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Das Immaguat: Eine verrückt romantische Liebesgeschichte aus Wien
Das Immaguat: Eine verrückt romantische Liebesgeschichte aus Wien
Das Immaguat: Eine verrückt romantische Liebesgeschichte aus Wien
eBook306 Seiten4 Stunden

Das Immaguat: Eine verrückt romantische Liebesgeschichte aus Wien

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Über dieses E-Book

In einem Wohnhaus im 12. Wiener Gemeindebezirk findet eine junge, von Erfolg verwöhnte Schauspielerin eines Tages eine weiße Rose auf ihrer Fußmatte vor. In einem kleinen Meidlinger Lokal bäckt ein verliebter Restaurantbesitzer einen Gugelhupf nach dem anderen. Einen Steinwurf entfernt, in einem winzigen Blumenladen in einer unbedeutenden Seitengasse verkauft eine blasse, zierliche Person Blumen, die besonders gut duften. Angelika, Markus und Verena verbindet nur eines: Rosen. Anfangs verläuft alles nach Plan, aber dann gibt es auf einmal einen Rosenkavalier zuviel. Die Geschichte vom Immaguat erzählt auf humorvolle Weise von Freundschaft, Liebe, Leidenschaft, Eifersucht, und kleineren und größeren Katastrophen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum31. Aug. 2021
ISBN9783347373174
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    Buchvorschau

    Das Immaguat - Eva Maria Schwarz-Pretner

    1 Markus

    Markus ist etwas ganz Besonderes und jeder Winkel seines Lokals reflektiert dieses Besondere an ihm. Sämtliche Utensilien in seinem Lokal wurden mit Liebe ausgewählt und dazu brauchte es weder eines Innenarchitekten noch eines Feng-Shui-Beraters, denn Markus hat eine Marotte. Er ist nämlich der Überzeugung, dass Dinge, die für andere in die Kategorie »leblos« fallen, zu ihm sprechen. Sie erzählen ihm Geschichten, die ihn erheitern oder traurig machen, und manchmal sind es Geschichten, die ihn ängstigen. Nun sprechen aber nicht alle Gegenstände zu ihm, sondern nur diejenigen, die aus Holz oder Glas gemacht sind. Gegenstände aus Plastik oder Metall sind so tot und stumm für Markus wie für jedermann sonst auch.

    Nur wenige der Stammkunden sind darüber im Bilde, dass sich der Wirt gelegentlich mit seinem Inventar austauscht, und behalten dieses Wissen für sich. Zum einen, weil man in dem kleinen Meidlinger Lokal in Ruhe gelassen werden will, zum anderen, weil Markus Angst hat, als psychisch gestört abgestempelt zu werden oder schlimmer seine Lizenz zu verlieren, sollte es die Runde machen. Und wer würde dann für das leibliche und seelische Wohl der Menschen in Meidling sorgen, deren Geldbeutel nicht so prall gefüllt sind? Dass ich Markus‘ Geschichte nun dennoch niederschreibe, bedeutet nicht, dass ich zum Verräter geworden bin, sondern dass er es mir unter der Voraussetzung, seinen wirklichen Namen und den tatsächlichen Standort seines Lokals nicht preiszugeben, erlaubt hat.

    Markus‘ Geschichte beginnt an einem schwülen Sommertag. Es war der zweite Juli, 2018. Wie an einigen anderen Vormittagen im Sommer war es erst schwül, doch im Verlaufe des Tages begann es zu donnern und zu blitzen, und es folgte ein heftiger Regenguss, der den Staub aus der Luft wusch und den Asphalt auf Straßen und Gehsteigen geheimnisvoll schimmern ließ. Plötzlich war die Luft frisch wie im Frühling, und die Meidlinger hatten endlich wieder Appetit auf herzhafte heimische Kost. An einem solchen Tag durfte es sogar etwas vom Schwein sein. Die Österreicher lieben zwar ihre Leberkäsesemmeln, ihre Frittatensuppe und ihren Kümmelbraten mit Sauerkraut und Erdäpfelknödeln, aber bei über 30 Grad sattelt selbst der waschechteste Wiener auf griechischen Salat oder Fisch um.

    Jedenfalls machte sich der Wetterumschwung positiv für Markus bemerkbar, da er nun wieder so richtig den Kochlöffel schwingen konnte. Der Kochlöffel war übrigens auch bester Laune und trällerte ein Liedchen vor sich hin, was freilich nur Markus wahrnehmen konnte. An diesem Tag war alles im Lokal ausgelassen, bis auf die hölzernen Bänke auf der Terrasse, die nun pitschnass wurden, und auf die sich sobald keiner setzen würde.

    »Wie langweilig!«, seufzten die Bänke, allesamt alte polnische Damen, die Markus billigst bei einer Geschäftsauflösung in Warschau ersteigert hatte. Wie alle älteren Damen liebten auch sie Klatsch und Tratsch, und ohne Kundschaft würden sie nun um so manches Schmankerl und Skandälchen umfallen. Den Sonnenschirmen war das egal, da sie ja tatsächlich leblos waren und nichts mitbekamen. Während also die Bänke draußen wehklagten, bohnerte Boban, der kroatische Mann für alles, die Holzdielen, wischte Sandra, die Studentin aus Hamburg, über die Tische, band sich die Kellnerschürze um und guckte noch einmal rasch in den Spiegel, ob ihr Pferdeschwanz auch richtig vom Kopf abstand.

    Der Spiegel, ein französisches Exemplar, hätte zwar einiges an ihrem Aussehen zu beanstanden gehabt, aber Gott sei Dank konnte Sandra ihn nicht hören, und so wurde ihr die gute Laune nicht verdorben.

    Und sie war wirklich guter Dinge – erst vor kurzem hatte sie ihre Erste Diplomprüfung bestanden, und ihr Freund Olli hatte ihr einen Ring geschenkt. Zwar keinen Verlobungsring, wie er beteuerte, aber immerhin.

    Selbst der ansonsten grantige Zulieferer, ein siebzigjähriger Pensionist aus der Südsteiermark, pfiff ein Liedchen vor sich hin, als er das Biogemüse in den Keller schleppte. Bei Markus war nämlich alles Bio – von der Karotte bis zu den Eiern und dem Fleisch. Gewinn machte er auf diese Weise keinen großen, aber solange er die Pacht fürs kleine Lokal samt Studio im ersten Stock und die Gehälter für Sandra, Boban und sich selbst bezahlen konnte, war das für ihn in Ordnung. Reich geworden wäre er, wenn er weiterhin als Finanzberater gearbeitet hätte, aber es war ihm wichtiger gewesen, sich den Traum vom eigenen Lokal zu erfüllen.

    Dass er bis zu 16 Stunden am Tag würde schuften müssen, hatte er zwar nicht gewusst, auch nicht, dass es so viel schwieriger sein würde für sechzig als für sechs Leute zu kochen, aber er hatte es geschafft: seine Stammkunden hielten ihm seit Jahren die Treue, und ab und zu verirrte sich auch der eine oder andere Tourist in sein Lokal und erfreute die fesche Sandra mit einem saftigen Trinkgeld.

    Rückblickend hätte der unerfahrene Markus wahrscheinlich Schiffbruch erlitten, hätten ihm nicht seine hölzernen und gläsernen Freunde mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Die ausrangierten Holztische vom Hotel Sacher, die renovierungsbedürftigen Sessel aus einem Haubenlokal in Prag, der Garderobenständer aus dem Budapester Hotel Gellért, der Spiegel aus einem Pariser Antiquitätengeschäft, Weingläser und Aschenbecher aus Muranoglas – sie alle blickten auf eine jahrelange, wenn nicht jahrzehntelange Erfahrung im Gastronomiebereich zurück und wurden zu Markus’ wichtigsten Beratern in Sachen Einrichtung, Speiseplan und Gästebetreuung.

    Ja, ohne sie wäre das »Immaguat« vielleicht schon im ersten Jahr in Konkurs gegangen, mit ihnen aber wurde es zum Inlokal der Meidlinger, die sich als würdig erwiesen hatten. Unangenehme Gäste erlebten so manches Missgeschick im »Immaguat« und vermieden das Lokal daraufhin tunlichst. Obwohl die »Opfer« irgendwie das Gefühl hatten, dass dort nicht alles mit rechten Dingen zugehe, konnten sie sich keinen Reim darauf machen, warum sie jetzt nicht mehr dort speisen wollten, obwohl es ihnen doch hervorragend geschmeckt hatte.

    Um Markus‘ Geschichte nachvollziehen zu können, muss man aber nicht nur Einblick in sein Berufs- sondern auch in sein Privatleben gewinnen. So sehr Markus alte Dinge liebt, mit Leidenschaft auf Versteigerungen geht und online Jagd auf Antiquitäten macht, um Sachen für sein Lokal zu erstehen, die er dann repariert und renoviert, so sehr liebt er schöne Frauen. Da er aber eine fixe Vorstellung von seiner Traumfrau hat, ist er immer noch – abgesehen von ein paar oberflächlichen Abenteuern – single.

    Markus sieht nicht schlecht aus, aber nicht jede Frau ist bei seinem Anblick hin und weg. Er ist mittelgroß und sportlich, sein Haaransatz ist schon etwas zurückgegangen, und seit er das Lokal betreibt hat er ein bisschen um die Mitte zugelegt. Seine braunen Augen blicken eher kritisch als freundlich in die Gegend, aber sein Mund ist leidenschaftlich und zeugt von seinem generösen Wesen. Wenn er dann lacht und seine blitzend weißen Zähne sichtbar werden, die von Natur aus so hell sind und ganz ohne Bleichen auskommen, dann war es schon des Öfteren um die eine oder andere Dame geschehen.

    Leider haben es diese meist schnell bereut, aufgrund des Lächelns weiche Knie bekommen zu haben, denn Markus ist furchtbar umständlich, macht sich nichts aus Geld und redet gern über Gott und die Welt. Wenn er vom anderen Geschlecht wäre, würde man ihn als geschwätzig bezeichnen.

    Und schließlich kommt da noch die Sache mit seinem hölzernen und gläsernen Inventar dazu – wenn er liebevoll seinen Kochlöffel ansieht, dann hält man ihn bestenfalls für überspannt und schlimmstenfalls für gruselig. In Zeiten, wo die Brutalität im Steigen begriffen ist und zwanghafte Männer Frauen auf Social Media stalken, kann Frau gar nicht vorsichtig genug sein, und Markus kommt einem nicht immer ganz koscher vor.

    Kurz gesagt ist Markus mit seinen einunddreißig Jahren noch immer solo, und das, obwohl er Frauen liebt und eigentlich romantisch veranlagt ist. Auch ein Mann mit einer Liste in seiner Nachtkästchenlade, auf der er die Wunschkriterien seiner zukünftigen Partnerin festgehalten hat, kann ein Romantiker sein.

    2 Der Film

    Am selben Tag, nach besagtem kurzen aber heftigen Regenschauer, kommt Ingrid, Markus‘ beste Freundin, ins Immaguat. Sie hat eine DVD dabei, die sie sich am Abend mit Markus anschauen möchte. Der Grund – ihre Freundin Angelika hat es geschafft. Nach aufreibenden Jahren auf diversen Kleinstadtbühnen hat sie eine Nebenrolle in einem Film ergattert. Auch wenn sie nur alles in allem fünfzehn Minuten darin vorkommt, möchte Ingrid, dass Markus den Film mit ihr ansieht. Die Freundin einer Berühmtheit zu sein ist doch cool, oder?

    Und mit Markus Filme anzuschauen macht Spaß. Er ist einer der wenigen, die einen ganzen Film schaffen ohne dazwischen zu telefonieren, zu texten, einzuschlafen oder sich Essen bei McDonald‘s zu bestellen. Er kann sich, so wie Ingrid, auf einen Film konzentrieren und in fremde Welten eintauchen. Da sich die beiden seit dem Kindergarten kennen, schaffen sie es sogar, gemeinsam auf dem Sofa zu sitzen, ohne sich dabei unbehaglich zu fühlen. Markus und Ingrid sind nicht wie »Harry und Sally«, sie sind wirklich gute, alte Freunde und kennen einander in und auswendig. Dass ihre Mütter Freundinnen geworden sind, ist allein schon Garantie dafür, dass die beiden nie ein Paar werden können.

    Nachdem Markus den letzten Gast, einen seit kurzem verwitweten Beamten, der seinen Kummer jeden Abend mit ein paar Gläschen Wein hinunterzuspülen pflegt, hinausbugsiert hat, gehen die beiden rauf in sein kleines Studio, das er seit Lokaleröffnung bewohnt. Sein Penthouse im 21. Bezirk hat er vermietet, denn es macht absolut keinen Sinn, nach einem sechzehnstündigen Arbeitstag quer durch Wien und über die Donau zu fahren, nur um sich ein paar Stunden Schlaf zu gönnen. Das Studio ist ideal – simpel, macht nicht viel Aufwand, und in einer Minute ist er an seinem Arbeitsplatz.

    Ingrid legt also die DVD ein, während Markus zwei Gläser Rotwein und eine Schale Cashewnüsse auf den Couchtisch stellt. Dann schnappt sich jeder einen Polster zum Kuscheln und los geht‘s.

    Der Film ist nicht besonders gut gemacht. Typisch österreichisch gibt es derbe Dialoge und eine Kloszene, denn in österreichischen Filmen wird gern gezeigt, wie einer der Protagonisten am Häusl sitzt. Ob die obligatorische Szene auf der Toilette zur Geschichte passt oder nicht, sei dahingestellt, aber es gilt in österreichischen Filmen anscheinend als ungeschriebenes Gesetz, dass eine solche vorzukommen hat.

    Dann erscheint endlich die Szene mit Ingrids Freundin und auf einmal hört Markus auf zu knabbern. Gerade wollte er sich eine weitere Ladung Nüsse in den Mund werfen, als seine Hand mitten in der Bewegung innehält. Ingrid meint zu vernehmen, dass er sogar aufgehört hat, zu atmen.

    »Hast du Schmerzen? Tut dir die Brust weh?« Ingrid sieht Markus besorgt an. Man liest ja, dass immer mehr Männer in ihren Dreißigern – und seit kurzem gehört Markus zu dieser Kategorie – einen Herzanfall erleiden und bei dem stressigen Job im Lokal wäre das leicht denkbar.

    Markus antwortet nicht und starrt wie hypnotisiert auf den Bildschirm. »Die musst du mir vorstellen!«, sagt er schließlich. »Das ist meine zukünftige Ehefrau!«.

    Jetzt ist Ingrid baff – sie findet ihre Schauspielerfreundin zwar hübsch, aber dass sie so eine Wirkung auf Markus haben würde, das hätte sie sich jetzt echt nicht gedacht. Leider hat Angelika ständig Affären, und das versucht Ingrid Markus nun schonend beizubringen.

    Er wischt ihre zahlreichen Liebhaber beiseite, als wären sie lästige Insekten und meint: »Ich werde diese Frau erobern. Koste es, was es wolle!«

    Der Film ist jetzt nicht mehr wichtig – Markus will alles über Ingrids Freundin wissen. Was sie gerne isst, welches ihre Lieblingsfarbe ist, welche Musik sie hört, ob sie gerne Sport macht, ob sie Kinder mag, ob sie ein Haustier hat, wie viele Geschwister sie hat, ob sie auch Dialekt sprechen kann, ob sie schon einmal stationär im Krankenhaus aufgenommen war, wohin sie gern auf Urlaub fährt, wovor sie Angst hat…

    Und obwohl Ingrid die meisten seiner Fragen beantworten kann, kommt sie langsam aber sicher zu der Erkenntnis, dass sie ihre Freundin doch nicht so gut kennt, wie sie immer dachte. Schließlich erklärt sie ihm unaufgefordert, dass Angelika schon viele tolle Männer als Liebhaber hatte, und dass sie alles andere als treu sei. »Für Angelika ist die Liebe ein Spiel – ein Spiel, aus dem sie immer als Siegerin hervorgeht.«, warnt Ingrid ihren Freund, den aber diese charakterlichen Unzulänglichkeiten nicht abzuschrecken scheinen.

    Schön langsam beginnt sich Ingrid Sorgen um Markus‘ Seelenfrieden zu machen. Und überhaupt passt er – wie sie weiß – nicht in Angelikas Beuteschema. Er ist absolut nicht ihr Typ. Sie steht auf große, blonde Männer mit tiefgründigen, blauen Augen. Sie liebt romantische Spielchen, und ein Lokalbesitzer, der den ganzen Tag in der Küche steht und nach Zwiebeln und Knoblauch riecht, steht sicher nicht auf ihrer Liste geeigneter Kandidaten. Auch dass sie ihren letzten Freund mit einem ihrer Schauspielkollegen betrogen hat, findet Markus nicht irritierend. Da sie ihn nicht kennt, hat sie einfach noch nicht den Richtigen getroffen.

    »Ich bin ihr Schicksal! Ihr Lebensmensch!«, ist er überzeugt und nur der Pariser Spiegel stimmt ihm bei, denn die Franzosen sind ja so was von verschroben und lechzen förmlich nach Dramen. Welcher französische Liebesfilm hat schon ein Happy End? Und der Spiegel hat leicht lachen, er wird ja keine Abfuhr erleiden. Um endlich Ruhe vor Markus‘ Fragen zu haben, stimmt Ingrid zu, ihm die Adresse ihrer Freundin zu verraten. Er verspricht im Gegenzug, sie nicht anzusprechen.

    »Wie willst du sie um ein Rendezvous bitten, wenn du nicht mit ihr sprichst? Bist du jetzt völlig plemplem?«

    Er aber lächelt nur geheimnisvoll und fragt sie, ob er ihr einen Gugelhupf backen darf. Immer wenn er sehr glücklich ist, bäckt Markus einen Gugelhupf, und seine Freundin aus Kindheitstagen darf ihn dann aufessen. Da er oft glücklich ist, ist Ingrid im Laufe ihrer Freundschaft schon ein bisschen rundlich um die Mitte geworden.

    »Na, das wird sich dann ja rasch ändern, wenn er einen Korb bekommt!«, denkt sie bei sich und schaut ihm zu, wie er die Eier in die Rührschüssel schlägt.

    3 Verena

    Nur einen Steinwurf vom Immaguat entfernt gibt es eine kleine, verwinkelte Seitengasse, und in dieser kleinen, verwinkelten Seitengasse befindet sich neben einem Kindergarten, einem renovierungsbedürftigen Haus aus der Gründerzeit, einem veralteten Bürogebäude und einem türkischen Gemüse- und Obstgeschäft ein winziger Blumenladen.

    Niemand, nicht einmal die Menschen, die täglich an diesem Laden vorbeigehen, kennen dessen Namen und außer ein paar Kindergartenkindern hat auch noch niemand jemals Anstalten gemacht, den vergilbten Schriftzug auf dem blechernen Schild über der Eingangstür zu entziffern. Das mag daran liegen, dass die Menschen heutzutage von A nach B hasten und vor lauter Eile keine Zeit mehr finden, sich über irgendetwas Gedanken zu machen, oder dass sie wegen ihrer Handys verlernt haben, ihre Umwelt überhaupt wahrzunehmen.

    Wenn man jetzt annimmt, dass der Blumenladen deshalb keine Gewinne abwirft, liegt man allerdings grundlegend falsch. Die Passanten mögen zwar auf ihre Handys starren oder durch die Gasse eilen, aber dem betörenden Blumenduft kann trotzdem keiner widerstehen.

    Außer an kalten Wintertagen steht die Eingangstür zum Laden sperrangelweit offen, und der Duft, der dem Laden entströmt, ist mit Worten nicht zu beschreiben. Es ist just in dem Moment, wenn sie diesen Duft einatmen, dass Passanten in ihrem Schritt innehalten und dem Zauber des Blumenladens erliegen. Denn der Geruchssinn sendet ein Signal ans Gehirn, das wiederum ein Signal ans menschliche Auge weiterleitet und dann erblicken die Augen des Passanten oder der Passantin in der kleinen Auslage die liebevoll arrangierten Blumengestecke, die farbenfrohen Sträuße und die Blümchen oder Pflänzchen, die in kunstvoll verzierten Keramiktöpfchen gedeihen. Und plötzlich erscheint dem Betrachter der Terminkalender nicht mehr so voll, und der Beitrag auf Instagram nicht mehr so interessant wie noch einen Atemzug zuvor. Die Menschen verweilen kurz vor der Auslage und betreten, bevor sie sich ihrer Handlung so recht bewusst werden, den Laden.

    Was aber ist an diesem Laden so Besonderes dran? Warum übt dieser kleine Laden – in einer unscheinbaren Seitengasse, in einem Touristen unbekannten Bezirk in Wien – solch eine Anziehungskraft auf die Passanten aus? Gibt es denn in dieser Gegend keine anderen Blumengeschäfte? Oh doch – die Konkurrenz in dieser Nachbarschaft ist groß, denn es gibt nicht nur den Markt zwischen Reschgasse und Niederhofstraße, auf dem diverse Stände neben Obst, Gemüse und Fleisch auch Blumen feilbieten, sondern auch einen großen Holland Blumen Mark und ein Blumenfachgeschäft auf der Meidlinger Hauptstraße. Sogar die hiesigen Supermärkte wie Billa, Spar und Hofer verkaufen frische Schnittblumen und Topfpflanzen zu Schleuderpreisen. Aber in keinem dieser Geschäfte kaufen die Menschen so gern und so oft ein wie in dem Blumenladen, der nur einen Steinwurf vom Immaguat entfernt ist.

    Dass dieser kleine Laden trotz all der Konkurrenz floriert, liegt an Verena, der der Blumenladen seit dem Tod ihres Großonkels gehört. Verena war noch ein Kind, als ihr Großonkel Hans, der Gründer des Blumenladens, erkannte, dass Blumen und Pflanzen in Verenas Gegenwart prächtiger aussahen und sinnlicher dufteten als sonst. Die Anwesenheit seiner Großnichte im Laden, und der damit verbundene höhere Umsatz war dem sonst eher geizigen Hans der tägliche Apfelstrudel im Winter und das tägliche Staberleis im Sommer wert, und so ergab eins das andere.

    Während ihrer täglichen Stippvisiten im Blumenladen wurde die kleine Verena zur Expertin in Sachen Flora und zum Liebling aller Kundinnen und Kunden, Jahre bevor sie ihre Lehre zur Floristin absolvierte und dann selbst den Laden übernahm. Frau Holik und einige andere ältere Damen aus dem Gründerzeithaus gegenüber beschwören, dass die Blumen mit Verena sprechen, und dass es magische Blumen seien. Aber das ist wohl Altweibergeschwätz, dem man keinerlei Bedeutung beimessen sollte.

    Rose - Kapiteltrennung

    Um vier Uhr morgens wird Verena unsanft von ihrem Wecker aus dem Schlaf gerissen. Sie putzt sich die Zähne, fährt sich achtlos mit den Fingern durchs schulterlange Haar, trägt eine getönte Gesichtstagescreme auf, tuscht sich rasch die Wimpern, und während das Teewasser zu kochen beginnt, zieht sie sich an. Jeans, ein einfärbiges T-Shirt und darüber eins von Großonkel Hans’ karierten Flanellhemden, denn morgens friert Verena immer ein bisschen – selbst im Juli. Dann schlürft sie, wie jeden anderen Tag im Jahr auch, genüsslich ihren Pfefferminztee und am Weg zur Tür schnappt sie sich noch rasch einen Pfirsich von der Obstschale am Küchentisch, und beißt genussvoll hinein. Wie immer bereut sie es, am Vortag aus den Nike Laufschuhen herausgeschlüpft zu sein, ohne die Schnürbänder gelöst zu haben, aber auch das gehört zu ihrem täglichen Morgenritual, das insgesamt keine dreißig Minuten dauert, dazu.

    Verena sperrt ab, hastet die fünf Stockwerke immer zwei Stufen auf einmal nehmend hinunter, denn einen Lift gibt es in ihrem Wohnhaus in der Darnautgasse leider keinen. So wie jeden Tag trifft sie im Stiegenhaus auf Max, den Bäcker, wünscht ihm einen schönen Tag und entsorgt den Pfirsichkern, den Pfirsich hat sie inzwischen verzehrt, in der Biomülltonne im Garten. Um vier Uhr fünfunddreißig steigt Verena in ihren alten Lieferwagen, sendet ein Stoßgebet zum Himmel, dass der Motor anspringen möge, und wie immer lässt sie ihr himmelblauer Mercedes-Benz Vito, den ihr Großonkel vor vielen Jahren erworben hatte, nicht im Stich. Ja, und dann geht‘s ab nach Wien Inzersdorf.

    Für Ortsunkundige sei erwähnt, dass Wien Inzersdorf Standort des größten heimischen Blumengroßmarktes ist. Wiener Floristen sowie deren Kollegen aus den benachbarten Bundesländern tummeln sich täglich auf dem zehntausend Quadratmeter großen Areal auf der Suche nach Schnittblumen, Topfpflanzen, Bindegrün und all dem Zubehör, das man benötigt, wenn man mit Blumen handelt. Dabei geht es zu wie auf einem arabischen Bazar. Die sonst eher zurückhaltenden Österreicher feilschen, schimpfen, bitten, schmeicheln, ärgern sich und jubilieren, denn auf dem Inzersdorfer Blumengroßmarkt gibt es keine Preisauszeichnungspflicht und neben günstigen Deals ist jeder auf der Jagd nach etwas Besonderem. Aber wenn der Besucher die Augen schließt, die Geräuschkulisse ausblendet und den Duft der Blumen ganz bewusst in sich aufnimmt, dann könnte er meinen, er befände sich nicht auf einem Markt, sondern auf einer prächtigen Blumenwiese.

    Verena liebt es, den Tag auf diese Weise zu beginnen. Und doch ist sie nicht wirklich Teil dieses hektischen Treibens um sie herum, denn weder feilscht sie, noch kauft sie ein. Sie schlendert von einem Stand zum anderen und wartet ab. Punkt sechs Uhr herrscht auf einmal Stille, denn die Händler haben ihre Einkäufe erledigt, laden ihre Waren in ihre Lieferwägen und machen sich auf den Weg in ihre Geschäfte. Dort angelangt werden sie all die von ihnen erstandenen Blumen und Pflänzchen zu Gestecken oder Kränzen binden, als Sträuße zusammenstellen oder einfach in Eimern zum Einzelverkauf anbieten.

    Jetzt hat Verena ganze sechzig Minuten, um ihre Waren einzukaufen bevor der Markt für Privatkunden geöffnet wird. Warum nur macht sich Verena so früh auf den Weg zum Blumenmarkt, wenn sie dann eine gute Stunde verstreichen und sich die schönsten oder preisgünstigsten Gewächse von anderen vor der Nase wegschnappen lässt? Nun, der Schein trügt, denn Verena werden von den Großhändlern die Sorgenkinder unter den Blumen und Pflanzen, die Amaryllen, die Bonsais, die Hahnenkämme, die sensiblen Rosensorten, die Blumen, die welk und erschöpft sind von ihrer langen Anreise aus Südamerika, der Türkei oder Japan, ans Herz gelegt. Denn die Händler auf dem Inzersdorfer Blumengroßmarkt, egal ob Freund oder Konkurrent, sind sich darüber einig, dass Verena es schaffen wird, diese Blumen und Pflanzen aufzupäppeln, bevor sie sie dann geeigneter Kundschaft überlässt.

    Wenn man Verena so sieht, zierlich, blass, mit großen kastanienbraunen Augen, und glattem, aschblonden Haar, dann schaut man wahrscheinlich kein

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