Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Out of office: Freiheit unter Segeln
Out of office: Freiheit unter Segeln
Out of office: Freiheit unter Segeln
eBook403 Seiten6 Stunden

Out of office: Freiheit unter Segeln

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Allein auf dem Atlantik – die Geschichte eines außergewöhnlichen Segelabenteuers
Wer träumt nicht von Freiheit? Einmal alle Termine und Verpflichtungen sausen lassen und aus dem Alltagstrott ausbrechen?
Dirk Mennewisch ist erfolgreicher Nachwuchs-Steuerberater und erklimmt zielstrebig die Karriereleiter. Doch als sich eine Lücke in seinem Lebenslauf auftut, beschließt er, die Zeit nicht mit noch mehr Berufserfahrung zu füllen, sondern etwas Außergewöhnliches zu wagen: Einmal Karibik und retour! Mit nur 600 Seemeilen Segelerfahrung startet Dirk Mennewisch das Abenteuer seines Lebens – und kehrt als versierter Einhandsegler zurück.
• Segeln statt Karriere: zur Nachahmung unbedingt empfohlen!
• flott, selbstironisch und unterhaltsam – ein besonderer Segel-Bericht
• Höhen und Tiefen eines Sabbatical auf See – eine wahre Geschichte
• Der Bestseller jetzt im Paperback!
Segel-Tour oder Tortur?
Im Bürojob weiß man, was der Tag bringen wird. Bei einem Atlantiktörn hingegen ist nur eines sicher: Kein Tag verläuft wie der andere. Sehr ehrlich schreibt Dirk Mennewisch über die Ängste der vielen "ersten Male": allein Anlegen, Ablegen, Navigieren, lange Strecken segeln. Selbstironisch entdeckt er bisher unbekannte Seiten an sich selbst: den Skipper ohne Autorität, den unfähigen Smutje, den ahnungslose Maschinisten, die faule Crew. Er beschreibt aber auch die Freude an der Einsamkeit, zeichnet kleine Portraits von Inselbewohnern und originellen Skippern, die er in den Marinas trifft. Die Bilder von Häfen und der Yacht lassen die Segelreise für den Leser noch lebendiger werden. So entsteht ein unterhaltsamer, farbiger Erlebnisbericht eines  Hochsee-Novizen, der mit einfachen Mitteln, Mut und einer Prise Unbekümmertheit die Reise seines Lebens machte.
Am Schluss seines Buches gibt der Einhandsegler Lesern und potenziellen Nachahmern viele Tipps und ermutigt, das Abenteuer zu wagen: ein Jahr "Out of office".
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum2. Sept. 2019
ISBN9783667118165
Out of office: Freiheit unter Segeln

Ähnlich wie Out of office

Ähnliche E-Books

Outdoor für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Out of office

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Out of office - Dirk W. Mennewisch

    Vorwort

    Dirk Mennewisch muss einen guten Chef gehabt haben. Denn der gab ihm die Weisheit mit auf den Weg: »Wenn Sie in Ihrem Leben noch Wünsche und Träume haben, versuchen Sie, diese umzusetzen, bevor Sie beruflich und privat Verantwortung übernehmen müssen.«

    Der Mann hat recht. Als ich mit Anfang 30 einhand via Kap Hoorn um die Welt gesegelt bin, war ich ungebunden, risikobereit und neugierig auf die Welt. Jetzt, da ich Familie habe, könnte ich diese Reise unter den genannten Vorzeichen nicht mehr machen. Ich habe Freiheit gegen Verantwortung getauscht. Ein Tausch, den ich nur deshalb nicht bereue, weil ich mir mit meiner Weltumsegelung eine Freiheit genommen habe, von der ich den Rest meines Lebens zehren kann.

    Dass es nicht gleich um die Welt gehen muss, zeigt die Reise von Dirk Mennewisch. Mit vergleichsweise einfachen Mitteln, Mut und der Unbekümmertheit eines Hochsee-Novizen hat er das in diesem Buch beschriebene »Abenteuer seines Lebens« gemeistert. Es ist zu hoffen, dass Dirks Reise vor allem jungen Leuten Ansporn ist, die Welt unter Segeln für sich zu entdecken. Es lohnt sich.

    Uwe Röttgering

    Vorwort

    Viele Menschen tragen den Traum in sich, einmal im Leben etwas Ungewöhnliches zu machen. Wer dann die Freiheit unter Segeln kennenlernt, weiß, dass das beste Mittel dafür ein Segelboot darstellt. Doch der Absprung ist nicht einfach. Viele Bedenken treten auf: Ist man noch jung, so ist die fehlende Erfahrung das Argument. Ist man hingegen alt, mangelt es oft an Gesundheit und Kraft. Wer in mittlerem Alter ist, setzt womöglich die Karriere aufs Spiel.

    Deshalb liegen in vielen Häfen top ausgestattete Yachten, die nie die Küstengewässer verlassen. Wer den Absprung dennoch schafft, kann sich glücklich schätzen. Manche jedoch lassen sich unterwegs durch »Sirenen« vom Kurs abbringen. Nur einem kleinen Prozentsatz gelingt es, tatsächlich alle Klippen zu umschiffen und auf den freien, tiefen Ozean zu gelangen. Sie lernen die Freiheit unter Segeln in ihrer gewaltigen Form kennen. Nach der Rückkehr können sie denen, die davon träumen, dann nur denselben Rat geben wie einst Joshua Slocum: »To young man contemplating a voyage I would say go.«

    Dirk Mennewisch hat seinen Traum in die Tat umgesetzt, trotz aller Bedenken. Die Segelerfahrung ersetzten ein unbeugsamer Wille, eine tolle, unterstützende Familie und ein verständnisvoller Chef. Vielleicht waren diese ja sogar wichtiger als die nötige Erfahrung – denn die bekam er unterwegs. Solche Vorbilder von Menschen, die einfach ihre Träume realisieren, anstatt nur darüber nachzudenken, braucht es. Regelmäßig.

    Johannes Erdmann

    Wasser überall

    15. August 2009 bis 23. August 2009

    Seemeilen: 0–612

    Für die Seefahrt wurden immer schon vorzugsweise Nichtschwimmer rekrutiert. Sie kämpfen länger für das Schiff.

    Seemannsweisheit

    Ein schönes Segelboot. Nach der langen Zeit der Vorbereitung liegt M – meine neuneinhalb Meter lange Stahlyacht – nun seeklar, reiseklar, wunderbar im Hafen von Bensersiel. Die Wellen spiegeln sich am dunkelblauen Rumpf, die Flagge weht leise im sommerlichen Wind.

    Viele Ferien haben meine Familie und ich in diesem kleinen Ort an der ostfriesischen Nordseeküste verbracht. Häufig sind wir für einen Tagesausflug nach Langeoog gefahren, knietief im Watt versunken und haben die eine oder andere Sandburg gebaut. Angeblich bestand ich als Dreikäsehoch auf einem täglichen Besuch im Hafen, um Schiffe zu gucken. Gerüchte. Fasziniert haben mich immer die Schiffe und Boote, die sich langsam durch das Fahrwasser schoben und in meiner Fantasie von weither kamen. Eines Tages fahre ich mit einem eigenen Boot hinaus, dachte ich.

    Dieser Moment ist nun gekommen. Seit mehr als einem halben Jahr verwende ich fast jede Minute für dieses Segelvorhaben: Routenplanung, Sponsorensuche, Landverbindung trennen. Insbesondere Letzteres verursachte mehr Aufwand, als ich gedacht hatte. Millionen Fragen flogen in meinem Kopf herum, Adressaten dafür musste ich erst suchen und habe sie gefunden. Die Wohnung brauchte einen Untermieter, das Auto musste abgemeldet werden, Versicherungen und Sparverträge wurden auf das Notwendigste reduziert, um meinen finanziellen Handlungsspielraum nach Möglichkeit nicht allzu sehr einzuschränken.

    Langsam wird Bensersiel immer kleiner. Familie und Freunde werden zu Strichen auf dem Steg. Zu verschwommenen Strichen, denn Tränen in den Augen machen mir das Sehen schwer. Mit dem Nebelhorn rufe ich zum Abschied und setze die Fock nur für die Optik; Lust zum Segeln habe ich noch keine, stolpere die drei Stufen unter Deck und ziehe mir dabei eine fiese Schnittwunde an der Hand zu. Die Fahrwassertonnen kommen bedrohlich nahe, und viel Wasser ist auch nicht unter dem Kiel. M hat eigentlich zu viel Tiefgang für Bensersiel, sodass ich das Hochwasserfenster abpassen musste.

    Mit dem rund 20 Knoten stark pustenden Westwind können M und ich die Shetlandinseln – unser erstes Ziel nördlich von Schottland – anliegen lassen. Laut Wetterbericht soll er noch auf bis zu sechs Windstärken aufdrehen, in Böen acht. Zwischen uns und Lerwick liegen sechs Segeltage, einige Bohrinseln und sonst nur freier Seeraum. Mir geht es hundsmiserabel, denn der Abschied hängt mir nach, die Seebeine müssen erst wiederkommen, und diese Einschätzung halte ich für realistisch: Ich wage mich mit meinen knapp 600 Seemeilen Segelerfahrung an ein ziemlich anspruchsvolles Projekt.

    Langeoog liegt querab, Motor aus. Wir sind auf See, aller Anfang ist schwer. Ich lasse meine Windselbststeueranlage ihren Dienst aufnehmen und bin beeindruckt, dass alles sofort tadellos klappt. Leider hatte ich nie Zeit, sie auch nur ein einziges Mal zu testen. Unter Deck liege ich in der Koje und lese die Seiten mit ein paar guten Wünschen, die mir in Bensersiel in die Hand gedrückt worden sind, höre Musik und schreibe mit der Restenergie des Handy-Akkus noch eine SMS; lasse den Tag an mir vorbeiziehen. Wie versprochen dreht der Wind ein wenig auf, und als sich der Verklicker in einer Bö in das salzige Nass verabschiedet, wird es Zeit, die Genua gegen die Arbeitsfock zu tauschen. Nach einigen Salzwasserduschen gelingt das Werk, und ich kehre klitschnass und durchgeschwitzt wieder ins Cockpit zurück, wechsle unter Deck den kompletten Satz Unterwäsche und haue mich wieder in die Koje.

    Nachts klingelt alle 30 Minuten der Wecker. »Schichtwechsel«, sage ich zu mir selbst, denn ich brauche hin und wieder noch eine Minute, um mich daran zu erinnern, dass ich allein an Bord bin und der sich bewegende Stofffetzen in meinem Blickwinkel kein Mensch, sondern nur ein Handtuch ist. Gegen Mitternacht haben M und ich fast 80 Seemeilen auf die Logge gespult, das Meeresleuchten lässt die Bug- und Heckwellen meiner Gefährtin glitzern, und die sternenklare Nacht gibt mir zum ersten Mal das Gefühl, hier gerade den Beginn einer schönen Reise zu erleben. Spät am Nachmittag des zweiten Seetages schwappt Wasser in der Bilge. Wo kommt das denn her? Alle Seeventile sind zu, und die Bereiche neben den Ventilen sind trocken. Doch es gluckert und schwappt unter den Bodenbrettern – das Wasser wird langsam mehr. Wegen des Rostschutzöls, welches sich in der Bilge befindet, ist diese Brühe schmierig und stinkt abartig. Auf allen vieren an Deck zum Vorschiff kriechend, bin ich mir ziemlich sicher, im Ankerkasten die Ursache gefunden zu haben. Als ich das Vorhängeschloss öffne und einen Blick unter den Deckel riskiere, kommt mir der erste Schwall Wasser schon entgegen. Der Ankerkasten ist bis oben hin voll mit Wasser. Durch eine undichte Stelle wird das Nass von dort aus in die Kabine fließen. Die Dichtung im Deckel hatte ich noch vor der Abreise erneuern wollen, es dann aber vergessen.

    Wütend auf mich selbst schreie ich den Ankerkasten an und feuere das Vorhängeschloss in die Nordsee. Das ist alles etwas viel für den Anfang. Einmal mehr durchnässt bis auf die Unterwäsche, verziehe ich mich wieder unter Deck. Auf die Idee, während der Vorschiffsturnereien stets die komplette Montur Ölzeug anzulegen, komme ich erst wesentlich später. Manche Leute brauchen halt ein wenig länger … In einem Anfall von Aktionismus schmiere ich Sikaflex auf den nassen Ankerkastendeckel und stopfe noch ein altes T-Shirt als Dichtung zwischen Deckel und Kasten. Die Hälfte der schwarzen Dichtmasse landet auf dem weißen Deck, auf meiner Hose, auf meinem T-Shirt und an meinen Händen. Elendig klebriges Zeug. Meine Bemühungen scheinen zunächst aussichtslos. Wellen waschen übers Deck, Wasser schwappt aus dem Ankerkasten heraus.

    Plötzlich Flaute. Ich genieße die Ruhe auf dem treibenden Boot und beobachte gespannt das auf uns zu laufende Regengebiet. Weltuntergangsstimmung. In der Koje liegend spiele ich auf meiner Mundharmonika, bringe erste Töne heraus. Vor meiner Abreise scherzte ich zu Hause, dass ich gern ein Klavier mit auf die Reise nähme, wenn ich nur genügend Platz hätte. Denn obgleich musikalisch gänzlich talentfrei, hätte ich gern die Zeit genutzt, mir das Klimpern beizubringen. Dies war für meine Eltern Anlass, mir eine Mundharmonika mit auf den Weg zu geben.

    Trotz des Wassers im Schiff fühle ich mich in meinem Schlafsack rundum wohl. »Wo fängt dein Himmel an« von Philipp Poisel tönt aus dem Lautsprecher meiner Stereoanlage, und schon wenig später dreht der Wind wieder auf. Hoch am Wind bolzen M und ich unserem Ziel entgegen und werfen dabei viel Wasser über den Bug, was angesichts des Lecks im Wasserkasten alles andere als vernünftig ist. Um zehn Uhr abends befördere ich 50 Liter Wasser über Bord und dahin, wo es hingehört: in die See. Weitere 30 Liter folgen nachts um zwei.

    Welche Möglichkeiten habe ich? Weitere zwei bis drei Tage lenzend und hoch am Wind weiter nach Schottland eilen oder abdrehen und einen Reparaturstopp in Norwegen oder Dänemark einlegen? Für keines der beiden Länder habe ich eine Gastlandflagge an Bord, nicht einmal Papierseekarten. Bis nach Dänemark sind es 120 Seemeilen und bis nach Norwegen 90. Meine Entscheidung fällt morgens um vier für Norwegen. Für die gesamte Route habe ich digitale Seekarten an Bord – bis genau fünf Seemeilen vor meinem neuen Ziel Farsund an der Südspitze Norwegens. Glücklicherweise kann ich mir im Revierführer Nordsee Mut anlesen, denn dort heißt es, dass Farsund durch eine gute Betonnung bei Tag und Nacht einfach angesteuert werden könne. Gegen 4 Uhr 30 lenze ich weitere 30 Liter, abends um fünf nochmals zehn. Zu allem Überfluss dreht der Wind auf Nordnordost und bläst M nun mit fünf bis sechs Beaufort direkt auf die Nase. Wasser, Wind und das vorausliegende Verkehrstrennungsgebiet rechtfertigen den Einsatz des Motors. Der gesamte Verkehr, der in die Ostsee möchte und damit Kurs Dänemark, Schweden, Finnland und weiter nach Osteuropa nimmt, läuft hier dicht an dicht in den Skagerrak. Den Kampf gegen das Wasser gebe ich nach inzwischen 200 geschöpften Litern auf, die ersten kleinen Bläschen schieben sich bereits durch die Fugen der Bodenbretter. In Ölzeug eingepackt und in nassen Stiefeln steckend, versinke ich im Zehn-Minuten-Takt mit dem Kopf auf dem Kartentisch in den Schlaf. Vor mir flimmert das Radarbild des Kartenplotters. Durchschnittlich 15 Echos sehe ich um M herum, dazu nerven mich das Dröhnen des Dieselmotors und die Lecks in den Fensterdichtungen. Ich bin fix und fertig, meine Augen tränen und brennen.

    Als es langsam Tag wird, habe ich das Verkehrstrennungsgebiet durchquert, und irgendwo voraus muss dieses angeblich so großartig betonnte Fahrwasser liegen. Leider ist davon nichts zu sehen. M schlängelt sich zwischen hohen Felsen und kleinen Tonnen durch den Fjord, der nach Farsund führen soll. Während die ersten Sonnenstrahlen über die Berge schielen, machen M und ich nach 304 Seemeilen in unserem ersten Hafen fest. Sofort sind die Sorgen des Wassereinbruchs vergessen, denn eines ist augenblicklich klar: Hier fühlen wir uns wohl.

    M versteckt sich unter einer Schicht von Handtüchern und Laken, Schlafsack und Ölzeug. Schuhe stehen zum Trocknen an Deck. Es sieht aus wie bei Hempels unterm Sofa. Farsund schläft noch, auch der Supermarkt direkt neben dem Steg hat noch geschlossen, und nur vereinzelt fährt ein Auto die Straße entlang. Von einem deutschen Gastlieger erfahre ich, dass die Liegeplätze hier kostenlos sind, ebenso Wasser, Strom und Internet. Das Ganze refinanziert sich über den Tarif für die Duschen, die drei Euro pro Einsatz kosten, insgesamt ein sehr fairer Deal für einen Einhandsegler. Auch im Laufe des Tages sprudelt in Farsund das Leben nicht über. Im Internet steht, dass der Ort weniger als 10 000 Einwohner hat und im Wesentlichen von Fischfang und Tourismus lebt.

    Den ersten Tag verbringe ich damit, mich mit norwegischem Geld zu versorgen, eine Gastlandflagge zu organisieren und eine elektrische Bilgenpumpe zu kaufen. Sollte sich noch einmal Wasser in das Boot schleichen: Von Hand werde ich es sicherlich nicht wieder hinausbefördern. Das nächtliche Intervallschlafen scheint mich nicht wirklich belastet zu haben, und ich freue mich, dass ich so fit bin. Das glaube ich jedenfalls bis ich abends in weniger als einer Sekunde einschlafe.

    Das Organisieren einer Dichtung für den Ankerkasten wird zum großen Abenteuer. In Farsund gibt es nur einen kleinen Yachtausrüster, der eigentlich gar nichts hat, und auch die kleinen Baumärkte haben wenig, was sich als Dichtung eignen könnte. Glücklicherweise sprechen die Menschen hier alle ziemlich gutes Englisch, was mein Problem etwas einfacher macht. Auf meinem Fahrrad, welches den Namen »Rosalie Klapprad aus der Backskiste« bekommt, radle ich bergauf und bergab, irre von einem Eisenwarenladen zum anderen. In meiner Ratlosigkeit stoppe ich bei einer Großschlosserei, wo man für mich das ganze Lager auf den Kopf stellt und am Ende eine Gummimatte findet, diese in Stücke schneidet und mir zum Preis von »that’s okay« verkauft. Den Inhalt einer Tube Sikaflex verwende ich für die Abdichtung der Fenster, eine weitere Tube benötige ich, um den Ankerkasten mit dem Deckel zu sichern, und eine ordentliche Portion Klebeband soll die Dichtung noch dichter machen. Die mir hier gebotenen Möglichkeiten reichen meines Erachtens nicht aus, um das Problem mit dem Wassereinbruch zu lösen – durch das Verkleben des Ankerkastens sollten wir jedoch provisorisch erst einmal bis zum nächsten Yachtausrüster auf der trockenen Seite sein. Später bin ich auf einen kleinen Umtrunk auf einer deutschen Charteryacht eingeladen. Ich lerne allerlei Nützliches und Skurriles für die Weiterfahrt. Eine wahre Flut von Informationen.

    Seemeilen 305 bis 611, 20. bis 23. August 2009

    Nach zweieinhalb Tagen habe ich genug von Norwegen und will weiter. Die in der Zwischenzeit etwas dezimierten Lebensmittel- und insbesondere Süßigkeitenvorräte sind wieder aufgefüllt, der Windgenerator, der sich auf dem ersten Seestück etwas losgewackelt hatte, ist wieder festgeschraubt und die Bilge trocken. Vor allem das Trockenlegen des Bootes war mühsam, schmierig und schmerzhaft. Fast alle Bodenbretter musste ich abschrauben und habe mir dann mit schmutzigen und öligen Fingern drei große Blasen in die Handflächen geschraubt. Am Nachmittag tuckert M langsam aus dem großen Hafenbecken von Farsund und durch die Schären zurück auf die Nordsee. Eine Gewitterfront begrüßt uns mit tonnenweise Regen, den Donner kann ich fast im Magen spüren. Beeindruckend, wie Regen die Wellen glättet. Nach ein paar Minuten ist der Spuk vorbei, und ich breche mir beim Ausbaumen der Genua fast sämtliche Knochen, elegant ist anders. Auf den vor uns liegenden Tausenden Seemeilen wird sich hoffentlich noch ein wenig Routine einstellen. Als die Logge auf sieben Knoten steht, fliegt den blöd grinsenden Möwen ein sichtlich stolzes »Siehste!« von Bord der M entgegen. Das uns bereits bekannte Verkehrstrennungsgebiet liegt wie verwaist vor uns, und ich steuere M gegen alle Vorschriften diagonal über die Schifffahrtsautobahn in der Hoffnung, dass niemand dieses Gebiet überwacht.

    Gut gelaunt sitze ich auf dem Vorschiff und beobachte einen kleinen Schmetterling, der um die Genua flattert und in Lee des Segels ein wenig rastet. Was macht der hier 20 Seemeilen vor der Küste? Mit der einsetzenden Dunkelheit ist er verschwunden, und von der Küste Norwegens, die hier an der Südspitze nicht stark besiedelt ist, ist nur noch der Schein der Leuchttürme zu sehen. Das Drehen der Lichtkegel ist im leicht diesigen Wetter gut zu erkennen. Auf mich haben Leuchttürme eine beruhigende Wirkung, als wollten sie sagen: Fahr du ruhig, ich bin da, ich pass’ auf. Ich kann die Feuer der Türme Lista und Lindesnes zwar sehen – die Türme selbst leider nicht.

    Die tägliche Portion Wissen gibt es heute aus dem Leuchtturmatlas. Es ist kaum zu glauben, dass der Versuch, einen Leuchtturm in Lindesnes zu errichten, in den Jahren 1656, 1725 und 1822 wegen der schlechten Versorgungsmöglichkeit (mit Brennkram für die Leuchte) scheiterte. Erst 1915 konnten die Versorgung und damit der Betrieb des Feuers durch ein paar Bauarbeiter in Eigenregie erreicht werden.

    Die Tage auf See vergehen schnell. In den ersten 24 Stunden des zweiten Seestücks lassen wir 124 Seemeilen zwischen uns und Norwegen. Eine halbe Packung Frischeiwaffeln aus dem deutschen Lebensmitteldiscounter fliegt im hohen Bogen über Bord. Es ist schwer zu glauben, dass dieses Gebäck einen natürlichen Ursprung hat, denn es riecht und schmeckt eher nach Chemie. An Land kann ich davon eine ganze Packung wegfuttern, hier auf See wird mir davon übel. Als Ersatz gibt es eine Dose feurigen Zigeunertopf – ebenfalls vom Discounter. Schmeckt eigentlich ganz gut, aber etwas viele Bohnen schwimmen zwischen den scheinbar handverlesenen drei bis sieben Stückchen Fleisch. Was wäre das Leben langweilig, wenn man nichts zu meckern hätte! Da ich erst seit ein paar Tagen unterwegs bin, gibt es noch jede Menge Leckereien an Bord. Und das Beste ist, ich weiß noch grob, wo sich was befindet. Im weiteren Verlauf der Reise wird sich in den hinteren Ecken immer wieder einmal eine Überraschung finden.

    In der Nacht begleitet funkelndes Meeresleuchten unsere Reise. Die Bug- und Heckwellen glitzern silbrig unter dem Sternenhimmel. Mit einer Tasse Kakao sitze ich an Deck und beobachte das Schauspiel. Glücklicherweise scheitern alle Versuche, dieses Naturphänomen mit der Kamera einzufangen – eine Erinnerung nur für mich. Laut Wettervorhersage sollen uns südwestliche Winde um vier bis fünf Windstärken auf dem Weg durch die Seegebiete Utsira-Süd und Viking bis zu den Shetlandinseln begleiten. Wir segeln durch ein Bohrinselfeld, haben aber das Glück, keinem der riesigen Stahldinger zu nahe zu kommen. Besonders im Dunkeln sind die Fackeln der Bohrinseln überall zu erkennen.

    Kurz vor Mitternacht am Ende des zweiten Seetages dümpeln wir in der Flaute, kein Lüftchen weht – Grund genug, das Schlafintervall auf 45 Minuten zu verlängern. Einige Zeit später sitze ich gespannt vor dem GPS und beobachte die Positionsanzeige. Die zum Längengrad gehörende Zahl wird immer kleiner, und schließlich weicht das E (Ost) einem W (West), die Zahlen steigen wieder. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich segelnd den Greenwich-Meridian überquert. Willkommen auf der Westhalbkugel.

    An Bord wird inzwischen alles einfacher. Die Bewegungsabläufe spielen sich ein. Auch kopfüber im Vorschiff über den Vorräten zu hängen ist inzwischen zur Routine geworden, und der im Morgengrauen einsetzende Südwind kommt wie bestellt. Direkt voraus liegt unser nächstes Ziel. Der Wind dreht weiter und weiter auf. Ich berge die Genua und lasse M direkt vor dem Wind fahren. Eine dumme Idee, denn durch den Druck im Groß läuft sie mehrfach aus dem Kurs. Die Windselbststeueranlage ist mit dem Kurshalten ein wenig überfordert, bei einer Patenthalse kann ich dem Baum gerade noch ausweichen, wenngleich mich die Großschot am Arm erwischt. Das gibt einen ordentlichen blauen Fleck. Stück für Stück tasten wir uns vor, laufen in den Hafen ein, drehen eine Runde im Becken und finden keinen Liegeplatz. Drei Boote liegen bereits an dem einzigen Schwimmsteg und haben sich so viel Platz gegönnt, dass ich mich nicht traue, mich dazuzugesellen. Hinter der nächsten Kaimauer befindet sich ein verwaister Ponton, der eher aussieht wie ein Fähranleger. Ich weiß nicht genau, ob ich hier anlegen darf, versuche mein Glück daher noch einmal im ersten Hafenbecken. Vielleicht kann ich mich neben einem anderen Boot ins Päckchen legen? Auf dem Steg ruft mir jemand zu, dass ich natürlich auch im anderen Becken anlegen darf, und bietet an, meine Leinen anzunehmen. Um zehn Uhr machen wir am Albert-Wharf-Ponton fest.

    Nein, du nicht!

    »… Viele derjenigen Experten, die mit der Zunge Maßstäbe zu setzen versuchen, […] verunglimpfen nach dem Motto: Was jenseits meiner Möglichkeiten und Fähigkeiten liegt, ist sowieso Wahnsinn, Hasardeurtum, einfach unseemännisch!«

    Reimer Böttger, 1988, Trans-Ocean Magazin

    Wenn das Wörtchen »wenn« nicht wär’ … Dann wäre alles ganz anders gekommen. Dann hätte es diese Reise vielleicht gar nicht gegeben. Oder erst ein paar Jahre später. Oder erst im Rentenalter. Zumindest hätte ich den Sommer nicht in Norwegen und Schottland, Irland und auf der Isle of Man verbracht, sondern vergraben zwischen Steuerrichtlinien, -gesetzen und -erlassen. Ich hätte Paragrafen gewälzt und auswendig gelernt und den Oktober nicht in Portugal, sondern bei drei sechsstündigen Klausuren in geschlossenen Räumen verbracht.

    Im Januar 2009 bin ich beruflich in Hannover. Irgendwo in den Posteingangskörben der Steuerberaterkammer liegt ein Schreiben von mir, in dem ich meine praktische Tätigkeit auf dem Gebiet der Steuern nachweise. Über zwei Jahre – so die gesetzlichen Bestimmungen – muss dies genau dargelegt werden, um am Examen teilnehmen zu können, dessen Bestehen in die Ernennung zum Steuerberater mündet. Inwieweit dieser Titel sexy ist, lässt sich sicher kontrovers diskutieren, dass er bei meinem Arbeitgeber eine Voraussetzung ist, um »weiterzukommen«, steht außer Frage. Seit meinem ersten Tag in dieser Firma wollte ich die Prüfung machen und habe keinen Grund gefunden, sie nicht so zeitnah wie möglich abzulegen. Sie findet einmal im Jahr statt, und zum Prüfungstag muss man die erforderliche Berufspraxis nachweisen können. Mir war klar, dass es eine knappe Kiste werden würde. Telefonisch gab mir die Behörde dann jedoch bekannt, dass es in diesem Jahr noch nichts werden könne, meine Berufspraxis reiche nicht aus. Meinen eigenen Nachrechnungen zufolge belief sich das Zeitdefizit auf drei bis fünf Tage. Aber zwei Jahre sind eben zwei Jahre und nicht ein Jahr und 362 Tage. Das Steuerberaterexamen konnte in diesem Jahr für mich also nicht stattfinden. Plötzlich tat sich ein riesiger Raum freier Zeit auf, den ich nun arbeitend und nicht lernend verbringen sollte.

    Zum Glück gab es noch diesen Traum irgendwo in den Abgründen meiner Langzeit-Lebensagenda. Seit meinem 14. Lebensjahr träumte ich von einer Weltumsegelung. Die Lektüre zahlreicher Einhandsegelbuch-Klassiker, die ich meist mit dem Laptop neben mir förmlich verschlang, folgte. Den Laptop brauchte ich, um meinen Wissensdurst zu stillen: Wo ist der Autor da genau? Wo segelt der nun lang? Was hat der da gerade erzählt? Ständig verlor ich mich auf den Internetseiten von Google Maps und Wikipedia. Es war einfach zu interessant zu sehen, zu lesen und mitzufühlen, wie die Kollegen in spe so durch die Welt segeln. Das wollte ich auch. Wollte ich ja schon lange. Aber nun schlich sich ein »zeitnah« in meine Wunschwelt. Nach dem Examen schien mir ein guter Zeitpunkt zu sein. Statt der Weltumsegelung sollte es erst mal nur eine Atlantikrunde werden. Mein Lieblingsozean hat auch so seine Reize.

    Im Dezember 2008 hatte sich deshalb unter dem Weihnachtsbaum ein kleines, dünnes Päckchen befunden, welches ich mir selbst dorthin gelegt hatte. Die versammelte Mannschaft – meine Eltern, mein Bruder und Oma – staunten damals nicht schlecht, als sich darin eine IMRAY-100-Seekarte mit dem faszinierenden Titel »Atlantic Ocean Passage Chart« befand. Ich habe irgendwo mal gelesen, dass es in jeder Familie einen Verrückten gibt, und schien auf einem guten Weg zu sein, diesen Titel für mich beanspruchen zu können. Könnte ich die Weltumsegelung vorziehen und das Examen danach machen, fragte ich mich. Oder nicht? Konnte ich einfach den Job ruhen lassen? Ich fing an, im Internet nach einem Boot zu suchen, klickte mich hier und da durch und versuchte, dem ganzen Vorhaben eine Struktur zu geben.

    Wie lange will ich unterwegs sein? Wie lange kann ich mir so etwas leisten? Wie viel muss ich für ein geeignetes Boot ausgeben? Auf eBay versteigert ein Engländer ein Boot, welches ihn schon über den Atlantik getragen hat. Ich nehme Kontakt zu Matt auf und löchere ihn mit tausend Fragen. Zu seinem Boot, zu einem guten Zeitpunkt für einen solchen Trip. Und so wächst und konkretisiert sich in meiner Vorstellung ein Bild dieser Reise.

    In der darauffolgenden Woche sitze ich wieder in Hannover, den Blick über einen Schrottplatz gerichtet – die Sonnenuntergänge sind ein Traum für jeden Industrieromantiker. Damit mein Bedürfnis für Romantik nicht zu kurz kommt, breite ich allabendlich die große Atlantiküberseglerkarte aus und fahre mit dem Finger den zukünftigen Kurs ab. Auf der Rückseite der Karte befinden sich Informationen zu Wind- und Wetterlagen auf dem Atlantik, welche mir bei der Auswahl eines geeigneten Zeitfensters für meine Reise helfen sollen. Routenplanung ist für mich ein neues Terrain. Bisher gab es nur rund 30 Seemeilen lange Schläge auf der Ostsee zu planen, bei denen ich selten das Land aus den Augen verlor. Beim Versuch eines pragmatischen Ansatzes entnehme ich meinen Segelbüchern eine durchschnittlich pro Tag segelbare Distanz und runde sie auf 100 Seemeilen zurecht, um besser rechnen zu können. Mit dem Zirkel und dem Einmalhundert wird die Routenplanung ganz simpel. Aber kann ich mir das so einfach machen? Ich plane die gesamte Reise um meine erste Atlantiküberquerung herum, denn ein stabiler Passatwind sei für eine Ozeanpassage durchaus förderlich – habe ich gelesen.

    Über die eigentliche Route muss ich nicht nachdenken, sie ist von Anfang an klar: Von Deutschland zu den Shetlandinseln, denn dort will ich schon seit Jahren hin. Weiter geht es nördlich um die Britischen Inseln herum, durch die Irische See zur Isle of Man (ein weiteres »must see« in meiner Welt). Es sollen Madeira und die Kanaren folgen. Der Landfall nach der Atlantiküberquerung muss aus Gründen, die ich selber nicht kenne und auch nicht erklären kann, auf Antigua erfolgen. Auf den Cayman Islands möchte ich vorbeigucken und auf Kuba ein paar Zigarren kaufen, weiter soll es unter Segeln nach New York gehen. Dann will ich über die Bermudas und Azoren und die Kanalinseln wieder nach Hause. Was wohl mein Arbeitgeber dazu sagen wird? Ob er mich für die Zeit beurlauben wird? Oder muss ich kündigen?

    Aufmunternde Worte kommen von Matt: »Hearing from you has awakened the excitement and anticipation that I remember when I bought Milko myself and planned and prepared her for the adventure of a lifetime. In short, you remind me of myself! […] Milko was my home for nearly three years. She is the only boat I have ever sailed and I learnt to sail on her (mostly on my trip). We have been through many experiences together, good and bad, and she has always got me through. It may sound ridiculous when I say it but she is more than just a boat to me. […] People will tell you that you are crazy, and maybe they are right, but I know what that ambition is like. Whatever you end up doing I wish you well.« (»Von dir zu hören, hat in mir wieder die Gefühle der Aufregung und Begeisterung geweckt, die ich damals empfand, als ich Milko kaufte und mit ihr das Abenteuer meines Lebens plante und vorbereitete. Kurzum, du erinnerst mich an mich selbst (…) Milko war für fast drei Jahre mein Zuhause. Sie ist das einzige Boot, das ich je segelte, und ich lernte das Segeln auf ihr überwiegend während der Reise. Wir haben viel miteinander erlebt, Gutes und Schlechtes, und sie hat mich immer durchgebracht. Es mag sich vielleicht lächerlich anhören, wenn ich sage, dass sie für mich mehr ist als nur ein Boot. (…) Die Leute werden dir sagen, dass du verrückt bist. Und vielleicht haben sie recht, aber ich weiß, wie sich diese Begierde anfühlt. Wie auch immer es bei dir weitergehen wird, ich wünsche dir alles Gute.)

    Als ich die E-Mail an einem Nachmittag erhalte, kann ich mich den Rest des Tages nicht mehr wirklich auf die Arbeit konzentrieren, schiebe Unterlagen von links nach rechts, klicke im Computer etwas hier und da an, öffne mal einen Ordner, lese wieder und wieder Matts Brief. Am Abend steht für mich fest: Jetzt segeln! Zwar habe ich kein Boot. Ich habe auch nicht viel Segelerfahrung. Erst vor zwei Jahren habe ich meinen Segelschein gemacht. Die Theorie von Seezeichen und Lichterführung

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1