Das geduldige Herz: Der Bergpfarrer 433 – Heimatroman
Von Toni Waidacher
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Über dieses E-Book
Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert.
Der letzte Ton der Mondschein-Sonate verklang. Thomas Burger verharrte einen winzigen Moment, um dann mit einem strahlenden Lächeln aufzustehen und den Applaus des Publikums, das bis zum Schluß andächtig gelauscht hatte, entgegenzunehmen. Dankend nahm er den Blumenstrauß in Empfang, den eine Verehrerin ihm auf die Bühne hinaufreichte. Der junge Konzertpianist verbeugte sich und bezog mit einer Handbewegung die Mitglieder des Symphonieorchesters ein, das ihn begleitet hatte. Dieser Konzertabend war der glanzvolle Abschluß einer Tournee, die den Künstler durch mehrere Städte Europas geführt hatte. Noch zweimal holte der tosende Beifall Thomas auf die Bühne zurück, bevor er endlich, müde und erschöpft, Frack und Fliege ablegen konnte. Alberto Moreno, Thomas' Agent, reichte ihm ein Glas Champagner. »Du warst, wie immer, großartig«, sagte der Italiener. »In allen Kulturbeilagen der Tageszeitungen werden sie von dir berichten. Du bist auf dem Höhepunkt deiner Karriere. Jedes Konzerthaus reißt sich um dich. Ich habe Anfragen aus New York, Chicago und Rio. Du kannst jede Gage verlangen.« »Im Moment verlange ich nur meine Ruhe«, entgegnete der Dreißigjährige. »Für die nächste Zeit will ich keinen Konzertsaal mehr sehen. Die Tournee war anstrengend, und ich möchte nur noch Urlaub haben.« »Natürlich«, gab Alberto mit einem Nicken zurück.
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Das geduldige Herz - Toni Waidacher
Der Bergpfarrer
– 433 –
Das geduldige Herz
Toni Waidacher
Der letzte Ton der Mondschein-Sonate verklang. Thomas Burger verharrte einen winzigen Moment, um dann mit einem strahlenden Lächeln aufzustehen und den Applaus des Publikums, das bis zum Schluß andächtig gelauscht hatte, entgegenzunehmen. Dankend nahm er den Blumenstrauß in Empfang, den eine Verehrerin ihm auf die Bühne hinaufreichte. Der junge Konzertpianist verbeugte sich und bezog mit einer Handbewegung die Mitglieder des Symphonieorchesters ein, das ihn begleitet hatte.
Dieser Konzertabend war der glanzvolle Abschluß einer Tournee, die den Künstler durch mehrere Städte Europas geführt hatte.
Noch zweimal holte der tosende Beifall Thomas auf die Bühne zurück, bevor er endlich, müde und erschöpft, Frack und Fliege ablegen konnte. Alberto Moreno, Thomas’ Agent, reichte ihm ein Glas Champagner.
»Du warst, wie immer, großartig«, sagte der Italiener. »In allen Kulturbeilagen der Tageszeitungen werden sie von dir berichten. Du bist auf dem Höhepunkt deiner Karriere. Jedes Konzerthaus reißt sich um dich. Ich habe Anfragen aus New York, Chicago und Rio. Du kannst jede Gage verlangen.«
»Im Moment verlange ich nur meine Ruhe«, entgegnete der Dreißigjährige. »Für die nächste Zeit will ich keinen Konzertsaal mehr sehen. Die Tournee war anstrengend, und ich möchte nur noch Urlaub haben.«
»Natürlich«, gab Alberto mit einem Nicken zurück. »Das kann ich verstehen. Aber, wir dürfen auch nicht zuviel Zeit bis zum nächsten Engagement verstreichen lassen. Jetzt wollen die Leute dich spielen hören.«
Thomas legte ihm den Arm auf die Schulter. Alberto Moreno hätte sein Vater sein können, und so ähnlich war auch die Freundschaft, die die beiden Männer verband. Der junge Pianist wußte, was er dem »alten Hasen« im Musikgeschäft verdankte.
»Du kannst mir noch soviel Zucker aufs Brot streuen«, lachte er. »Überreden wirst’ mich net.«
»Mama mia! Hör’, um Himmels willen, mit diesem fürchterlichen Dialekt auf.«
Alberto verdrehte die Augen.
»Du redest ja wie ein Bauer.«
»Was glaubst’ denn wohl«, erwiderte Thomas. »Ich komm ja aus einer Bauernfamilie. Mei’ Großvater war einer, der Vater ebenso, und mei’ Bruder hat den Hof übernommen. Bauer sein, ist ein ehrenwerter Beruf.«
»Das bestreite ich ja gar nicht. Aber du bist keiner. Du bist einer der berühmtesten Konzertpianisten der Welt, und mir stellen sich die Haare auf, wenn ich dich so sprechen höre.«
»Na ja«, meinte der Pianist und schielte anzüglich auf den schmalen Haarkranz, der sich um den sonst kahlen Schädel seines Agenten zog, »soviel gibt’s ja net, was sich da aufstellen könnt’.«
»Du bist und bleibst ein frecher, großer Junge«, schimpfte der Ältere. »Los, zieh’ dich um. Die anderen warten schon. Das Orchester gibt einen Abschiedsempfang für dich. Außerdem habe ich großen Hunger.«
»Okay, ich beeile mich.«
»Wo wirst du deinen Urlaub verbringen?« fragte Alberto, als sie auf dem Weg in den Saal waren, in dem der Empfang stattfand.
Thomas Burger atmete tief ein.
»In der schönen Welt der bayerischen Alpen«, antwortete er. »Ich fahre nach Sankt Johann.«
»Sankt was…?«
Thomas knuffte den anderen freundschaftlich, der natürlich wußte, daß der junge Pianist aus dem Alpendörfchen stammte.
»Tu’ net so«, sagte er. »Du hast mich genau verstanden, net wahr. Also, unterlass’ deine Anspielungen auf meinen Heimatort. Sonst könnt’s sein, daß i’ mir einen and’ren Agenten such’.«
Alberto zog ein Gesicht.
»Mach’, was du willst«, erwiderte er und rang verzweifelt die Hände. »Aber tu’ mir einen Gefallen und red’ deutsch mit mir!«
*
Andrea Hofer lag mit verträumten Augen auf dem Liegestuhl, der auf der Wiese hinter dem Bauernhaus stand. Das dunkelhaarige Madel hatte Kopfhörer aufgesetzt, die mit einem tragbaren CD-Player verbunden waren, der neben ihr lag. Hingerissen lauschte sie dem Klavierspiel. Dabei stellte sie sich vor, wie sie in der ersten Reihe des Konzertsaales saß, und oben, auf der Bühne, stand ein großer schwarzer Flügel, mit einem schmalen Hocker davor, auf dem er Platz genommen hatte.
Ganz deutlich konnte sie sein Gesicht sehen. Die dunkelblonden Haare mit der Tolle, die ihm immer wieder ins Gesicht fiel, die rauchblauen Augen und der lächelnde Mund.
Genauso hatte er sie angesehen, damals, als er von ihr Abschied nahm. Zwölf Jahre war es jetzt her. Thomas war achtzehn gewesen und Andrea siebzehn. In Tränen aufgelöst, hatte sie dem Zug nachgeschaut, der ihn nach München ins Konservatorium brachte. Zuerst waren noch regelmäßig Briefe gekommen, in denen der angehende Pianist von der Ausbildung und seinen Fortschritten berichtete. Doch mit der Zeit wurden sie immer spärlicher, reduzierten sich, von drei Briefen im Monat, erst auf zwei, dann auf einen, und irgendwann blieben sie schließlich ganz aus.
Lange Zeit hörte Andrea gar nichts mehr von ihm, dabei hatten sie sich doch ewige Liebe geschworen. Dann, eines Tages, bekam das Madel zufällig eine Zeitschrift in die Hände, in der ein Artikel über Thomas Burger stand, der ein gefeiertes Debüt als Pianist gegeben hatte.
Andrea schnitt den Artikel aus und legte ihn in eine Mappe. Im Laufe der Zeit sammelte sie alles, was über Thomas zu lesen war – Konzertberichte, Kritiken, Preise und Auszeichnungen, die das junge Talent einheimste. Und tat es auch weh, nur noch aus Zeitungsausschnitten etwas über den Geliebten zu hören und zu wissen, daß er sie wohl längst vergessen hatte – Andrea wurde nicht müde, diese Ausschnitte zu sammeln und akribisch zu ordnen. Mit den Jahren wurde so ein dicker Ordner daraus, der in ihrem Zimmer, in einem Regal über dem Bett, stand. So manchen Abend hatte sie die Sammlung zur Hand genommen und darin geblättert, während sie der Musik lauschte. Seiner Musik, versteht sich, die sie sich von ihrem Erspartem gekauft hatte.
Ja, zuerst hatte es sehr weh getan. Doch inzwischen überwog der Stolz. Andrea freute sich über jeden seiner Erfolge, und vielleicht würde er ja irgendwann, eines schönen Tages zurückkommen…
»Na, träumst schon wieder?« wurde das junge Madel unsanft in die Wirklichkeit zurückgeholt.
Ihre Mutter stand neben dem Liegestuhl und hatte ihr die Kopfhörer heruntergezogen. Walburga Hofer war eine resolute Mittvierzigerin, die uneingeschränkt über den Berghof regierte. Selbst Anton, ihr Mann, kuschte vor der drallen Bäuerin, die einst, in jungen Jahren, als Magd auf den Hof gekommen war.
»Nun schaust aber, daß du die Bohnen pflückst«, sagte sie zu ihrer Tochter. »Anschließend holst die Eier aus dem Hühnerhof. Morgen kommt der Franz Hochanger mit seiner Mutter zum Kaffee. Da kannst gleich nachher noch einen Napfkuchen backen.«
»Ja, Mutter«, antwortete Andrea gehorsam und sprang auf. »Aber den Kuchen für den Franz, den versalz’ ich.«
Sie wußte nur zu gut, was dieser Bursch zu bedeuten hatte – während die beiden Mütter sich bei Kaffee und Kuchen unterhielten, scharwenzelte Franz um Andrea herum und versuchte, sie zum Tanzabend in den Löwen einzuladen. Seit zwei Jahren umwarb er sie jetzt schon, doch das junge Madel hatte jeden seiner Anträge standhaft abgewiesen.
»Ich weiß gar net, was du willst«, schimpfte die Mutter. »Beim Hochanger hättest’ dein geregeltes Auskommen, und der Franz ist doch ein fescher Bursche. Seine Eltern würden sich sofort aufs Altenteil zurückziehen, wenn du ihn endlich heiraten tät’st. Bist ja schließlich auch net mehr die Jüngste!«
Burgl Hofer schüttelte den Kopf. Sie verstand das Madel wirklich nicht.
»Ach geh, Mutter, wann ich heirat’, das bestimm’ ich