Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

MORO Das Vermächtnis: Dritter und letzter Teil der Moro-Reihe, unabhängig lesbar
MORO Das Vermächtnis: Dritter und letzter Teil der Moro-Reihe, unabhängig lesbar
MORO Das Vermächtnis: Dritter und letzter Teil der Moro-Reihe, unabhängig lesbar
eBook257 Seiten3 Stunden

MORO Das Vermächtnis: Dritter und letzter Teil der Moro-Reihe, unabhängig lesbar

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Was, um alles in der Welt, habe ich getan - haben ich und meinesgleichen getan -, dass wir so abgrundtief verachtet, ja gehasst werden, dass jeder Kellerassel mehr Recht auf Leben und Würde zugebilligt wird als uns?

Der flüchtige Sklave Moro fällt bei der Befreiung anderer Sklaven seinem früheren Besitzer in die Hände. Sein Leben hängt an einem seidenen Faden. Aber da sind noch andere, mächtige Männer, die es auf ihn abgesehen haben. Die Liebe zu seinem Sohn ist die Fessel, an die er gekettet wird. Leidensfähigkeit und Opferbereitschaft leiten ihn durch Zeiten grausamster Erniedrigung, doch auch neuer Hoffnungen.

Band 3 der Moro-Reihe, nach "Der Abgerichtete" und "Moro: Flucht im 24. Jahrhundert".
Die Bücher können auch unabhängig voneinander gelesen werden.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum17. Aug. 2022
ISBN9783347688490
MORO Das Vermächtnis: Dritter und letzter Teil der Moro-Reihe, unabhängig lesbar
Autor

Maxi Magga

Maxi Magga, geboren am 2.11.1954 in einem kleinen Dorf in der Nähe von Bad Kreuznach, erlebte Kindheit und Jugend in Duisburg. Nach dem Studium von Mathematik und Englisch in Düsseldorf unterrichtete sie bis zu ihrer Pensionierung an einer Gesamtschule in Krefeld. Danach begann sie zu schreiben und zu malen. Ihr besonderes Interesse gilt dabei der Darstellung von Menschen in extremen Lebenslagen.

Ähnlich wie MORO Das Vermächtnis

Titel in dieser Serie (3)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für MORO Das Vermächtnis

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    MORO Das Vermächtnis - Maxi Magga

    Kapitel 1 Anna

    Zuerst waren es kaum registrierbare Zuckungen der Augenlider. Leichte Bewegungen der Finger und der Gesichtsmuskeln kamen hinzu. Der Atem wurde unruhiger. Dann schlug er plötzlich die Augen auf. Ohne etwas zu erkennen, fast als gehörten sie nicht zu ihm, irrten sie ziellos umher. Wie aus weiter Ferne drang eine Stimme zu ihm, doch er verstand die Worte nicht. Unvermittelt bäumte er sich auf, sog so krampfhaft die Luft ein, dass es sich anhörte, als drängte ein Ertrinkender endlich durch die Wasseroberfläche zurück ins Leben. Die Hände krampften sich um die Decke, die über ihn gebreitet worden war. Die Anstrengung des Erwachens war wohl zu groß, denn kurz darauf fiel er wieder in einen tiefen Schlaf.

    Er öffnete die Augen, kaum dass er den nassen Lappen spürte, mit dem seine Lippen benetzt wurden. Gierig saugte er die wenigen Wassertropfen heraus und hob mit einer verzweifelten Geste die rechte Hand.

    „Heiliges Kastensystem! Du bist tatsächlich zurück! Durst? Willst du mehr Wasser? Dein Blinzeln nehme ich mal als ein Ja. Warte einen Moment, bin gleich wieder bei dir."

    Dankbar entspannte er sich, folgte der Frau, zu der die Stimme gehörte, mit seinen Blicken, bis sie den Raum verlassen hatte. Groß, hager, dunkle, kurze Haare. Müsste er sie kennen? Zu schwach, um länger darüber nachzudenken, drehte er den Kopf zur Seite. Er erschrak, als sie ihn an der Schulter berührte, hatte er doch ihre Rückkehr nicht gehört.

    „Nur ruhig, alles in Ordnung. Komm, ich helfe dir, dich ein wenig aufzurichten. Dann kannst du ein paar Schlucke trinken. Siehst du, geht ja."

    Eine kleine Weile hörte er noch ihrer monotonen Stimme zu, ohne wirklich aufzunehmen, was sie sagte, bevor er erneut einschlief.

    Als er die Augen das nächste Mal aufschlug, war es dunkel. Eine einzelne Kerze auf einem Hocker neben seinem Bett, der als Tisch benutzt wurde, verbreitete flackernd ihr schwaches Licht. Daneben sah er die Frau von vorhin auf einem Stuhl sitzen. Der Kopf war auf ihre Brust gesunken, die Hände lagen schlaff in ihrem Schoß. Er versuchte sich etwas aufzurichten. Sofort wurde die Gestalt, von der er gedacht hatte, sie schliefe, lebendig und lächelte ihn an.

    „Na, aufgewacht?", kommentierte sie das Offensichtliche.

    Er nickte und räusperte sich, bevor er mit unsicherer Stimme fragte, wo er war.

    „Bei mir, in meiner Hütte beim Steinbruch. Bin die Anna. Die alte Anna nennen mich die Leute. War ganz schön anstrengend, dich hierher zu schleifen. Dachte ehrlich nicht, dass ich’s schaffe, so allein. Wusste nicht mal, ob du noch lebst. Was sagst du? Keine Ahnung, wie du dahin gekommen bist. Weißt du das denn nicht?"

    Er schüttelte langsam den Kopf.

    „Danke für die Hilfe", flüsterte er.

    „Wird sich zeigen, ob du mir dankbar sein solltest. Du kennst jetzt meinen Namen. Aber wer bist du?"

    Er öffnete den Mund, setzte zum Sprechen an, doch seine Augen weiteten sich vor Entsetzen.

    „Ich weiß nicht. Mein Name … liegt mir auf der Zunge, aber …"

    „Schon gut", unterbrach sie ihn, „streng dich nicht an. Das kannst du mir auch später sagen. Kein

    Wunder, dass du alles vergessen hast, so wie du dir den Kopf aufgeschlagen hast. Koche schnell einen Kräutertee für dich, zur Beruhigung. Morgen sehen wir weiter."

    Auch Annas Beruhigungstee bewahrte ihn nicht vor einem unruhigen Schlaf. Schmerzen in jedem einzelnen Teil seines Körpers, die ihn nahezu zur Unbeweglichkeit verurteilten, eine nicht greifbare Angst, die sein Herz zusammenzog, und seine verzweifelten Versuche, sich zu erinnern, wer er war und was geschehen sein mochte, ließen ihn nicht zur Ruhe kommen.

    Kaum graute der Tag, da richtete Anna sich ächzend auf und knetete ihren Nacken. Dennoch trat sie mit einem Lächeln an sein Bett.

    „Morgen, Fremder. Wasser? Warte."

    Beschämt sah er zu, wie sie, steifbeinig und sich den Rücken reibend, einen Becher aus einem Fass neben der Tür füllte und zurück humpelte.

    „Ich bin es nicht wert, dass Sie meinetwegen Schmerzen leiden, flüsterte er gequält, „und ich sollte nicht in einem Bett liegen.

    Er hatte mehr sagen wollen, aber sein eigener Satz verwirrte ihn. Warum erwähnte er so etwas? Da weiteten sich seine Augen in einem Grauen, das er nicht in Worte fassen konnte. Der Kopf schlug heftig hin und her, aber das Verstehen duldete kein Nein. Du bist es nicht wert, dröhnte es in ihm, du bist nichts wert, nicht einmal so viel.

    Verbissen versuchte er, sich aufzurichten und aus der Wolldecke zu befreien. Anna drückte ihn ohne große Mühe nieder.

    „Bleib ruhig liegen. Du schadest dir", versuchte sie ihn zu beschwichtigen.

    Noch immer kämpfte er gegen die Decke, seine Schwäche und nun auch noch gegen eine aufsteigende Übelkeit an.

    „Nein! Bitte, das geht nicht. Das ist nicht erlaubt. Ich … ich bin doch nur ein Sklave."

    Kaum war das Wort heraus, gab er den Kampf auf und fiel schwer auf das Bett zurück. Die Hände vor das Gesicht geschlagen, sodass er kaum zu verstehen war, wiederholte er tonlos: „Nichts als ein Sklave."

    „Weiß ich."

    Die alte Frau gab seine Schultern frei und setzte

    sich.

    „Hab die Narben auf deinem Rücken gesehen, als ich deine Wunden ausgewaschen hab. Kastenmarke hast du auch keine, obwohl dies das größte Vergehen hierzulande ist. Bist wohl abgehauen, was?"

    Langsam senkte er die Hände. Ungläubig starrte er sie an.

    „Sie wissen, was ich bin? Und lassen mich trotzdem hier schlafen? Sie ekeln sich nicht vor mir?"

    Anna lachte leise.

    „Hab ich nicht vor. Jetzt, wo du wieder weißt, dass du ein Sklave bist, ist dir da nicht auch dein Name eingefallen?"

    Es fiel ihm schwer, sich darauf zu konzentrieren, und er hatte keinen Erfolg damit. Traurig schüttelte er den Kopf.

    „Also, falls du fürchtest, dass ich dich ausliefere, wenn ich weiß, wer du bist, dann liegst du hier im falschen Bett. Hab noch nie einen verraten. Werd ich auch jetzt nicht tun. Nur für den Fall, dass du es noch nicht bemerkt haben solltest, ich trage die rote Plakette, bin F-Kaste. Also gar nicht so viel Unterschied zu dir. Genug davon. Kümmern wir uns um deine Verletzungen."

    Routiniert prüfte sie den aktuellen Zustand der vielfältigen Wunden, wusch sie aus, trug Salben auf diese auf und verband jene sorgfältig. Verwundert bemerkte er, dass Anna zu ihnen sprach.

    „Ihr kriegt nur ein bisschen frische Paste. Heiliges Kastensystem, bis ich euch alle verbunden hätte, wäre ich ja eine alte Frau, sagte sie zum Beispiel zu den Hautabschürfungen und kicherte. „Das sieht gut aus bei dir, Schienbein. Weiß ja, dass die Stöcke drücken, aber das musst du ertragen, sie halten den Bruch stabil. Dich warne ich, du fieser Riss, wenn du dich doch noch entzündest, werde ich rabiat. Die anderen Löcher im Fleisch benehmen sich besser als du. Drei starke Verbrennungen. Ihr macht mir vielleicht Sorgen! Möchte wissen, woher ihr stammt. Und wie tief ihr geht, bei den Schmerzen, die ihr austeilt. Der Fremde zuckt ja schon, kaum dass ich in der Hütte bin. Wie soll ich denn den Brustkorb straff umwickeln, um die gebrochenen Rippen zu richten, wenn ihr mir ständig im Weg seid? Sag bloß, du an der Schläfe hast wieder angefangen zu bluten. Schäm dich. Wo ich dich doch so sorgfältig genäht habe.

    „Schöner wird dein Gesicht durch meine Behandlung ja nicht, Fremder, aber mehr kann ich nicht tun. Heilen muss dein Körper sich allein, teilte sie ihm schließlich mit, während sie aufräumte. „Dein unregelmäßiger Herzschlag gefällt mir gar nicht. Ruhe dich jetzt aus. Ist das Beste, was wir tun können.

    Er hatte alle Kraft aufgewandt, um die Prozedur klaglos zu ertragen, und war dadurch von seinem Schicksal abgelenkt worden. Nun war er erschöpft. Dennoch raffte er die letzten Reserven zusammen und bat: „Bitte, auf dem Boden liegen …"

    Annas unmissverständliches Nein war das Letzte, was er hörte.

    „Hier, probier es damit, Fremder."

    Anna hielt ihm ein Gestell hin, das sie in den vergangenen Tagen aus einer Astgabel und einem Besenstiel gebaut hatte. Mühsam stemmte er sich von der neuen, behelfsmäßigen Schlafstelle auf der festgestampften Erde hoch. Bemüht, seine Zweifel nicht allzu deutlich zu zeigen, griff er nach dem unförmigen Ding. Mit ihrer Hilfe klemmte er sich die Gabel unter die Achsel und versuchte sich fortzubewegen, ohne das gebrochene Bein zu belasten. Zuerst war er unsicher, aber schon nach ein paar Versuchen gelang es ihm, sich damit selbstständig und einigermaßen schmerzfrei in der Hütte zu bewegen.

    Das war ein weiterer Schritt auf dem langen Weg der Heilung. Ein paar Fiebertage hatte er überstanden, die meisten der offenen Wunden hatten begonnen zu vernarben, die gebrochenen Rippen behinderten ihn nur noch wenig. Sogar die merkwürdig tiefen, kreisrunden Verbrennungen heilten langsam. Als er nach Wochen im Bett endlich hatte aufstehen dürfen, nicht mehr völlig abhängig war von Annas, ihm völlig unverständlicher Güte, war das ein Segen für ihn. Doch weit mehr als das hatte es ihn erleichtert, ihr das Bett zurückgeben zu können. Sie seinetwegen auf dem provisorischen Lager auf dem Fußboden schlafen lassen zu müssen, bedrückte ihn. Wenn er jedoch davon sprach, wie peinlich es ihm war, schimpfte sie ihn aus und fragte, wie sie ihn mit ihrem schlimmen Rücken so tief unten denn pflegen sollte. Jetzt also der nächste Schritt. Wie sehr er sich darauf freute, an die frische Luft zu kommen, selbst wenn er vorerst nur ein paar wacklige Schritte mit der Krücke machen konnte. In Gedanken hatte er sich bereits eine lange Liste gemacht, was er alles in der Hütte ausbessern und reparieren wollte, sobald er dazu in der Lage war, um etwas von der Schuld abzutragen, die er Anna gegenüber empfand.

    Bis der Herbst sich ankündigte, saßen die beiden oft tagsüber zusammen vor einer mächtigen Zwinge, in die sie flache Naturbruchsteine steckten, die sie sägten, schliffen und glätteten, bis sie die gewünschte Form hatten.

    „Ich glaube fast, Anna, mit dieser runden Platte gelingt uns ein Meisterstück. Wunderschön! Ob dieser Monsire aus der Stadt einen kleinen Tisch daraus machen lassen möchte? Was meinst du?"

    „Vielleicht ja, vielleicht nein. Ist doch egal. Mir ist wichtiger, was er mir dafür gibt."

    Moro lachte kurz. „Das stimmt allerdings. Mir gehen auch wichtigere Dinge durch den Kopf. Ich weiß ja, ich sollte Sie nicht schon wieder bitten, mir zu erzählen, wie Sie mich gefunden haben, aber … "

    Bevor er den Satz zu Ende bringen konnte, versetzte Anna ihm einen leichten Schlag an den Hinterkopf, der ihn verstummen ließ.

    „Hab ich nicht schon hundert Mal gesagt, dass du dir dieses Sie sparen kannst? Eine aus der F-Kaste wird mit du angesprochen. So sagen es die Kastenregeln."

    „Nicht von jemandem, der noch weit darunter steht, einem wie mir. Aua! Schon gut. Aufhören bitte, es war doch nur ein Versehen und kommt bestimmt nicht mehr vor. Versprochen."

    „Will ich dir auch raten. Wie ich dich gefunden habe, fragst du. Also, war nebenan im alten Steinbruch, habe nach Heilkräutern gesucht. Da höre ich an der oberen Kante einen Wagen. Sehe hoch. Schon werfen zwei Männer jemanden runter. Das warst du. Der Wurf war nicht weit genug, bist nicht tief gestürzt, aber mit losem Geröll bis auf den Boden der Grube gerutscht. Habe gewartet, bis der Wagen weg war und dich dann in meine Hütte gezerrt."

    „Die Männer, Anna, du hast sie gesehen."

    „Hab ich. Dunkle Kleidung, Helme, mehr wusste ich gestern nicht, mehr weiß ich heute nicht."

    „Und das Hovercraft, Anna. Bitte, denk noch

    einmal nach. Bist du wirklich sicher, dass das größer

    war als normal? Du warst weit entfernt und die Sonne …"

    „Kann noch ganz gut sehen. Wie oft muss ich das noch sagen? Der Wagen war sehr groß, und auffällig weiß, orange und blau oder grün lackiert."

    „Die Farben der Guardians, stöhnte er. „Das gibt keinen Sinn. Warum sollten die mich in den Steinbruch werfen, anstatt mich meinem Besitzer auszuliefern?

    „Wenn du das herausfindest, wirst du vielleicht auch wissen, wo deine schweren Verletzungen und die ewig lange Bewusstlosigkeit herkommen. Vom Absturz im Bruch alleine sicher nicht. Schluss für heute. Wir sehen ja fast nichts mehr. Morgen ist auch noch ein Tag."

    „Anna, dem Heiligen Kastensystem sei Dank, dass du endlich da bist. Ich habe mir Sorgen gemacht, weil du noch nie so lange für eine Lieferung unterwegs warst. Hat der Monsire etwa Schwierigkeiten gemacht mit dem, was er dir geben wollte?"

    „Lass mich, Fremder. Muss mich hinsetzen, meine alten Beine wollen nicht mehr so. Der Monsire? Nein, ich habe sogar die Reste vom Tisch der Herrschaften obendrein gekriegt. Hier, sieh nur, forderte sie ihn auf und reichte ihm einen kleinen Sack. „Gut, was?

    Anna sammelte sich ein wenig, dann sah sie ihn so lange schweigend an, bis er von den unverhofften Nahrungsmitteln im Sack aufblickte.

    „Was ist los? Etwas stimmt doch nicht."

    Anna seufzte tief, bevor sie anfing zu reden.

    „In der Stadt sprechen alle davon. Ein älteres Paar, C-Kaste, lässt überall nach einem jungen Mann suchen, einem Sklaven. Wenn ich das richtig verstanden habe, hat er zeitweise bei ihnen gelebt. Erinnert dich das an etwas?"

    Moro hatte den Atem angehalten, seine Augen hingen an den Lippen der Frau.

    „Nein. Weiter, bitte Anna, sprich weiter. Warum suchen sie diesen Mann? Gehört er ihnen?"

    „Hab das nicht ganz genau verstanden, glaube es aber nicht. Amelie und Vedhes irgendwas, so heißen die beiden, suchen ihn, weil er an dem Tag verschwunden ist, an dem ihr Haus angezündet wurde."

    Alles Blut wich aus seinem Gesicht. Kaum atmend, starrte er auf seine Hände.

    „Denjenigen, den sie suchen, nennen sie …"

    „Moro. Sie nennen ihn Moro. Stimmt doch, Anna?"

    Seine Stimme war nur mehr ein Krächzen.

    Sie nickte. „Dann ist es wahr? Du erinnerst dich an sie?"

    „Ich erinnere mich wieder. An ihre Namen und meinen, an ihre Gesichter. Daran, dass sie die Einzigen vor dir waren, die gut zu mir waren. Nein, da war noch einer, ein Junge. Anna, kann es möglich sein, dass ich ein solches Monster bin, dass ich ihnen ihre Güte so grausam vergolten habe? Sollte ich tatsächlich das Feuer gelegt haben und mich jetzt nicht einmal daran entsinnen? Denn ausgerechnet daran fehlt mir noch immer jede Erinnerung."

    Er wandte sich ihr zu, streckte seine Hände nach ihr aus. Doch Anna wich eine wenig zurück. Moro sprang sofort auf. Ihre Reaktion schnürte ihm den Hals zu.

    „Wenn du willst, werde ich noch in dieser Minute gehen, flüsterte er tonlos. „Du musst dich nicht sorgen, dass ich dir etwas antue.

    Anna fasste sich schnell.

    „Unsinn. War nur mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt und bin erschrocken. Tut mir leid, Fremder. Mit einem Lächeln korrigierte sie sich: „Tut mir leid, Moro.

    „Bist du sicher, dass ich noch bleiben darf?"

    „Ganz sicher. Setz dich wieder hin und erzähle mir alles, woran du dich noch erinnerst."

    Sie redeten die ganze Nacht lang. Zuerst gab Moros Gedächtnis nur diffuse Einzelheiten preis, aber mit Annas Hilfe fügten sie sich zusammen. Nur auf die Fragen, die ihn am meisten quälten, fanden sie keine Antwort. War er an dem Paar zum Verbrecher geworden? Und wie kam er dann so weit entfernt an diesen Steinbruch?

    „Wir sind uns also einig, fasste Anna todmüde zusammen, „nach ein paar Stunden Schlaf geh ich wieder in die Stadt und bitte, mit dem Monsire sprechen zu dürfen.

    „Die werden dich nie anhören. Anna, es ist großartig, dass du das für mich tun willst, aber du wirst nur müde und enttäuscht zurückkommen. C-Kaste, Anna! Wer so hochsteht, interessiert sich nicht für das, was du ihnen zu sagen hättest."

    „Du wiederholst dich. Ändert aber nichts an meiner Entscheidung. Außerdem werden Reiche hellhörig, wenn’s ums Geld geht. Sag einfach, sie haben mir zu viel bezahlt, dann wird die Madam schon weich. Ein Versuch lohnt sich."

    „Das kann ich schon gar nicht akzeptieren. Du verdienst so wenig, da kannst du es dir einfach nicht leisten, etwas davon zu verschenken, vielleicht für nichts und wieder nichts. Sei doch vernünftig."

    „Ist es dein Geld oder meins, hä? Also, halt den Mund."

    Moro gab auf. Aber die Sorge um sie machte ihn zu unruhig, um still in der Hütte zu warten, bis sie sich erholt hatte. Er nahm einen Korb vom Haken und machte sich auf, Heilkräuter zu suchen, wie er es von ihr gelernt hatte. Bei seiner Rückkehr war sie bereits gegangen. Voller böser Vorahnungen lief Moro nervös auf und ab. In seiner Vorstellung sah er sie in ihrem Blut in einem Graben liegen, gewaltsam vertrieben von den Hausangestellten des Monsire, oder, noch schlimmer, in einer Gefängniszelle der Guardians wegen Störung der Ordnung. Unendlich erleichtert sah er endlich einen dunklen Punkt am Horizont, der beim Näherkommen wuchs. Als er sicher war, dass sie es war, lief er ihr entgegen.

    „Dem Heiligen Kastensystem sei Dank, du bist wieder da und gesund", rief er ihr schon von weitem zu. Er musste sich allerdings gedulden, bis sie in der Hütte war und ihre brennenden Füße in eine Schüssel mit kühlendem Wasser gesteckt hatte, bevor sie bereit war zu berichten.

    „Wie es gelaufen ist? Na, wie denn wohl, wunderbar! Viel besser, als ich erwartet hab. Glaub, die Madam war ganz zufrieden, so richtig tratschen zu können. Hat mir sogar das Geld zurückgegeben, das ich ihr hingelegt hab. Hab fast gedacht, jetzt lädt sie mich zu Tee ein, aber den hat sie doch allein getrunken."

    Anna lachte kichernd in sich hinein. Moro, der vor Aufregung seine Hände knetete, unterbrach sie nicht.

    „Ein bisschen was hab ich rausgekriegt. Dieses Paar … "

    „Amelie und Vedhes", half Moro aus.

    „Ja, die zwei aus Steinberg. Dort stand jedenfalls das Haus, das abgebrannt ist. Weiß jetzt auch ungefähr, wie man dahin kommt. Aber außer Trümmern wirst du wohl nichts finden. Sie wohnen nun in einer Stadt, die Altenburg heißt. Die liegt weit im Norden, meinte die Madam. Jedenfalls soll jeder, der etwas mitteilen kann, an das Haus Basti in der Exzellenz-Roderik-Allee schreiben. Es gibt sogar eine Belohnung. Was ist denn mit dir? Glaubst du, es ist Blutgeld?"

    Besorgt beobachtete Anna, wie elend Moro plötzlich aussah.

    „Wenn, dann weil sie mich für schuldig halten, und dann ist es nur gerecht. Nein, es ist der Name des Hauses. Basti. Ich erinnere mich, ihr toter Sohn hieß so. In seinem Zimmer, sogar in seinem Bett haben sie mich

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1