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Kopf über Bord
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eBook209 Seiten2 Stunden

Kopf über Bord

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Über dieses E-Book

Jeremias träumt. Eine Reise mit der Bounty. Abenteuer erleben, endlich irgendwo ankommen, einfach nur SEIN. Mit der Bounty war er groß geworden. Doch was online so verheißungsvoll klang, endet auf einer Barena in der Lagune Venedigs. Jeremias träumt nicht mehr, aber er spricht jetzt mit Möwen und trifft auf Josie … immer auf dem Weg, ein anderer zu werden.

Keinen Bock mehr auf die Heimat. Josie will weg, weg von den stummen Gesichtern in ihrem Kopf. Die Narbe im Gesicht soll am besten auch verschwinden. Auf der Fahrt nach Venedig trifft sie einen Engel und dann Jeremias. Josie zeichnet. Jeremias sieht zu. Zwei einander fremde Menschen begegnen sich auf der Suche nach sich selbst.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum13. Jan. 2018
ISBN9783745081343
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    Buchvorschau

    Kopf über Bord - Sabine Harmuth

    Capriccio italiano

    Holzreuter, sagte er in Gedanken zu sich selbst, weißt du eigentlich was du willst? (Wenn er mit sich selbst sprach, dann redete er sich mit seinem Nachnamen an, denn seinen Vornamen, Jeremias, mochte er nicht.)

    Wusste er, was er wollte? Eher nicht. Endlich irgendwo ankommen vielleicht. Und jetzt? Jetzt saß er hier fest und wollte sogar zurück auf dieses Schiff, zurück zu diesem Verrückten.

    Nur um die Sache mit Quesada zu klären, begründete er still vor sich selbst. Doch sicher war er sich dessen auch nicht, denn er konnte sich nicht vorstellen, wie er mit Quesada umgehen, mit ihm reden, ihn gar zu einer Erklärung bewegen sollte, selbst wenn er ihm wieder begegnen würde. „Es ist gut, wenn du weißt, was du willst – wenn du nicht weißt, was du willst, ist das nicht so gut", summte er eine Liedzeile vor sich hin. Die Sache mit Quesada klären. Quesada spielte eigentlich keine Rolle mehr, denn er, Holzreuter, wusste doch nicht mehr, was er wollte. Wie lächerlich, dem naiven Wunsch eines Dreizehnjährigen nachzujagen, wenn man inzwischen fast doppelt so alt war. …Von einem Schiff zu träumen und der verlogenen Unendlichkeit, die es versprach. Das hier war die Quittung. Er saß auf einer Insel fest, einem Inselchen, das höchstens 300 m² groß war und sich irgendwo im nördlichen Teil der Lagune von Venedig befand. Wasser und Land bildeten einen unregelmäßigen Fleckenteppich. Der feuchte Inselboden war von winzigen Kanälen durchzogen und schwankte leicht unter den Füßen, wenn man herumlief oder hüpfte. Jeremias (nur sein bester Freund Benni durfte ihn Jerry nennen) hatte schließlich eine annehmbar trockene Stelle gefunden. Um ihn herum sprießte Gras und blühte ein purpurfarbenes Kraut. Hin und wieder wehte über das flache Landstück eine kleine Brise, der er dankbar sein Gesicht entgegenreckte. Weiter nördlich stiegen in größeren Abständen Flugzeuge in den wolkenlosen Himmel auf, flogen im großen Bogen über die Lagune hinweg und verschwanden.

    Die Sonne stand hoch am Himmel und Jeremias wartete darauf, dass seine Hose und seine Schuhe trockneten, die auf dem Rettungsring lagen. In der Mitte stand sein Rucksack auf einem grob zusammengefalteten blauen Müllsack. Das T-Shirt tunkte er in regelmäßigen Abständen ins Wasser, um es sich dann über Kopf und Schultern zu legen, denn leichtsinnigerweise hatte er Sören heute Morgen beim Abschied sein Baseballkap geschenkt. Hier gab es nichts, was Schatten spendete. Keinen Baum, keinen Busch. Nur einen einzigen dürren Strauch, an den er vorhin gepinkelt hatte.

    Über dem schlammig-türkisfarbenen Wasser lag eine Dunstschicht, die die klaren Konturen verschwimmen ließ. Die Hitze füllte alle Zwischenräume, verklebte Himmel und Erde, lähmte die Gedanken. Direkt vor ihm, allerdings durch einen recht breiten Streifen Wassers von ihm getrennt, befand sich Torcello, die Insel, die Quesada am Ende erwähnt hatte, und aus deren Mitte ein Kirchturm herausragte, der in einem Baugerüst steckte. Menschen oder Boote waren nirgendwo zu sehen.

    Jeremias war nicht besonders hungrig, nur der Durst machte ihm allmählich zu schaffen. Das Wasser hatte hier, tief im Innern der Lagune, immer noch einen leicht salzig-brackigen Nachgeschmack. Sobald das T-Shirt auf Kopf und Rücken seine erfrischende Kraft verlor, begann die Haut auf den Schultern zu jucken. Ab und zu sirrte eine Mücke an seinem Ohr vorbei.

    Ein mageres Fazit, dachte er. Banaler Mist. Er lachte leise. Er war 25 und zu alt für das hier. Das einzige, was aus diesem Meer an Belanglosigkeiten ebenso flach wie dieses Inselchen aus der Lagune herausragte, war, dass er, zum soundsovielten Male, seiner eigenen Dämlichkeit zum Opfer gefallen war. Vielleicht war das ja seine Bestimmung: gutgläubiger Trottel.

    Er hatte noch keine Vorstellung davon, wie es jetzt weitergehen sollte. Er war nicht sonderlich ängstlich, schließlich war er inmitten der Zivilisation gestrandet, eher verwundert und ja, beleidigt darüber, wie man ihn, wie Quesada ihn behandelt hatte. Jeremias stellte sich Bennis Gelächter vor. Benni war sein bester Freund. Bennis Lachen war meist nicht zu ertragen, weil es kein Ende nahm. Noch hatte er es deutlich im Kopf, dieses Gewieher. Es würde blasser werden, leiser. Er würde es immer aus dem Gedächtnis abrufen können, aber was nützte ihm ein Lachen ohne Benni? Eine Konserve, die immer älter wurde, weil Benni nicht mehr älter wurde. Jetzt nicht an Benni denken, am besten nichts denken, nur sein, aber wie, wenn einem der Schädel schwirrte.

    Vielleicht sollte er die ganze Reise, alles bis hierher, in Gedanken durchgehen, in eine Ordnung bringen, aufschreiben oder aufnehmen. Solange die Erinnerung noch frisch war. So verfahren (im wörtlichen Sinn) sich auch die ganze Unternehmung bis hierher präsentierte, vielleicht gelang es ihm, eine annehmbare Geschichte darüber zu erzählen. Und wenn es für den großen literarischen Wurf nicht langte, dann vielleicht für den x-ten Reiseführer. Ein bisschen Geschwätz – durch ein wenig Europa – für Trottel. Er könnte einem Lokalblatt eine Kolumne für die Sonntagsausgabe anbieten, im Winter, wenn man sich nach der Wärme der Sonne sehnte. Er würde ein paar Kontakte aus seiner Volontariatszeit aufwärmen. Irgendetwas ergab sich immer, dachte er, während er das Smartphone aus der Seitentasche seines Rucksacks kramte, es anschaltete und sich räusperte.

    „Folgendes: Ich, Jeremias Holzreuter, 25 Jahre alt, …" Er stockte. Seit er in Berlin aufgebrochen war, hatte er sich allen als Tim vorgestellt. Warum jetzt auf einmal wieder Jeremias?

    Je-re-mi-as. Eine Mischung aus Ach je und Miasmen. Das hatte er seinem Onkel Ferdi in der Werkstatt damals erklärt. Dass sein Vorname muffig klang. Wieso hatten sie ihn nicht Ben oder Tom genannt? Etwas Kurzes. Mit diesem sperrigen Nachnamen war es doch genug. Nur weil seine Mutter in einem Kirchenregister den ersten nachweisbaren Vorfahren der Holzreuters im 15. Jahrhundert entdeckt hatte, war er zu Jeremias verurteilt worden. Warum nicht Bert, Bob oder Jon? Was hatten sie sich nur dabei gedacht? Jetzt lebte er schon so lange mit diesem Namen und regte sich immer noch auf. Er hatte seinen Eltern kurz vor seinem vierzehnten Geburtstag eine alphabetisch geordnete Liste vorgelegt und verlangt, umbenannt zu werden. Nichts weiter. Ben, Bert, Bob, Jon, Mark, Mike, Nils, Piet, Raul, Ron, Tim oder Tom.

    „Aber doch nicht Je-re-mi-as!" rief er in die Mittagshitze hinaus. Er begann von Neuem.

    „Ich, Tim Holzreuter, …" wieder stoppte er.

    „Ich, Holzreuter, 25 Jahre alt, ledig, arbeitslos, kinderlos, … sinnlos". War doch alles Schwachsinn. Er schwitzte. Da gab es nichts zu sortieren. Was für ein anmaßender Versuch, dem Ganzen eine Ordnung geben zu wollen. Das Leben besaß keine Ordnung. Bestenfalls eine kuriose Reihenfolge. Einem kleinen Triumph folgte ein peinliches Versagen oder umgekehrt. Zufälle mischten sich in die Abläufe ein. Zweifel warfen Schatten. Jeremias schüttelte den Kopf.

    Quesada, dieser irre Kapitän, der ihn im Hafen von Valencia so freundlich an Bord der Ana Odette aufgenommen hatte. Mistkerl. Oder Brian, Brian Costa Morales, der ihn in Lissabon überredet hatte, mit nach Valencia zu kommen. Ein neuer Freund? Ein Schlag ins Wasser! Dann nur noch Wasser, immer mehr Wasser. Spaziergänge vom Bug zum Heck und wieder zurück. Die Horizontlinie nach Land absuchen. Mit Sören spielen, ihm Geschichten erzählen und seine Fragen beantworten.

    „Wo wohnst du, Tim? Was machst du? Hast du ein Kind? Guck mal Tim, die Wolke ist ein Hase!" Sören plapperte drauflos. Es machte Spaß, ihm zuzuhören. Der Hals des Wolkenhasen wurde länger und dünner, bis der Kopf abriss. Sören seufzte enttäuscht und Jeremias machte sich mit ihm auf die Suche nach einem neuen Wolkenwesen.

    Anders verhielt es sich mit Marie, einer Journalistin aus der Schweiz. Sie war ihm lästig. Sie und ihre Fragen, denen auszuweichen er sich bemühte.

    „Bist du aus Berlin? Bist du Reisejournalist? Lebst du in einer festen Beziehung? Ach, diese Weite verführt mich zum Träumen. Wie ist das bei dir, Tim?"

    Marie war wie Ellen, strukturiert und bewusst einfühlsam. Wenn sie auftauchte (und ihn schon zu suchen schien, aber vielleicht bildete er sich das nur ein), ging er unter Deck, um zu lesen, Musik zu hören und Moorhühner abzuschießen oder Schiffe zu versenken.

    Die ihm immer länger werdenden Tage auf der Ana Odette, in Gesellschaft von Sören, seinem Onkel, Marie und den Seeleuten, ließen so viel Raum zum Nachdenken, das nicht vorwärtskam. Sie steuerten nur wenige Häfen an: Marseille, Genua, Bari. In Marseille hatten sie einen ganzen Tag für den Landgang, in Genua einen Nachmittag und in Bari blieb schließlich nur eine halbe Stunde, um sich im Hafen etwas die Beine zu vertreten und schnell ein Bier zu trinken. Quesada schien es immer eiliger haben. Doch wozu diese Hast? Es ärgerte Jeremias, dass er, bis zum Schluss, den Grund für die Fahrt nicht herausgefunden hatte. Denn die Ana Odette war kein Schiff für Kreuzfahrten. Die Kabinen boten nicht den geringsten Komfort, bis auf die des Kapitäns. Eine weitere Kabine, die aufgrund der prächtig verzierten Tür sogar auf einen gewissen Luxus schließen ließ, blieb immer verschlossen. Der Dreimastschoner war auch kein Handelsschiff. Der Frachtraum schien, soweit Jeremias das einschätzen konnte, nicht von nennenswerter Größe zu sein. Bei der Ana Odette handelte es sich um ein altes und vor allem schönes Schiff. Aber Quesada hinterließ keinesfalls den Eindruck eines Kapitäns, der einfach nur mit einem schönen Schiff über das Mittelmeer fuhr. Wenn jemand das Schiff gekauft hatte, und es nur überführt werden musste, dann hätte man nicht so viele Passagiere an Bord genommen. Oder doch, für einen kleinen Nebenverdienst? Nein, Quesada hatte ganz gewiss etwas anderes vor. Diese Energie, die er ausstrahlte. Gleichzeitig schien er auf etwas zu warten. Allem Anschein nach war er doch ein Schmuggler. Jeremias kehrte damit zu seiner ersten Überlegung zurück. Es gab wohl keine andere Erklärung für sein Verhalten. In Valencia hatte ihn diese Vermutung weder daran gehindert noch dazu beflügelt, an Bord zu gehen. Weil er im Innersten letztendlich davon überzeugt war, dass der spanische Kapitän kein Schmuggler war? Weil er nicht wie ein Schmuggler aussah? Aber wie sah ein Schmuggler aus? Und vielleicht war die auffällige Schönheit der Ana Odette ja die beste Tarnung? Aber wenn Quesada keine Drogen oder sonstige Waren beförderte und keinerlei touristischen Geschäftssinn besaß, wieso fuhr er mit Leuten, die er nicht kannte, über das Mittelmeer? Jeremias‘ Gedanken drehten sich im Kreis, wie das Boot eines ungeschickten Ruderers. Nein, Quesada sah wirklich nicht wie ein Schmuggler aus. Er sah wie ein Kapitän aus, dessen Bild man in einem Kinderbuch über die Seefahrt finden würde. Er war mittelgroß und kräftig, aber nicht dick, er trug einen gepflegten Bart und seine braunen Augen blickten gelassen in die Welt hinaus. Mit wohlbemessenen, kräftigen Schritten ging er über das Deck des Schiffes, das er liebte. Auch Tarnung? Einmal, in der Nähe von Genua, hatte Jeremias den Kapitän nach dem Grund der Reise gefragt. ¿Por qué? Warum? ¿Para qué? Wozu? Quesada hatte gelächelt und genickt. Hatte sich umgedreht und war gegangen. Hatte ihn an der Reling stehengelassen. War ihm das abendliche Wetterleuchten am Horizont nicht genug? Warum konnte er sich nicht mit dieser Tour einfach zufriedengeben? In Valencia war er doch ganz aus dem Häuschen vor Freude. Eine Fahrt übers Mittelmeer. Ersatzfahrt, um ehrlich zu sein. Denn es ging nicht in die Südsee, und es war nicht die Bounty. Das war sein Traum, der vor über zehn Jahren in der Werkstatt des Onkels in einem Schiffsmodell 1:60 allmählich Gestalt angenommen hatte. Vor wenigen Wochen war dieser Traum scheinbar in greifbare Nähe gerückt, nur um dann auf die schäbigste Weise zerstört zu werden. Die Ana Odette war ein Trost, aber kein Ersatz. Es gab keinen Ersatz. Brian hatte ihm zwar versichert, dass er auf einem mit Herzblut und einer Menge Geld umgebauten Dreimastschoner mitsegeln würde. Liebevoll für eine Reise wieder hergerichtet, deren Grund … nicht wieder von vorn, Holzreuter. Als sie Bari verließen mit Kurs auf Venedig, hatte Jeremias den Kapitän gefragt, welches, nach Venedig, das nächste Ziel der Ana Odette sei. Insgeheim trug er sich mit dem Gedanken, wenn möglich, weiter auf dem Schiff zu bleiben, und sich für beliebige Arbeiten anzubieten. Quesada hatte nur den Kopf geschüttelt und ihn nicht einmal angesehen. Was war los mit diesem Mann? Warum war er nicht willens, eine einfache Frage zu beantworten? Nicken und Kopfschütteln waren doch keine Antworten auf Warum und Wohin. Aber Quesada tat so, als gäbe es weiter nichts zu sagen. Also doch ein Schmuggler? Und es war seine, Jeremias‘ Schuld, dass er jetzt auf dieser Insel festsaß, weil er zu neugierig gewesen war und zu viele Fragen gestellt hatte? War dem Kapitän also keine andere Wahl geblieben, als ihn auf diese dreiste Weise loszuwerden? Sollte er nicht froh sein, weil es noch viel schlimmer hätte kommen können, wenn Quesada wirklich ein Schmuggler war?

    Einige Meter von ihm entfernt landete eine Möwe.

    „Was hast du hier zu suchen?"

    (Möwen konnten nicht sprechen. Er antwortete trotzdem.)

    „Gute Frage."

    „Hier kannst du nicht bleiben."

    Jeremias grinste.

    „Sitzen, atmen, abwarten, sagte er. „Nein, warte, einfach nur SEIN. So wie du.

    „So wie ich? Mach dich nicht lächerlich. Du gehörst nicht hierher."

    „Ich gehöre dahin, wo mein Arsch sitzt." (Bennis Spruch.)

    Eine Möwe, dachte er. Machte ihm den Platz streitig. Er sah sich um. War doch genug Platz da. Es war wie immer. Ellen hatte ihn rausgeschmissen, Quesada hatte ihn ausgesetzt (wie einen Meuterer). Jetzt die Möwe.

    „Dein Gejammer ist mir egal. (Er hatte nichts gesagt.) „Du hast hier nichts verloren.

    Jeremias drehte der Möwe den Rücken zu. Halluzinierte er? Dann drehte er sich plötzlich wieder um, griff in ein Grasbüschel, riss es aus und warf es nach dem Vogel.

    „Du bist ein jämmerlicher Jäger."

    „Ich wollte nur sehen, ob du echt bist."

    „Du hast Durst. Futter findest du hier auch nicht."

    Sie hat Recht, dachte er. Und: vielleicht werde ich verrückt, verabschiede mich hier, im Juli 2012 (welcher Tag war eigentlich?) aus der Wirklichkeit. Er stand auf, streckte sich und ging ein paar Schritte. Die Möwe flog auf und ließ sich einige Meter weiter entfernt nieder. Jeremias setzte sich. Er schloss die Augen.

    Aber sobald er dies tat, sah er die Bounty vor sich. Die, die sie Anfang der 60er Jahre für den Film gebaut hatten. Die jetzt eigentlich auf dem Weg nach Tahiti sein sollte. Mann, Holzreuter, dachte er, das Thema hatten wir doch abgehakt.

    Mit der Bounty war er groß geworden. Zwei Bilder hatten immer in seinem Zimmer gehangen: Eine Zeichnung des Original-Schiffs von 1787 und ein Filmplakat von der Meuterei auf der Bounty. Die Zeichnung hatte ihm sein Vater aus einem Bibliotheksbuch kopiert und im Hobbykeller mit viel Mühe vergrößert. Das war Weihnachten zwei Jahre vor dem Mauerfall. „Zum 200. Geburtstag der Fahrt nach Tahiti" hatte er drunter geschrieben. Zu Jeremias‘ Geburtstag, zwei Monate später, schickte ihm eine kinobesessene Westtante auf geheimnisvollen Wegen das Filmplakat. Marlon Brando und diese Tahiti-Schönheit im Vordergrund, dahinter das Schiff. Das Schiff im Vordergrund wäre besser gewesen. Beide Bilder waren an seiner Wand geblieben, bis er auszog. Die Film-Helden wechselten wie die Lieblingsbücher, später die

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