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Der Fall - Amos Cappelmeyer
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eBook477 Seiten6 Stunden

Der Fall - Amos Cappelmeyer

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Über dieses E-Book

Amos Cappelmeyer ist ein unbedeutender Schriftsteller aus der Thüringischen Provinz, doch als er ein unglaublich lukratives Angebot erhält, binnen kürzester Zeit einen Roman zu schreiben, ahnt er nicht, auf welch perfides Spiel er sich einlässt. Er könnte alles verlieren, deshalb reist Amos nach Wien, um dort die nötige Inspiration zu finden.
Mit Hilfe der attraktiven Ex-Agentin Audrette Miller, die ihn in das Sinnliche und Übersinnli-che einweiht, begibt er sich an diversen Schauplätzen auf die Suche nach einem Serienmörder, welcher seit Jahrzehnten sein Unwesen treibt.
Darüber hinaus trifft er auf sein ganz persönliches Phantom. Amos muss schmerzhaft erfahren, dass nicht jeder nur sein Bestes will und vieles nicht so ist, wie es scheint.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum22. Jan. 2022
ISBN9783754943250
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    Buchvorschau

    Der Fall - Amos Cappelmeyer - John Marten Tailor

    Kapitel Eins

    Ein einziger Tag

    Sommer 1978


    Man schrieb die dritte Ferienwoche, ein Sommertag wie aus dem Bilderbuch, geschaffen dafür, diesen im Freien zu verleben. Zwei Knaben, annähernd gleichen Alters, nicht nur körperlich unterschiedlich wie Tag und Nacht, fristeten ihn in einer Art ungesunder Zwangsgemeinschaft an einem kleinen See auf dem großelterlichen Grundstück. Libellen schwirrten, Bienen summten voller Lebensfreude, es duftete nach gemähtem Gras und Mücken umkreisten ihre Blutopfer, während die Kinder, nur in ihren Badehosen, Steinchen über die Wasseroberfläche hüpfen ließen.

    »Ist das öde! Ich weiß nicht, was ich hier eigentlich soll«, maulte der Dunkelblonde, dessen Erscheinung und besonders sein Gesichtsausdruck ihn beim ersten Blick von der Kategorie „netter Nachbarsjunge" ausklammerte.

    Dasselbe, wie letztes Jahr und das Jahr davor. »Es sind Ferien«, stellte sein Spielgefährte dann lakonisch fest, weil er keinesfalls belehrend wirken wollte. Noch beim Sprechen katapultierte er mit voller Kraft einen weiteren flachen Stein auf den See hinaus, der diesmal sofort versank. Pech.

    »Scheiße, das funzt nich`. Mir reicht`s! Ich bin kein Baby mehr. Wessen behämmerte Idee war das?«

    »Fluch nicht, Bruno«, mahnte der schmächtige Zehnjährige mit dünner Stimme und biss sich sofort auf die Lippe.

    »Wer sagt das?«, geiferte Bruno streitlustig, wobei er extrem einer alten englischen Hunderasse ähnelte. Er litt unter enormen Stimmungsschwankungen, was sein jüngerer Vetter schmerzhaft hatte lernen müssen, als er dabei einen Milchzahn verlor. Dies ereignete sich in einem anderen, längst vergangenen Sommer. Trotzdem, jedes Wort, jeder Widerspruch könnte der Zünder für den nächsten Wutausbruch sein - und vergangen ist nicht gleich vergessen.

    »Weißt du doch.« Nachdem er die Augen verdreht hatte, schleuderte Amos wieder einen flachen Stein weit hinaus, der vorbildlich dreimal hintereinander aufditschte, und freute sich insgeheim, dass er etwas besser beherrschte. Etwas, für das man weder riesengroß noch stark sein musste. Ihm lagen eher die Kopfsachen. Mathe zum Beispiel, oder Aufsätze schreiben. Locker hätte er jetzt eine Abhandlung über die Flora im Thüringer Wald zwischen Kleinschmalkalden und Tambach-Dietharz zu Papier bringen können. Einfach so. Doch Holzkopf Bruno funkelte ihn finster an, dabei zerquetschte er einen hässlichen schwarzen Käfer zwischen zwei Fingern. Schmatz.

    Gar nicht gut. Amos griff nach einer Pusteblume in Reichweite und begann nervös daran herumzuzupfen.

    Ein fieses Grinsen legte sich für den Hauch eines Momentes um Brunos Mundwinkel.

    »Was der Alte sagt, juckt mich nicht. Der hat mir überhaupt nix zu befehlen.«

    Amos zuckte zusammen. Er verabscheute es, wenn jemand respektlos von seinem verehrten Großpapa sprach. Der Großvater liebte schließlich all seine Enkel gleichermaßen. Aber der Sermon fand kein Ende:

    »Bei dir sieht die Sache anders aus, du Werchel. Meine Eltern sind nicht so dämlich, sich beim Kraxeln den Hals zu brechen.« Da hatte der Cousin ein Tabu-Thema angeschnitten, bei dem selbst der beherrschte Amos aus der Haut fuhr.

    »Halt sofort den Mund! Du sollst nicht so reden!«

    »Ach!« Bruno sprang mit unerwarteter Behändigkeit auf. Seine kurzen Finger gruben sich in den dunklen Haarschopf des Kleineren, dass dieser aufschrie, und zerrten ihn auf die Knie.

    »Au! Au! Bist du blemblem? Lass mich los!«

    Bruno war in seinem Element, als er sadistisch forderte:

    »Sag bitte.«

    »Du sollst loslassen.« Obwohl Amos sich geschworen hatte, nie wieder klein beizugeben, zwängte er das eine Wort über die Lippen: »– Bitte.«

    Bruno ließ derart abrupt los, dass Amos auf seinen Hintern landete.

    »Du Lutscher! Du erbärmlicher, kleiner ...«, an dieser Stelle gingen Bruno die Vokabeln aus. In der Abteilung Gehirn war er etwas zu kurz gekommen.

    »Hör auf!« Wieder auf den Beinen stürmte Amos wie eine Furie auf den Hünen zu, rammte ihm eine Faust in den Wamst. Sicher hatte der Schlag nicht ernstlich weh getan, dafür war Bruno nun echt stinkig. Mist.

    Amos tat das einzig Vernünftige, er ergriff die Flucht - unter den höhnischsten Beschimpfungen.

    »Lauf zu Opi, du kleiner Schmarotzer! Heul doch!«

    Amos schlug einen Haken und stürzte sich von dem knapp fünf Meter langen Steg in den Teich. Er empfand das Wasser kälter, wie an einem Sommertag zu vermuten, aber als er die Augen öffnete, konnte er prima sehen.

    Bruno plumpste ins Wasser. Schneller wie erwartet.

    Amos Vorsprung schrumpfte weiter, dann kam ihm die zündende Idee.

    Kurz tauchte er auf, um seine Lungen zu füllen. Der Teich mass an dieser Stelle eine Tiefe von über zweieinhalb Metern. Vorne am Steg gammelte ein altes Kinderfahrrad auf dem Grund herum, das einst Klein-Bruno gehörte und inzwischen von Gräsern überwuchert wurde. Die Schwimmkünste des Cousins waren nicht herausragend.

    Ein Punkt für die Kleinen.

    Amos witterte seine Chance, tauchte zielgerichtet unter. Bald hielt er in den Händen, was er haben wollte, genau in dem Moment, als Bruno über ihm herum paddelte und brutal versuchte, ihn zu ertränken. Amos wusste, was es zu tun galt.

    Er war im Besitz der Fahrradkette, die benutze er wie ein Strick, probierte, Bruno damit zu fesseln, und zwängte ihn weiter unter den Steg. Im Wasser war alles leichter, lernt man in der Schule oder aus Erfahrung. Der Große strampelte überrascht, am Ende seiner Atemluft. Bläschen entwichen seiner Nase, die Beine zappelten, die Kette rutschte erneut ab.

    Das darf doch nicht wahr sein! Wieder ein Plan, der nicht funktioniert. Bruno würde ihn windelweich prügeln. Nein, mehr noch. Mit einem Zahn als Obolus würde er sich jedenfalls nicht zu frieden geben. Plötzlich verfing sich Brunos linker Fuß im Fahrradrahmen, panisch wedelte er mit den Armen, die Augen aufgerissen. So überrascht.

    Er kam nicht frei, ihm fehlte es an Kraft.

    Jetzt oblag es Amos, zu entscheiden, und zwar sprichwörtlich über Leben und Tod. Nie beabsichtigte er, seinem Cousin ernsthaft zu schaden, deshalb dauerte es nur Sekunden, bis er begann, an ihm herumzuzerren, um ihn frei zu bekommen. Brunos Augen blieben geschlossen.

    Amos tauchte kurz auf, stieß einen Hilferuf aus, ging danach sogleich wieder auf Tauchstation. Er bog und zerrte an dem speckigen Fuß, dann war es geglückt. Der schmächtige Junge brachte Bruno an die Wasseroberfläche, schrie erneut um Hilfe, wie es seine Lungen hergaben. Irgendwie gelang es ihm gar, den Körper an das flache, grasige Ufer zu ziehen.

    Auf einmal war der Großvater da, in seiner typischen Kluft bestehend aus Holzschuhen und einem Arbeitskittel. Amos Herz ging auf.

    Geschafft. Alles wird in Ordnung kommen.

    »Mach platz, Werchel

    Werchel bedeutete so viel wie kleines, unbeholfenes Kind und war fester Bestandteil des großelterlichen Vokabulars. Der ältere Mann beugte sich hinunter und tätschelte dem Bewusstlosen die Wangen.

    »Bruno? Hörst du mich? Bruno? – Wie lange war er im Wasser, Ämos

    Amos zuckte die Schultern unter dem stechenden Blick des Erwachsenen.

    »Nicht lange. Weiß nicht«, stotterte er unbeholfen, wünschte sich sehnlichst, Worte zu hören wie: Es wird alles wieder gut, doch stattdessen startete Großvater Wiederbelebungsmaßnahmen. Wie gebannt starrte der Knabe auf den Brustkorb seines Vetters sowie die grauen Hände seines Vormunds, die in einem gleichmäßigen Rhythmus zu pumpen begannen.

    Täuschte das, oder sah Bruno viel weniger bedrohlich aus?

    Die sich überschlagende Stimme des Großvaters riss Amos aus seinen Gedanken.

    »Und eins, und zwei, und drei!« Unverhofft hustete Bruno, würgte, bis Wasser aus Mund und Nase trat. »Junge, mein lieber Junge! Du bist da. Alles in Ordnung?« Krächzend kam ein »Ja«, das Amos in diesem Moment alles bedeutete.

    »Was ist denn nur geschehen? Ämos

    »Uns war so warm, deshalb sind wir schwimmen gegangen. Auf einmal waren da ganz merkwürdige Wasserwesen, die haben Bruno festgehalten ...!«

    »Ach, Ämos, du mit deiner blühenden Fantasie. Reiß dich zusammen. Dein Cousin wäre fast ertrunken!« Und im gleichen Atemzug: »Wir bringen dich erstmal rein. Wie wäre das, Junge?«

    »Mmh.«

    »Fass mit an, Ämos. Wir schaffen ihn in die Küche. Da kann er sich aufwärmen.«

    Beim Abendessen waren sie vollzählig am Tisch versammelt. Die Großeltern auf der einen, die Kinder auf der anderen Seite. Der blasse Amos hielt den Blick gesenkt, erwartete jeden Augenblick die fällige Standpauke, doch die blieb aus. Bruno verhielt sich merkwürdig, hatte nicht mehr gesprochen seit dem Erlebnis im Teich.

    Großvater blätterte missmutig in den Thüringer Nachrichten, räusperte sich. Er bekam jedes Mal schlechte Laune, wenn er über das Übel im Lande las. Deshalb hatte Amos gelernt, Zeitungen als eher abträglich für den Familienfrieden einzustufen. So kam es sporadisch vor, dass ein Exemplar, welches er am Morgen aus dem Briefkasten holen sollte, verschwand. Das Resultat erwies sich jedoch als kontraproduktiv, denn Großvaters Laune blieb den kompletten Tag über getrübt.

    »Das darf nicht wahr sein«, raunte Luitpold, ohne die Lippen zu bewegen.

    »Wie bitte? Du sprichst in Rätseln. Lass uns teilhaben, Lui«, forderte Oma Hilde, entfaltete ihre Serviette und drapierte sie auf ihrem Schoß, wie es sich für eine Dame geziemte. Sie hatte nicht aufgegeben, den Kindern Tischmanieren beibringen zu wollen, doch das hatte weder bei ihrem Gatten funktioniert, noch bei den eigenen Kindern und die Aussichten für die jüngste Generation Cappelmeyer standen lausig.

    »Noh, im Harz oben ist eine Frau abgängig - bei diesen schwerreichen Hotelheinis. Weißt schon, die wo ständig die Annoncen in der Zeitung sind. `Nen Sohn hat`s wohl, kaum älter als wie unsere Beiden hier und plötzlich ist sie wie vom Erdboden verschluckt? Wer glaubt denn sowas? Hier, sogar mit Foto.« Er klopfte auf das Bild, als ob die anderen am Tisch es dann besser sehen könnten. »Kann fast jede sein, wenn ihr mich fragt. Aber es ist eine Belohnung ausgelobt, stellt euch vor. 500 Mark! – Glaube ja nicht, dass sie gefunden wird. Aber wer fragt einen alten Mann.«

    »Ja, ja, die Welt ist verdorben«, nickte Hilde traurig, klatschte in die Hände und knipste in Nullkommanichts ihr bestes Sonntagslächeln an. »Aber jetzt esst bitte auf, Jungs und dann ist Schlafenszeit für euch. Morgen ist ein neuer Tag.«

    500 Mark, das war unvorstellbar viel Geld, nicht nur für einen Knaben wie Amos.

    Kapitel Zwei

    Unklar

    Gegenwart


    … d as Unfassbare geschah gleich in der ersten Nacht. Baufahrzeuge frästen alten Asphalt von der Straße direkt unter meinem Fenster. Eine Arbeit, über deren Sinn oder Unsinn ich nicht zu urteilen vermochte.

    Auf jeden Fall stank es unerträglich nach verbranntem Teer.

    Ein Höllenlärm, den kompletten Spätnachmittag lang, seit ich nach viereinhalb Stunden Zugfahrt die Zimmertür aufgesperrt hatte. Zudem war es stickig und warm in dem Kabuff, welches mir als Sparzimmer verkauft worden war. Wie sollte ich da schlafen, geschweige denn schreiben können? Ich, der Schriftsteller, inmitten seiner kreativen Phase, der nichts als absolute Stille und Ruhe gewohnt war? Für den ein Buntspecht bei der Arbeit an Lärmbelästigung grenzte?

    Das Schreiben konnte ich mir heute abschminken, hoffte auf morgen.

    Um nicht länger in der Enge des stillosen Zimmers sinnlos umher zu tigern, klappte ich den Laptop zu, streifte mir mein abgewetztes Lieblingsjackett mit den Armflicken über die Schultern, setzte meinen Stetson auf und begab mich in die Lobby. Der hochnäsige Concierge versicherte mir, nicht über die Straßenbaumaßnahmen informiert worden zu sein. Ich kaufte ihm das nicht ab und beschloss, um die Häuser zu ziehen. Immerhin war dies die Landeshauptstadt, da sollte doch was gehen.

    Weit kam ich nicht, denn ich hatte nie Bauarbeitern hautnah bei der Arbeit zugesehen. Eine eigentümliche Faszination ergriff mich. Die rotierenden Scheiben der Fräse fraßen sich hungrig durch maroden welligen Teer. An der Seite mitlaufend beobachtete ich die drehenden Fräsmonster. Meine Neugier blieb nicht unbemerkt.

    »Was glotzt`n Du so dämlich, du Tunte? Noch nie ehrliche Männer bei der Arbeit gesehen?«

    »Äh, offen gesagt, nicht.« Kurzum schilderte ich dem Straßenarbeiter, dass ich einer der bekanntesten Schriftsteller unserer Epoche sei und gewöhnlich mit meiner Zeit knausern müsse. Er zog zweifelnd eine balkenförmige Augenbraue hoch.

    »Ach, echt? Wie ist dein Name, Hallawachl

    Ich räusperte mich, rang um Selbstbewusstsein: »Amos Cappelmeyer.«

    »Kappelmeier? Ja, von dem habe ich gehört. Das ist doch der, der ...«

    Zu meiner Verwunderung schien mein Gesprächspartner diesen Namen zu kennen, woher auch immer, und zitierte aus Büchern, von denen ich nichts wusste. Seine unrasierte Visage lud zum Reinschlagen ein, während er auf gebildet tat und seine Augen leuchteten gar wie kleine Funken, als er sein literarisches Wissen kundtun durfte, ohne von den harten Knochen aus der Asphalt-Branche verspottet zu werden.

    Sollte ich mich zu erkennen geben, zugeben, dass ich in Wahrheit eine Null war? Kam nicht in Frage, denn ich würde den fürchterlichen Kerl der Firma »Leffler International Bau« niemals wieder sehen und machte mir einen Jux daraus, vorzugeben, jemand zu sein. Nach einer Weile fühlte ich mich wie sein Bruder, wir qualmten sogar eine Kippe zusammen. Doch die Kaltfräsmaschine produzierte auf einmal merkwürdige Geräusche und ruinierte den Moment. Gunar, so hieß der Typ, beschattete mit einer Hand seine Augen und fluchte, den Glimmstängel zwischen den Lippen:

    »Scheiße! Nicht schon wieder.«

    »Was meinst du damit, Gunar? Passiert das öfters?«

    »Frag nicht so dämlich.« Als Mann weniger Worte demonstrierte ein fester Griff in meinen Nacken seine Entschlossenheit. Er schleifte mich zur Asphaltfräse.

    »So, du Dummschwätzer, jetzt bist du dicht genug dran am Geschehen und kannst sehen, wie die Maschine ihre Arbeit ereldigt.« Das rotierende Fräswerk, welches direkt vor meiner Nasenspitze lärmend Fräsgut durch die Gegend spuckte, jagte mir gehörig Ballerkacken ein. Mein Alter Ego brüllte wie am Spieß, was zum Glück im Lärm der Fräse unterging. Oder?

    »Spuck es aus, wer bist du, du Spinner?«

    »Ich, ich bin ...« Vor Aufregung pinkelte ich mir in die Hosen. Es wurde wärmer um meine Genitalien. Gut, dass ich den Großteil an Flüssigkeit bereits ausgeschwitzt hatte. Er ließ von mir ab. So schnell mich meine Füße trugen, rannte ich davon. Die Ledersohlen klackerten höllisch laut, doch das fiese Lachen dröhnte noch aus einhundert Metern Entfernung in meinen Gehörgängen. Wieder Mal hatte ich versagt, sah aus wie ein Heckenpenner. Mit dem Jackett verdeckte ich die einurinierte Stelle, stank jedoch zehn Meter gegen den Wind. Selbst die Hotelbediensteten krümmten sich vor Lachen, bildete ich mir ein. Zitternd schloss ich mein Zimmer auf, welches linker Hand in einem schlauchartigen Flur lag, dessen Boden von geschmackloser rotgepunkteter Auslegeware geschmückt war, die den Geruch von Verwesung ausdünstete. Noch im Vorraum entledigte ich mich meiner Kleider. Schleunigst die Taschen entleeren. Eine rasche Dusche könnte helfen, nur wie üblich fehlte in der Flasche die Seife. Entnervt rief ich bei der Rezeption an, um dort meinem Unmut Luft zu machen.

    Wenig später klopfte es.

    »Wer da?« Keine Antwort. »Herrgottszeiten.« Ich riss die Tür auf, vor mir stand eine bildschöne rothaarige Frau mit einer Flasche knallgelber Flüssigseife und einem Grinsen von Ohr zu Ohr.

    »Zimmerservice! - Die Saf. Soll ich dich einsafen, Schnuckiputz?«

    »Bitte was? Unterstehen Sie sich! Nun geben Sie schon her!« Ich entriss ihr die Flasche und knallte der zwielichtigen Person die Tür vor der Nase zu. Nachdenklich, aber rollig trat ich unter die Dusche. Schließlich war ich nur ein Mann aus Fleisch und Blut. Meine Lanze stand kerzengerade, dürstete danach, ein Weib zu beglücken.


    »Was meint ihr, ist das gut so?«, erkundigte sich die kleine Rothaarige angeekelt, als sie sich kunstvoll drapierte. So nah am Boden stiegen Ausdünstungen in ihr zartes Näschen, die nichts erfreuliches Vermuten ließen. Mittlerweile bereute sie, sich auf dieses Kammerspiel eingelassen zu haben. Der Bodenbelag kratzte, wie ein Strohballen auf nackter Haut und binnen Sekunden war ihr, als ob ihr ganzer Körper von unzähligen mikroskopisch kleinen Parasiten befallen worden sei. Eine Dusche würde danach nicht ausreichen. Sie hatte sich definitiv unter Wert verkauft. »Machen die hier auch mal sauber?« Die Frage galt ihren beiden männlichen Begleitern, die das Equipment aus Filmrequisiten in einem Alu-Koffer verstauten.

    »Halt die Klappe und rühr dich nicht«, bekam sie zur Antwort.

    »Okey-dokey. Tote Frau kann ich am besten.«

    »Sonst wären wir nicht hier, Süße.« Noch ein paar letzte Handgriffe, dann war alles perfekt arrangiert.

    »Die Show kann beginnen. Und keine Bewegung, Beata. Rückzug, Franky. Wir sind raus.« Die beiden Männer eilten den verwaisten Korridor entlang und entschwanden über den Notausgang.


    Dreißig Minuten später duftete der Anzug angenehm nach Zitrone und hing zum Abtropfen in der Wanne. Mit einem Handtuch um den Bauch gewickelt öffnete ich die Tür einen Spalt, schielte hinaus. Womöglich stand sie ja noch da? Ich hegte die unsinnige Hoffnung, dass sie auf mich gewartet hatte.

    Verdammt! Und ob sie noch da war.

    Mir verging mit einem Schlag alles.

    Ausgerechnet jene Frau, die mir vor wenigen Augenblicken ein zwielichtiges Angebot unterbreitet hatte, lag tot vor meiner Tür. Was für ein Desaster, das bedeutete Ärger mit der Polizei.

    Leere Augen starrten an die Decke. Durchtrennte Kehle. Eine Wunde zog sich gut fünfzehn Zentimeter von einem Ohr zum anderen. Kein appetitlicher Anblick. Winzige Einkerbungen an den Wundrändern hatte ich längst bemerkt und analysiert. Als eifriger Krimifan hatte ich keine Folge meiner Lieblings-TV-Serie verpasst und wusste bestens Bescheid. Grundsätzlich kamen nicht viele Messertypen in Betracht. Davon abgesehen, hatte ich trotz meines Alters nie zuvor einen toten Menschen gesehen.

    Ein Würgereiz reaktivierte die stibitzten Chips aus der Lobby. Vor Schreck schnellte die Tür ins Schloss zurück. Aufbrandendes Geschrei im Flur bereitete mir gehöriges Fracksausen. Kurz darauf klopfte es energisch, doch meine Stimme versagte den Dienst. Das Hämmern ließ Wände erzittern, akustisch untermalt von den Worten:

    »Polizei! Öffnen Sie sofort die Tür!« Warum sollte ich? Meine Weste war rein, daher stellte ich mich taub. »Wir wissen, dass Sie da sind. Aufmachen!«

    Eine Minute später durchbrachen sie die Tür, pressten mich nackt gegen die Wand.

    »Hey, Moment mal!« Handschellen klickten unsanft meine Handgelenke hinter meinem Rücken zusammen. Die Staatsgewalt dachte nicht im Traum daran, einen Mörder zu bekleiden. Was sollte ich auch anziehen? Den Anzug hatte ich gerade frisch gewaschen, er hing tropfend in der Duschwanne, somit sprachen alle Indizien gegen mich. Schweiß benetzte meine Stirn. Die Polizei sah nur, was sie sehen wollte. Einer der Beamten schüttelte den Kopf, als ob er fürchterlich enttäuscht von mir sei. Dabei kannten wir uns überhaupt nicht.

    »Ab mit dem Wicht!«

    Sie führten mich durch das Treppenhaus, ich betone, unbekleidet. Auch die Lobby sollte auf ihre Kosten kommen. Hinter vorgehaltener Hand amüsierte man sich über meinen zu klein geratenen Penis. Die Uniformierten drückten mich gedemütigt auf den Rücksitz aus Kunstleder. Es quietschte. Sogar vorschriftsmäßig angeschnallt wurde ich von den pflichtbewussten Beamten, die jedoch nicht umhinkonnten, eine weitere herablassende Bemerkung über mein kleines Geschlechtsteil fallen zu lassen. Was für Hohlbirnen, nur Augen für das Offensichtliche. Mir wurde übel bei dem Gedanken, dass bedeutsame Spuren außer Acht gelassen werden könnten. Aber was sollte ich tun, hatte ich doch nur wenig Zeit meinen Roman zu vollenden. In diesem Moment verfluchte ich meinen Leichtsinn, im Handumdrehen Geld generieren zu wollen. Dass ich als Mörder hätte eingebuchtet werden können, kam mir nicht in den Sinn.

    Am Polizeirevier angekommen, einem unscheinbaren Gebäude ohne jeglichen Charme, fiel eine Handvoll Reporter wie die Geier über meine Person her, schossen jede Menge Fotos. Auch Fragen, wie ich die Frau umgebracht habe, waren dabei. Wie konnten sie es wagen, mich in der Öffentlichkeit dermaßen bloß zu stellen! Und wie, zum Henker, konnte das mit der Frau so rasch bekannt werden?

    Ich schwieg verbissen. Hatte ich keine Rechte?

    Mit dem nackten Gesäß auf dem kalten Blechstuhl sitzend, wartete ich auf die anstehende Befragung. Doch zu meiner Verwunderung erschien niemand. Dauernd ging die Tür auf und verschiedene Personen spazierten an mir vorbei mit scheelen Blicken. Ich war die Attraktion auf dem Revier und machte dicht.

    Abermals sezierte ich das Erlebte gedanklich, überlegte, was ich übersehen hatte.

    Hunger und Durst quälten mich, pissen musste ich obendrein. Nach einer gefühlten Ewigkeit, schätzungsweise sechs bis acht Stunden, betrat ein Polizeibeamter den Raum, der einen Stock verschluckt haben musste. Ein Polizeioberkommissar seines Zeichens, der verkündete:

    »Herr Cappelmeyer, Sie dürfen gehen. In ein paar Minuten bringt ein Kollege Ihr Gewand.« Keine Entschuldigung, nichts, was mir irgendwie helfen könnte. Wiederum dauerte es zwei Stunden, bis jemand für mich Zeit fand. Die Beamten knallten meine Sachen auf den Tisch, Reisetasche, Notebooktasche, den Stetson. Wohl denn, nichts geht über einen ordentlichen Hut. Sobald ich ihn trug, fühlte ich mich wie ein Geheimagent längst vergangener Zeiten.

    Gedanken an die arme Frau plagten mich. Sie war die Einzige, die mir überhaupt je ein unmoralisches Angebot unterbreitet hatte. Schuldete ich ihr deshalb etwas? Während ich mich anzog, betrat ein anderer Polizist den Raum, ein weiterer unsympathischer Bursche. Er erwies sich als höflich und schien bemüht um meine Person.

    »Herr Cappelmeyer, ich fahre Sie zurück zu Ihrem Quartier.«

    Das war das Letzte, was ich wollte.

    »Nein! Kommt nicht in Frage. Warten Sie kurz.« Mein Smartphone besaß nur minimale Energie, die Datenübertragung war auf Schneckentempo gedrosselt, aber für eine Hotelsuche musste es genügen. »Bingo!« Das abgelegene 2-Sterne-Haus in der Nähe versprach Ruhe und sollte für meine Bedürfnisse ausreichen. »Zur Schwalbe«. Allein der Name ließ die Herberge verdächtig erscheinen. Große Auswahl blieb um diese Zeit allerdings nicht. »Da will ich hin.«

    »Wie Sie meinen.« Der Beamte chauffierte mich.

    Ich rechnete mit dem Desaströsesten, da meine Visage gewiss in sämtlichen Nachrichtensendungen durch den Dreck gezogen worden war. Offenbar gab es hier keinen Fernseher oder er war kaputt. An der Rezeption buchte ich mit hochrotem Kopf ein Einzelzimmer für sechs Übernachtungen mit Frühstück auf Kosten der Polizeibehörde. Der Beamte unterschrieb die Rechnung und verabschiedete sich formvollendet. Sollte ich jetzt Erleichterung verspüren? Mir war nach allem, etwa einen Heben bis der Arzt kommt, oder doch eher Sex? Der Portier räusperte sich und überreichte mir den Schlüssel.

    »Nummer Sechs, bitteschön. Das Zimmer ist nach hintern gelegen, eines unserer größten. Die Stiege ist da vorne.« Treppe, kein Fahrstuhl. Na ja, hatte ja nur leichtes Gepäck. Also machte ich mich auf in die dritte Etage zu Zimmer sechs, wieder auf der linken Seite, zog die elektronische Karte durch den Scanner. Die Tür sprang weit auf. Überraschenderweise eröffnete sich vor mir eine Wohnlandschaft von wenigstens zwanzig Quadratmetern mit einem separaten Schlafraum. Bestimmt hatten die unsichtbaren Finger der Polizei mitgewirkt, was mir nur recht war und der Ärger teilweise besänftigt. Ich war ein genügsamer Mensch. Erziehung prägt uns ein Leben lang.

    In mir staute sich die Müdigkeit, aber meiner Geldbörse stand ein anstrengender Job bevor. Nach dem Frischmachen suchte ich den hauseigenen Schankraum auf, dort quetschte ich mich auf einen von sechs freien Barhockern. Es gab wenig Publikumsverkehr. Der Barkeeper platzierte prompt eine eiskalte Flasche Wodka, Soda und ein Glas auf den Tresen. Der Alkohol plätscherte kaskadenartig über das Eis im Becher, das bei dem Kontakt knisterte und knackte. Der erste Schluck umschmeichelte den Gaumen. Einkehrende Ruhe beförderte meine Gedanken zu der toten Frau, die mit durchtrennter Kehle ihre Leben ausgehaucht hatte. Die zackigen Abrisse an den oberen Hautschichten, Hand-, und Fußgelenken, die Fesselungsspuren aufwiesen, waren ein Indiz für Gewalt, aber ohne Obduktionsbericht nur schwer zu beurteilen. Ein unlösbares Puzzle, hatte es den Anschein, aber nicht für Amos Cappelmeyer!

    Den zweiten Wodka kippte ich in einem Zuge hinunter. Vom Keeper bekam ich ungefragt Salzstangen dazu. Meine Überlegungen suchten verzweifelt Antworten. Der Täter musste sich von hinten genähert haben. Die Zacken boten zwei Optionen: erstens, ein Kampfmesser, zweitens ein Brotmesser.

    Also denk nach, Cappelmeyer, denk nach. Wer zum Henker würde eine so schöne Frau töten? Auf ihrer Arbeit! Weshalb wurde sie zum Opfer?

    Der Gedanke, warum sie ausgerechnet vor meinem Zimmer lag, ließ mir keine Ruhe, eines jedoch schien von vornherein klar zu sein, der Täter war männlich!

    Die maskuline Bedienung hinter dem Tresen zeichnete sich durch eine ausgeprägte Beobachtungsgabe aus, er schenkte unaufgefordert nach. Die brennende Flüssigkeit rann die Kehle hinunter. Ein Genuss. Meine Blicke durchbohrten den attraktiven, jungen Mann, ohne ihn tatsächlich zu sehen. Er fühlte sich unbehaglich, doch ich beschwichtigte mit der Erklärung, dass ich Lösungen suche ...

    Zur späten Sunde setzte sich eine elegante, großgewachsene Frau um die vierzig einen Hocker weiter zu meiner Rechten. Sie trug ihr kastanienbraunes Haare offen, war auffällig geschminkt und genoss meine ungeteilte Aufmerksamkeit, so viel stand fest. Genüsslich kippte ich meinen 3-Fachdestillierten. Ihre Blicke musterten mich auf ihren Anspruch hin. Gezupfte Augenbrauen verrieten einiges über einen Menschen und bekundeten Interesse. Außer meiner Wenigkeit war weit und breit kein anderer Mann in Sicht, nur der Jüngling hinter der Bar, was für ein Segen. Ihre langen Beine zappelten nervös umher. Höflich, nach Cappelmeyer-Art, bot ich ihr einen Drink an. Sie wandt sich mir lächelnd zu, rückte einen Stuhl auf. Der Barkeeper stellte ein zweites Glas für die Lady ab. Gentlemanlike füllte ich ihr Trinkgefäß zur Hälfte, doch sie schien eine Harte zu sein.

    »Halbe Sachen machen wir nicht.« Sie drückte den Flaschenkopf runter, bis das Gefäß randvoll war. »Prosit.«

    Wir ließen die Gläser klirren.

    Ein Abend zum Entspannen.

    »Du kannst mich Kitty nennen«, bot sie an. Freimütig erzählte sie von ihrem geschiedenen Mann. Der Ex lebte irgendwo im Ausland. Kinder im Alter von fünf und sechzehn Jahren erfüllten ihr Leben nur zum Teil.

    »Es muss doch noch mehr geben!«

    Ich nickte taktvoll. Die beiden Stammhalter waren beim Vater für die Ferien oder ein langes Wochenende, was auch immer. »Sturmfrei«, nannte sie ihren Zustand. »Eigentlich mache ich mir nichts aus Alkohol.«

    »Ich auch nicht«, bekräftigte ich den besonderen Anlass. Der heutige Abend war der ihre. Ihre Hände suchten die Meinen. Ich setzte den nächsten Wodka an die Lippen, – der Wievielte war es? - da passierte es: Sie küsste mich. - Mich alten Sack! Meine Gefühlswelt bestand aus heillosem Chaos. Was verdammt stimmte mit mir nicht? Noch nie in meinem Leben wurde ich so zärtlich geküsst! Ich war siebenundvierzig ...

    Ihre Lust auf meine Zunge war erbarmungslos.

    Die angebrochene Flasche und die bezaubernde Frau im Schlepptau, was brauchte ein Mann mehr. Undefinierbare Gefühle in der unteren Körperregion breiteten sich aus. Vor der Tür stehend übernahm die schöne Fremde den Zimmerschlüssel, weil ich nicht wusste, in welche der beiden Öffnungen die Karte eingeführt wurde. Die Tür sprang auf, sie betrat staunend meine Wohnlandschaft.

    »Sapperlot, so ein Zimmer hätte ich auch gern!« Ihre Kleider verstreute sie auf dem Weg ins Schlafzimmer. Ich dachte, das gibt es nur im Fernsehen. Zuerst die Pumps, dann die Bluse. Die Unbekannte hatte eine echt geile Kiste. Meine Glocken der Glückseligkeit schlugen Alarm. Ich Hengst hatte noch nie eine Stute wie diese. Nur Sekunden später fand ich sie erotisch auf dem Bett drapiert vor. Wiehern hätte ich bei diesem Anblick können. Passend dazu gingen mit meinen Hormonen die Pferde durch.

    Unbeholfen streifte ich mir die Sachen ab, um dann entblättert vor ihr zu stehen, mit einem Ständer, der nach Erlösung schrie. Ich krabbelte auf das Bett, konnte den Segen noch nicht fassen. Ihre Brüste hatten gelitten durch das Stillen der Kinder, doch für mich war sie die betörendste Frau in diesem Universum. Unsere Lippen erfreuten sich aneinander, unwillkürlich lebten wir unsere Leidenschaft in vollen Zügen. Sie hatte Kondome dabei. Das Latexteil fand seinen Weg auf meinen Prachtjungen, ich selber wäre dazu nicht in der Lage gewesen.

    Wir hatten uns gefunden, nach langer Zeit der Einsamkeit. Immer wieder holten wir uns ab, Liebe zu empfangen, bis wir schweißgebadet nebeneinanderlagen. Küsse des Dankes für die schönen Momente stimmten mich glücklich. In dieser Nacht weilte ich auf einem andern Stern, tief erfüllt schlief ich ein.

    Die REM-Schlafphase führte mich zurück zur Asphaltfräsmaschine, die hatte unter dem Licht der Straßenlaterne ein Kreuz in die verbliebenen Teerschichten gefräst. Ich versuchte, schärfer zu sehen. Eine eindeutig weibliche Person war dort eingebettet, vernagelt mit Bügelklammern, unfähig, sich zu bewegen. Ein Mann, dieser Gunar, lachte mich fies an, gab den Wink, die monströse Maschine in Bewegung zu setzten.

    »Stopp!« Ich kämpfte mit mir, nicht ins Schreien zu verfallen. Die rotierende Fräswalze bewegte sich träge vorwärts, hatte aber bereits die roten Pumps zerfetzt. Die kleinen Knöchelchen der Füße flogen wie scharfe Nägel umher, bohrten sich dabei in umstehende Verkehrsschilder.

    Phalanges, Metatarsalia, Talus.

    Ich konnte das Grauen nicht fassen. Kalter Schweiß brach mir aus.

    Loses Fleisch wurde förmlich zu Brei verarbeitet. Sie kreischte unter Höllenqualen. Noch.

    Tränen der Hilflosigkeit bahnten sich ihren Weg durch meine geschlossenen Lider. Mittlerweile hatten sich die Frässcheiben zu den Knien hochgearbeitet. Die Frau war zäh. Ihre Lider flatterten, doch die Augen wurden leer. Die Aussichtslosigkeit der Situation hatte sich in ihr Hirn gemeißelt. Wie konnte ich helfen? Ich musste doch etwas tun!

    Atemnot nahm mich in Besitz. Ich vermochte nicht länger hinzusehen, aber gleichzeitig war ich unfähig, den Blick abzuwenden. Sie fixierte meine Augen, um Erlösung flehend und nun erkannte ich sie: Meine erste sexuelle Erfahrung, die Liebe für einen Abend, doch ich stand der Situation völlig machtlos gegenüber.

    Das Becken war zerfetzt ... dann überfuhr die Maschine den leblosen Rest der einst stolzen Frau. Dabei zog die Fräse einen breiten, schmierigen Blutstreifen über den dunklen Asphalt.

    Ich schrie wie am Spieß und wachte schweißgebadet gegen vier Uhr morgens auf. Allein. Es brauchte eine geraume Weile, bis ich mich sortiert hatte. Langsam begriff ich, es war nur ein böser Traum gewesen, der mich in diesen Zustand versetzt hatte.

    Ich schälte mich aus dem nassen Laken, ließ mich einen Meter weiter am Tisch nieder und goss einen Wodka pur in Zimmertemperatur ein. Im Normalfall würde ich niemals einen Drink ohne Eis zu mir nehmen, aber außergewöhnliche Situationen erforderten Abstriche. Meine Geschmacksknospen empfanden den Alkohol als beruhigend.

    »Gott sei Dank«, murmelte ich vor mich hin. »Nur ein Traum.« Der anstrengende Sex, - kein Traum - , verlangte Tribut, ergo legte ich mich wieder aufs Ohr. Der Schlaf riss mich erneut tief hinunter.

    Gerädert vom nächtlichen Trauma stand ich um elf Uhr auf. Eine Dusche versprach Entspannung. Ein mittelprächtiger Schriftsteller hatte häufig dämonische Träume und es war mir verhasst, sogar sehr.

    Das Gesicht war gerade frisch rasiert, da pochte es an der Tür.

    »Moment!«

    Wie sollte es anders sein, die Polizei, die immer paarweise anrückte. Entzückend.

    »Herr ... Kappelmeier

    »Das bin ich.«

    »Hauptkommissar Vogt. Wäre nett, wenn wir uns kurz unterhalten könnten«, sagte der Kräftigere des Pärchens.

    »Bitte kommen Sie herein.« Ich wies auf die Wohnlandschaft und bemerkte, dass der Zweite die Nase rümpfte. Müssten die mir nicht eigentlich aus der Hand fressen?

    »Herr Cappelmeyer, bitte nehmen Sie platz.«

    Das verhieß selten Gutes. Mein Gehirn spielte mir Streiche, vor meinem inneren Auge malte ich mir das Schlimmste aus, doch es sollte noch ärger kommen. Zu allem Übel hatte ich bisher keine Silbe, kein einziges Wort für den Roman geschrieben. Unerfreulicher noch, ich hatte nicht den geringsten Schimmer, worüber ich schreiben sollte, dabei hing meine Zukunft davon ab. Ich begann zu verzweifeln.

    »Herr Cappelmeyer, haben Sie mir zugehört? Nein? Na fein. Sie wurden gesehen, wie Sie gestern Nacht mit einer Dame die hauseigene Bar verlassen haben ...«

    »Das ist richtig.«

    »Kannten Sie die Frau gut?«

    »Kann ich nicht behaupten.« Faktisch wusste ich rein gar nichts über sie, nur dass sie die zärtlichste Frau war, die mir je begegnet war, doch mit dieser Information würden die Polizeibeamten herzlich wenig anfangen können.

    »Dachte ich mir. – Waren Sie beide den ganzen Abend zusammen?«

    Ich nickte heftig.

    »Bis zum Einschlafen. Als ich aufwachte, war sie allerdings fort.«

    »So so. Wissen Sie, Herr Cappelmeyer, in der Nacht ...«

    Der Jammerlaut, der nun folgte, übertraf alles, was je meiner Kehle entsprungen war. In dem Moment, wo der Beamte von der Caterpillar erzählte, war es um meinen Geist geschehen. Nie zuvor fühlte ich mich leerer. Sie war eine Frau, die mich mit ihrer bezaubernden Art absolut eingefangen hatte, auf der Suche nach einem Mann, so simpel war das. Die Polizei hatte Mühe, noch ein vernünftiges Wort aus mir heraus zubekommen und trat unzufrieden den Rückzug an.

    »Halten Sie sich bereit. Möglich, dass wir mit weiteren Fragen auf Sie zurückkommen müssen.«

    »Klar, ich bin hier.«

    »Sollte Ihnen noch etwas einfallen ist hier meine Karte.« Ich nahm die billige, weiße Visitenkarte entgegen und ließ sie auf das Tischchen fallen, weil ich sie eh nicht brauchen würde. Dann setzte ich den Wodka an, trank bis zur Neige. Sogleich bestellte ich eine weitere Flasche und befasste mich mit der Frage, wer in der Lage war, auf diese abartige Weise zu morden? Ich begriff den Sinn dieser Tat nicht. Mein Zerwürfnis mit der Welt hatte einen entscheidenden Wendepunkt erreicht. Im Hier und Jetzt zählte nur die Betäubung.

    Irgendwann fiel ich volltrunken um. Im Geiste erschien mir die schöne Unbekannte, verabschiedete sich mit zarten Worten:

    »Amos Cappelmeyer, vergiss mich nicht, bitte!« Dann

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