester folgte ihm und nahm ihn kurz beiseite. Sie sagte ganz sanft, dass er doch mal eine Pause machen sollte, sie würden ihn rufen, wenn sich am Zustand seines Sohnes etwas veränderte. Verzweifelt schaute er zu seinem Kind. Aus einem Impuls heraus ging ich zu ihm und fragte, ob wir seinem Sohn etwas vorlesen dürften, der Vater könnte sich in der Zeit einen Kaffee holen. Dabei zeigte ich ihm unsere AWO-Ausweise.

    André wirkte alarmiert, er wusste, was ich vorhatte, und auch, dass meine Kräfte eigentlich bereits ausgeschöpft waren. Der Vater nickte und bedankte sich ganz schwach, nicht ohne einen letzten verzweifelten Blick in das Krankenzimmer seines Kindes zu werfen. Die Hoffnungslosigkeit und Traurigkeit, die in Wellen von ihm ausging, war beinahe greifbar, und mein Herz wurde ganz schwer.

    Vorsichtig ging ich in das Zimmer und zog mir einen Stuhl ans Bett des kleinen Jungen. Er war vielleicht gerade mal acht Jahre alt. So genau konnte man das nicht mehr erkennen. Sein Gesicht wirkte eingefallen und seine Haut so blass wie Elfenbein. Die Lippen waren leicht bläulich, und die Augen bewegten sich nur schwach unter den geschlossenen Lidern. Die dünnen Ärmchen schauten unter der Decke hervor, die Knochen waren deutlich unter der Haut zu sehen. Die viel zu groß wirkenden Zugänge in der Armvene des kleinen Kindes ließen meinen Magen verrücktspielen. Ich schluckte.

    Als ich den Job im Kinderhospiz angenommen hatte, war ich mir nicht bewusst gewesen, welche Bilder ich hier sehen würde.

    Kleine Elektroden waren an der Brust und an der Hand befestigt, um Herzfrequenz und Puls zu messen.

    Sauerstoffsättigung und auch die anderen Werte waren sehr niedrig. Ich wusste, wenn ich ihm nicht half, würde er in den nächsten Tagen, vielleicht sogar noch heute sterben.

    »Alexandra, du hast keine Kraft mehr. Du kannst kaum laufen«, warnte André mich.

    Ich ignorierte ihn. Ganz langsam und vorsichtig nahm ich die Hand des Jungen und schloss meine Augen. Meine Lebensenergie floss aus meinem Körper in die zarte Seele hinüber. Ein Zucken seines Körpers zeigte mir, dass er auf meine Kraft reagierte. Seine Werte wurden unregelmäßig. Ich gab André zu verstehen, dass er sich ein Buch nehmen sollte, um daraus vorzulesen, falls eine Schwester vorbeikam und wissen wollte, was wir hier machten.

    All meine Nervenzellen waren wie unter Strom gesetzt, jedes einzelne Körperteil tat mir weh, und der Vorgang wurde immer schmerzhafter.

    Zwischenzeitlich wurde mir schwarz vor Augen, und ich merkte, wie mein Bewusstsein beeinträchtigt wurde. André versuchte, meine Hand zu lösen, und redete leise, aber energisch auf mich ein, den Heilvorgang abzubrechen. Doch ich wollte diesem Kind helfen, es sollte weiterleben, die Konsequenzen für mich waren mir egal.

    Plötzlich tropfte Blut von meiner Nase auf meinen Arm, und daraus wurde kurze Zeit später ein stetiges Laufen, so dass sich der Kupfergeruch im ganzen Zimmer verbreitete.

    Dann wurde der Heilprozess, ohne dass ich es wollte, abgebrochen, und André holte Handtuchpapier, um mich zu versorgen.

    Meine Gedanken kamen zum Stillstand, mein Körper drohte zu kollabieren. André fing mich auf, als ich zur Seite kippte. Danach half er mir beim Aufstehen.

    »Wir sollten so schnell wie möglich von hier verschwinden. Sonst werden die Schwestern noch misstrauisch«, warnte mein Freund nervös.

    »Okay«, sagte ich schwach, es war kaum mehr als ein Flüstern. Jeder Schritt tat weh, ich hatte das Gefühl, zu wenig Kraft zum Atmen zu haben. Doch ein Blick auf die Werte des Jungens ließ mich hoffen. Sie waren viel besser, und seine Haut wirkte rosiger. Das war es wert gewesen. Ja, ich fühlte mich mehr als nur durch den Wolf gedreht, aber damit konnte ich leben. Das würde schon wieder werden.

    Der Vater kam zurück und sah mich stirnrunzelnd an.

    »Meine Freundin hat Nasenbluten bekommen. Das hat sie manchmal. Nichts Schlimmes, aber ich glaube, Ihr Sohn hat das Vorlesen auf jeden Fall genossen«, erklärte André schnell und schob mich Richtung Ausgang.

    Nachdenklich blickte der Vater uns hinterher und ging dann ins Zimmer. Von Weitem hörte ich ihn nach einer Schwester rufen. Er rief ganz aufgeregt, sein Sohn habe die Augen geöffnet. Euphorie schwang mit und ließ mich innerlich lächeln.

    Schließlich verschwamm jedoch die Außenwelt immer mehr, und ich spürte, dass ich gleich das Bewusstsein verlieren würde.

    André schaffte es gerade noch, mich ins Auto zu setzen, bevor ich in einen tiefen Schlaf fiel.

    Soultaker

    2 Das Ungleichgewicht

    Mein Körper brauchte dieses Mal deutlich länger zur Regeneration als nach dem Besuch im Seniorenheim. Ganze zwei Tage schlief ich fast am Stück durch, nur für den Toilettengang und eine kleine Mahlzeit machte ich für ein paar Minuten die Augen auf und versank kurze Zeit später wieder in einen traumlosen Schlaf. Jedes Körperteil tat mir weh, schlimmer als nach dem Kampf damals in der Lagerhalle, obwohl ich dort nicht nur zusammengeschlagen, sondern sogar angeschossen worden war. Selbst meine Organe schienen aus dem Gleichgewicht geraten zu sein, mein Hals und meine Lunge schmerzten bei jedem Atemzug, meine Augen brannten, wenn ich sie öffnete, und all das wurde von starken Kopfschmerzen begleitet, die nur langsam besser wurden.

    Am dritten Tag hatte ich das Gefühl, meine Kraft würde allmählich in meinen Körper zurückkehren. Ich lag im Bett in unserem kleinen Schlafzimmer. Die fliederfarbenen Gardinen am Fenster zu meiner Linken waren zugezogen und ließen nur schwaches Licht herein. Doch zeigte es mir, dass der Morgen bereits Einzug gehalten hatte. Die Bettseite neben mir war leer, ich hörte jedoch Geräusche aus dem Badezimmer, das sich direkt neben dem Schlafzimmer befand.

    Die wenigen Sonnenstrahlen ließen den warmen Braunton des Laminatbodens noch gemütlicher erscheinen und sorgten für eine angenehme Atmosphäre. Die Wände hatten wir kaum mit bunter Farbe gestrichen, wir wollten bei einem Auszug nicht alles wieder neu streichen müssen. Daher kaufte ich bei meinem Einzug in Andrés Wohnung etliche Dekoartikel, um alles wohnlicher zu gestalten.

    Gräser, Blumen und Lavendel wurden durch Bambusblumentöpfe, Treibholz und Holz-Kerzenständer in Szene gesetzt. Maritimer Vintage-Chic – wie ich immer scherzhaft sagte. So fühlten wir uns sehr wohl.

    Ich setzte mich langsam auf und nahm vorsichtig einen Schluck Wasser aus einem Glas, das neben mir auf dem Nachtschrank stand. Dann schwang ich bedächtig meine Beine aus dem Bett und saß erst mal eine Weile auf der Bettkante.

    Ein leichtes Schwindelgefühl machte sich breit, aber es war deutlich besser geworden im Vergleich zu den letzten Tagen. Die Kopfschmerzen waren bis auf ein dumpfes Pochen verschwunden, und der Muskelkater glich einem leichten Ziehen. In diesem Moment kam André herein.

    »Du bist wach.« Mehr eine Frage als eine Feststellung.

    »Ja. Ich denke, meine Kraft ist langsam zurückgekehrt«, antwortete ich, meine Stimme klang noch belegt.

    André seufzte und ging zum Kleiderschrank. Er zog sich eine dunkelblaue Jeans, ein weißes Hemd und ein dunkles Sakko an. Seine Arbeitskleidung. Er vermied es, mir direkt in die Augen zu blicken. Daher wusste ich, dass er mit seinen Gefühlen zu kämpfen hatte.

    »Kann ich dich allein lassen?«, fragte André schließlich, als er sich fertig angekleidet hatte.

    »Ja, kannst du.«

    Ich nickte, um meine Antwort zu bekräftigen. Seine hellblauen Augen sahen mich prüfend an. Und nun erkannte ich auch die vielen Emotionen in seinem Gesicht. Mitgefühl, Angst, aber auch Verärgerung.

    »Ich weiß, wir müssen reden. Und ich kann mir auch schon denken, was du sagen möchtest, aber ich musste dem kleinen Jungen helfen, er wäre sonst gestorben.«

    Mein Freund atmete tief ein, nahm einen Stuhl, den wir eigentlich nur zur Klamottenablage benutzten, und setzte sich mir gegenüber. Er nahm meine Hand in die seinen.

    »Du hast deine Kräfte überschätzt. Ich habe stundenlang mit mir gerungen, dich nicht in ein Krankenhaus zu bringen, dein Atem war so flach und dein Puls so schwach, dass ich Angst hatte, du würdest sterben. Ich kann ja nicht wissen, was passiert, wenn du dich so verausgabst, ob du vielleicht sogar innere Blutungen bekommst. Du hast zwischendurch so wirre Sachen gesagt, dass ich Panik bekam – was, wenn dein Gehirn durch die Überlastung Schäden davongetragen hätte?«

    Ich schluckte. Natürlich erlebte André alles aus einer anderen Perspektive.

    »Aber ich habe drei Kinder geheilt oder zumindest ihnen so weit geholfen, dass eine Besserung eintrat. Dafür hat es sich gelohnt! Denk nur an die Zukunft, die jetzt vor ihnen liegt«, entgegnete ich mit energischer Stimme.

    »Aber zu welchem Preis? Beim nächsten Mal ist es dir vielleicht nicht möglich, dich zu regenerieren, und dann kannst du niemanden mehr heilen.«

    »Ich muss einfach noch mehr üben, meine andere Kraft hat sich auch verstärkt, vielleicht kann ich …«

    »Alexandra«, unterbrach mich André, »ich habe jede Minute um dein Leben gebangt, ich hatte Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen oder sogar dafür verantwortlich zu sein, weil ich dich dabei unterstützt habe, dein Leben aufs Spiel zu setzen. Ich verstehe deine Motive und Wünsche. Aber kannst du dir vorstellen, wie es ist, jemanden, den man liebt, so leiden zu sehen? Das mache ich nicht noch mal mit.«

    Seine Worte trafen mich. Ich konnte es nachvollziehen. Nachdem ich in den letzten Monaten so viel erlebt hatte – Kämpfe, Tragödien und verletzte Menschen, die mir nahestanden –, wusste ich genau, wie er sich fühlte.

    »Es tut mir leid«, flüsterte ich.

    In meinen Augen sammelten sich Tränen. Andrés Blick wurde sanfter, und er nahm mich in die Arme. Ich sog seinen Duft ein, genoss seine Wärme und das Gefühl von seiner Haut an meiner. Er schenkte mir Geborgenheit und Sicherheit. Eine Weile später löste er sich von mir.

    »Ich muss zur Arbeit. Die letzten Tage habe ich von zu Hause gearbeitet, aber heute Morgen ist ein Meeting, das ich nicht verschieben kann. Kann ich dich wirklich allein lassen?

    »Ja, das kannst du. Ich komme jetzt klar.«

    »Okay, wir reden heute Abend weiter. Ich liebe dich«, sagte er schließlich und gab mir einen Kuss auf den Kopf.

    »Ich liebe dich auch«, antwortete ich und blickte ihm nach, wie er das Schlafzimmer und schließlich die Wohnung verließ.

    Seufzend zog ich die Gardinen auf und sah eine Weile aus dem Fenster. Auf der Straße vor dem Haus herrschte ein reges Treiben. Menschen jeglichen Alters konnte man beobachten, Geschäftsleute auf dem Weg zur Arbeit, Senioren, die ihre Einkäufe tätigten, und Eltern, die ihre Kinder zur Kita oder in die Schule brachten. Beim Anblick der spielenden Kinder kamen wieder die Erinnerungen an das Hospiz hoch.

    Ich bereute meine Taten nicht, aber wusste auch, dass ich nicht mit dem Schicksal spielen sollte. Dafür hatte ich zu wenig Erfahrung mit meinen Kräften, und ohne die White Taker war ich auf mich allein gestellt. Doch ich spürte auch, dass mit jeder Heilung mein Bedürfnis zu helfen weiterwuchs und ich meine Gabe trainieren beziehungsweise ausweiten wollte. Ich hatte das Potenzial dazu, also musste ich es auch nutzen. Aber wie?

    Immer öfter spielte ich mit dem Gedanken, die White Taker zu kontaktieren. Damit wäre allerdings André nicht einverstanden und er hatte berechtigte Gründe.

    Als die White Taker vor Monaten einen Überfall auf mich inszeniert hatten, um meine Kräfte zu aktivieren, nahmen sie mich bei sich auf. Na ja, am Anfang war es eher wie eine Gefangennahme gewesen. Ich sollte jegliche Verbindungen zu meiner Familie und meinen Freunden kappen und somit auch zu André. Denn mit meinen Kräften war ich stets eine Zielscheibe für die Dark Taker, und die scheuten auch nicht davor zurück, Menschen zu verletzen oder zu töten, die uns etwas bedeuteten. André war ja schließlich auch von ihnen entführt worden.

    Ich hielt mich an die Regeln und sah André für eine sehr lange Zeit nicht mehr. Als es jedoch zum großen Kampf gegen die Dark Taker gekommen war, hatten mir meine neuen Freunde verschwiegen, dass André als Geisel gefangen gehalten wurde. Um mich zu schützen, sagten sie. Mein Freund wurde so schwer verletzt, dass er beinahe gestorben wäre. Der einzige Grund, warum er heute noch lebte, war, weil ich es geschafft hatte, meine Heilkräfte gerade noch rechtzeitig zu aktivieren, um sein Leben zu retten. Meinen André. Der Schüssel war die Liebe, die ich für ihn empfand. Nur in seiner Gegenwart und mit dem Gedanken an seine Liebe gelang es mir später, auch andere Menschen zu heilen. Hätten die White Taker mich weiterhin von André ferngehalten, hätte ich den Schlüssel nie gefunden. Daher hatte ich sie verlassen, auch wenn es mir schwerfiel. Gut, um ehrlich zu sein nicht nur deswegen. Ich war enttäuscht und wütend gewesen. Verletzt. Und dann war da natürlich auch meine Neigung dazu wegzulaufen, wenn es schwierig wurde. Aber das war vielleicht ein bisschen zu viel Ehrlichkeit für meinen noch immer geschwächten Zustand.

    Ich vermisste sie. Sie waren mehr als nur Freunde, sie waren meine Familie geworden. Und da kam auch die Erinnerungen an Sam hoch. Er hatte mir geholfen, die White Taker besser kennenzulernen, und mich bei jedem Problem unterstützt. Selbst sein Leben hatte er für mich riskiert. Wir waren uns nahegekommen, sehr nahe. André wusste das. Ich erzählte ihm die ganze Geschichte, einfach alles von meinen Kräften, meinen Erlebnissen und meiner Romanze – wenn man es denn so nennen konnte – mit Sam. Es sollten keine Geheimnisse zwischen uns stehen, damit er selbst entscheiden konnte, inwieweit eine Beziehung für ihn noch in Frage kam.

    Er blieb, und wir hielten Abstand zu den White Takern. Noch mehr, ich musste ihm versprechen, nicht wieder zurückzugehen. Eigentlich unmöglich, wie ich jetzt wusste.

    Vom Herumsitzen und Grübeln bekam ich erneut Kopfschmerzen, also schleppte ich mich in die Dusche und zog mich anschließend an. Ich wählte eine schicke Jeggings und eine rosafarbene Bluse. Zu Hause konnte ich natürlich auch eine Jogginghose und einen Kapuzenpullover tragen, aber damit verband ich relaxen und faul auf dem Sofa liegen. Die letzten Tage hatte ich allerdings genug ausgeruht, ich musste aktiv werden, und das ausgewählte Outfit half mir dabei, mich auch so zu fühlen.

    Danach steuerte ich die Küche an, machte mir ein Müsli mit Obst und einen Latte Macchiato mit Karamell. Dabei verbrauchte ich unsere letzte Milch.

    Überhaupt sah der Inhalt unseres Kühlschrankes recht mager aus. André hatte mich wahrscheinlich in den letzten beiden Tagen ungern allein lassen wollen. Daher war es an der Zeit, dass ich mich nützlich machte und einkaufen ging.

    Vielleicht konnte ich auch endlich mal wieder etwas Schönes für André kochen, als kleines Dankeschön für seine Unterstützung. Ich wusste aber auch, dass es heute Abend ein weiteres unangenehmes Gespräch darüber geben würde, wie wir weitermachen wollten. Hoffentlich wollte er unseren Job bei der AWO nicht kündigen. Ich musste in Zukunft einfach vorsichtiger sein.

    Nach dem Frühstück nahm ich die Einkaufstaschen aus dem Schrank und machte mich auf den Weg zum Edeka, ein paar Häuserblocks von unserer Wohnung entfernt. Zeit für etwas Normalität in meinem Leben.

    Soultaker

    3

    Die Luft war frisch, weder stickig, noch stank sie nach Abgasen. Ich sog sie für einen kurzen Moment tief ein. Der Wind, der ständige Begleiter in Hamburg, wehte mir die Haare ins Gesicht. Ich bereute schon, mir keinen Zopf gemacht zu haben, aber was soll‘s. Der Weg führte mich an schönen Altbauten vorbei, ich liebte es, sie zu betrachten. Einige waren zu Mehrfamilienhäusern umgebaut worden, andere gehörten nur einzelnen und sehr wohlhabenden Familien. Die Häuser mussten ein Vermögen kosten, vor allem, wenn noch ein Garten dazu gehörte.

    Mein Leben war in den letzten Monaten so auf den Kopf gestellt worden, dass ich völlig den Bezug zu einem normalen Alltag verloren hatte. Erst allmählich tauchte ich wieder in die reale Welt ein. Aber sie wirkte dennoch auf eine gewisse Weise fremd auf mich, als ob ich nicht mehr richtig dazu gehörte.

    Dazu kamen noch die Alpträume, die mir nachts den Schlaf raubten. Wenigstens suchten mich tagsüber die Erinnerungen an Gerrit und die Dark Taker nicht mehr heim. Ich hoffte, dass es mir bald gelingen würde, auch den Rest der schrecklichen Erlebnisse zu verdrängen. Das war immer meine größte Stärke, sowohl in der Kindheit, als auch später. Ich war die inoffizielle Weltmeisterin im Verdrängen. Diese Schutzmauer wollte ich unbedingt wieder haben. Ich brauchte sie.

    In zwei Monaten hatte ich vor, mit dem Beginn des neuen Semesters im Herbst, mein Studium wieder aufzunehmen. Doch verspürte ich aktuell wenig Lust darauf. Jetzt, wo ich heilen konnte, sah ich meine Fähigkeiten in einem Studium der Geisteswissenschaften verschwendet. Vielleicht sollte ich ernsthaft in Erwägung ziehen, Krankenschwester zu werden oder Arzthelferin, so konnte ich den Menschen direkt helfen. Es bestand ja auch die Möglichkeit, in ferner Zukunft einen Weg zu finden, meine Kräfte ohne André einsetzen zu können.

    Der Gedanke an einen Pflegejob gefiel mir. Es wurde Zeit, meine Zukunft auf den richtigen Pfad zu bringen.

    Plötzlich ertönte hinter mir energisch eine Fahrradklingel.

    »Pass auf! Bist du zu blöd, um auf dem Fußweg zu gehen?«, rief eine Männerstimme in meinem Rücken.

    Schnell drehte ich mich um und sah ein Fahrrad mit hoher Geschwindigkeit auf mich zu rasen. Darauf ein Mann in dunklem Anzug und – natürlich – Handy am Ohr, was ihn nicht davon abhielt, mir Flüche zuzurufen. In meinen Gedanken versunken war ich wohl auf den Fahrradweg geraten. Wenn man den kleinen roten Strich auf dem Fußweg überhaupt als solchen betrachten konnte. Hamburg war nicht unbedingt als fahrradfreundliche Stadt bekannt. Trotzdem; der Typ war ein Idiot! Mit dem Handy am Ohr Fahrradfahren war verboten! Abgesehen davon hätte er mich auch nicht so anzubrüllen brauchen.

    Ich wich schnell dem heranbrausenden Zweirad aus und schüttelte den Kopf. Manche Menschen waren ständig aggressiv und gestresst, egal ob sie als Fahrrad- oder Autofahrer unterwegs waren. Ich mochte diese Aggressivität nicht, sie schlug mir aufs Gemüt.

    Schließlich hatte ich den Supermarkt erreicht und schnappte mir einen Einkaufswagen.

    In meinem Elan, schnell meine Besorgungen zu tätigen, hatte ich gar nicht detailliert nachgesehen, was uns alles fehlte, so kaufte ich lieber etwas mehr ein.

    Frisches Obst und Gemüse, Brot und Aufschnitt sowie einige Milchprodukte. Außerdem landeten eine Packung Bio-Hühnergeschnetzeltes im Einkaufswagen und Zutaten für eine selbstgemachte Mousse au Chocolat für den Nachtisch. Eine gute Flasche Rotwein rundete mein Abend-Menü ab.

    Wenigstens hatte ich an meinen Rucksack gedacht, damit ich nicht alles in der Hand schleppen musste. Als ich gerade die Kasse ansteuern wollte, wurde ich unsanft angerempelt. Ich drehte mich um und erkannte den Anzugträger vom Hinweg wieder. Er ignorierte mich und drängelte sich sogar ganz frech an einer älteren Dame an der Kasse vorbei mit dem kurzen Hinweis, er müsse schnell zur Arbeit, und sie habe ja noch alle Zeit der Welt. Die ältere Frau schien völlig perplex zu sein, normalerweise waren Senioren nicht auf den Mund gefallen und würden sich so ein Verhalten nicht bieten lassen, aber irgendwas schien der Mann an sich zu haben, dass selbst die Dame nichts erwiderte.

    Sein Verhalten machte mich plötzlich richtig wütend. Was bildete sich dieser Mensch ein, wer er war? Mit der Wut kam auf einmal eine Schwindelattacke daher, und mein Sichtfeld schien zu verschwimmen. Ich sah nur noch die Auren der Menschen vor mir. Hell leuchtete ihre Lebenskraft vor meinen Augen. Meine Gabe hatte es ziemlich schnell auf den Anzugträger abgesehen. Ich schüttelte den Kopf, um diese Auren-Sicht wieder loszuwerden, doch mein Körper verlangte nach dem Taken. Meine Wut auf

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