Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Das geteilte Wasser: Ein Studentenleben östlich der Elbe um 1968
Das geteilte Wasser: Ein Studentenleben östlich der Elbe um 1968
Das geteilte Wasser: Ein Studentenleben östlich der Elbe um 1968
eBook432 Seiten5 Stunden

Das geteilte Wasser: Ein Studentenleben östlich der Elbe um 1968

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Hannes König will 'vergehen', am Meer und in der
Stadt am Meer. Ist zerrissen im Studium der
Naturwissenschaft zwischen Molekülen, Freunden,
Frauen und Kneipen. Ist zerrissen in der
fortschrittlichen Gesellschaftsordnung, die 1968
auch Panzer rollen lässt. Ist zerrissen zwischen
Belesenen und scheinbar Schlichten. Versinkt fast
mitten in diesem wundervollen prallen Leben.
Erlebt Höhen, Abstürze und Stürme, Begeisterung
und Zweifel, erlebt die Faszination der Musik des
Klassenfeindes.
Erlebt auch Glück.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum19. Mai 2020
ISBN9783751927956
Das geteilte Wasser: Ein Studentenleben östlich der Elbe um 1968
Autor

Jürgen Ostwald

Der Autor ist Rentner, lebt und lebte auch östlich der Elbe am Wasser. Nach einer Ausbildung zum Facharbeiter wurde er letztendlich promovierter Naturwissenschaftler. Nach Abschluss des Studiums ist er zuerst über, unter und durch große Schiffe gekrochen, wollte und sollte helfen, den Rost zu bekämpfen. In den letzten 30 Jahren des Arbeitslebens durfte er Verhalten verschiedener menschlicher Zellen untersuchen, hat dabei eine vage Ahnung der Wunder des Lebens bekommen.

Ähnlich wie Das geteilte Wasser

Ähnliche E-Books

Fiktion für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Das geteilte Wasser

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Das geteilte Wasser - Jürgen Ostwald

    34

    1

    Der Wagon ratterte und schaukelte, manchmal gab es Angst aber das, was draußen vorbei flog, war zu schön. Bäche und Wiesen, der ganz große Fluss, Hügel mit Wäldern, wenige Dörfer. Hannes König presste das Gesicht an die nasse Scheibe, das Schöne, all dieses Schöne schwebte durch seine Augen, fiel irgendwo nach innen, fiel in Gedächtnisschachteln mit der Aufschrift 'Ich will hier sein' oder 'Ich will hier liegen'. Am Ende das Schönste, dort ging die Reise hin, am Ende kam das Meer. Da störte kein Schaukeln und Rattern, kein beißender Geruch von verbranntem Schwefel, der gehörte dazu, der gehörte zur Lok, das war ihr Wesen.

    Aber das Meer war der Lohn. Eigentlich Nebensache aber der Lohn. Hauptsache war ein stolzes Wort, Hauptsache war die Universität in der Stadt am Meer. Er hatte sie schon gesehen, vor einem halben Jahr, beide, die Universität und das Meer. Das erste Mal im Leben, in seinem Leben, gerade volljährig, weit heraus aus der kleinen Stadt im flachen Land.

    Das Meer gab sich grau und stürmisch, Gischt flog über den Strand, er ließ Sand zwischen den Fingern rinnen. Er hatte gelesen, der Sand musste durch die Finger rinnen und es stimmte. Dieser Sand rann anders als Flusssand, feiner, eben richtiger Seesand. Auch die grauen dunklen Wellen, die Symphonie aus Tönen, Farben, Helligkeiten, das Windgefühl auf der Haut, anders. Aber das Wichtigste, Nichts. Nichts war da, wo es Horizont hieß, wo Büsche, Dächer oder Häuser standen, wo Schornsteine und Bäume den Weg versperrten, wo rote Fahnen triumphierend klirrten. Nichts. Wenn ich hier losfahre, hier an dieser Stelle, komme ich an jede Küste der Welt. Alles ist offen, der flache graue Schatten am Horizont keine ernsthafte Hürde für Einen, der will. Aber er wollte nicht, wenn er hätte gekonnt. Er war hier um etwas anderes zu wollen, ein schweres Wort, Aufnahmeprüfung, auch verbunden mit Angst. Aber seine Seele war offen, so offen, alle Jalousien hochgezogen, höher ging nicht. Er wollte Neues, nur Neues, vollkommen Neues. Er wollte an dieses Meer, nur an dieses Meer und an diese Stadt am Meer, und an diese Universität in dieser Stadt an diesem Meer. Er gehörte zu den wenigen, die mit starten durften. Ohne Partei, ohne Arbeiter- oder Bauernkind zu sein. Es hatte sich so ergeben, ohne große Probleme.

    Ein chemisches Institut, wie gut das klang, ein alles durchdringender Geruch, ein schummeriges Zimmer mit Tisch, einem unbequemen Stuhl davor, einer bequemen Couch dahinter. Auf der bequemen Couch ein Professor, er hatte noch nie einen Professor gesehen, einen richtigen Professor. Weißer Kittel, volles Gesicht, graue wellige Haare.

    Herr König, stellen sie sich vor, auf dem Grund eines engen Loches befindet sich eine kleine Holzkugel. Wie kommen Sie an diese Kugel ran, ohne Werkzeug zur Verfügung zu haben?

    Der Prüfer funkelte ihn neugierig an durch eine Brille mit dickem Rand. Nach einigen Zwischenfragen machte Hannes den Vorschlag, Wasser ins Rohr zu gießen, worauf der Prüfer befriedig nach unten blickte und weiterfuhr.

    Herr König, stellen Sie sich vor, auf einem Dach sitzen fünf Spatzen und sie klatschen in die Hand. Die Spatzen fliegen los. Durch mindestens wie viel Spatzen könnten sie ständig eine Ebene legen?

    Er hatte gelernt, gepaukt, Aliphaten, Aromaten, Gleichungen, Wertigkeiten aber nichts mit Spatzen oder Holzkugeln, oder Ebenen. Sein Freund Jürgen hatte geraten, das Periodensystem auswendig zu lernen aber er war doch nicht bescheuert.

    Nach einer kurzen Pause meinte er Drei, sehr sicher, in sich jedoch auch versteckte Restzweifel. Wieder ein befriedigter Blick nach unten, eine einfache Frage zur Chemie, dann blickte der Prüfer erneut freundlich.

    Herr König, Danke, Bitte, Sie hören von uns.

    Was Danke, Bitte? Dann verstand er, Danke für die Antworten, Bitte mit nem Blick zur Tür, er kann verschwinden, draußen saß noch ein dünner Typ seines Alters.

    Zurück in die Kleinstadt mit gutem Bauch, Stolz, die Universität, das Institut. Nach vier Wochen ein Brief, Die Universität..., zugelassen. Irre, einfach so, studieren, das klang gut.

    Wieder flog die Landschaft an dreckigen Fenstern entlang, die Hügel, Felder, Wiesen und Seen gerahmt von Wäldern. Wälder aus Buchen und Eichen, keine drögen Kiefern. Wälder, deren Laub sich verfärbte, die anfingen, sich dem Herbst zu ergeben. Endgültig raus aus der familiären Enge, raus aus der Kleinstadt, raus. Das Neue, Große sollte beginnen, das Schöne am Meer.

    Pass auf, dein Bastkorb fällt dir gleich auf den Kopf.

    Er schreckte hoch. Ein älterer Mann, hager, Glatze mit gutmütigen Augen steckte sich eine F6 an. Der Zug rumpelte in einen größeren Bahnhof ein. Die Glatze wies nach oben. Sein prall gefüllter Koffer aus Rohrgeflecht, durch zwei dünne Lederriemen zusammengehalten, stand auf Kippe, musste zurecht geschoben werden. Ein Bote aus früheren Zeiten, damals elegant, jetzt überholt, auffallend, er wartete auf den bekannten Spruch, Pass uff, wenn's regnet dann kriegt dein biologischer Koffer Blätter.

    Auch ans Wasser?

    Wie?, Hannes verstand ihn nur schwer, er redete irgend so ein Plattdeutsch.

    Ob du auch ans Wasser willst, zur See fahren oder Fische fangen?

    Nee, er pulte sich ebenfalls eine Zigarette aus der Tasche, ein weiteres Zeichen von Freiheit, keine Gefahr mehr durch die Eltern. Sollte er es sagen? Warum nicht?

    Ich will da was studieren, nach einem kurzen Blick aus dem Fenster, Chemie.

    Oh Gott, sein Gegenüber lachte wieder gutmütig, da habe ich keine Ahnung von, ich kann Schiffe zusammen schweißen. Willste was Besseres werden?

    Er war oft in der Schmiede im Ort, zuschauen, wie Herrmann Meier das glühende Eisen verbog, wuchtige Hammerschläge, den frisch aus dem Feuer gezogenen Vierkant bearbeitete. Er durfte selbst das Eisen halten, Hannes, weiter nach vorn, so ists gut. Er kannte die Gerüche, der Azetylenentwickler, die großen Wolken am Pferdehuf, sah die gefährlichen Zuckungen am erhobenen Pferdebein, irrsinnig gebeulte Muskeln, mühsam von zwei Männern gehalten.

    Chemie war wie ein Wunder, hatte etwas von Kunst. Die Arbeit in der Schmiede auch, Herrmann Meier war ein starker Mann, nicht nur körperlich. Er selbst war nichts Besseres, wollte es auch nicht sein, wie denn besser? Chemie war einfach interessanter, jedenfalls für ihn.

    Das ist nichts Besseres, was glauben sie, wie das stinkt.

    Ja, det glöw ick woll, er schüttelte sich vor Lachen, warste noch nie am Wasser, mit Motorrad und Zelt oder so?

    Nee, er wusste nicht, was 'oder so' bedeuten sollte, 'Nee' stimmte aber, in jedem Fall.

    Und ne Freundin zu Hause?

    Hannes sah Friede vor sich, lange her, zog an der Zigarette, schüttelte leise den Kopf.

    Ja min Jong ich merk schon, ick glöw, du bist richtig hier, wird dir alles gefallen, bei den Studenten da ist was los.

    Schön, er nickte, blickte wieder aus dem Fenster, in der Ferne zogen Häuser mit einer Kirche am Fluss vorbei. Hannes atmete tief aus, 'bist richtig hier'.

    2

    Ein scheinbar endloser Flur, links und rechts Türen mit Nummern, darunter Papierschilder mit Namen, Ullrich Mewes, Wolfgang Haustein, Johannes König, Hans Moltke. Hannes lauschte, keine Geräusche, klopfte vorsichtig, während er die Klinke drückte rief eine Stimme von innen klar Herein. Ein freundlich aussehender Blonder, schlank wie Hannes selbst, hob den Kopf aus der unteren Hälfte eines der beiden Doppelstockbetten, drehte sich heraus.

    Du bist, er zögerte, schaute Hannes genau an, du bist Hans Müller.

    Stimmt fast, Hannes grinste, während er seinen Bastkoffer auf das obere Bett am Fenster warf, ihm gefiel die direkte Art des Mitbewohners, im Prinzip ja, aber nicht Hans, sondern Johannes und nicht Müller sondern König.

    Oho, der Fremde kam auf ihn zu, streckte die Rechte lächelnd vor, du kennst den berühmten Sender Jerewan. Ich bin Wolfgang Haustein, genannt Wolle.

    Sie setzten sich an den kleinen Tisch, umgeben von vier einfachen Stühlen.

    Und ich, wie gesagt, Hannes König, genauer gesagt Johannes, aber weder heilig noch König.

    Deinen biologischen Koffer..., Hannes unterbrach ihn missmutig, ja, ja, ich weiß, wenn der in Regen kommt kriegt er Blätter....

    Du kannst ihn aber trotzdem in einen dieser schmalen Schränke stellen oder unters Bett, Wolle lächelte freundlich, sicher ist sicher.

    Von der verbliebenen freien Wand blickten vier hohe schmale Armeeschränke ins Zimmer, dünnes Holz, Presspappe, öffnete man die Tür intensiver Geruch nach gebrauchtem Leben und Bohnerwachs.

    Während sie auf den Betten lagen, berichtete Hannes über seine weit entfernte Stadt Dönneritz, den bei der Binnenreederei angestellten Vater.

    Die Russen haben uns den Kahn geklaut. Na ja, nach 45 beschlagnahmt, kennst du doch, Reparation. Wenn mein Vater darüber spricht kuckt er nur an die Decke oder rührt in der Suppe, blickt nicht hoch. Alles nur wegen der Nazis, diese Idioten, konnten ja den Hals nicht voll kriegen. Und jetzt, na ja, er blickte schräg herunter zu Wolle, lassen wir das.

    Wolle stammte aus Kramperow, ein Dorf in der Nähe der Küste. Alles war interessant, fremdes Leben füllte den Raum. Wolles Vater studierte selber neben der Arbeit, wurde Agronom in der LPG, seine Mutter war Lehrerin. Und das Beste, Wir wohnen im ehemaligen Gutshaus, er sprach gestelzt, das Schloss, draußen noch mit Wappen, von Basserwitz oder so. Viel Platz, musst uns mal besuchen.

    Klar, Hannes freute sich, mal ins Gutshaus, nicht schlecht, ist Agronom so was mit Dünger, muss man da in der Partei sein?

    Quatsch, mein Vater ist nicht in der Partei, der Vorsitzende ist wohl drin aber sonst nicht viele.., während Wolle weiter sprach öffnete sich lautlos ihre Tür, ein großes schwarzes Ding schob sich herein, gefolgt von einem untersetzten jungen Mann, scheinbar etwas älter als sie, längere dunkelbraune Haare und eine sehr starke Brille, in der Hand einen kleinen Koffer.

    Tach schön, Wörter vermischten sich mit einer deutlichen Bierfahne, füllten den Raum, ick bin Ulli Mewes und det Ding hier is keene Bombe, det is'n Akkordeon, braucht ihr keene Angst haben.

    Sie richteten sich überrascht auf, Hannes ließ die Beine baumeln.

    Und wo kommst du jetzt her?

    In ihrem bisherigen Leben war es nicht üblich, am späten Nachmittag eine Bierfahne zu tragen.

    Wisst ihr wat, ick bin vor ne Woche vonne Sandlatscher weg, Drögeheide, schon mal gehört?

    Sie schüttelten die Köpfe, vielleicht schon mal gehört aber vollkommen unbekannt, irgendwas mit NVA.

    Passt mal uff, er schob den kleinen Koffer ebenfalls unter ein Bett, schmiss seinen kurzen Mantel und das Jackett auf nen Stuhl, wir grunzen erst mal ne Runde und dann gibt's hier in der Nähe ne Studentenkneipe, da zischen wir noch 'n Bierchen, da erzähl ich Euch von Drögeheide.

    Studentenkneipe, ein wunderbares Wort. Diederich Heßling war ein mieses Stück gewesen, aber die Studentenkneipen im Film, zusammen mit Anderen, Singen, Begeisterung, Bier, herrlich. Hannes zog die Decke hoch, es war noch hell, sie lagen in ihren Armeebetten, schauten an die weiß gekalkten Wände und nachher in die Studentenkneipe. Er wollte im Meer vergehen, spürte, das 'Vergehen' begann bereits hier. Freiheit, Freude, alles offen.

    Bis zum 'Deutschen Haus' waren es nur wenige Minuten. Erstaunlich, dass im ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaat eine Kneipe den Namen 'Deutsches Haus' besaß, in Dönneritz und Umgebung gab es das nicht. Schon von außen Lärm und Getöse durch geöffnete Fenster, Unmengen an Rauch mussten irgendwo hin. Nach der Tür nur ein kleiner Raum aber wunderbar, drei Plüschsofas, Plüschstühle, ein paar Tischchen und ein Kachelofen. Hinter der engbrüstigen Theke Frau Knoopf, undefinierbares Alter, Oma, mindestens 60, vielleicht auch mehr. Zwei Tischchen besetzt von Arbeitern in Blaumann, einer hatte den Kopf auf dem Tischplatte, die Gläser standen am äußersten Rand. Sie fanden Platz, Ulli machte sie vertraut, Ick hab in den letzten Tagen paarmal hier gesessen, hier könnter och anschreiben lassen, det jeht bei Frau Knoopf.

    Wo kommt Ihr denn her, seid Ihr die Neuen?, Frau Knoopf winkte hinter dem Tresen, setzt Euch mal hin, ich komme gleich.

    In der Ecke des Plüschsofas wälzte sich ein dickes Vieh, kam aus tiefen Wülsten heraus und betrachtete sie durch eine dicke Brille.

    Ja, sie freuten sich aufgenommen zu werden, wir sind die Neuen und wir wollen mal ein Bier.

    Na, dann nehmt mal Platz, natürlich müsst Ihr erst Einstand geben, das ist selbstverständlich, danach sehen wir weiter. Ich bin Hubert, Physik.

    Ulli beugte sich vor, fixierte ihn, Hubert, hör mal her, ick bin Ulli, Drögeheide und wenn hier eener een ausjibt, denn nich wir. Du kannst Dir geehrt fühlen, alles Chemie.

    Hubert grinste, sie grinsten, dann fuchtelte Hubert mit erhobener Hand Richtung Theke, bestellte vier Bier quer durch den Raum, Aber zahlen müsst ihr selbst. Sie nickten, alle lachten. Als die Gläser auf dem Tisch standen beugte sich Frau Knoopf noch einmal vor, musterte die drei Neuen aufmerksam. Aus der Nähe konnte man ihre Runzeln und einen mit Haaren bewachsene größeren Knubbel erkennen.

    Ihr kommt aus dem Wohnheim?, sie bewegte den Kopf und schaute durch die schwarzen Fenster in Richtung ihrer Unterkunft.

    Det is'n riesiger Bienenbau, da wimmeltet von Studies, die woll'n alle hier her, Wotan lachte, wollte lustig sein, Frau Knoopf redete einfach weiter.

    Wenn ihr mal knapp seid können wir anschreiben. Aber höchstens bis zwanzig Mark, in ihren Händen befanden sich schon wieder leere Gläser vom Nachbartisch, mehr nicht! Das langt aber auch, Hannes lachte, da kann jeder über vierzig Gläser vernaschen, bei achtundvierzig Pfennig, das reicht.

    Er war reich, die Eltern hatten ihm siebzig Mark ins Portemonnaies gesteckt, sehr viel Geld für sie. Irgendwann soll es ja Stipendium geben. Jeder nahm einen tiefen Zug, oh ist das schön, Wolle stieß mit Hannes und Ulli an, danach mit Hubert.

    Wann gibt's eigentlich Stipendium?, sie blickten auf Hubert, der muss das doch wissen.

    Seid ihr Arbeiter oder Bauern oder etwa sogar indifferente Angestellte, die haben doch vom Klassenstandpunkt keinerlei Ahnung, er demonstrierte ein dozierendes Gesicht.

    Wenn ihr ordentlich seid, also Arbeiterbauern, er nuschelte bewusst, gibts 190 Mark, für arme Angestellte nur 140, zehn Mark gehen gleich ans Heim, also an den Bau, der Rest ist für's 'Deutsche Haus'.

    Er lächelte um Beifall bittend zu Frau Knoopf, die belustigt zurück winkte.

    Und ausgeschüttet wird der ganze Reichtum am Monatsanfang, nun könnt ihr schon planen.

    Sie stießen erneut an, man war das alles schön.

    In Drögeheide, Ulli fixierte streng die Runde, musste unbedingt wieder zu Wort kommen, in Drögeheide war alles dröge, könnt ihr mia glauben, aber hier, er schnippte mit dem rechten Zeigefinger gegen seine Kehle, hier war et nich dröge. Mann haben wir da gesoffen, obwohl, natürlich alles streng vaboten. Zwee mal inne Woche Haarwurzelkathar vom Goldbrand und von det Wochenende will ick janich reden.

    Am Nebentisch entstand poltrige Unruhe, die Arbeiter gingen nach Hause, schleppten den Kopftischlieger vorsichtig über die Schwelle, neue Gäste nahmen sofort Platz, riefen Fünf Bier und fünf Korn, begannen Skat zu spielen.

    So, also Drögeheide, Ulli redete unmittelbar weiter, es war klar zu erkennen, er war voll mit Wörtern, die mussten raus, unbedingt.

    Alle haben ganz schnell Sakima abjekriecht, ganz schlimm, kennt ihr nicht wa, könnt ihr auch nicht kennen. Sand-Kiefer-Macke, Grad 1 bis 10. Jeden Tag durch die dröge Heide, Gleichschritt, Dauerlauf oder 'Ohne Tritt Arsch'. Morgens und abends Margarine, Kunsthonig aus Pappeimern oder Harzer Roller. Der war so weich, der konnte schon allene uff's Mischbrot kriechen.

    Wieder allgemeines Gelächter. Plötzlich ein lauter Ruf, Wotan!, alle blickten um sich.

    Ulli erhob sich sofort, Ach du, Hellmut, er winkte zu den Skatspielern rüber, alter Mittelpisser, wie kommst du denn her?

    Auch Hellmut stand auf, sie umarmten sich, Spielt mal ne Runde alleine.

    Gemurre, aber Hellmut setzte sich zu den Chemikern.

    Da habt ihr ja nen richtigen Vogel gefangen, diesen Sprilli, Ulli drohte mit dem Finger, aber prima Kerl, hat er uns erzählt, dass er nach Drögeheide Chemie studieren kann. Wenn er uns nicht mit seinen Göttern fertig gemacht hat.

    Ja, interessiert mir allet mit die Jötter, Ulli unterbrach sich selbst, ick kann och Hochdeutsch, 'mit den Göttern', meine Oma hat ein altes Buch, er blickte sich um, sprach leiser, aus der Nazizeit. Richtig spannend. Die germanischen Götter.

    Und da biste dann gleich König geworden?

    Ne, ne, den Namen haben mir diese Sandlatschertypen gegeben, hier, Hellmut und Konsorten, weil ick denen 'n bisschen Bildung beibringen wollte.

    Genau, der Fremde pflichtete schmunzelnd bei, wenn wir am Wochenende zusammen mit Genossen Goldbrand saßen. Der Sprilli konnte froh sein, dass er mit uns zusammen sein durfte.

    "Genau, eine Wahnsinnsehre, mit Mittelpissern zusammen zu sitzen, denen ein klitzekleines bisschen Wissen in die leere

    Rübe zu impfen. Sehr sehr schwere Arbeit."

    Wieder lautes Gelächter. Für Wolle und Hannes wurden die elementaren Unterschiede erklärt, erstes und zweites Diensthalbjahr, dazwischen die weiten Welten. Und plötzlich war es 23 Uhr und Frau Knoopf wollte nur noch eine Runde geben, denn die Polizeistunde, unerbittlich und sie gab auch nur noch eine Runde. Danach wankten sie leicht benebelt zusammen mit dem dicken Vieh in den Studentenbau.

    Guck mal hoch, Wolle wies auf den Giebel. Trotz des blassen Lichtes der Straßenlampe war an der Front Schrift zu erkennen, Arbeiter- und Bauernfakultät, unzerstörbar im Putz eingelassen.

    Det war die Rabfak.

    Ulli kannte sich überall aus, hier haben die Arbeiter und Bauern oder deren Kinder studiert oder Abitur oder so was gemacht, wegen det Bildungsmonopol der herrschenden Klasse. Das fand Hannes gut, Gerechtigkeit, Gerechtigkeit war gut, war sehr gut. Musste er morgen in sein Heftchen eintragen.

    Und was ist Rabfak, schlauer Genosse?

    Genosse Hannes, det wees ick nich, mir is irgenwie schlecht, det is vonne Russen, ick gloobe Rabotschnie Fakultät, also du weest ja, Arbeiterfakultät, die Bauern sind runter jefallen.

    Ende des ersten Abends im neuen Leben, dann Schlaf, tief und traumlos, dann irren durch spärlich erkennbare Gänge, fremde Gänge, um befriedigend einen dicken Strahl abzugeben, dann wieder tief und traumlos. Nachts kurze Geräusche, helle Deckenlampe, nach einem lauten Schrei sofort wieder dunkel. Morgens zersägten Wecker die Stille, stöhnen und fluchen. Das vierte Bett war besetzt. Ein großer Dünner schaute heraus, an sich rotes aber jetzt bleiches Gesicht wie sie alle, dünne Haare, vorn fast schon Platte.

    Hans Moltke, wat birgst du so bang dein Gesicht, Ulli-Wotan war als erster draußen, siehst du deinen Freund den Wotan nicht? Gestern Abschied gefeiert?

    Also auch noch Dichter. Hans Moltke ließ sich elastisch herabfallen, trotz augenscheinlich nicht guter Verfassung ein sportlicher Eindruck.

    Na klar, mit leiser Stimme begrüßte er sie, zog aus seinem Koffer ein Paket heraus, intensiver Duft füllte das Zimmer, Bienenstich.

    Von unserem Walnussbaum auf dem Hof, meine Mutter kann das am besten, sagen alle.

    Na her mit die Klappstullen, Wotan zerrte aus einem Schrank vier Teller, Hannes brühte in der kleinen Küche um die Ecke eine angeschlagene Kanne auf, türkisch, Muckefuck, Bohnen hatte niemand. Hans berichtete von seinem Dorf, Bauernhaus, Abitur in der Kreisstadt.

    Passt mir gar nicht mit dem Ernteeinsatz, am Wochenende die ersten Punktspiele, Bezirksklasse.

    Er atmete stolz aus.

    Ach dann haste dir die Haare uff de Stirn schon weggeköppt?

    Wotan musste immer, war so die bekannte Berliner Schnauze?

    Nee, Hans legte beide Unterarme auf den Tisch, blickte Wotan einige Sekunden in die Augen, Nee, hab ich nicht.

    Wolle war als Erster fertig, packte sein Zeug ordentlich zusammen, Na dann los, auf zu den Genossen Bauern.

    Punkt acht morgens, im Vorraum des Heimes. Gruppen von Mädels, die aus dem Studentinnenheim, einzeln Stehende, Jungs und Mädels aus der Stadt, die Biertrinker vom vorigen Abend zusammen, bereits eine Gruppe nach fünf Gläsern, Aufregung im Blut. Allgemeines Gemurmel, huschende Blicke, Einschätzen, Mustern von Gesichtern, Figuren. Ein junger Mann in Blouson und grauer Hose, dünnes Haar, rief alle laut zusammen, Kommen sie mal her in den Vorraum. Mein Name ist Lehmann, ich bin ihr Assistent.

    Das nennt sich Atrium, Wolle ließ den Blick durch die hohe Halle kreisen, oben gesäumt von Geländer der Gänge im ersten und zweiten Stock. Er flüsterte noch einmal in Hannes Richtung, Typisches Atrium. Was ist das, noch nie gehört, Hannes nickte trotzdem.

    Wie sie vielleicht schon wissen beginnt heute ihr Ernteeinsatz in der LPG Meer des Friedens, nur fünfzehn Kilometer entfernt.

    Herr Lehmann zog eine Liste aus seiner Tasche, begann vorzulesen.

    Karin Förster, seine Blicke durchflackerten sie, etwas lauter noch einmal, Karin Förster.

    Ach hier, aus der hinteren Reihe wurde eine Hand erhoben, eine laute Stimme rief noch einmal entschuldigend Hier.

    Die großgewachsene Blondine in modischen Keilhosen fuhr verlegen durch das hochtoupierte Haar, ihr offenes Gesicht, ihr breiter Mund, das verschmitzte Lächeln standen im Gegensatz zum ehrerbietigen Ton.

    Na, gut, weiter, Judith Schneider.

    Zur Stelle Euer Gnaden, mit th.

    Was mit th? Sie sahen sich an, allgemeines Gelächter, die ist nicht auf den Mund gefallen und überhaupt. Die Einheimischen raunten sich zu, Typisch Judy.

    Sie schob sich vor, hübsch, schwarze deutlich gekräuselte Haare mühsam nach oben gesteckt. Ihre gute Figur und das straffes Gesicht mit dem scheinbar gelangweilten Blick aus halb geschlossenen Augen zog die Aufmerksamkeit auf sich. Sie zerrte aus knapp sitzenden Westjeans ein Heft.

    Hier, meine Zulassung.

    Herr Lehmann betrachtete das Papier mit leichtem Lächeln, Danke, die brauchen wir jetzt nicht, fuhr dann weiter. Gabriele von Oertzen, ebenfalls schlank, braunes halblanges Haar an der rechten Seite festgesteckt, markante Brille, zarte Gesichtszüge. Und so weiter, ihre Stube, dann Bernhard Meier, sympathischer dunkler Typ mit schwarzem Kräuselhaar und Heintz Rantzow, groß, athletisch, auch schwarze Haare mit gepflegtem Schnitt, leicht ausgewachsen. Gabriele von Oertzen flüsterte nach links ...hat zu viele Alain-Delon Filme gesehen, ha, ha, ha.

    Hartmut Fährmann ist ihr FDJ-Seminargruppensekretär, falls Sie irgendwelche Fragen haben wenden Sie sich an ihn. Der wendet sich dann an mich oder die HGL.

    Herr Lehmann wies auf einen intelligent aussehenden Jungen in modischem Blouson, mittelblond mit angesagtem Haarschnitt, der hob mit lässigem Grinsen den linken Arm halb hoch, zog die amerikanische Pilotenbrille vom Gesicht. Die hatte Hannes nur im Westfernsehen bestaunt, damals Abenteuer unter Wasser. Wo kriegt man son Ding her, darf man die tragen?

    Hans Michalski, der Assistent wurde unterbrochen.

    HGL, was ist das?, mehrere Arme reckten sich in die Höhe.

    Das ist die FDJ-Hochschulgruppenleitung, Herr Lehmann ging die Liste weiter durch, Herr Heimann, kommt erst in einer Woche.

    Raunen zwischen Einigen aus der Stadt, Wat is denn, Wotan fragte neben sich, wat is mit dem los, warum flüstert ihr denn?

    Kurzes Schweigen, dann murmelte jemand rüber, ... kommt aus'm Knast.

    Nicht vorstellbar, aus dem Knast und dann ins Studium. Hannes hatte noch nie jemanden aus dem Knast gesehen, nur damals bei der Jugendweihe, Knastbesuch, aber das waren alles Verbrecher.

    Noch einmal, Hans Michalski, ein kleiner Student, semmelblond, mit strahlenden hellen Augen rief leise Hier und senkte wieder die Hand. Der wohnte im Nachbarzimmer, Hannes hatte ihn am Morgen im Waschraum gesehen, putzte sich die Zähne, summte dabei ein Lied.

    Zwei Hänse, das geht nicht, Wolle sprach unterdrückt in die Runde, da müssen wir uns was ausdenken.

    'Wild thing, you make my heart sing, you make every sing, Wild thing… '

    Oh, Semsek, mach lauter, Bettina von der großen Insel blickte sehnsüchtig zu Hartmut Fährmann, von Wolle sofort Semsek getauft, dreh doch mal deine Mühle lauter.

    Zustimmendes Nicken, lauter! Semsek nahm den Kopf von der Wand, drehte sein Tonbandgerät bis kurz vor Anschlag, der dumpfe Brummton verlor seinen melodischen Teil. Nur noch rhythmisches Röcheln durchdrang den dämmerigen Raum, drei Kerzen gaben schwächliches Licht.

    Keine Elektrogeräte, kein offenes Licht, mit diesen Worten hatte sie der Brigadier am späten Nachmittag nach der Ankunft entlassen, um sieben gibt's Frühstück.

    Ist klar.

    Bisschen weniger, sie wippten weiter mit den Köpfen, Flasche in der Hand, gefläzt auf den alten Matratzen und Stühlen, sechs Stück pro Stube. Wotan wusste wieder Bescheid, Schnitterkaserne, niedrige Fenster, frisch gekalkte Wände. Irgendwie passten sie abends alle in das Stübchen, zehn Jungs und die elf Mädels aus dem Nachbarhaus.

    Wo hast du diese Dinger her, Hans Moltke fragte mit geschlossenen Augen, Klassenfeind oder so?

    Klar, Semsek zauberte eine frische F6 aus der linken Hemdtasche, rechts schaute die amerikanische Pilotenbrille heraus, aufgenommen, Rädio Danmark oder Rädio Kopenhagen, alles UKW.

    'Ist das irre', Hannes hatte die Augen fast geschlossen, 'Wild things, you make my heart sings', er bewegte seinen Oberkörper kreisförmig, Judys Gesicht tauchte vor ihm auf, dieser scharf genaue Blick aus scheinbarer Schläfrigkeit, die war nicht hier, warum eigentlich nicht? Und Rädio Kopenhagen oder Danmark, UKW, von der anderen Seite des Meeres, sprühte die freie Westwelt, dänische Westwelt, tolle Musik rüber, sprach in kehligem Singsang, direkt vor der Haustür.

    Wo ist denn die Schneider?

    Schulterzucken, Vielleicht krank?, aber kann man krank sein mit diesem Aussehen?

    Sag mal Hans..., Hans Moltke und Hans Michalski antworteten fast gleichzeitig, Wolle winkte ab.

    Hab ich doch gleich gesagt, mit zwei Hänsen, das klappt nicht, wir müssen das anders machen, er überlegte kurz, ich schlag vor großer Hans und kleiner Hans, was meint ihr?

    Dünnes Brummen, Bisschen umständlich.

    Na gut, dann Hans Eins und Hans Zwei, lautes Grölen, Hans Eins und Hans Zwei, das war gut. Sie riefen im Chor, Hans Eins, Hans Zwei, Hans Eins, Hans Zwei, Eins, Zwei, Eins...

    Also, sag mal Hans Eins, wie kommste auf Klassenfeind oder so, biste inne Partei?

    Ja, mit leiser aber fester Stimme bestätigte Hans Eins erneut Ja und nickte.

    Alle hoben überrascht die Köpfe, öffneten die Augen, Hans, wie kommste denn dazu?

    Das war ganze einfach, mein Vater ist in der LPG und in der Zwölften wurde ich gefragt, Kandidat und so und, er bewegte ein wenig unruhig seinen Kopf, die fast Platte war trotz des spindeldürren Lichtes klar zu erkennen, warum denn nicht?

    Warum, warum nicht, eine unklare Atmosphäre waberte im Raum, Arbeiter- und Bauernstaat warum nicht, Gerechtigkeit war gut aber Partei...?.

    Wolle wälzte sich herum, schlug ihm auf die Schulter, Alles klar Eins, macht doch nix, Du bist unsere Vorhaut.

    Was, Hans Eins schaute irritiert hoch Wie meinst du das?

    Wolle schaute sich um, sprach leiser.

    Na, die Vorhaut eben, weißt Du doch, Du gehörst zur Vorhaut der Arbeiterklasse, in die son alter ex FastIngenieur-Beamtenschweinsohn wie ich nicht rein darf. Die Vorhut der Arbeiterklasse man, na ja, er schaute Eins freundlich und bejahend an, ist son doofer Spruch.

    Behutsames Gelächter, nicht bösartig, Hans Eins macht gute Miene, dann Themenwechsel.

    Semsek drückte erneut an seinem Gerät, 'Pretty woman, walkin' down the street, Pretty woman the kind I like to meet...'. Wieder Kopfschütteln, Oberkörper kreisen, schreien 'Pretty woman'.

    Gibts noch Bier?

    Milchiges Grau, aus dem Wald hat sich Kühle angeschlichen, knapp über dem Horizont eine gelbliche Blechscheibe. Aufstemmen von Strohsäcken, gemurmelte Worte, Wo sind die Socken, draußen Katzenwäsche an der Pumpe, Hast Du mal n Stück Seife?. In alten Klamotten, darüber Blaumann, in gemächlich müdem-schleppigen Gang über die Dorfstraße zum Speiseraum. Frühstück bei dünnem Kaffee, stark gestreckt mit gebranntem Malz, dazu Marmeladenbrötchen. Auch Jagdwurstscheiben und Käse. Soviel man wollte und konnte. Der Appetit war begrenzt nach der Nacht, der Durst weniger.

    Wat die man so wegsaufen vonne Stadt, die füllige Frau in Kittelschürze hinter der Ausgabe wunderte sich, kriegt ihr nix tu supen inne Stadt, oder, sie zwinkerte, isset allens nur Brand?

    Eine halbe Stunde später zog sie der Hänger hinterm Trecker aufs Feld, immer noch durch Kälte und Nebelschwaden. Dann ran an die Kartoffeln. Langsam wurden die matten Glieder wieder beweglicher. Reihe um Reihe, der Roder umkreiste sie wie ein Raubtier, forderte Leistung, erzeugte Wärme. Irgendwann kam die Sonne, die ersten Jacken landeten in der Furche.

    Gabriele von Oertzen richtete sich stöhnend auf, der Roder tobte noch weiter entfernt, sie wies auf die jetzt strahlende Sonne.

    Morgen erglüht, China ist jung, Rote Sonne grüßt Mao-Tse-Tung.

    Irre, Hannes fuhr sich über den schmerzenden Rücken, Oertzeline, machst du jetzt hier die Kulturrevolution?

    Sie warf sich theatralisch in Positur.

    Genossen Studenten, wir dürfen dem Fortschritt nicht im Wege stehen, niemals, es lebe die FDJ und unser hochverehrter Semsek, der Genosse Fährmann.

    Alles krümmte sich vor Lachen, Semsek nahm mit erdeverkrusteten Fingern die amerikanische Pilotenbrille ab, Genossin Oertzel, niemals bin ich gegen den Fortschritt, niemals nicht, immer bin ich für den Fortschritt aber Genosse bin ich nicht, tut mir leid. Und außerdem, überall hier wimmelt es von Fröschen, auch die Arbeiterklasse möchte einmal das essen, was Euer Gnaden in Frankreich alltäglich zu sich nehmen, Froschschenkel.

    Er nahm eine größere Kartoffel und erlegte den ersten grünen Quaker. Oertzel schrie gellend Ekelhaft aber der Kampf war eröffnet. Froschschenkel, Froschschenkel. Kaum hatte der Roder passiert, waren die Kartoffeln auf dem Hänger, schlichen Wotan, Hannes, Bernhard Meier und Wolle über den Acker, erlegten Frösche, sammelten sie in einem Glas vom Wegesrand. Mittags chauffierte sie der Anhänger wieder in die Küche, dort dann Bouletten oder Kotelett oder saure Eier und die Bewährungsprobe, Einschlafen am Tisch oder nicht. Dann wieder raus, ran an die Kartoffeln. Wieder mit den Fingern in die Erde, wieder den Erdgeruch an den Händen, wieder stöhnendes auf und nieder. Später sich häufende Blicke auf die Uhr, dann die Erlösung, kurz vor vier koppelte der Traktorist den Roder ab, sie legten ihre Glieder einzeln auf den Hänger.

    Im Dorf Bratkartoffeln mit Rührei und Majoran. Besser ging es nicht.

    Schmeckt's? Den sammeln wir da auf'm Acker, die Küchenfrau wies durch das Fenster stolz auf ein Stück Ödland, allens von hier, die Tüfften, die Eier und die Kräuter. Ihr ward auch fleißig, ich hab's gehört. Und mit den Quakern, sie winkte ab, ick wees ja nich. Müsst ihr probieren.

    Sie machten sofort Feuer, es

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1