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Unsere besten Morde im Februar 2023: 7 Strand Krimis
Unsere besten Morde im Februar 2023: 7 Strand Krimis
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eBook1.106 Seiten12 Stunden

Unsere besten Morde im Februar 2023: 7 Strand Krimis

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Über dieses E-Book

Unsere besten Morde im Februar 2023: 7 Strand Krimis

von Alfred Bekker, Thomas West, Earl Warren

 

 

 

Dieses Buch enthält folgende Krimis:

 

Thomas West: Jesse Trevellian und der tote Ermittler

Alfred Bekker: Feuer und Flamme

Thomas West: Die zur Hölle fahren

Alfred Bekker: Tod in Tanger

Alfred Bekker: Die programmierten Todesboten

Alfred Bekker: Mörderpost

Earl Warren: Bount Reiniger und das Alligatorfutter

SpracheDeutsch
HerausgeberAlfred Bekker
Erscheinungsdatum22. Feb. 2023
ISBN9798215539866
Unsere besten Morde im Februar 2023: 7 Strand Krimis
Autor

Alfred Bekker

Alfred Bekker wurde am 27.9.1964 in Borghorst (heute Steinfurt) geboren und wuchs in den münsterländischen Gemeinden Ladbergen und Lengerich auf. 1984 machte er Abitur, leistete danach Zivildienst auf der Pflegestation eines Altenheims und studierte an der Universität Osnabrück für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen. Insgesamt 13 Jahre war er danach im Schuldienst tätig, bevor er sich ausschließlich der Schriftstellerei widmete. Schon als Student veröffentlichte Bekker zahlreiche Romane und Kurzgeschichten. Er war Mitautor zugkräftiger Romanserien wie Kommissar X, Jerry Cotton, Rhen Dhark, Bad Earth und Sternenfaust und schrieb eine Reihe von Kriminalromanen. Angeregt durch seine Tätigkeit als Lehrer wandte er sich schließlich auch dem Kinder- und Jugendbuch zu, wo er Buchserien wie 'Tatort Mittelalter', 'Da Vincis Fälle', 'Elbenkinder' und 'Die wilden Orks' entwickelte. Seine Fantasy-Romane um 'Das Reich der Elben', die 'DrachenErde-Saga' und die 'Gorian'-Trilogie machten ihn einem großen Publikum bekannt. Darüber hinaus schreibt er weiterhin Krimis und gemeinsam mit seiner Frau unter dem Pseudonym Conny Walden historische Romane. Einige Gruselromane für Teenager verfasste er unter dem Namen John Devlin. Für Krimis verwendete er auch das Pseudonym Neal Chadwick. Seine Romane erschienen u.a. bei Blanvalet, BVK, Goldmann, Lyx, Schneiderbuch, Arena, dtv, Ueberreuter und Bastei Lübbe und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.

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    Buchvorschau

    Unsere besten Morde im Februar 2023 - Alfred Bekker

    Unsere besten Morde im Februar 2023: 7 Strand Krimis

    von Alfred Bekker,  Thomas West, Earl Warren

    ––––––––

    Dieses Buch enthält folgende Krimis:

    Thomas West: Jesse Trevellian und der tote Ermittler

    Alfred Bekker: Feuer und Flamme

    Thomas West: Die zur Hölle fahren

    Alfred Bekker: Tod in Tanger

    Alfred Bekker: Die programmierten Todesboten

    Alfred Bekker: Mörderpost

    Earl Warren: Bount Reiniger und das Alligatorfutter

    Copyright

    Ein Cassiopeiapress Buch: CASSIOPEIApress, UKSAK E-Books, Alfredbooks und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

    © by Author /

    COVER A.PANADERO

    © dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekkerCassiopeiapress,

    Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

    Alle Rechte vorbehalten.

    www.AlfredBekker.de

    postmaster@alfredbekker.de

    Jesse Trevellian und der tote Ermittler

    Krimi von Thomas West

    Der Umfang dieses Buchs entspricht 115 Taschenbuchseiten.

    Ein Bandenkrieg versetzt das FBI in Alarmbereitschaft. Nachdem bei einem verdeckten Einsatz ein Kollege getötet wird, muss Jesse Trevellian selbst in den Undercover-Einsatz. Zwei Banden liegen im Krieg um das einträgliche Geschäft des Drogenhandels und anderer Verbrechen. Jede Sekunde kann auch der FBI-Agent auffliegen. Ein tödliches Spiel beginnt...

    Copyright

    Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.

    © by Author

    © dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

    Alle Rechte vorbehalten.

    www.AlfredBekker.de

    postmaster@alfredbekker.de

    1

    Chester Bowlings setzte den Blinker und bog von der Hamilton Avenue nach rechts in einen vollgestopften Parkplatz ein. Gleich in der ersten Parkreihe entdeckte er den Van der Kollegen.

    Er ließ seinen fabrikneuen Siebener-BMW kreuz und quer durch die Blechkolonnen auf dem ehemaligen Fabrikgelände rollen, bis er endlich einen Parkplatz fand.

    Er zog den Zündschlüssel ab. Durch die Windschutzscheibe blickte er über die Wagendächer hinüber zu dem alten vierstöckigen Backsteingebäude. Old Factory verkündeten die grellbunten Neonbuchstaben auf dem Flachdach. Der Abendwind wehte dumpfe Bassbeats durch Bowlings offene Seitenfenster. Menschen strömten durch die Parkreihen auf den Eingang der alten Fabrik zu.

    Früher, als Sunset Park noch eine blühende Industrielandschaft war, wurden hier Textilien produziert. Heute traten Newcomer-Bands in der Fabrikhalle auf. Und in nicht einmal vierzig Minuten würde die Hölle in dem hässlichen Gemäuer losbrechen.

    Chester Bowlings drückte einen Knopf auf der Mittelkonsole. Summend stiegen die Seitenfenster aus der Tür. „Okay, ich hab′ euch gesehen – es kann losgehen.‟

    Ein zufälliger Beobachter hätte ihn vielleicht für einen Spinner gehalten, der mit sich selbst oder den Trugbildern seines kranken Hirnes redete. Aber Chester Bowlings war alles andere als ein Spinner. Und er neigte auch nicht zu Selbstgesprächen.

    Der hochgewachsene Mann strich sich eine Strähne seines langen, blonden Haares aus dem braungebrannten Gesicht und stülpte sich einen breitkrempigen, schwarzen Lederhut auf den Kopf.

    Die schrille Musik aus der Fabrik schwoll an, als er die Wagentür öffnete. Er betätigte die Zentralverriegelung und ging mit großen Schritten auf den Eingang zu. Die hohen Absätze seiner Cowboystiefel knallten auf den Asphalt. Mit routiniertem Griff zauberte er eine Sonnenbrille aus seinem Jackett und setzte sie auf.

    Wenn alles glatt lief, würde sein Job hier in New York City in ein paar Tagen erledigt sein. Vielleicht schon morgen früh. Und dann nichts wie nach Hause. Zurück nach L.A. Zurück zu Weib und Kind. Zu Motorrad und Surfbrett.

    Hing ganz von Tendall, diesem windigen Hund ab. Bowlings hatte sich in geduldiger Kleinarbeit bis zu dem Dealer herangearbeitet. Keines der großen Tiere, weiß Gott nicht! Aber auch kein ganz kleines.

    Die Narcotics Division des New York City Police Departments lagen konkrete Hinweise vor, dass Bobby Tendall direkten Kontakt zur Spitze der Drogenmafia in Brooklyn hatte. Und das FBI hoffte, dass ihm über Bowlings Kontakt zu dem Dealer in dicker Fisch des organisierten Verbrechens ins Netz ging.

    Bowlings hatte eine Menge Heroin bei Tendall bestellt. Mehr als eine mittlere Nummer wie Bobby Tendall organisieren konnte. Das ungefähr war der Hintergrund der Show, die er heute Abend in der Old Factory abziehen wollte.

    Die Ordner am Einlass musterten ihn misstrauisch. Am finstersten guckte ein schmalgesichtiger Schönling mit blauschwarzen Haaren. An jedem Finger ein Ring, weiße Leinenhosen, weißes Muskelshirt und ein Goldkettchen um den Hals. Das Kreuz daran versank im schwarzen Brusthaar.

    Chester Bowlings kannte den Mann flüchtig. Ein Kollege. Den Namen konnte er sich nicht merken. Hatte irgendwie indianisch geklungen.

    Umständlich fischte er ein paar Banknoten aus seinen engen Lederhosen und bezahlte das Eintrittsgeld. Dann der obligatorische Stempel auf den Handrücken, und hinein ins Vergnügen.

    Ein farbenprächtiges Gewitter tobte in der alten Fabrikhalle: Grellbunte Blitzte zuckten aus der Beleuchtungsanlage, dröhnende Bassrhythmen donnerten aus den mannshohen Boxen.

    Sechs schwarze Jungs auf dem Volleyball-Platz-großen Holzpodest: Einer bearbeitete verbissen die Klaviatur seines Keyboards, einer bediente in stoischer Ruhe den Bass, ein Dritter prügelte auf die Trommeln des Schlagzeuges ein, und drei drängten sich vor dem Mikrofon zusammen und bellten ihren Frust in die Zwanzigtausend-Watt-Anlage.

    Vor der Bühne krümmte und schüttelte sich eine wogende Menschenmasse. Die violetten, roten oder weißen Blitze prasselten auf sie herab wie Peitschenhiebe.

    Chester Bowlings nahm die Sonnenbrille ab und versuchte sich zu orientieren. Gar nicht einfach in dem unübersichtlichen Getümmel. Rechts, nicht weit vom Eingang entfernt, hatten sie eine Bar improvisiert. Aus Holzbohlen, Metallböcken und alten Fässern.

    Auf einem der Fässer schon wieder ein Kollege. Dessen Namen kannte Bowlings – Milo Tucker. Sie hatten ein paar gemeinsame Kurse in Quantico belegt. Prächtiger Bursche.

    Links im Halbdunkel mehrere Türen. Die Toiletten. Dort irgendwo war er mit Bobby Tendall verabredet.

    Chester Bowlings arbeitete sich durch die Menschenmenge auf den Toilettentrakt zu. Die schlaksige Gestalt des Dealers lehnte lässig an der Wand vor der Damentoilette. Er trug einen alten schwarzen Stetson. Auch Hosen und Trenchcoat in den traditionellen Farben der Dealer. Schwarz – die Leuchtfarbe der Junkies. Jedenfalls in den guten alten Zeiten.

    Bowlings schob sich an ihm vorbei. Ein paar Schritte vor ihm blieb er stehen und schaute gelangweilt zur Bühne, über die zuckenden Leiber davor und zurück zum Eingang. Wie zufällig begegneten sich ihre Blicke.

    Das Schwarz seiner Klamotten betonte die Blässe von Tendalls Gesicht. Bleich wie ein Vampir wirkte der Dealer. Ein Stein glitzerte im Ohrläppchen hinter seinen dichten Koteletten, ein kleiner Goldring in seinem Nasenflügel.

    Chester Bowlings schätzte ihn nicht älter als Ende zwanzig. Doch mit den schwarzen Schatten unter den Glubschaugen und den tief eingekerbten Falten zwischen Nasenrücken und Mundwinkel sah er aus wie ein alter, kranker Mann.

    Bowlings nahm an, dass er selbst an der Nadel hing.

    Tendall nickte kurz. Weiter nichts.

    Chester Bowlings wandte sich ab und schlenderte der Tür mit dem Gentleman-Symbol entgegen. Mit einer gleichgültigen Geste zog er eine Schachtel Camel aus der Jackentasche und steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen ...

    2

    Diesmal hatte es Clive und mich erwischt: Eingepfercht in einen Van koordinierten wir den Einsatz in der ehemaligen Textilfabrik. Ein Spezialfahrzeug, vollgestopft mit elektronischem Gerät.

    Der Kopfhörer vermittelte mir nur einen blassen Eindruck von dem Musikfeuerwerk in der Old Factory: Undeutlich der Rap, dumpf die Bässe, verwaschen die Musik.

    Heiser und gepresst im Vordergrund: Die Stimme meines Partners. „Chester hat jetzt Kontakt zu unserem Mann aufgenommen.‟

    „Verstanden.‟ Ich versuchte, mir Milo in dem Spektakel da drin vorzustellen. Wie er an der Bar hockte, sich an einem Glas Cola festhielt, und so tat, als würde er das eine oder andere Mädchen beobachten.

    „Wie ist die Stimmung da drin?‟, wollte Clive wissen.

    „Ziemlich aufgekratzt‟, sagte Milo. „Eine Menge Jungvolk.‟

    Nicht zuletzt wegen dieses Jungvolks waren hierher nach Sunset Park gekommen. Dollar gierige Mobster erweiterten seit Monaten im abgehalfterten Industriegebiet Westbrooklyns den Absatzmarkt für ihre Gifte. Die Old Factory war nur ein Umschlagplatz unter vielen.

    Clives und mein Job war es, hier in diesem Van zu schwitzen. Zwischen Empfangsgeräten, Tastaturen und Monitoren. Niemand hatte sich um den Part gerissen. Auch Clive und ich nicht. Wir hatten gelost.

    Clive und ich hatten den Kürzeren gezogen. Egal. Jemand musste den Job machen. Außerdem kamen wir auf diese Weise mal wieder dazu, das Knowhow zu vertiefen, das wir in etlichen Kursen über Rundfunkelektronik und Kommunikationstechnik inhaliert hatten.

    „Sie gehen jetzt zu den Toiletten.‟ Wieder Milos Stimme. „Chester hat sich eine Zigarette in den Mund gesteckt. Der Kerl steigt also auf den Deal ein.‟

    Die Kippe war das vereinbarte Zeichen.

    Und der Kerl war Bob Tendall, einer von vielen Burschen in dieser Gegend von Brooklyn, die sich ihren Lebensunterhalt mit Crack, Koks und Heroin zusammen dealten.

    Und Chester Bowlings war Undercover-Agent. Wir hatten ihn aus L.A. einfliegen lassen. Vom dortigen FBI District Office ausgeliehen, wenn man so will. Der Mann war Spezialist für genau das Milieu, in dem Leute wie Bobby ihren Markt bedienten.

    Clive griff zum Mikro und informierte die anderen. Leslie Morell und Jay Kronburg, die den Parkplatz vor der Factory überwachten. Und Medina – er drückte sich im Eingangsbereich der Fabrik herum und machte einen auf Ordner. Ein Polizeispitzel aus der Lower East Side hatte ihm den Job besorgt.

    „Ihr könnt jetzt auf Empfang gehen.‟ Wieder Milos Stimme.

    Ich wechselte die Frequenz und schaltete den Empfänger ein. Chesters Stimme drang aus dem Lautsprecher. „Wann krieg ich die Süßigkeiten?‟

    Und die seines Kontaktmannes. „In zwei Tagen. Auf mich kannst du dich verlassen, Alter ...‟

    Die Ingenieure des Offices hatten Chester einen Kugelschreiber verpasst. Spezialausführung mit Mikrofon. Steckte in der Brusttasche seines Jacketts.

    „Ich hab′ dir zehn Gramm mitgebracht.‟ Immer noch Tendalls Stimme. „Damit du siehst, dass wir erstklassige Ware liefern können.‟

    Wir waren durch einen V-Mann auf Tendall gestoßen. Einen Junkie mit einer „confidential informant‟-Nummer. Hunderte aus dem kriminellen Milieu waren mit so einer Nummer in unseren Datenbanken registriert.

    Wer ein bisschen schlau war, ließ ab und zu ein paar Informationen über die Kollegen durchsickern. Und kassierte dafür Strafmilderung, wenn′s mal brenzlig werden sollte. Irgendwie mussten Polizei und FBI sich ja auf dem Laufenden halten über das, was auf der Straße abging.

    Der gute Bobby war nichts Besonderes. Auch wenn er dazu neigte, sich dafür zu halten. Allerdings schien er einen heißen Draht zu Leuten zu halten, die etwas Besonderes waren. Leute, die ganz oben in der Hierarchie des organisierten Verbrechens standen.

    Um solche dicken Fische ging es uns. Um die Hechte und Haifische der Branche. Nicht um Sardellen wie Bobby.

    Clive rief die Zentrale an, um den Chef auf dem Laufenden zu halten. Ich schaltete das Aufnahmegerät ein und nahm das Gespräch zwischen Chester und Bobby Tendall auf ...

    3

    Er lehnte neben dem Feuerlöscher vor der eisernen Flügeltür zur Fabrikhalle. Die drei Kollegen an der Wand gegenüber hockten auf dem schmutzig-grauen Estrich und würfelten um Quarters. Selbst hier draußen verstand man kaum sein eigenes Wort, solange die sechs Exoten da drin auf der Bühne ihre Show abzogen.

    Der Job war Routine für Medina. Was hatte er als Special Agent nicht schon alles für Maskeraden getragen: Fischhändler in Chinatown, Penner in der Grand Central Station, Parkwächter in der Downtown – warum also nicht mal Ordner bei einem Rap-Konzert in Sunset Park?

    Er ließ sich die Eintrittskarten der Gäste oder den Stempel auf ihren Handrücken zeigen. Gestalten darunter, die vermummt und geschminkt waren, wie Kinder an Halloween. Er warf Randalierer hinaus, und Leute, denen das Messer oder die Faustfeuerwaffe gar zu auffällig das T-Shirt ausbeulten.

    Der Walkman am Gürtel seiner weißen Hose war kein Walkman, und aus den Kopfhörern in seinen Ohren drang keine Musik. Dafür hörten die Kollegen jedes Wort mit, das er sprach.

    Leslie und Jay auf dem Parkplatz, Jesse und Clive vor der Elektronik und Milo irgendwo im Gewimmel hinter der Tür. Und er konnte hören, was sie ihm zu sagen hatten.

    So wie jetzt zum Beispiel.

    „Merkwürdiger Besuch, Orry – halt die Ohren steif.‟ Jay Kronburgs knurrige Stimme.

    Orry zog eine Zigarette aus seiner Hemdtasche. Er beobachtete die anderen Ordner, während er sie anzündete. „Wie viel?‟, flüsterte er. Der große Stein an am Ring seines rechten Mittelfingers sah nur aus wie ein synthetischer Edelstein.

    „Vier kommen durch den Haupteingang‟, diesmal Leslie Morell. „Aber ein gutes halbes Dutzend geht hinter die Fabrik.‟

    „Gefällt mir nicht.‟ Clives Stimme. „Wir geben der Federal Plaza einen Wink.‟

    Orry sah vier Männer die Vortreppe hochsteigen. Die anderen Ordner ließen ihre Würfel fallen und sprangen auf, Orry stieß sich von der Wand ab – die Männer sahen nicht so aus, als würden sie auf Rap stehen.

    Sie waren älter, als die meisten Leute da drinnen hinter den Eisentoren. Und sie trugen andere Klamotten – cremefarbene Sommeranzüge der kleine, drahtige Schwarze und der massige Weiße. Und Lederjacken über weißen Leinenhosen die beiden Latinos.

    Orry beschloss, sich zurückzuhalten. Es roch nach Ärger.

    Die Latinos kümmerten sich nicht die Bohne um die Ordner. Als wären Orry und die drei anderen Luft, steuerten sie das metallene Portal an.

    „Eintrittskarten, ihr Wichser!‟, bellte einer der Ordner. Orry war mit drei Schritten vor der Tür und pflanzte sich vor den Lederjacken auf. Der erste der beiden kaffeebraunen Burschen reagierte ohne Umweg über seine grauen Zellen – blitzschnell holte er aus.

    Aber Orry war noch flotter: Der rechte Haken, der ihm zugedacht war, donnerte gegen die Tür. Ächzend sank sein Absender auf den Estrich, als Orrys Faust sich ihm in die Magengrube bohrte.

    Schneller als Orry gucken konnte, hatte der zweite Latino ein Messer aus seiner Jacke gezaubert. Ein Bursche mit dem Gesicht eines Totschlägers. Eine quastige Narbe überwucherte fast ganz seine linke Braue. Auch über seine rechte Wange zog sich eine Narbe. Fast bis zu seinem Hals hinunter.

    Als würde er auf ein Kommando warten, spähte der Messermann aus den Augenwinkeln zu den Burschen in den Anzügen rechts hinter ihm. Die standen in Angriffshaltung vor Orrys verdatterten Ordner-Kollegen. Der kleine Schwarze hielt plötzlich einen kurzläufigen Revolver in der Hand.

    Der bullige Weiße entspannte sich. „Wir sind Freunde des Hauses‟, grinste er und breitete die leeren Handflächen aus. „Oder werden es bald sein.‟

    Er zog ein paar Geldscheine aus der Jackentasche seines viel zu engen Anzuges. „Und wenn es so weit ist, könnte es sich für euch lohnen, unsere Freunde zu sein.‟

    Orrys Kollegen fackelten nicht lange. Sie steckten das Geld ein und hockten sich wieder zu ihren Würfeln und Münzen. Der zu Boden gegangene Mann rappelte sich auf und durchbohrte Orry mit feindseligen Blicken.

    Der Weiße hielt immer noch eine Zwanzig-Dollar-Note in der ausgestreckten Hand. Orry nahm sie, ohne den Blick von den beiden Latinos zu wenden. Bissige Hunde sollte man nie aus den Augen zu lassen.

    „Kann sein, wir brauchen noch Leute wie dich‟, sagte der Schwerathlet im Sommeranzug. Orry fiel der blaue Siegelring an seiner rechten Hand auf. Der John-Wayne-Verschnitt stank nach Whisky, und die Marlboro, die er sich jetzt aus der Hemdtasche angelte, steckte er in ein weißes Mundstück. Elfenbein, schätzte Orry. Die rosige Haut des Mannes war von alten Pockennarben übersät.

    Der hagere Schwarze stand die ganze Zeit schweigend dabei und musterte Orry aus lauernden, schmalen Augen. Orry steckte die Dollars ein.

    „Warum nicht?‟ Er zuckte mit den Schultern.

    Der Latino mit dem vernarbten Totschlägergesicht ließ sein Messer verschwinden, half seinem Kollegen auf die Beine, und die vier Männer verschwanden im Inneren der Old Factory.

    Die würfelnden Kollegen grinsten zu Orry hoch.

    „Gute Reaktion, Kumpel‟, sagte der eine.

    „Und gutes Geschäft‟, der andere. Sie wandten sich wieder ihrem Zeitvertreib zu.

    Orry ging die Vortreppe hinunter und ein paar Schritte in den Parkplatz hinein. Karosse an Karosse glänzte in der Flutlichtbeleuchtung. Hunderte von Fahrzeugen. „Mitgehört?‟, zischte er in den dicksten seiner Ringe.

    „War deutlich genug.‟ Jays Stimme aus dem Ohrknopf. „Klingt nach handfesten Geschäftsinteressen.‟

    „Sie sind bewaffnet‟, sagte Orry leise, „Revolver und Messer.‟

    „Sieht aus, als wollte hier jemand um Marktanteile kämpfen.‟ Jesses Kommentar aus dem Kommunikationszentrum.

    „Sie haben die Dealer im Eingangsbereich angesprochen.‟ Milo schaltete sich ein. „Nicht besonders höflich. Einer liegt schon am Boden. Die Latinos steuern die Toiletten an.‟

    „Ich ruf′ den Chef an.‟ Clives Stimme. „Könnte sein, dass Chester unsere Hilfe braucht. Verstärkung muss her ...‟

    4

    Chester Bowlings untersuchte das weiße Pulver. „Scheint okay zu sein.‟ Er drehte sich und gab Bobby das Zeug zurück. „Quanta costa?‟ Ohne den anderen eines Blickes zu würdigen, ging er zu einem der Pissoirs und zog den Reißverschluss seiner Lederhose herunter.

    „Das Geschäft kann ich nur vermitteln‟, sagte der Dealer. „Auch die Preisverhandlung will mein Händler selbst führen.‟

    Chester pinkelte seelenruhig. Innerlich jubelte er. Tendall hatte angebissen! Und der nächstgrößere Fisch schien auch schon an der Angel zu hängen!

    Er drückte die Spüle und wandte sich um.

    „Schon klar, Bobby‟, er sprach gedehnt und leise, als würde die Gegenwart Tendalls ihn anöden. „Aber ich hab’s eilig. Wenn mir das Geschäft durch die Lappen geht, seh′ ich ziemlich alt aus, wenn du verstehst, was ich meine ...‟

    Im Spiegel sah er Tendall eifrig nicken.

    „Wann also seh′ ich deinen Mann?‟ Er wusch sich die Hände. „Und wo sehe ich ihn?‟

    „Morgen, von mir aus.‟ Das fahle Gesicht des Dealers wirkte zufrieden. „Kennst du Tennessee′s?‟

    Chester Bowlings trocknete sich die Hände ab und schüttelte den Kopf. „Diese irische Kneipe in ...‟

    Die Toilettentür wurde aufgestoßen. Zwei lateinamerikanisch aussehende Männer in schwarzen Lederjacken und weißen Leinenhosen stürmten herein. Ehe Bobby begriff, was los war, wurden ihm die Tüten mit dem Stoff aus der Hand gerissen.

    „Fick dich!‟, brüllte Bobby und holte zum Schlag aus. Im nächsten Moment rissen die beiden Kaffeebraunen Messer und Colt aus ihren Jacken.

    „Cool bleiben, Junge!‟ Der mit dem Colt schwenkte seinen Schussarm zwischen Chester und Tendall hin und her. Der Messerheld schien der Wortführer zu sein. „Jetzt spitzt mal schön eure Ohren, ihr Saftärsche!‟

    Er sah aus, als würde er öfter mal mit Klingen herumfuchteln: Über seine rechte Wange zog sich eine feine Narbe. Und die Hälfte seiner linken Augenbraue fehlte. An ihrer Stelle wölbte sich wulstiges Narbengewebe. „Ich geh′ mal davon aus, dass ihr noch ein Weilchen leben wollt!‟ Sein böses Grinsen machte den Kerl um keine Spur sympathischer.

    Chesters Dienstwaffe steckte unter seiner Hose im Stiefel. Zu weit weg, falls es ernst werden sollte. Konflikt verbal entschärfen – die einzige Taktik, die angesagt war. Vorausgesetzt, man hing am Leben. Und das tat Chester Bowlings. Wie gesagt – in L.A. warteten Weib und Kind und Motorrad und so weiter auf ihn.

    „Alles klar, Leute‟, beschwichtigte er und versuchte ein Grinsen. „Nehmt die Spritze runter – mit uns kann man reden.‟

    „Hör′ ich gern, Kumpel‟, der Messermann musterte ihn aus schmalen, samt-braunen Augen. Etwas Erbarmungsloses lag in seinem Blick.

    Kein Grund für Chesters Nackenhaare, den Aufstand zu proben. Als Cop kannte er die ganze Menagerie menschlicher und weniger menschlicher Typen. Dieser hier war ein Angstbeißer. Die krampfhafte Art, wie er sich an seinem Messer festhielt, das maskenhafte Grinsen, die abgehackte Art, wie er sprach: Sei arrogant, mach ihn unsicher, verstärk′ seine Angst, und er beißt zu, und zwar tödlich. Gib zu verstehen, dass du ihn respektierst, vermittel′ ihm das Gefühl, dass er der Chef ist und alles unter Kontrolle hat – und du hast eine Chance. So ein Typ war das.

    „Hör′ ich sehr gern‟, wiederholte der Narbige. „Aber wir bestimmen die Verhandlungsbedingungen gern selbst.‟

    Chester hatte das Gefühl, dass sich der Bursche ein wenig entkrampfte. „Ihr habt den Finger am Drücker‟, er setzte ein säuerliches Grinsen auf. „Da kann man schon mal 'ne Lippe riskieren. Aber keine Sorge – wir sind ganz Ohr.‟

    „Du redest ein bisschen viel, Kumpel‟, der Latino fuchtelte mit dem Messer und machte einen Schritt auf Chester zu. „Wohl die Hosen voll, was? Eure Geschäfte in diesem Laden sind gelaufen, klar? Ihr verpisst euch – oder‟, er legte eine Kunstpause ein, „oder ihr sagt euren Händlern, dass ihr 'ne bessere Quelle gefunden habt. Im Klartext: Ihr verkauft, was wir euch liefern, oder gar nichts!‟

    „Moment mal!‟, brauste Bobby auf. „Ich hab′ Verträge laufen! Ich denk′ nicht im Traum dran, mir die Kampfhunde meiner Partner an die Kehle einzuladen!‟

    Der Messerheld funkelte ihn an. „Was du nicht sagst!‟ Er flüsterte fast. Und diesmal reagierten Chesters Nackenhaare. Bobby, dieser Idiot, spielte mit seinem Leben und wusste es nicht.

    Der Blick des Latinos schien ihn wach zu rütteln. „Ich meine, ich weiß ja nicht mal, ob euer Stoff clean ist.‟ Bobbies Stimme klang schon wesentlich leiser, und er verzerrte sein Gesicht zu einer Miene, die wahrscheinlich „Frieden‟ signalisieren sollte.

    „Und was ich davon hab′, wenn ich die Fronten wechsle, weiß ich auch nicht‟, sagte er. „Arbeitet ihr für den Indio, oder wie?‟

    „Hörst du, Roman?‟ Der Messermann wandte sich leicht zu seinem Revolverträger um. „Unser Freund will wissen, was er davon hat, wenn er unsere Ware unter die Leute bringt.‟ Sein Blick traf Chester. „Interessiert dich das auch, Kumpel?‟

    Chester nickte langsam. Irgendwie schien die Sache hier aus dem Ruder zu laufen. „Interessiert mich auch, kann man so sagen.‟

    „Erklär′n wir’s ihnen, Tonio‟, knurrte der Typ mit dem Colt.

    Der Messermann kramte einen Quarter aus seiner Jackentasche. Er hielt ihn in Augenhöhe von sich gestreckt. „Kopf oder Zahl?‟ Sein Grinsen wurde bitterböse, und Chester ahnte nichts Gutes.

    „Kopf‟, sagte Chester, „aber erklär′ mir erst mal die Spielregeln.‟

    Der Latino ignorierte das. „Du hast Zahl‟, flüsterte er dem verstummten Bobby zu. Dann warf er die Münze in die Luft. Sie fiel auf die Fliesen, der Bursche trat drauf.

    „Jetzt sind wir aber gespannt, was?‟ Langsam nahm er seinen verdreckten Turnschuh von der Münze. Zahl.

    Chester starrte die Münze an und versuchte zu begreifen.

    „Du hast gewonnen.‟ Der Latino grinste Tendall an. „Wir zeigen dir jetzt, was du bekommst, wenn du unsere Ware verkaufst.‟ Er gab seinem Partner einen Wink mit dem Messer. „Oder besser: Was dir erspart bleibt. Und erzähl′s hübsch weiter, ja?‟

    Bobby Tendalls Gesichtshaut nahm Farbe vergilbten Papiers an. Entsetzt und mit schlotternden Knien starrte er Chester an. Dabei wäre es an dem gewesen, zu schlottern: Der Revolvermann legte nun auch die linke Hand um den Griff seiner Waffe. Er hob sie ein Stück, und Chester sah die Sehnen seiner Fingerknöchel hervortreten.

    Jetzt erst begriff er. Ein Eisschauer rieselte durch seine Adern. Mit einem Schrei stürzte er sich auf die beiden Burschen und griff gleichzeitig nach dem Revolver in seinem Stiefelschaft ...

    5

    Ich hörte eine Münze klingend auf dem Boden aufschlagen. Ein sinnloses Spiel behaupteten meine grauen Zellen. Doch mein Instinkt schaltete sämtliche Alarmglocken unter meiner Schädeldecke an.

    „Hier läuft was schief, Clive! Ruf den Chef an!‟

    Clive griff zum Telefon. „Irgendwelche Mobster sind uns in die Quere gekommen, Sir! Die wollen ihre eigenen Dealer mit ihrem eigenen Stoff in dem Schuppen platzieren. Und Chester scheint in die Schusslinie geraten zu sein!‟

    „Alle verfügbaren Männer in die Fabrik!‟, hörte ich den Chef sagen. „Milo soll sich um Chester kümmern!‟

    „Verstanden, Sir!‟ Clive legte auf und stieß einen Fluch aus. „Rein in den Laden!‟, bellte er ins Mikro. „Schnell zu den Toiletten, Milo! Chester sitzt in der Klemme!‟

    „Schon unterwegs.‟ Jay Kronburgs Stimme. Auch Orry bestätigte. Von Milo keine Antwort.

    „He, Partner!‟, rief ich. „Hast du verstanden?!‟ Nichts. Dafür ein Schrei aus dem Empfänger für Chesters Mikro ...

    6

    Die Leute tobten. Applaudierend forderten sie eine Zugabe. Die schwarzen Musiker auf der Bühne steckten die Köpfe zusammen. Das fordernde Geschrei des Publikums schwoll an.

    Milo registrierte alles nur beiläufig. Die Dinge spitzten sich zu. Auch abseits der Menschenmasse vor der Bühne.

    Sie nahmen die Dealer in die Zange. Nicht nur diese auffälligen Typen in den lächerlichen Sommeranzügen taten das. Nicht nur die sieben oder acht Schläger, die plötzlich aus den Seiteneingängen auftauchten.

    Auch aus dem Publikum vor der Bühne lösten sich ein paar Männer und eilten an die Stellen, wo die Dealer sich herumdrückten – zum Eingangsbereich, in die Toilettengänge und an die Theke.

    Das Geschrei der Factory-Gäste steigerte sich zu einem frenetischen Gebrüll, weil die sechs Jungens auf der Bühne Anstalten machten, ihre Instrumente und Stimmen noch einmal zu quälen. Und hinter Milo schlug etwas hölzern auf den Fußbodendielen auf.

    Er fuhr herum – über einem umgestürzten Barhocker eine Frau. Sie hatte ihm eine halbe Stunde zuvor Ecstasy-Pillen angeboten. Jetzt zuckten ihre nackten Arme in der Luft herum, als würde sie von einem Schwarm Hornissen angegriffen.

    Ein Kerl über ihr – er riss ein Messer aus ihrem Bauch. Ein dunkler Fleck breitete sich auf dem weißen Kleid der Frau aus.

    Milo trat zu – und traf die Schläfe des Messerstechers. Er schlitterte auf den Holzdielen entlang. Zu Füßen einiger Rap-Fans am äußersten Rand der zuckenden Menschenmenge vor der Bühne blieb er reglos liegen.

    Köpfe fuhren herum, Hände wurden vor den Mund geschlagen, Schreie mischten sich in das Bellen der Rapper und in das Hämmern des Basses.

    Milo kniete neben der niedergestochenen Frau. Die brauchte einen Notarzt. Und zwar gleich.

    Jesses Stimme aus dem Ohrstöpsel. Milo wollte die Hand mit der Uhr hochreißen, um seinen Partner zu alarmieren.

    Ein nackter Männerarm legte sich von hinten um seinen Hals und bog ihm den Kopf in den Nacken. Er rammte beide Ellenbogen in den Körper hinter ihm und spürte gleichzeitig, wie ihm der Kopfhörer aus dem Ohr fiel.

    Drei Männer auf einmal tauchten vor ihm auf. Ein Hagel von Fausthieben ging auf ihn nieder. Die Luft blieb ihm weg. Ein eiserner Griff schloss sich um seinen Hals. Milo schlug um sich, trat aus, brüllte wie ein verwundeter Stier. Links und rechts von ihm je zwei Gestalten – wie aus dem Nichts tauchten sie auf.

    Ein Totschläger zischte auf seinen Schädel herab. Milos Bewusstsein torkelte an den Rand eines dunklen Abgrund. Wie durch eine Milchglasscheibe bekam er mit, wie sie ihn durch Farbblitze, Schweißgeruch, Bassdonner und auseinander weichende Körper zu einem der Seitenausgänge zerrten ...

    7

    Hinter sich hörte Orry die Schuhsohlen Leslie Morells und Jay Kronburgs auf den Asphalt knallen.

    „Chester sitzt in der Falle!‟, schrie ihm Jesse ins Ohr. Orry riss die Metalltür auf. Er prallte gegen eine Wand aus stickiger Luft, zuckenden Lichtern, und ohrenbetäubendem Lärm. „Milo antwortet nicht mehr!‟, wieder Jesse.

    Ein Schatten huschte an ihm vorbei – Jay. Rechts neben ihm tauchte Leslie auf. Er stolperte über einen leblosen Körper. „Scheiße!‟, entfuhr es ihm. Ein junger Kerl mit blutendem Kopf lag vor ihm.

    „Macht, dass ihr zu Chester kommt!‟ Clive brüllte so laut, dass Orrys Trommelfell schmerzte.

    „Ich hab’s verstanden, verflucht! Wir sind unterwegs!‟ Ein Stoß von rechts warf ihn zu Seite. Schüsse peitschten auf und übertönten die Musik. Jay hatte ihn umgestoßen. Er selbst war hinter einer Kiste in Deckung gegangen.

    Orry brüllte vor Wut und riss seine Dienstwaffe heraus.

    „Die Kerle scheuen nicht vor einer Schießerei zurück – trotz der Menschenmenge!‟, schoss es ihm durch den Kopf. Und: „Du kannst hier nicht schießen, Medina! Unmöglich!‟ Er presste sich auf die Holzdielen. Zwei Männer sah er in der Menge untertauchen. Jetzt bloß kein Chaos! Jetzt bloß keine Panik verbreiten!

    Zu spät – Schreie wurde laut, die hinteren Reihen des Publikums hatten aufgehört, sich im Rhythmus des Basses zu schütteln. Aufgescheucht sahen sie sich um. Einige Menschen stürmten Hals über Kopf auf den Eingang zu. Sekunden später brach die Hölle los ...

    8

    Bobby glaubte, einen Eisklumpen unter der Schädeldecke zu tragen. Er sah den Turnschuh dieses fiesen Latinos, er sah die Münze, er sah die Zahl, und er hörte die Stimme des Kerls: „Du hast gewonnen.‟ Doch alles spielte sich vor seinen begriffsstutzigen Augen ab wie ein Film, der ihn weiter nichts anging.

    Erst als Chester sich auf die beiden Typen stürzte, der Schuss in den Spiegel über dem Waschbecken schlug, und die Glassplitter ihm ins Gesicht spritzten, durchzuckte ihn die Gewissheit der Todesnähe. Er ließ sich instinktiv vor die Holzwand der WC-Kabine fallen.

    Wieder ein Schuss – eines der Pissoirs zerbrach klirrend. Wasser ergoss sich plätschernd auf den Fliesenboden. Bobby Tendall fühlte die Nässe an seinen Hosenbeinen.

    Er robbte an den Kämpfenden vorbei auf die Tür zu. Chester hatte sich am Revolverarm des Schützen festgeklammert. Mit den Beinen trat er nach dem zweiten Latino. Der ließ das Messer durch die Luft sausen. Chester brüllte wie ein angeschossener Grizzly.

    Bobby fühlte nur noch Angst. Seinen Körper spürte er kaum noch – da war nur Schlottern und Brechreiz. Trotzdem gelang es ihm aufzuspringen und die Tür aufzureißen.

    Ein Strom von Menschenkörpern drängte sich über den Toilettengang. Er warf sich hinein. Schüsse peitschten hinter der zufallenden Tür auf. Die Menschen um ihn herum schrien auf.

    „Nur nicht hinfallen! Um Gottes Willen auf den Beinen bleiben!‟, schrie etwas in seinem Hirn. Seine weichen Knie gehorchten. Sekunden später wurde er von hinten durch den Hinterausgang gestoßen und stürzte auf Asphalt.

    Er schüttelte sich, schlug nach den Leuten, die über ihn hinweg rannten und schaffte es irgendwie, auf die Beine zu kommen. Keuchend torkelte er in die Dunkelheit.

    9

    Auf allen Kanälen Signale des Chaos! Die Schüsse, die Chesters Mikro übertragen hatte, waren schlimm genug. Ich konnte nur hoffen, dass sie aus seiner eigenen Dienstwaffe stammten.

    Noch mehr beunruhigte mich, dass Milo sich nicht mehr meldete. Das machte mich geradezu panisch. Es brannte in dieser verdammten Fabrik! Es brannte lichterloh! Ich musste handeln.

    „Orry an Einsatzleitung‟, plärrte der Lautsprecher.

    „Hört‟, sagte Clive.

    „Ambulanzen!‟ Orry sprach nicht – er brüllte. „Wir brauchen Ambulanzen! Mindestens ein Dutzend! Und Cops – am besten eine Hundertschaft!‟

    „Habt ihr Milo gesehen?‟

    „Nein, verdammt – funk′ die Zentrale an! Ärzte, Sanis und Cops zur Factory!‟

    Clive gab die Meldung an die Federal Plaza weiter.

    „Milo!‟, schrie ich ins Mikro. „Hörst du mich?!‟ Ich lauschte. Eine Tür quietschte. Und knallte zu.

    Eine Männerstimme: „Für wen arbeitest du? Für die Ratte?!‟ Ein dumpfer Schlag. Dann rauschte etwas im Hintergrund. Wasser. Wasser?

    „Er ist ein Bulle, jede Wette.‟ Eine andere Männerstimme. Dazwischen Milos Stöhnen.

    Wasser – eine Wasserspülung! Ich riss mir den Kopfhörer von den Ohren. „Ich muss Milo rausholen!‟ Clive nickte stumm.

    Ich kletterte aus dem Van. Die riesige Leuchtreklame auf dem Dach der alten Fabrik flimmerte lustig – als wäre nichts geschehen. Old Factory verkündeten hunderte von Neonröhren gelb-rot blinkend.

    Um mich herum Menschenmassen und Wagenkolonnen. Die Leute rannten kopflos über die Straße. Kein Durchkommen.

    Von fern näherten sich die Sirenen der Ambulanzen. Und der Kollegen von der City-Police.

    Ich spurtete los. Menschen kamen mir entgegengelaufen. Menschen, Menschen, Menschen.

    „FBI!‟, schrie ich. „Lassen Sie mich durch!‟ Keine Chance. Ich riss meine SIG aus dem Gürtelholster und schoss in die Luft. Erschrocken wichen die Leute zurück. Erst recht kein Durchkommen mehr.

    Ich sprang auf den nächstbesten Wagen. Von Wagendach zu Wagendach, über Kühlerhauben und Kofferraumdeckel flog ich auf die flimmernden Lichtzeichen über dem Eingang des Gebäudes zu – Old Factory.

    Der Haupteingang war verstopft von Menschenleibern. Ambulanzen stoppten mit quietschenden Reifen.

    Ich rannte seitlich an dem Backsteinbau entlang. Rechteckige Lichtflecken in der Wand, zehn Schritte entfernt. Schmale Milchglasfenster – die Toiletten!

    „Platz da, Polizei!‟ Ich richtete meinen Revolver auf die Menschen, die aus einem der Seiteneingänge strömten. Sie schienen mich nicht mal zu hören.

    Ich warf mich auf die Mauer von menschlichen Körpern. Mit Tritten und Faustschlägen bahnte ich mir einen Weg.

    Dann die Toilettentüren. Gentlemen – ich kam gar nicht auf die Idee, die Klinke zu benutzen. Der Aufprall meines Körpers ließ die Tür nach innen aufspringen.

    Am Waschbecken zwei Männer – Latinos. Zwischen den beiden: Milo. Sein Gesicht blutüberströmt. Schlaff hing sein Kopf auf der Schulter.

    Ich drückte ab. Ohne einen Gedanken zu verschwenden. Zweimal. Einer der Männer riss die Arme hoch und prallte nach hinten gegen die Kabinenwand des WCs. Blut spritzte gegen die hellen Kacheln.

    Der andere stieß mir Milos Körper entgegen und schoss ebenfalls. Ich riss meinen Partner im Fallen zu Boden, Kacheln splitterten, Querschläger jaulten durch den engen Raum. Ich stieß den halb leblosen Milo unter das Waschbecken, warf mich auf ihn, zielte und zog dreimal durch.

    Der zweite Mann zuckte nach rechts, krümmte sich nach links, ließ seine Waffe fallen und drehte sich um die eigene Achse. Seufzend brach er zusammen und schlug lang hin auf die Fliesen.

    Ich ließ meine SIG sinken und schloss die Augen. Meine Lungen stachen bei jedem Atemzug. Ich zitterte und war schweißnass. Milos Körper unter mir zuckte. Er lebte!

    Ich richtete mich auf und versuchte meinen keuchenden Atem zu beruhigen. „Bist du in Ordnung?‟, krächzte ich.

    „Wäre übertrieben‟, stöhnte er. „Aber du könntest deine hundertfünfzig Pfund langsam von mir wälzen.‟

    Ich tat ihm den Gefallen. Er ächzte und stöhnte. Langsam zog er sich am Waschbecken hoch. Schwer atmend lehnte er sich gegen die Kachelwand. „Hey, Partner‟, keuchte er. „Scheint so, bräuchtest du vorläufig noch nicht zu meiner Beerdigung gehen ...‟

    „Scheint so ...‟ Ich rappelte mich auf.

    „Danke‟, krächzte Milo.

    10

    Der Mann stand an der hellen Mauerbrüstung seiner riesigen Veranda und blickte über die Upper Bay. Bunte Farbtupfer hingestreut auf das Meer unter ihm – Segelboote und Surfer. Davor einige weit auseinander stehende Häuser des Villenviertel von New Brighton – weiße, flache Gebäude zumeist, durchbrochen vom Grün der Palmen und größerer Gruppen von Nadelbäumen.

    Und im Osten, kaum eine Meile entfernt, der Küstenstreifen des Brooklyner Stadtteils Bay Ridge.

    Im Norden sah man das Licht der Statue auf Liberty. Die glitzernde Skyline Manhattans dahinter würde man von dieser Terrasse an der Nordküste Staten Islands aus erst sehen, wenn Abenddunst und Smogschwaden sich verzogen hatten und es dunkel geworden war.

    Hinter dem Mann zog eine schwarzhaarige Wassernixe in rotem Bikini Länge um Länge durch den fünfzig Fuß langen Swimmingpool.

    Palmennachbildungen aus Stuck, mehr als mannshoch, ragten alle zehn Schritte hinter der Brüstung auf. Außenlaternen – die Glühbirnen unter ihrem künstlichen Palmendach spendeten jetzt schon warmes Licht.

    Der Mann nahm den Sektkelch von dem kleinen Beistelltisch und trank. Er machte nicht den Eindruck, als würde er den milden Abend besonders genießen. Auch der Sekt schien ihm nicht zu schmecken.

    Schritte im geräumigen Salon des Hauses hinter ihm veranlassten ihn, sich umzudrehen. Ein Chinese in weißem Livree trat durch die offene Glasfront auf die Veranda.

    „Mr. O'Rourke wünscht Sie zu sprechen, Mr. Wells‟, rief der Butler über den Swimmingpool hinweg.

    „Ich warte schon seit einer Stunde auf ihn‟, knurrte der Mann und stellte sein Sektglas auf das Tischchen zurück. Er angelte sich den weißen Seidenmorgenmantel von einem der Sessel neben dem Tisch und warf ihn über die braungebrannten Schultern. Wells war nicht besonders groß. Er wirkte drahtig und hager, wie ein gut trainierter Langstreckenläufer.

    „Würde es dir etwas ausmachen uns allein zu lassen, Jude?‟

    Die junge Frau schwamm ihre Länge zu Ende und stemmte sich aus dem Bassin. Ihr nasses Schwarzhaar klebte wie ein glänzender Schleier auf ihrem Rücken. Die schmalen Muskeln ihrer festen Schenkel traten hervor, als sie sich aufrichtete.

    Wortlos griff sie nach einem dunkelroten Badetuch, warf es über die Schultern. Sie drehte sich zu Wells um, und er musste sich einen der unwilligen Blicke gefallen lassen, mit dem seine Tochter ihm mindestens einmal am Tag zu verstehen gab, was sie von ihm hielt.

    Ihre Augen funkelten zornig, eine feine Falte zwischen den schwarzen Brauen unterstrich ihren Ärger. Die vollen Lippen öffneten sich leicht. Doch kein Wort kam über sie. Mit wiegenden Hüften ging sie auf das offene Haus zu.

    Wells lächelte wehmütig. Er besaß einige Häuser. Nicht nur hier auf Staten Island. Auch drüben in Brooklyn und in den besseren Wohngegenden Manhattans. Er regierte ein großes Taxiunternehmen; ein halbes Dutzend Frachter fuhr für ihn zwischen Baltimore und Panama hin und her; vier Lokale und ein Hotel im Stadtgebiet gehörten ihm; und gar nicht zu reden von den vielen Geschäftsleuten, auf deren Gehaltsliste er stand.

    Sein wertvollstes Vermögen aber war diese junge Frau. Wells Tochter Jude. Ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten.

    Aber anders als ihre Mutter, die bis zu ihrem Tod kein einziges Mal nach den dunklen Geschäften ihres Mannes gefragt hatte, verabscheute Judith Wells das Doppelleben ihres Vaters. Sie redeten nie darüber. Oder fast nie. Wells hatte sich das verbeten. Aber die Blicke seiner Tochter sprachen Bände.

    Auf der Schwelle zum Salon begegnete ihr Wells Gast, ein fettleibiger, elegant gekleideter Mann.

    „Hi, Jude – wie geht es so?‟ Billy O'Rourke grüßte mit seiner hohen Fistelstimme. Jude rauschte an ihm vorbei. Weder einen Gruß noch einen Blick gönnte sie ihm.

    Das lederne Gesicht Wells legte sich wieder in seine zahllosen Falten. Wie weggewischt war das Lächeln. Mit ernster Miene empfing er O'Rourke.

    Der hütete sich, Jude hinterher zu schauen. Auch wenn er sonst jede halbwegs ansehnliche Frau mit den Augen verschlang. Und wenn irgend möglich zu vögeln versuchte – Töchter und Frauen von Partnern waren tabu.

    „Wann bringst du ihr bei, dass man Freunde des Hauses zu grüßen hat?!‟ O'Rourke war sauer. Sein teigiges Gesicht nahm einen weinerlichen Zug an.

    „Nimm′s ihr nicht übel, Billy.‟ Wells wies auf den freien Stuhl am Tisch. Der Diener brachte ein Glas. „Es geht nicht gegen dich, sie kann sich nicht mit unserer Art, Dollars zu machen, anfreunden, das ist alles.‟ Der Chinese schenkte dem Gast das Glas voll. Die Eiswürfel knirschten, als er die Flasche zurück in den Sektkübel steckte.

    Auf einen Wink von Wells zog sich der Butler zurück.

    „Das ist es ja, Tennessee! Wie kannst du mit jemandem unter einem Dach leben, der deine Geschäfte nicht toleriert?!‟, jammerte O'Rourke.

    Wells musterte ihn. Er wusste genau, dass es O'Rourke egal war, mit welchen familiären Problemen er sich herumzuschlagen hatte. Der Fettsack war gekränkt. Weiter nichts. Wells hatte schon erlebt, dass der unförmige Mann Menschen wegen harmloserer Beleidigungen getötet hatte. Ignoriert zu werden empfand er als persönliche Kränkung.

    Schon in seiner Jugend war das so gewesen. Jetzt war Billy knapp über vierzig, und nichts hatte sich an dieser Kränkbarkeit geändert. Es war eher noch schlimmer geworden.

    „Ist gut, Billy‟, sagte Wells knapp, „vergiss es um meinetwillen. Okay? In zwei Monaten wird sie zum Wintersemester zurück nach Boston fahren.‟

    O'Rourke schnaubte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er zog die New York Times aus der Tasche seines hellblauen Seidenanzugs. „Hier – lies!‟

    Wells nahm die Zeitung. Die Schlagzeile überraschte ihn nicht: ‟Panik im Nachtclub Old Factory. Sechs Tote, über fünfzig Verletzte.‟

    „Drei unserer Dealer sind hin‟, verkündete O'Rourke, „die anderen haben sie teilweise übel zugerichtet. Die Geschäfte in drüben in Brooklyn können wir damit auch vergessen.‟

    Wells warf die Zeitung auf den Tisch. Sein Gesicht verfinsterte sich. „Dieser Sauhund‟, zischte er.

    „Es sieht übel aus, Tennessee.‟ Geräuschvoll schlürfte O'Rourke seinen Sekt. Dabei presste er seine weiße Krawatte gegen sein altrosa Hemd. Als hätte er Angst, sich zu bekleckern.

    „Keiner der Dealer will noch mit uns zusammenarbeiten. Die Leute des Indios haben sie total eingeschüchtert. Das ist der vierte Nachtclub, der uns als Drogenmarkt flöten geht.‟

    „Dieser Sauhund‟, wiederholte Wells leise. „Wir haben doch im letzten Sommer die Reviere aufgeteilt. Warum will Olivio uns kaputt machen?‟

    Olivio, der „Indio‟, wie er seiner peruanischen Abstammung wegen genannt wurde, hatte Wells versprochen, seine Absatzmärkte zu tolerieren.

    „Weil er den Hals nicht voll kriegen kann.‟ Ächzend rutschte O'Rourke in seinem Sessel hin und her. In letzter Zeit entwickelte er sich mehr und mehr zum Nervenwrack. „Seine beiden Killer waren vor Ort – der schwarze Larry und Hank, dieser Möchtegern-Terminator. Die Ordner am Eingang haben sie gesehen. Tonio Alvarez, dieses gottverdammte Raubtier, war auch dabei. Sollen wir zurückschlagen?‟

    Wells stand auf. Grübelnd ging er am Rand des Schwimmbassins auf und ab. Die Lichter von Manhattan durchdrangen jetzt den ersten Schleier der Nacht. Die Konturen der Häuser in Brooklyn drüben waren schon vollständig mit der Dunkelheit verschwommen.

    „Noch nicht‟, sagte Wells und ließ sich wieder am Tisch nieder. „Wir verstärken den Schutz der Straßen und Lokale, auf denen unsere Geschäfte noch laufen. Aktiviere die Polizei-Informanten – jeden Mann von Olivio, den sie ausmachen, sollen sie den Bullen melden. Dann schicken wir Olivio ein Friedensangebot. Und warten, bis unsere Stunde kommt.‟

    Man sah O'Rourke an, dass er am liebsten laut aufgeschrien hätte. Aber er schluckte seinen Protest hinunter. Tennessee Wells war der Kopf. Und nicht umsonst nannten ihn seine Feinde „die Ratte‟. Wells konnte unter allen Umständen überleben.

    Zweimal hatte der Neunundvierzig-jährige sein gesamtes Vermögen verloren, vier Jahre hatte er wegen Betrugs und Bestechung von Staatsbeamten hinter Gittern gesessen, ein Überfall auf seine Villa in Long Beach hatte seine Frau und seinen Sohn ins Grab, und ihn selbst für Wochen auf die Intensivstation gebracht – das alles hatte ihn nur noch stärker werden lassen.

    So war Wells. Und deswegen nannten sie ihn „die Ratte‟.

    „Wie du meinst, Tennessee.‟ O'Rourkes Fistelstimme vibrierte. „Ich frage mich nur, wie wir das finanziell überleben sollen. Willst du eine Hypothek auf deine Frachter oder deine Kneipen aufnehmen?‟

    Sein nervöses Gekicher widerte Wells plötzlich an. „Scheiß dir nicht in die Hosen, Billy!‟, fauchte er unwirsch. „Notfalls würde ich das eine oder andere Haus verkaufen, natürlich! Aber darum geht es nicht. Es geht um die Macht. Und die werden wir uns nehmen.‟

    „Keine Dollars, keinen Einfluss.‟

    „Wir machen es wie immer – wenn ein Geschäft schlecht läuft, konzentrieren wir uns vorübergehend auf ein anderes.‟

    „Buchmacher? Schutzgelder? Nutten? Von was sprichst du, zum Teufel?‟

    Wells nahm einen Schluck Sekt. Seine Miene nahm einen verschwörerischen Zug an. „Einer unserer Leute hat Kontakt zu einem Security-Man vom International Airport.‟ Er senkte die Stimme und beugte sich über den Tisch. „Da bahnt sich ein millionenschweres Geschäft an.‟

    O'Rourke saß plötzlich kerzengerade in seinem Sessel. Seine kleine Zunge leckte gierig über die kurzen, wulstigen Lippen. Doch Wells winkte ab.

    „In den nächsten Tagen mehr davon. Jedenfalls werden wir Olivio vorläufig in Sicherheit wiegen. Und wenn unsere Stunde kommt, ist er ein toter Mann.‟

    O'Rourke trank aus und schaukelte am Beckenrand entlang auf das Haus zu. „Ach übrigens‟, er drehte sich um, „auch Tendall will nicht mehr für uns arbeiten. Er hat die Hosen voll wegen Olivios Killern. Hab′ gehört, er will an die Westküste und dort sein Glück versuchen.‟

    „Dieser Dummkopf,‟ murmelte Wells. „Du weißt, dass er schon bei mir Haus war.‟

    „Er war ′ne Zeit lang dein Chauffeur‟, nickte O'Rourke. „Ich weiß.‟

    Wells nahm die Sektflasche aus dem Eiskübel und füllte sein Glas. „Nun, dann wirst du wohl dafür sorgen müssen, dass er ein anständiges Grab kriegt. Und zwar drüben in Brooklyn und nicht erst an der Westküste ... ‟

    11

    „Ich selbst habe den Einsatz geleitet, Sir.‟ Unser Chef saß in seinem Bürosessel. Den Kopf in den Nacken gegen die Lehne gebeugt blickte er an die Decke. Er telefonierte mit Washington. Jeder von uns wusste, wer am anderen Ende der Leitung war: Der Direktor des FBI persönlich.

    „Sie haben recht gehört, Sir – ich übernehme die volle Verantwortung.‟ Mit der Rechten presste er den Hörer gegen sein Ohr, seine Linke lag auf der ausgebreiteten New York Times. Selbst das seriöseste Blatt des Big Apples ließ an diesem Tag kein gutes Haar an uns.

    „Nein, Sir – meine Männer haben alles versucht, die Panik zu vermeiden.‟ Stumm und mit betretenen Mienen hockten wir in der Konferenzecke. „Das habe ich nicht behauptet, Sir – aber nach allem, was ich bisher in Erfahrung bringen konnte, hat nur Special Agent Trevellian drei Schüsse abgegeben. Und zwar in einer eindeutigen Notwehrsituation und um seinen Kollegen Special Agent Tucker ... ja, Sir ..., nein, Sir ...‟

    Mir schwante Übles. Es war schlimm genug, dass wir unseren Undercover-Agenten nicht retten konnten. Aber dass durch die ausgebrochene Panik Unbeteiligte getötet und verletzt worden waren – wie sollten wir das der Öffentlichkeit und dem Hauptquartier erklären? „Polizeieinsatz fordert Tote und Verletzte‟ titelte die New York Times an diesem Tag.

    Was Milo betraf – er fühlte sich an diesem Tag wie an seinem Geburtstag. Das hatte er mir am Morgen gestanden, als ich ihn an unserer Ecke abgeholt hatte. Und dass er die ganze Nacht mit einer Flasche Sekt auf dem Balkon seines Apartments gefeiert hatte – ganz für sich allein, das hatte er mir auch gestanden.

    Mit seinem Kopfverband und dem Veilchen unter dem rechten Auge machte er allerdings keinen besonders feierlichen Eindruck.

    „Ich verstehe, Sir ... Selbstverständlich ... auf Wiederhören, Sir.‟ Jonathan McKee legte auf und sah uns an. Sorgenfalten türmten sich auf seiner hohen Stirn. „Er will eine interne Untersuchung einleiten.‟ Jonathan McKee stand auf und kam zu uns an den Konferenztisch. „Die Sache wird wohl vor dem Office of Professional Responsibility landen‟, seufzte Jonathan McKee und setzte sich.

    „Das hätte einfach nicht passieren dürfen‟, knurrte Clive.

    „Die Presse zerreißt uns in der Luft‟, sagte Jay. „Und das Office of Professional Responsibility wird zermalmen, was noch von uns übrig bleiben wird ...‟

    „Jetzt machen Sie mal halblang, Gentlemen.‟ Unser Chef wurde energisch. „Genau deswegen soll die Öffentlichkeit die verlangte Untersuchung haben! Und Washington auch! Damit möglichst schnell bekannt wird, dass keiner von uns für diesen schweren Zwischenfall verantwortlich ist!‟ Der Reihe nach sah er uns an.

    „Ihr Auftrag lautete: Chesters Einsatz überwachen und zugreifen, wenn einer der wichtigeren Leute aus der Drogenmobszene auftaucht. Kein Mensch war auf die Schläger eines konkurrierenden Drogenrings vorbereitet ...‟

    Er zog einen Stapel Papiere aus der Mitte des Konferenztisches zu sich. Jeder von uns hatte einen peinlich genauen Bericht verfasst.

    „Ich werde Ihre Berichte lesen und nach Washington schicken, und alles Weitere überlassen Sie mir. Wir werden den Vorfall unter uns analysieren und jetzt kein Wort mehr darüber. Wir haben zu tun.‟

    Wir warfen uns verstohlene Blicke zu. Jeder von uns atmete insgeheim auf. Und jeder von uns beglückwünschte sich mal wieder zu seinem Chef.

    Der machte eine Kopfbewegung zu Clive hin. „Bitte, Clive – Sie haben versucht, sich einen ersten Überblick zu verschaffen.‟

    „Jesse und ich haben uns noch mal alle Mitschnitte in Ruhe angehört und sind die ersten Vernehmungsprotokolle durchgegangen.‟ Er stand auf und trat an den Flipchart, den er neben dem Konferenztisch aufgebaut hatte.

    Er schlug einen beschriebenen Papierbogen zurück. „Unsere Arbeitsziele für die kommenden Tage lassen sich in wenigen Fragen zusammenfassen. Erstens: Wer verbirgt sich hinter den Chiffren Indio und Ratte?‟ Er sprach und schrieb zugleich.

    „Zweitens: Wer sind Tendalls Lieferanten? Drittens: Wo steckt Tendall? Und Viertens: Wer hat Chester Bowlings auf dem Gewissen?‟

    12

    O'Rourke steuerte seinen Benz über die Bowery und die Canal Street nach Chinatown hinein. Er presste die Lippen zusammen und versuchte so höflich wie möglich zu sein. Der Mann neben ihm auf dem Beifahrersitz nervte ihn kolossal.

    Er stank nach einem billigen Parfüm, verpestete die Luft in seinem Wagen mit Zigarillos, und trug eine rotbraune Trachtenlederjacke, die er sich wahrscheinlich aus München mitgebracht hatte.

    O'Rourke wusste, dass Oliver Cohen jedes Jahr mit seiner jeweiligen Freundin nach Deutschland 'rüberflog. Immer im Oktober – auf ein merkwürdiges Fest, dessen Namen sich O'Rourke nicht merken konnte oder wollte, obwohl Cohen ihm bei jeder Gelegenheit groß und breit davon erzählte.

    Zu dieser lächerlichen Jacke trug er einen breitkrempigen Schlapphut – ebenfalls aus Leder. Es war unglaublich – der Kerl lief herum, als wäre er gerade auf dem Weg zu einer Fernsehaufnahme für eine dieser abscheulichen Comedy-Serien. Eine Witzfigur, genau.

    Und dann der Name – Oliver. O'Rourkes älterer Bruder hatte so geheißen, und er hasste den Namen. Außerdem redete der Idiot wie ein Wasserfall, immer. Auch heute. Nur heute war es ausnahmsweise mal wichtig, was er zu sagen hatte.

    „Der Plan ist genial, Billy, glaub mir. Humphrey kennt sich im Flughafen aus, wie in seiner Westentasche, ehrlich, Mann, und das Geld ist nicht registriert; lauter Dollars, die unsere GIs in Deutschland umgetauscht haben, und unsere Touristen in Paris und Amsterdam; über zwei Millionen, sagt Humphrey, warten einmal im Monat in einem läppischen Safe darauf, dass wir’s uns nehmen; wir können′s uns einfach holen und ausgeben, kein Schwein kennt die Nummern; genial, Mann, kein Schwein kann die Dollars zurückverfolgen, Mann, und Humphreys Plan ist fix und fertig ...‟

    Der Mann redete, ohne Luft zu holen. Jeden anderen hätte O'Rourke schon längst aus dem Wagen geworfen.

    „So, so‟, nuschelte er und ließ die Windschutzscheibe herunter. Der Gestank, den der Kerl verbreitete, war nicht zum Aushalten. „Und wie kommst du an diesen Humphrey?‟ Er setzte den Blinker nach links und bog in die Mott Street ein.

    „Elton Humphrey, der totale Spinner, arbeitet beim Sicherheitsdienst des John F. Kennedy International Airport, verdient nicht mal dreißigtausend im Jahr und finanziert damit vier Kinder, zwei geschiedene Frauen, seine Freundin, seine Kredite, und ungefähr zweihundert Dollar täglich für seine Spielsucht, der totale Spinner ...‟

    Cohen nahm einen Zug von seinem bestialisch stinkenden Zigarillo. Schon dieses Kraut wäre für O'Rourke Grund genug, ihn umzulegen. Unter normalen Umständen jedenfalls. Er betrachtete den Mann von der Seite, immer ein verkrampftes Grinsen im Gesicht.

    Cohen grinste zurück und fuhr sich mit dem Ärmel seiner lächerlichen Jacke über die schweißnasse Stirn. Endlich zog er den Hut herunter und legte ihn auf seinen Schoß. Sein Kahlkopf glänzte feucht. Er war etwa Mitte fünfzig.

    „Ich muss es wissen, Billy – Humphrey kommt seit Jahr und Tag in meine Saunas, und was noch wichtiger ist: In meine Wettbüros. Er hat über fünfzehntausend Dollar Spielschulden bei mir. Klar sieht der jeden Dollar auf eine Meile Entfernung ...‟

    O'Rourke hielt an der Ecke Mott Street, Bayard Street. Hier, am südlichen Rand von Chinatown, lag Wells älteste Kneipe: Tennessee′s – ein weiträumiger, verrauchter Schuppen, mit einer Theke, so lang wie die Pferderennbahn des Aquaduct Race Tracks.

    Ein chinesischer Junge eilte auf den Benz zu, ein Zwerg – höchstens zehn Jahre alt. O'Rourke stieg aus und kramte eine Zehndollar-Note aus der Hosentasche. Er riss den Schein in der Mitte durch und drückte die eine Hälfte dem Jungen in die Hand.

    „In zwei Stunden‟, nuschelte er mit seiner hohen Stimme.

    Fünf Dollar hätten′s auch getan, aber der Dicke wusste, wie man sich die Leute bei der Stange hielt.

    Der Junge stieg ein und fuhr den Wagen davon. Irgendwo auf einen der kostbaren Parkplätze, die nur er und ein paar Eingeweihte kannten. Pünktlich in zwei Stunden würde er mit der Karosse vor dem Tennessee′s warten. Und sogar die Felgen würden funkeln vor Glanz.

    Sie betraten die Kneipe: Männer um Billardtische, Männer an den Tischen beim Kartenspiel, Männer an der Theke mit den Köpfen in Rauchschwaden. Einige Asiaten, aber überwiegend Weiße.

    Die einzige Frau stand hinter der Theke.

    „He, Laura, ist der Plaudertisch frei?‟ Eine der zahllosen Geliebten von Wells. Dankbar war er, das musste man ihm lassen – keine, an deren Titten er sich länger als zwei Wochen vergnügt hatte, war leer ausgegangen. Die meisten arbeiteten in irgendeinem seiner Läden.

    Laura verschwand wortlos im hinteren Teil des Lokals. O'Rourke beobachtete, wie sie mit einigen Gästen sprach, die sich nach ihm umschauten und dann an einen anderen Tisch umzogen.

    Ein Mann tauchte neben ihnen auf.

    „Darf ich vorstellen‟, flötete Cohen, „das ist Billy O'Rourke.‟ Und dann auf den schwermütig dreinblickenden Fremden deutend: „Und das ist Elton Humphrey.‟

    O'Rourke begrüßte den Mann schweigend. Der Bursche wirkte abgezehrt und krank. Tiefe Falten zogen sich von den Nasenflügeln des eingefallenen Gesichts zu seinen schlaffen Mundwinkeln herab.

    Sie gingen an den Plaudertisch. So nannten O'Rourke und Wells ihn, weil er in der hintersten Ecke der Kneipe stand und jeden Morgen nach Wanzen abgesucht wurde. Hier wurden ab und an die ersten Schritte für wichtige Geschäfte eingeleitet.

    Auf die Nachbartische stellte Laura je ein Schild - „Reserviert‟.

    Elton Humphrey wiederholte im Wesentlichen, was O'Rourke schon von dem großmäuligen Quatschkopf mit der Trachtenjacke wusste. Nur fasste er sich wesentlich kürzer. Überhaupt sprach er wenig. Und leise und schleppend. Er rauchte eine nach der anderen, aber wenigstens keine Zigarillos.

    O'Rourke betrachtete ihn aufmerksam. Die kranke Farbe seines Gesichtes, das unruhige Flackern seiner Augen, die fahrigen Handbewegungen und die leicht zitternden Finger. So sah ein Mann aus, der Sorgen hatte. Große Sorgen.

    Ein Mann also, dem man vertrauen konnte, sagte sich O'Rourke. Denn wer so tief in der Scheiße steckte wie dieser Bursche, würde sehr genau darüber nachdenken, wie er an Dollars kommen konnte. Und er würde gewissenhaft darauf achten, jeden Fehler zu vermeiden.

    Hierin unterschied er sich für O'Rourke wohltuend von dem Idioten Cohen. Der war einfach nur geldgierig. Weiter nichts.

    Humphrey zog zwei handschriftlich beschriebene Bögen Papier aus der Tasche seines grauen Jacketts. Der Plan entsprach O'Rourkes Einschätzung des Mannes, der ihn ausgearbeitet hatte.

    „Gut‟, nuschelte er, „sehr gut. Durchdacht bis in die Einzelheiten. Gold wert. Gratuliere.‟

    Er faltete ihn zusammen und steckte ihn in sein hellblaues Seidenjackett.

    „Wir haben die Logistik und die Männer. Und das Knowhow natürlich.‟ Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Ich werde mit meinen Leuten reden. In spätestens einer Woche hört ihr von mir.‟

    Sie nickten. Cohen, der Blödmann, machte ein Gesicht, wie ein Pubertierender, der zum ersten Mal eine Peepshow besucht. Von Wells wussten beide nichts. Sie glaubten, O'Rourke wäre der Kopf. Und O'Rourke fand das in Ordnung.

    Das war der Vertrag. Mehr musste nicht gesagt werden. Alle drei wussten, dass sie jetzt drin hingen, alle drei wussten, dass ein Rücktritt tödliche Folgen haben würde, und alle drei wussten, dass die Worte International Airport, unkompliziertes Geld und Plan Dritten gegenüber ab sofort tabu waren.

    Allerdings war sich O'Rourke bei Cohen da nicht so sicher. Er würde über diesen Widerling noch nachdenken müssen.

    Er gab einen Whisky aus, kippte ihn hinunter, und ließ die beiden Männer allein. Vom Hinterzimmer aus telefonierte er mit einem seiner Leuten. „Was macht Tendall?‟ O'Rourke hatte dessen Überwachung angeordnet.

    „Hat sich in seiner Bude verkrochen, mit seiner Braut.‟

    „Okay. Sobald er sich regt, ruf mich über Handy an.‟

    Er aß noch eine Kleinigkeit. Dann hupte es vor dem Lokal. Der Parkboy mit dem Benz.

    O'Rourke ging hinaus, holte die abgerissene Hälfte des Zehn-Dollar-Scheins aus der Tasche und reichte sie dem Jungen. Der strahlte über das ganze Gesicht.

    Im Wagen stank es nach Parfüm und kaltem Rauch. O'Rourke fluchte.

    Es kam noch schlimmer. Als er die Handbremse löste, entdeckte er ein Loch mit schwarzen Rändern im Leder seines Beifahrersitzes.

    „Verdammter Scheißkerl! Verdammter ...!‟ Seine Stimme überschlug sich.

    Spätestens von diesem Augenblick an war Oliver Cohens Leben keinen Pfifferling mehr wert.

    13

    Eine Holzdiele knarrte. Vor der Wohnungstür. Tendall schob sich leise von der Matratze. Er wollte das Mädchen nicht wecken. Es schlief noch tief und fest.

    Er schlich zur Wohnungstür und lauschte! Jemand atmete rasselnd. Schuhsohlen scharrten am Boden. Verdammt – die Typen machten ernst!

    In Windeseile schlüpfte er in seine Jeans. Die Tasche hatte er gestern Abend schon gepackt. Nicht viel – nur das Nötigste.

    Die Türglocke! Seine Freundin öffnete die Augen. „Was machst ...?‟

    Er legte den Finger auf den Mund. „Leise‟, zischte er. Die Türglocke schrillte schon wieder los. Die Frau saß kerzengerade im Bett. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an.

    Er öffnete das Fenster zum Innenhof. „Ich ruf dich an, sobald ich an der Westküste bin.‟ Wieder die Türglocke. „Sag dem Typen, ich hätte gestern Abend eine Maschine nach Boston genommen.‟ Er winkte und stieg aus dem Fenster.

    Wieder die Glocke. Diesmal ausdauernd.

    „Tendall?‟ Eine hohe Männerstimme. „Komm, Tendall, mach auf.‟

    Das Mädchen kroch aus dem Bett.

    „Wer ist da?‟ Das Geläute brach ab.

    Ein paar Sekunden Stille. Dann wieder die Männerstimme. „Ich will zu Bobby Tendall. Is′ er da?‟

    „Nein. Gestern Abend verreist.‟

    „Aha. Wohin?‟

    „Keine Ahnung‟, sagte sie. „Glaub′ nach Boston.‟

    Ihr ging durch den Kopf, dass sie ganz allein in dem abbruchreifen Haus wohnten. Abgesehen von den Junkies im Dachgeschoss. Aber die dröhnten sich meistens mit derart lauter Musik voll, dass sie nicht mitbekamen, was sich um sie herum abspielte. Die hörten nicht mal die Sirenen der Streifenwagen, wenn die Cops zu den allwöchentlichen Hausdurchsuchungen vorfuhren.

    „Ja, nach Boston. Er wollte zu seiner Schwester nach Boston.‟ In ihrer Nervosität plapperte sie einfach drauf los. „Die hat vorgestern angerufen. Braucht ihn für irgendeine Erbschaftssache, was weiß ich. Nächste oder übernächste Woche will er zurück sein. Versuchen Sie′s da noch mal.‟

    Sie lauschte mit vor die Brust gepressten Fäusten. Bobby, dieser Mistkerl! Sie einfach alleinzulassen!

    „So ist das also‟, sagte die hohe Fistelstimme vor der Tür. „Okay, dann ruf′ ich übernächste Woche an.‟

    „Okay.‟

    „Ich hab′ hier ein Päckchen für Bobby. Schuld′ ihm noch ein paar Dollars. Mach mal eben die Tür auf, Baby, und nimm es mir ab.‟

    „Legen Sie es einfach vor die Tür, Mister – ich lieg′ noch im Bett.‟ Sie hoffte, der Mann vor der Tür würde das Zittern ihrer Stimme nicht bemerken.

    „Ist gut.‟ Dielen knarrten, dann Schritte, dann Stille.

    Das Mädchen atmete auf. Sie verkroch sich wieder unter der Decke. Bobby, dieser Scheißkerl! Nichts als Ärger mit ihm! Sie drehte sich zur Wand und zog die Decke über die Ohren.

    In der Nacht hatten sie zwei Pfeifen geraucht und eine Flasche Wein geleert. Ihr Kopf fühlte sich an, als wäre er zwischen den Stahlbacken eines Schraubstocks festgeklemmt.

    Ein hohler Schlag gegen die Tür ließ sie zusammenzucken. Und noch einer. Sie fuhr hoch und starrte zur aufgesprungenen Tür. Ein fetter Kerl stand im Türrahmen und grinste. Er hielt eine Pistole in der Rechten.

    „Bin ein misstrauischer Mensch, Miss.‟ Der Mann war edel gekleidet – hellblauer Anzug, rosa Hemd, weiße Krawatte. Aber das schmierige Gesicht ließ sich auch durch die nobelsten Klamotten nicht kaschieren.

    Die Frau wagte kaum zu atmen vor Angst.

    Der Mann ging an ihr vorbei zum offenen Fenster. Er drehte sich um. Nicht die Spur eines Lächelns mehr auf seinem Gesicht.

    „Gefährlich bei offenem Fenster zu schlafen, Miss.‟ Er sprach bedrohlich leise. Schritt für Schritt kam er näher. Sie presste ihren nackten Körper an die Wand.

    Mit einem Satz war er am Bett. Er riss sie an den Haaren zu sich heran. „Wo ist er hin?!‟, fauchte er.

    „Ich weiß nicht, ich weiß nicht ...‟

    Er schlug zweimal zu. Mit dem Knauf der Pistole. Schluchzend und blutend fiel sie aufs Kissen.

    Ein zweiter Mann erschien im Türrahmen. Kleiner und jünger als der Dicke. Er trug ein langes schmuddeliges T-Shirt über seiner zerschlissenen Jeans. Die Haare hingen ihm verfilzt ins Gesicht.

    „Was hier los, zum Teufel?!‟

    Ein Schuss peitschte, und noch einer. Der Mann brach zusammen.

    „Du Schwein!‟ Die Frau schrie wie von Sinnen. Sie richtete sich auf und deutete auf die Leiche ihres Nachbarn. Es war einer der Junkies aus dem Dachgeschoss. „Du fieses, fettes Schwein!‟, brüllte sie.

    Der nächste Schuss brachte sie für immer zum Schweigen.

    Der Mann in dem hellblauen Sommeranzug kletterte ächzend aus dem Fenster und lief über den Innenhof auf die Einfahrt des Nachbarhauses zu ...

    14

    Es stank widerlich. Nach schmutziger Wäsche, die jemand im Wasser vergessen hatte. Oder nach ranziger Butter. Dieser süßliche Geruch ist schwer zu beschreiben. Aber ich konnte ihn einordnen. An einem Ort wie diesem musste es wohl so riechen.

    Milo und ich schritten den langen Gang hinunter, vorbei an verchromten Schiebetüren mit eingelassenen Sichtfenstern. Der Lärm unserer Schritte hallte von den gekachelten Wänden wider.

    Milo hinkte ein bisschen. Und manchmal zuckte seine Rechte an seine Linke Seite. Mindestens eine seiner Rippen war gebrochen. Aber sie hatten ihn ja nicht anbinden können im Beekman Downtown Hospital.

    „Dr. Silas arbeitet in Raum drei‟, rief uns eine grün verhüllte Frauengestalt hinterher.

    „Danke‟, winkte ich. Obduktionssaal 3 verkündete ein Schild an der Wand. Ein anderes, größeres leuchtete über der Schiebetür auf. Nicht eintreten.

    Milo spähte durch das Sichtfenster. „Er ist schon fertig.‟

    Wir schoben die Tür auf und betraten den Raum. Helle Kacheln, verchromte Tische, Arbeitsflächen und Liegen, von der Decke herab hing eine ebenfalls verchromte Lampe an einem mehrgliedrigen Schwenkarm, wie Hals und Kopf eines hungrigen Geiers.

    Darunter ein nackter Leichnam auf einem verchromten Tisch. Das, was von Chester übriggeblieben war. An seinem Kopf ein grün Verhüllter von beachtlichem Körpervolumen. Blutverschmierte Gummihandschuhe an den riesigen Pranken, vernähte er die Schädelschwarte des sezierten Körpers.

    Dr. Alexis Silas, Pathologe im Zentrallabor des New York City Police Departments.

    Ein famoser Mann. Er arbeitete erst seit einem knappen Jahr in New York City. Ein paar Mal hatten wir schon mit ihm zu tun gehabt. Seine Vorfahren waren aus Griechenland in die Staaten gekommen. Er ist Anthropologe, Pathologe, Psychologe und was weiß ich nicht noch alles.

    Der massige Mann in dem grünen Mantel ließ seine Instrumente in eine Schale fallen und streifte sich die blutigen Handschuhe ab.

    „Ein Jammer ist das, Kinder, ein Jammer. Schade, wirklich schade.‟

    Er ließ die Handschuhe in einen Müllsack fallen. Wir verzichteten auf Shakehands. Ich wegen der blutigen Handschuhe, und Milo mit Rücksicht auf seine Rippe.

    „Tut mir unheimlich leid für den Kollegen.‟ Er sprach mit einem rumorenden Bass. „Und natürlich für euch. Ihr habt sicher zwei schlaflose Nächte hinter euch. Ganz schön hart, wenn einem der Kollege praktisch vor der Nase weg geknallt wird.‟

    Silas war fast zwei Meter groß. Ich schätzte das Fett und die Muskeln, die er mit sich herumschleppte, auf etwa dreihundert Pfund. In seinem quadratischen Gesicht blitzten ein paar kleine, braune Augen. Die Lippen des breiten Mundes waren fast negroid, so dick sahen sie aus. Und die braune Haut war von Pockenkratern übersät. Schwarzes Kraushaar stand nach allen Seiten ab. Der Doc, wie er allgemein genannt wurde, war auf eine faszinierende Weise hässlich.

    Er griff sich eine Schale von einem verchromten, fahrbaren Tisch neben Chesters Leiche. Meine Augen klebten an dem toten Kollegen fest. Bis zum Bauchnabel war er mit einem Leintuch bedeckt. Vom

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