Die Liquidatorinnen
Von Thomas Herget
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Über dieses E-Book
Die scheinbar krisensicheren Jobs entpuppen sich in diesem nur leicht dystopischen Frauendrama als Elendsplackerei für den autoritären Landeshauptmann Pangraz, in den sich Irma unsterblich verknallt hat, für den sie aber nur neuen aus alten Schrott gewinnt, schwach radioaktive Liebesbezeugungen, die bis zum Schluss unerwidert bleiben. Als Franzis Geliebter Ambros, der als revolutionsfester Stenz dem Klassenkampf wie ein Peer-Gynt-Widergänger hinterherhechelt, durch Pangrazs Kugel stirbt, ist die Lunte gelegt für den blutigen Schlussakkord im Stil einer griechischen Tragödie.
Zerschossene Hoffnungen und bigotte Unterwürfigkeiten haben die fleißigen Lieschen geschliffen und schicksalshaft ins Rattenloch der Big-Data-Ära gespült. In der kafkaesken Verbannung sind sie frei von jedweder Schuld, die Verrohung der Welt vollzieht sich außerhalb ihres Anschauungs- und Erfahrungshorizontes. Dieses Theater generiert surreale Momente um tragikomische Existenzen, Alltagsbeschreibungen monströser Arbeitsleben. Wie in seinen vorherigen Stücken entwirft der Autor in "Die Liquidatorinnen" beklemmende Bilder des Ausgeliefertseins, der Vergeblichkeit von Sprache und Bewegung, die über das Schicksal seiner Figuren hinausweisen. Sie zeigen in eine Welt, in der die Existenz des Einzelnen nichts zählt, seine mögliche Funktionsfähigkeit für die Gemeinschaft aber am Ende seiner Tage erneut geprüft wird.
Thomas Herget
Thomas Herget wurde 1964 in Frankfurt am Main geboren. Er studierte Kunststofftechnik und Maschinenbau in Darmstadt, schrieb daneben als Autor für Zeitungen und Zeitschriften im deutschsprachigen Raum. Nach Förderpreisen und Stipendien in den Achtziger- und Neunzigerjahren wandte er sich zunächst vom Literaturbetrieb ab. Als Publizist lieferte er Beiträge in den Ressorts Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft für taz, Frankfurter Rundschau und verschiedene Stadtmagazine, schrieb Filmrezensionen, etwa für die Passauer Neue Presse und Junge Welt. Weiterhin zeichnet Herget als Kulturredakteur bei einem Magazin verantwortlich und schreibt für Hörfunk und Theater. Er lebt in der Nähe von Kiel.
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Buchvorschau
Die Liquidatorinnen - Thomas Herget
Die Liquidatorinnen. Das Land steht unter Strom. Aber es ist sich nicht einig, in welche Richtung die Weichen gegen Treibhausgase und die drohende Klimaerwärmung gestellt werden sollen. Noch gehen Franzi, Hedy und Irma dem Kraftwerkstorso beim Rückbau beherzt an die Armierung, ansonsten aber verengt sich der Ausblick auf die Energiewende zu einer ideologischen Schießscharte. Unter der Kernreaktorkuppel begreift sich das Matriarchat als neue Avantgarde einer Arbeitsbrigade, die der Nation den Weg in eine grüne Zukunft weisen soll. Doch draußen lodern bereits die Feuer des Aufruhrs in den Torfmooren, sägen Partisanen an den neuen Stromtrassen, mit denen die Energiebarone von gestern den Reibach von morgen machen.
Zerschossene Hoffnungen und bigotte Unterwürfigkeiten haben die fleißigen Lieschen geschliffen und schicksalshaft ins Rattenloch der Big-Data-Ära gespült. In der kafkaesken Verbannung sind sie frei von jedweder Schuld, die Verrohung der Welt vollzieht sich außerhalb ihres Anschauungs- und Erfahrungshorizontes. Dieses Frauendrama generiert surreale Momente um tragikomische Existenzen, Alltagsbeschreibungen monströser Arbeitsleben. Der Autor entwirft beklemmende Bilder des Ausgeliefertseins, der Vergeblichkeit von Sprache und Bewegung, die über das Schicksal seiner Figuren hinausweisen. Sie zeigen in eine Welt, in der die Existenz des Einzelnen nichts zählt, seine mögliche Funktionsfähigkeit für die Gemeinschaft aber am Ende seiner Tage erneut geprüft wird.
Thomas Herget wurde 1964 in Frankfurt am Main geboren. Neben seinem Studium in Darmstadt publizierte er für Zeitungen im deutschsprachigen Raum. Es folgten literarische Förderpreise und Stipendien. Journalistische Tätigkeiten unter anderem für taz, Frankfurter Rundschau und Passauer Neue Presse. Heute verfasst er Film- und Theaterrezensionen, zeichnet für das Bühnen-Ressort eines Magazins verantwortlich und schreibt für Hörfunk und Theater. Er lebt in der Nähe von Kiel.
„It‘s better to fade away like an old soldier than to burn out"
John Lennon
Inhalt
Die Liquidatorinnen
Über das Stück
Die Liquidatorinnen
Personen
FRANZI, die Jüngste
IRMA
HEDY, die Älteste
Radiostimmen, Geräusche
Zeit, Ort und Anmerkungen
1.
Heute oder in naher Zukunft. Unser Kernkraftwerk befindet sich im Rückbau, steht kurz vor der romantischen Verwilderung, in einem vom Netz genommenen, aber noch teilfunktionalen Zustand. Eine kathedralenartige Anmutung, trotz endzeitlicher Einbettung, augenscheinlich fernab jedes menschlichen Siedlungsgebietes.
2.
Musik nur zwischen den Szenen. Songs von Agnes Obel. Wahlweise oder im Wechsel die Instrumentalstücke „Roscian, „Droseria
und „Parliament of Owls". Dystopisch wiederkehrende Soundschleifen, die der Dauer möglichst kurzer Umbaupausen anzugleichen sind. Keine Musik zwischen fünfter und elfter Szene, in dieser Bilderfolge bedingen komödiantische Slapstick- und Screwball-Elemente rasante Wechsel.
3.
Die Sprache, die sie absondern, dient den Liquidatorinnen nicht zur Bewusstseinsmachung einer bestimmten Form von Ästhetik oder Schönheit, mit der sie sich von ihren Mitstreiterinnen abheben wollen. Sprache liefert ihnen allenfalls den Nachweis über die eigene Existenz, den steten Impuls, dass alles Gesagte nicht unwidersprochen bleiben sollte. Diese Sprache ist ebenso uneitel wie in einem kindlichen Sinne derb. Worte als Werkzeuge einzusetzen, auch um Teile der eigenen Unvollkommenheit abzutragen, provoziert Widerstand, der hier als Arbeit aufgefasst werden darf. Sprache ist Plackerei plus Überwindung. Das sollte im Stück als Anstrengung wahrgenommen werden.
4.
Als Liquidation wird die Abwicklung einer Gesellschaft durch den Verkauf aller Vermögensgegenstände bezeichnet. Der Liquidator ist dabei das Organ einer Vereinigung und haftet in dieser Funktion, etwa bei der Erfüllung steuerlicher Pflichten. Im engeren Sinn als Liquidatoren wurden auch die Beschäftigten bezeichnet, die 1986 nach der Havarie des Reaktorblocks in Tschernobyl den stark strahlenden Schutt und die Grafitblöcke entfernen mussten, die vom Druck der Explosion auf die Dächer der Nebengebäude geschleudert worden waren. Diese Personen wurden auch „Bioroboter genannt, weil sie die wegen der Strahlung versagenden deutschen und japanischen Räumungsroboter kongenial ersetzten. Nach Angaben der WHO gab es 600 000 bis 800 000 Frauen und Männer, die in der heutigen Ukraine als Liquidatoren im Einsatz waren. Von den 400 000 offiziell Registrierten erledigte rund die Hälfte die Arbeit, ohne dass sie dafür Belege erhielten. Bis heute sind die meisten Daten über das Ausmaß der radioaktiven Bestrahlung von Personal, das bei der Liquidation der Kraftwerkskatastrophe in der einstigen Sowjetrepublik teilgenommen hat, unter Verschluss. Bekannt ist aus der Ukraine die Zahl von 17000 Familien von Hilfskräften, die eine geringe staatliche Rente erhalten. Spricht die WHO von „weniger als fünfzig unmittelbaren Todesopfern
, so schätzt das Otto-Hug-Strahleninstitut in München die Gesamtzahl der bis 1999 verstorbenen Personen auf über 50 000. Viele der noch lebenden ehemaligen Liquidatorinnen und Liquidatoren leiden noch heute unter der Strahlenkrankheit und müssen sich regelmäßig ärztlich untersuchen lassen. Ihnen ist dieses Stück gewidmet.
Erste Szene: Vorspiel und Absolution
Theaterprobe in einem Reaktorgebäude. „Der Disneykiller", sehr frei nach Philip Ridley. Annähernd völlige Dunkelheit. Ausgeleuchtet nur ein Kreis vorne an der Rampe, an der die junge Franzi unter improvisiert angeordneten Leuchtkörpern fürs monologische Vorsprechen übt. Irma und Hedy unsichtbar an den Seiten, anfangs sind nur deren Stimmen zu hören, die Franzi kaum wahrnehmbar, doch unnachgiebig soufflieren.
FRANZI Da stand ich vor dem Altar, mit sieben tollwütigen Tieren, die durch den Mittelgang auf mich zukamen. Ich hab ein paar alte Bibeln genommen und nach ihnen geworfen. Hat nichts genützt. Die Hunde haben die Bibeln zerfetzt. Ich hatte solche