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Per Anhalter über den Atlantik: Raus aus der Schule, rein ins Abenteuer
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eBook386 Seiten4 Stunden

Per Anhalter über den Atlantik: Raus aus der Schule, rein ins Abenteuer

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Über dieses E-Book

Was tun nach dem Abi? Eine Atlantiküberquerung im Segelboot

Wohin mit sich selbst nach dem Abitur? Viele junge Menschen möchten sich nicht sofort in den "Ernst des Lebens" stürzen. Die Welt entdecken, echte Freiheit erleben und neue Erfahrungen machen, bevor der Alltag mit Studium, Job und Familie einkehrt – ein Traum für viele frisch gebackene Abiturienten.

Christoph Vougessis und Anna Haubrich haben diesen Traum gelebt: Nach dem Abi zogen sie los, der eine mit seinem vierzig Jahre alten Segelboot Shalom von Hamburg aus, die andere als Tramperin aus Süddeutschland.

Hals über Kopf verliebt – junges Glück unter Segeln

Das Schicksal führt sie auf La Gomera zusammen. Sie lernen sich kennen, verlieben sich und segeln gemeinsam über den Atlantik. Zwischen Sonnenuntergangsromantik und stürmischer See wachsen die beiden zusammen und erleben einen unvergesslichen Abenteuerurlaub. Bei Flaute schwimmen sie im Meer und geben den Fischen Namen. Sie stellen fest, dass ein Leben als Vegetarier auf dem Ozean nicht immer einfach ist und schaffen Abhilfe mit Pommes Frites. Und sie treffen auf viele neue Freunde, in fremden Kulturen und unter anderen Reisenden.

Doch auch auf hoher See ist nicht alles eitel Sonnenschein. Shalom ist ein treues Boot, aber doppelt so alt wie ihr Skipper. Ein Leck hier, eine Havarie da – Christoph erlebt auf dieser Reise Momente, die ihn an seine physischen und psychischen Grenzen stoßen lassen. Anna dagegen verfolgt ihren ursprünglichen Plan weiter und reist nach vier Monaten gemeinsamer Zeit allein nach Mexiko und Guatemala.

Erwachsenwerden am anderen Ende der Welt
In Per Anhalter über den Atlantik erzählen Christoph und Anna ihre gemeinsame Geschichte aus zwei Perspektiven. Eine Geschichte über eine Zeit weit weg von Konsumgesellschaft und Zwängen, eine Zeit der Freiheit und des gemeinsamen Glücks, aber auch über eine Zeit, die sie beide hat erwachsener werden lassen. Ehrlich und offen berichten die sympathischen jungen Segler über die Hochs und Tiefs, die Abenteuer und Schieflagen ihrer Weltreise.

Eine wunderbare Mischung aus Liebesgeschichte und Abenteuerroman!
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum21. Jan. 2019
ISBN9783667116529
Per Anhalter über den Atlantik: Raus aus der Schule, rein ins Abenteuer

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    Buchvorschau

    Per Anhalter über den Atlantik - Christoph Vougessis

    VORWORT

    Dieses Buch erzählt nicht von großen Heldentaten oder seglerischen Meisterleistungen. Weder wurden Rekorde aufgestellt, noch eine Begeisterungswelle im deutschen Segelsport ausgelöst. Es handelt nicht von mutigen Seglern, die Wind und Wetter trotzen, dem Tod von der Schippe springen und monatelang in absoluter Einsamkeit ausharren.

    Die Liste von großen Geschichten ist endlos und mittlerweile auch dem Publikum in der Heimat durch Publikationen zugänglich gemacht. Unzählige Bücher wurden bereits darüber veröffentlicht und unzählige werden folgen. Dieses Buch jedoch nicht.

    Dieses Buch erzählt lediglich die Geschichte zweier junger Reisender, die ihre Heimat mit Träumen im Kopf und Abenteuerlust im Herzen verließen. Zwei junge Reisende, die allein und zusammen hinter den Horizont blickten und sich dort gefunden haben.

    Von Christoph

    PROLOG

    »Warum kommst du nicht einfach mit?« Christoph schaut mich mit großen Augen an. Wir stehen mitten im Supermarkt in San Sebastián, umgeben von Lebensmittelregalen. Die Worte waren ihm offenbar einfach so rausgerutscht.

    Mein Puls beginnt sich zu beschleunigen.

    »Wie bitte?«, frage ich. Vielleicht habe ich mich ja verhört.

    »Na, komm doch einfach mit. Du kannst ja dann das Kochen übernehmen oder so.«

    »Ja klar, warum nicht!« Ich kann überhaupt nicht kochen. Auf See schon gar nicht, wie mir meine bisherige Reiseerfahrung gezeigt hat. Vor allem wenn das Boot so klein ist, dass man nicht mal aufrecht stehen kann. Denn immerhin reden wir hier von einem nur sieben Meter kurzen Boot, dessen Skipper wie ich gerade erst sein Abitur gemacht hatte, bevor er von Hamburg aus allein auf die Kanaren gesegelt ist. Und nun als Nächstes den Atlantik bezwingen will.

    Meine Eltern werden mich umbringen.

    Ich glaube, ich war selten in meinem Leben so aufgeregt.

    Sollte mein Traum jetzt doch noch wahr werden? Christoph war schon vor einigen Tagen ohne mich losgesegelt und hatte mir damit das Herz gebrochen. Ich selbst wäre beinahe vor seiner unerwarteten Rückkehr nach Teneriffa aufgebrochen, sodass wir uns ohnehin verpasst hätten. Und überhaupt hatte ich auf diese Frage schon seit so vielen Tagen vergebens gewartet … Und jetzt stellt er sie einfach so, hier in diesem Supermarkt, ohne großes Tamtam und ohne romantischen Kniefall. Und plötzlich ist alles anders. Ich würde nicht mehr jeden Tag auf Bootssuche durch die Marina laufen müssen. Kein Hoffen mehr auf nette Segler, die noch einen Platz frei hätten. Keine Sorge mehr, dass etwas mit diesen netten Menschen schieflaufen könnte.

    Hier sind wir also.

    Von außen nur zwei planlose Jugendliche, die Berge an Proviant kaufen und sich zusammen einen Traum erfüllen. Innerlich sind wir jedoch beide ziemlich aufgeregt. Was müssen wir jetzt noch einkaufen? Wird das alles in die SHALOM passen? Und vor allem: Werden wir uns verstehen?

    Fragen, die wir kurze Zeit später in einer Flasche Rotwein ertränken.

    »Wir schaffen das schon«, sagt Christoph leise. Ich schaue ihn an. So viel liegt vor uns, und keiner von uns beiden kann sich auch nur ansatzweise ausmalen, was tatsächlich auf uns zukommen wird.

    Wir kennen uns gerade mal drei Wochen.

    Was machen wir hier eigentlich?

    Von Anna

    SHALOM IM FEBRUAR

    »Okay, nehm ich.« Mit einem festen Handschlag versuche ich meine Zweifel beiseitezuschieben und mir selbst Mut zu machen. Keine weiteren Grübeleien, kein weiteres Zögern. Nun heißt es handeln, den Sack zumachen, Tatsachen schaffen. Mit Unentschlossenheit werde ich nicht weit kommen, soviel steht schon mal fest. Also warum damit überhaupt erst anfangen?

    Klar, es gibt schon ein paar Dinge, die mich stören, und andere, die mir ein wenig suspekt sind. Die Wanten zum Beispiel, an die muss ich auf jeden Fall noch mal ran. Oder sollte man sie besser gleich austauschen? Gleiches gilt auch für das Vorstag und die Püttinge, an denen die Oberwanten befestigt sind. »Damit würde ich vermutlich noch nicht einmal einen Jollenmast absichern«, geht es mir kurzzeitig durch den Kopf. Und erst das Ruderlager … Da kommt noch einiges an Arbeit auf mich zu.

    Aber genug davon, ich besinne mich auf das Wesentliche: Hier vor mir, an der kalten zugefrorenen Ostseeküste in Stralsund, steht ein kleines, aber durchaus robustes und seegängiges Boot. Es hat einen langen Kiel, ein angemessenes Ruder und schöne Linien. Das Rigg ist, abgesehen von den dünnen Wanten und den wackelnden Püttingen, in einem sehr guten Zustand, und auch der beinhaltete Segelsatz lässt nichts zu wünschen übrig. Von Großsegel über Genua, bis hin zur kleinen Sturmfock – alles dabei. Sogar der Preis stimmt, ist genau genommen sogar recht günstig: unter zweitausend Euro für eine brauchbare, wenn auch kleine Fahrtenyacht. Selbst wenn noch einiges an Ausrüstungs- und Reparaturkosten anfallen würde, wäre es ein gutes Geschäft.

    Ich stelle mich vor das aufgebockte kleine Segelboot und lese den Schriftzug am Bug: »SHALOM«, steht dort in geschwungenen weißen Linien auf einem tiefblauen Hintergrund. Was für ein schöner Name für ein Segelboot, denke ich mir. »Friede sei mit dir«, als Begrüßung. Schon mal eine gute Voraussetzung, um fremden Ländern, Kulturen und Menschen zu begegnen.

    Kopfnickend wiederhole ich meine Worte, nun mit voller Überzeugung: »Ja, ich nehme das Boot!«

    »Na prima, endlich mal ein Interessent, der weiß, was er will. Es handelt sich übrigens um eine Hurley 22 aus England. Gebaut 1978 in Plymouth. 2,2 Tonnen Leergewicht, davon allein 1,2 Tonnen nur der Kiel. Ein Ballastanteil von 56 Prozent!« Stolz klopft mein Gegenüber gegen den Rumpf des Bootes. »Ich bin das Boot vorher einfach nicht losgeworden. Dabei ist damit alles in Ordnung. Nur die Größe, darauf kommt es heute an. Größe und Komfort. Alles andere scheint keine Rolle mehr zu spielen!«

    Ich gucke Rolf, einen jungen Mann mit krausen Haaren und dickem Pulli, an. Ich habe ihn erst heute kennengelernt, aber er macht sofort einen sympathischen Eindruck auf mich. Ein netter Kerl Mitte zwanzig, dem inzwischen ebenfalls die Bequemlichkeit an Bord fehlte.

    »Ich habe auf der SHALOM für mehrere Jahre gewohnt, aber nun habe ich ein größeres Boot. Der Wunsch nach mehr Komfort kommt wohl früher oder später bei jedem an.«

    Stolz zeigt er auf ein Boot, das fünfzig Meter von der aufgebockten SHALOM entfernt an einem Steg im zugefrorenen Wasser liegt.

    »Nun wohne ich auf diesem Boot, auch im Winter. Ich habe einen Ofen und eine Heizung. Was will man mehr?«

    Seine Worte faszinieren mich, und nach kurzem Nachdenken muss ich ihm zustimmen. Genau so will ich auch leben. Auf einem eigenen Segelboot. Kocher und Bett immer bei einem, egal wohin man segelt. Man kann ferne Länder bereisen, neue Kulturen kennenlernen und ist trotzdem immer zu Hause – von dieser Art Leben träume ich schon seit geraumer Zeit. Verständlich, wenn man jeden Tag in der Schule sitzt und von großen Abenteuern liest. Segelpioniere, Entdecker und Forscher, Menschen wie Slocum, James Cook oder Darwin. Alle ließen ihr altes Leben an Land zurück und stürzten sich voller Zuversicht in eine neue, unbekannte Welt. Eine Lebensphilosophie, die sich schnell in meinem jugendlichen Kopf festgesetzt und mich von Tag zu Tag mehr in ihren Bann gezogen hat. Mit vierzehn Jahren plante ich bereits meine Reise und fing mit dem Sparen an. Nahm Minijobs an, gab Nachhilfe und bunkerte mein Weihnachtsgeld. Bis zum heutigen Tag. Ein Tag, der mein bisheriges Leben radikal verändern wird. Ich bin meinem Traum nun ein ganzes Stück näher gerückt.

    Möchte ein frisch gebackener Bootsbesitzer seinen Liegeplatz von der Ostsee zur Elbe hin verlegen, sollte er einige kleine Details beachten:

    Zu allererst sei es nach Möglichkeit zu vermeiden, die Überführung im Februar zu starten, da es durchaus vorkommen kann, dass man sich in den Nachtwachen mit Minusgraden und Eisschollen herumschlagen muss.

    Plant man darüber hinaus die Durchquerung des Nord-Ostsee-Kanals, sollte das entsprechende Boot zumindest einen einigermaßen vernünftigen Motor besitzen, damit eventuelle Motorausfälle mitten in der meistbefahrenen Wasserstraße der Welt eher unwahrscheinlich sind und man somit nicht den gesamten Kanalablauf durcheinander bringt.

    Mein Freund Timo und ich stellten uns waghalsig all diesen Widrigkeiten – weil wir es uns nur leisten konnten, eben im Februar die Schule zu schwänzen, um genügend Zeit für die Überführung aufzubringen, und weil die SHALOM laut Kaufvertrag bis März das Gelände des Hafens verlassen haben musste. In Ermangelung eines Trailers blieb also keine Alternative zum Sprung über die kalte, teils zugefrorene Ostsee samt anschließender Durchquerung des Kanals – mit einem eher defekten als funktionstüchtigen Außenborder, der im Kaufpreis enthalten war und künftig als Hauptmaschine dienen sollte.

    Frierend verlud ich einige Ausrüstungsgegenstände unter Deck, während Timo sich noch mit meinem Vater unterhielt, der uns und zwei Taschen an Ausrüstung und Proviant netterweise von Hamburg nach Stralsund gebracht hatte. Schwimmwesten, dicke Regenklamotten und Gummistiefel, Bücher, ein Fernglas, etliches an Essen und Trinken, ja sogar eine Petroleumheizung wanderten an Bord. Trotz der Minusgrade und meiner Fieberanfälle, welche ich dank einer Stirnhöhlenentzündung zu der Zeit hatte, war ich dennoch optimistisch, die Reise einigermaßen problemlos über die Bühne zu bringen.

    »Timo, es ist nun alles verstaut. Wir sollten dann auch mal langsam los, bevor das noch dunkel wird.«

    Voller Enthusiasmus machte ich mich, während ich mit meinem Mitsegler redete, an dem alten 6-PS-Außenborder zu schaffen, damit wir bald vom Steg ablegen und den Hafen verlassen konnten.

    Seine Antwort ging in einer Wolke aus Lärm, Dreck und Abgasen unter. Ich stand im Cockpit und konnte kaum noch die Hand vor Augen sehen. Dazu musste ich schwer husten. Ich schaute auf das Wasser und bemerkte, dass die Wasseroberfläche um uns herum mit schillernden Regenbogenfarben überzogen war. Schon wollte ich den Motor wieder ausschalten, da ich Angst hatte, von dem kleinen, runden Hafenmeister angeschnauzt zu werden, der am Steg stand. Der bemerkte meinen Plan und fuhr dazwischen:

    »Nee, lass den ma loofen. Dit is normal bei Zweitaktern, wenn die lange nich jeloofen sind. Gib dem Kirschkernspucker ma lieber mehr Gas!«

    Etwas überrascht tat ich wie befohlen und voilà! Der Motor beruhigte sich langsam und fing an, konstant zu laufen.

    »Mit meinem Trabi hab ik dit früher och oft jehabt. Janz normal. Mach mal n bisschen Spüli uff die Schlieren im Wasser. Dann sind die och gleich weg.«

    Zehn Minuten später hatten wir die Hafenausfahrt hinter uns gebracht und steuerten auf die offene Ostsee zu. Ich war sehr nervös, wollte es mir aber nicht anmerken lassen. Immerhin war dies nun das erste Mal, dass ich mit der SHALOM segelte. Auch wenn ich schon eine gewisse Segelerfahrung besaß – vergangenes Jahr etwa war ich mit der Carina 20 meines Vaters bis Bornholm und Polen gesegelt –, war ich angespannt. Laut Wetterbericht würden wir die nächsten Tage kreuzen müssen und ich rechnete mit circa drei Tagen auf See.

    »Das wird sicherlich frisch. Vor allem wenn wir gegen die Wellen ansegeln und die Gischt an Deck kommt.«

    »Ja geil«, sagte Timo genervt. »Du meintest zu mir, dass das eine kurze, entspannte Segeltour wird, und jetzt diese Schweinekälte! Ich leg mich erst mal hin.«

    Zugegeben: Was ich meinem Schulfreund Timo über die bevorstehende Segeltour erzählt hatte, entsprach der Realität eher wenig. Aber ich wollte unbedingt einen zweiten Mann zur Unterstützung an Bord, und um jemanden zum Quatschen zu haben.

    Es wurde sehr, sehr kalt. In den Nächten fiel die Temperatur unter null Grad. Im Morgengrauen sahen wir öfters vereinzelte kleine Eisschollen auf der Ostsee herumtreiben und außer den großen Pötten der Berufsschifffahrt waren wir das einzige Boot auf See.

    Gegen Mittag des dritten Tages schälte sich schließlich das Marinedenkmal von Laboe aus einem trüben Dunst hervor.

    »Timo, guck mal! Jetzt ist es geschafft. Hier in Kiel fängt der Nord-Ostsee-Kanal an. Der bringt uns in die Elbe und dann nach Hamburg.«

    »Wie schön. Und wann können wir in den Kanal einfahren? Wir haben nämlich nur noch für eine Nacht Petroleum für die Heizung, und heute ist Sonntag. Also werden alle Läden zu haben.«

    Darüber musste ich auch schon seit geraumer Zeit nachdenken. Die geliehene Petroleumheizung meines Vaters war bisher der einzige Grund, warum mein Mitsegler noch nicht gemeutert hatte. Immerhin wurde die kleine Kajüte der SHALOM so auf eine angenehme Raumtemperatur gebracht, selbst wenn es draußen fror, was eigentlich immer der Fall war. Auch wenn wir das Boot bei den ersten zwei Wenden jedes Mal fast angesteckt hatten, wenn die Heizung plötzlich mit wechselnder Schräglage polternd durch die Kajüte flog, hatten wir sie verständlicherweise doch in unser Herz geschlossen.

    »Ein Problem nach dem anderem. Heute werden wir nicht mehr in den Kanal fahren können. Es wird ja bereits dunkel. Für diese Nacht haben wir noch genug Petroleum und für die nächste wird uns noch was einfallen.« Heftig nickend, um meiner eher vagen Zukunftsvision mehr Gewicht zu verleihen, schaute ich meinen Mitsegler optimistisch an. Der hörte mir jedoch gar nicht mehr zu, sondern guckte gebannt Richtung Bug.

    »Ey, guck mal. Da schwimmen ja Delfine neben dem Boot her! Das ist ja geil!« Verblüfft schaute ich ebenfalls über die Reling und tatsächlich: In unserem Kielwasser und um die SHALOM herum schwammen in geschickten Bahnen zwei Delfine und sprangen immer wieder hoch aus dem Wasser.

    »Ich glaub’s ja nicht! Was machen die denn hier in der Ostsee? Die müssen sich verirrt haben.«

    Später lasen wir nach, dass sich genau diese zwei Säugetiere während eines großen Sturms über der Nordsee in die Ostsee geflüchtet hatten und seither munter die dänischen und deutschen Küsten abklapperten. Ich sah diese Begegnung als gutes Zeichen an, dass die SHALOM mich sicher über die kommenden Meere tragen würde.

    »Christoph! Der Motor macht schon wieder so merkwürdige Geräusche! Komm schnell hoch und sieh dir das an!«

    Hektisch riss ich mir meine gefütterte Pelzfellmütze vom Kopf, um Timo besser gegen den dröhnende Motorlärm verstehen zu können. Plötzlich war jedoch alles friedlich und still. Aus der Kajüte schaute ich hinaus zu ihm.

    »Was meintest du?«, fragte ich ihn, obwohl ich mir in diesem Moment nur zu gut denken konnte, was er mir in die Koje runter gerufen hatte.

    »Ich sagte, dass der Motor gleich wieder ausgeht und dass du schnell mal nachgucken sollst, aber das hat sich ja wohl gerade erledigt.«

    Eher genervt als beunruhigt nahm ich Timo die Pinne aus der Hand, während er zum Bug lief und sich am Ankerkasten zu schaffen machte: Nach dem nunmehr dritten Motorausfall mitten im Nord-Ostsee-Kanal hatten wir uns einen Notfallplan zurechtgelegt, der vorsah, mit der verbliebenen Geschwindigkeit des Bootes an den Rand des Kanals zu fahren und dort dann schnell den Anker zu werfen. Und das taten wir also.

    Zehn Minuten später hielt ich alle Einzelteile des Vergasers, der Zündeinheit und der Benzinpumpe in der Hand und versuchte fieberhaft die Teile wieder an ihren richtigen Ort zu platzieren – zu meinem Schreck unterbrochen von dem Kapitän eines sehr dicht vorbeifahrenden Binnenschiffes, der plötzlich quasi hinter mir stand und uns zusammenbrüllte, dass wir schleunigst Land gewinnen sollten, oder er würde uns bei der Wasserschutzpolizei melden. Die Stimmung an Bord stieg.

    Nachdem sämtliche Teile nach einer gefühlten Ewigkeit wieder eingebaut und festgeschraubt waren, stellte sich auch die Ursache unseres Problems heraus. Der Benzinschlauch war verstopft und ließ nur noch einige Tropfen hindurch.

    »Hätte sich das auch geklärt«, dachte ich mürrisch. »Wenigstens kenne ich nun jede einzelne Schraube an diesem Krachgerät. Das ist bestimmt noch mal von Vorteil.«

    Wer schon einmal durch den Nord-Ostsee-Kanal gefahren ist, hat eine gute Vorstellung davon, wie eintönig und langweilig diese Passage werden kann. Über 45 Meilen erstreckt sich der Kanal, von Kiel nach Brunsbüttel, einmal quer durch Schleswig-Holstein.

    Es gibt Regionen auf dieser Erde, welche einem vor Schönheit den Atem rauben und durch eine mystische Naturkulisse jeden Menschen daran erinnern, wie einzigartig unser Planet doch ist. Schleswig-Holstein gehört leider nicht dazu. Zumindest nicht auf den beiden Seiten des Kanalufers. Und ganz sicher nicht im Winter. Matschige Felder und Wiesen wechselten sich mit kargen Bäumen und Gestrüpp ab. Die dicke Wolkenbank über uns ließ dazu alles in einem traurigen, alles verschlingenden Grau erscheinen und passte perfekt zu den Temperaturen im Minusbereich. Träge und mühsam hielten wir uns draußen auf den Beinen und versuchten uns die Zeit zu vertreiben. Da wir mittlerweile nun auch keine funktionstüchtige Heizung mehr hatten, spielte es für uns auch keine Rolle mehr, ob wir uns drinnen oder draußen aufhielten.

    Wir hatten die Stadt Rendsburg schön längst hinter uns gelassen und befanden uns im letzten Viertel des Kanals, als ich es nicht mehr aushielt.

    »Mir ist schweinekalt und ich kann meine Finger nicht mehr spüren. Theoretisch sollte man die Heizung ja auch mit anderen brennbaren Flüssigkeiten betreiben können. Gib mal den Reservekanister rüber.«

    Eine Viertelstunde später und eine Erkenntnis schlauer, war der gesamte Innenraum der SHALOM ausgeräuchert und roch wie die Hamburger Innenstadt während des Berufsverkehrs.

    In den nächsten Stunden fanden wir jedoch heraus, dass sich der zum Glück reichlich an Bord vorhandene Spiritus von unserem Kocher sehr viel besser zum Heizen eignete als das Zweitakt-Benzingemisch. Von nun an war es wieder warm und kuschelig in der kleinen, verqualmten Kajüte.

    Beharrlichkeit bringt Heil, das Undenkbare war geschafft. Noch vor Sonnenuntergang knatterten wir mit unserem Kirschkernspucker in den kleinen Schleusenhafen vor Brunsbüttel und machten erleichtert die Leinen fest. Ich hatte schon befürchtet, dass wir es nicht mehr rechtzeitig schaffen würden und irgendwo im Nirgendwo rechts ranfahren müssten, um dort zu ankern. Denn nach Sonnenuntergang ist es für die private Schifffahrt generell verboten, den Nord-Ostsee-Kanal zu befahren.

    Froh darüber, dass wir nun gemütlich am Steg lagen und uns jederzeit die Füße vertreten konnten, machten wir uns anlässlich der gelungenen Durchquerung Schleswig-Holsteins zwei Bier auf und stießen kräftig an. Auch der Motor bekam einen Schluck ab, obwohl er während der letzten Meilen nur noch auf einem Zylinder gelaufen war … Ich beschloss, dieses Problem erst mal zu verdrängen und mich ein wenig zu entspannen. Die Kajüte wurde aufgeräumt und durchgelüftet, und unsere allesfressende Heizung sorgte für angenehme Temperaturen.

    Das erste Mal während dieser Tour schliefen wir mit ruhigem Gewissen ein, während draußen dicke Flocken vom Himmel fielen und alles mit einer weißen Schicht bedeckten.

    Schon am nächsten Morgen aber, kurz nach Einfahrt in die Schleuse, erwartete uns das nächste ungewollte Manöver. Unser Kirschkernspucker gab wieder mal seinen Geist auf und wir trieben ohne Motorkraft mitten im Schleusenbecken umher.

    »Jetzt haut schon endlich ab, wir brauchen die Schleuse auch noch für andere Schiffe!«

    Der Schleusenarbeiter, der vom Schleusenrand aus böse auf uns herabschaute, erinnerte an ein Warnhütchen, das vom Wind hin und her gewirbelt wird. Dick eingepackt in roter Kleidung, fuchtelte er tobend mit den Armen und besah uns mit einem Blick, der töten sollte. Nach endlosen Minuten, in denen ich nichts anderes gemacht hatte, als wie wild an dem Anlasser zu ziehen, und das rote Männchen nichts anderes gemacht hatte, als wie wild zu brüllen, erwachte der Motor schließlich stotternd zum Leben und tauchte meine SHALOM in eine dicke Abgaswolke. Timo hatte Plan B verfolgt und während meiner Anstrengungen bereits die Segel gesetzt. Mit qualmendem Motor und schlecht stehenden Segeln verließen wir fluchtartig die Schleuse, begleitet von den besten Wünschen des roten Warnhütchens:

    »Meine Güte! Und so was wagt sich aufs Wasser. Lasst besser die Finger davon und geht Fahrrad fahren!«

    Wir hatten noch keine hundert Meter zurückgelegt, als der Motor sich mit einem Stottern wieder verabschiedete. Das auflaufende Wasser der einsetzenden Flut trieb uns jedoch schnell flussaufwärts, weg von Brunsbüttel und den Schleusenanlagen, in denen die SHALOM vermutlich auf Lebenszeit Hausverbot erhalten hatte.

    Erleichtert, dass wir alles gut überstanden hatten, schaute ich ins kalte, braune Wasser der Elbe. Zwar waren wir immer noch nicht im Heimathafen Finkenwerder, aber die Elbe kenne ich wie meine Westentasche. Gegen Nachmittag legte ich die SHALOM mit stotterndem Motor, aber mit einem gutem Gefühl im Bauch an den Steg meines Segelvereins SG-HFB. Vier geschwänzte Schultage, drei Tage eiskaltes Ostseesegeln und eine mehr als abenteuerliche Kanalpassage lagen hinter uns. Diese Tour war geschafft – und meine eigentliche Reise konnte beginnen.

    Von Christoph

    WIE ALLES BEGANN: TRAMPEN ÜBER LANDESGRENZEN BIS ZUM MITTELMEER

    Es ist gerade mal 5.30 Uhr am 4. Oktober 2016, als der Wecker klingelt. Ich bin sofort hellwach. Heute ist der große Tag, heute soll es losgehen.

    Unter dem eiskalten Strahl der Dusche dämmert mir langsam, was heute passieren würde. Meine Eltern sitzen bereits am gedeckten Frühstückstisch und warten.

    »Und, aufgeregt?«, fragt mein Vater mich.

    »Ein wenig«, antworte ich nicht ganz wahrheitsgemäß. Tatsächlich fühle ich mich wie ein kleines Kind an Heiligabend. Mit leicht zitternden Händen gieße ich mir Kaffee ein, als es an der Tür klingelt.

    »Das muss Joshi mit seinen Eltern sein!«, rufe ich erfreut.

    Joshi ist mein Komplize in der Mission »Hitchhiking Southamerica«: Wir wollen mit so wenig Geld wie möglich bis nach Chile kommen. Wie das geht? Per Anhalter, zu Land und zu Wasser. Wie lange wir unterwegs sein werden, wissen wir nicht, wir haben uns bewusst entschieden, keine zeitliche Begrenzung für die Reise zu setzen. Ich hatte jahrelang jegliches Geld meiner Nebenjobs gespart und alle Möglichkeiten ergriffen, mir etwas dazuzuverdienen und wollte eigentlich nach bestandenem Abitur an einer Tauchschule in Costa Rica arbeiten. Joshi hingegen hat ein Budget, das nicht einmal für ein One-Way-Flugticket reichen würde und hatte mir Anfang des Jahres begeistert davon erzählt, dass man Segelboote trampen kann. Dass wir beide nicht segeln können, minderte Joshis Begeisterung, mit welcher er mich schnell angesteckt hatte, nicht. Und so sitzen wir heute hier und starten unsere Reise in Richtung Atlantikküste.

    Von meinem Wohnort in der Nähe von Mainz fährt mein Vater uns nach Grünstadt, zur nächstgelegenen großen Raststätte. Wir hieven unsere Rucksäcke auf den Rücken, bewaffnen uns mit unserem selbst gebastelten SPAIN–CHILE-Schild, machen ein erstes Foto und winken meinem Vater zum Abschied.

    »Es geht los!«, sage ich zu Joshi.

    »Glaubst du wirklich, dass das klappt?«

    »Sicher, wird schon werden!«, ruft Joshi optimistisch wie immer, und spricht unseren ersten Fahrer an.

    Es ist direkt ein Erfolg. Auf der Fahrt sitzt Joshi mit seiner Straßenkarte vorn, und es entwickelt sich direkt ein nettes Gespräch mit dem Fahrer.

    »Das, was ihr vorhabt, ist ja unglaublich!«

    »Naja. Eigentlich war es nur so eine blöde Idee«, antworte ich zögerlich.

    »Blöd? Auf keinen Fall. Ich bin früher selbst viel getrampt, aber leider ist das ja aus der Mode gekommen …« Unser Fahrer wird melancholisch. »Ach ja, wie viel man dabei erlebt. Schade, dass die jungen Leute so wenig trampen. Deshalb finde ich eure Reise so super. Habt ihr irgendwas, womit ich mich auf dem Laufenden halten kann?«

    Joshi gibt ihm sein Kärtchen mit unserer Blogadresse.

    Am Ende der Fahrt bedankt unser Chauffeur sich bei uns – Joshi und ich gucken uns verdutzt an. So ein positives Feedback haben wir nicht erwartet.

    An der nächsten Raststätte sprechen uns viele Menschen an. Wir erleben die verschiedensten Reaktionen auf unser Schild. Manche sind begeistert, andere schütteln nur wortlos den Kopf. Bald sitzen wir wieder im Auto, ein nettes Pärchen nimmt sogar einen Umweg auf sich, um unsere Geschichte zu hören. Überglücklich lassen wir Deutschland hinter uns, überqueren die französische Grenze und finden direkt eine neue Mitfahrgelegenheit durch Frankreich. Innerhalb der ersten 24 Stunden unserer Reise knacken wir die 1.300 Kilometer und damit die spanische Grenze. Joshi und ich fallen uns in die Arme.

    »Hättest du dir das jemals erträumen können?«, fragt er mich.

    »Niemals!«

    Und so legen wir uns glückselig in unsere Urlaubsfeeling versprühenden Reisehängematten, die wir hinter einem Autobahnrasthof gespannt haben.

    Wir erwachen früh. Um vier Uhr morgens geht es mit einem Schweizer Pärchen, das uns schon am Abend zuvor eingesammelt hatte, weiter die spanische Küste entlang.

    Als wir in Benidorm aussteigen, schlägt uns warme Meeresluft entgegen – vorläufig sind wir am Ziel. Nicht mehr als sechs Autos haben wir gebraucht, um nach Spanien zu kommen. Wir sind südlicher gelandet als unser eigentliches Ziel Calpe, wo es in wenigen Tagen zu Wasser weitergeht. Joshi hat per Internet erste Kontakte zu Bernhard geknüpft, dessen Schiff uns auf die Kanaren bringen soll. Für Hilfe an Bord und Beteiligung an den Lebensmittelkosten können wir die nächsten vier Wochen bei ihm mitsegeln. Ein Deal, der uns sehr entgegenkommt.

    In Benidorm hängen wir unsere Hängematten hinter einer großen Raststätte auf und verbringen dort zwei Nächte. Wir versorgen uns selbst mit Müsli, das wir von zu Hause mitgenommen haben, und während Joshi an seiner Webseite bastelt, gehe ich die Stadt erkunden. Benidorm liegt am Mittelmeer und strahlt eher touristisches Flair aus: Viele große Hotels direkt am Strand und Touri-Shops prägen das Stadtbild. Dennoch finde ich einige niedliche versteckte Ecken und kann sogar im Meer baden gehen. Auf dem Rückweg stolpere ich noch über eine Rentner-Tanzgruppe am Strand – ich tanze in der ersten Reihe mit, bis es dunkel wird.

    Nach einem gelungenen Tag kehre ich wieder zurück zu unserem gemütlichen Hängemattenlager. Zufrieden rolle ich mich in meinen Schlafsack und betrachte den Sternenhimmel. Es ist wunderschön hier, von dem Betrieb der Raststätte bekommen wir kaum etwas mit.

    »Ich kann mir kaum vorstellen, dass wir vor zwei Tagen noch in Deutschland waren«, sage ich zu Joshi.

    »Unglaublich, was? Und jetzt schlafen wir schon unter Palmen!«

    Zufrieden dösen wir ein.

    Die Sonne geht gerade auf, als ich aufwache. Ich strecke mich und betrachte dieses ganz besondere Naturschauspiel.

    Wir frühstücken gemütlich, immer noch Müsli, wie seit drei Tagen. Gegen Mittag machen wir uns auf den Weg nach Calpe, wo wir einige Stunden vor dem geplanten Treffen mit unserem Kapitän ankommen, am Hafen sitzen und warten.

    »Komm, wir gehen noch ein bisschen spazieren. Haben ja noch Zeit«, zwinkert Joshi mir zu. Also schultern wir unsere schweren Rucksäcke wieder und spazieren am Wasser entlang.

    »Wäre es nicht wundervoll, hier zu schwimmen?«, überlege ich. Joshi stimmt mir nickend zu. Es ist extrem warm, besonders wenn man kurz vorher noch im vier Grad kalten Deutschland war. Wir steigen also ins Wasser und ich setze meine Taucherbrille auf. Auf diesen Moment habe ich lange gewartet: Vor mir sind Tausende bunte Fische zu sehen, ganze Schwärme schwimmen um uns herum und glitzern im hellen Sonnenlicht.

    »Wow! Guck mal!«, rufe ich und werfe Joshi meine Taucherbrille zu. Der ist schon dabei,

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