Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

So wild wie das Meer: Unter Segeln von der Adria in die Arktis
So wild wie das Meer: Unter Segeln von der Adria in die Arktis
So wild wie das Meer: Unter Segeln von der Adria in die Arktis
eBook375 Seiten3 Stunden

So wild wie das Meer: Unter Segeln von der Adria in die Arktis

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Hin und wieder passiert es: Eine Reise wird zum Buch und Segler zu Geschichtenerzählern. Das neue Buch der "Seenomaden" Doris Renoldner und Wolfgang Slanec, die seit 27 Jahren die Welt unter Segeln erkunden, erzählt von ihrer dritten großen Reise von 2012 bis 2015.
Nach zwei Weltumsegelungen starten die beiden Abenteurer voller Tatendrang 2012 den nächsten großen Törn. Sie segeln von der nördlichen Adria quer durch das Mittelmeer und über den Atlantik in die Karibik und schließlich via USA und Kanada nach Grönland. Fazit: 3 Jahre, 25.000 Seemeilen und 50 Grad Unterschied – sowohl in Temperatur als auch in den Breitengraden. Aber welche Herausforderungen galt es zu bewältigen?
In ihrem neuen Buch erzählen die Seenomaden von ihrer Strandung auf den Bahamas, von ihrer Liebe zu Kuba, vom magischen Moment durch New York zu segeln, vom undurchdringlichen Nebel Nova Scotias, von bewaffneten Landgängen in Labrador und von der vergänglichen Schönheit der Eisberge Grönlands. Aber auch von den alltäglichen Schwierigkeiten des Bordlebens, von Rückschlägen und Zweifeln, vom Glück und vom Staunen.
Eine mitreißende Geschichte über messerscharfe Riffe, eine zutrauliche Seekuh, schwimmende Schweine, Langusten, die in keinen Kochtopf passen, eiskalte Finger und die diffuse Angst vor Eisbären und Eisbergen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum25. Mai 2017
ISBN9783667110022
So wild wie das Meer: Unter Segeln von der Adria in die Arktis

Ähnlich wie So wild wie das Meer

Ähnliche E-Books

Outdoor für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für So wild wie das Meer

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    So wild wie das Meer - Doris Renoldner

    TEIL I Mittelmeer

    August – September 2012

    DIE ROUTE

    ZURÜCK IN DIE FREIHEIT

    Marina Sant’ Andrea

    Leinen lösen, Alltag und Verpflichtungen achteraus lassen, die Welt aufs Boot reduzieren. Rückkehr zur Genügsamkeit. Davon zu träumen ist eine Sache, den Traum zu realisieren eine andere. Jedes Abenteuer beginnt mit einer Entscheidung. Gegen das Gewohnte, für das Unbekannte. Gegen die Routine, für die Neugier. Gegen die Sicherheit, für das Wagnis. Man muss eine tiefe Sehnsucht spüren; wäre es nur eine flüchtige Idee, hätten wir längst aufgegeben.

    Unser dritter gemeinsamer Aufbruch, wahrscheinlich der schwierigste. Warum? Weil wir älter geworden sind, weil manches nicht mehr leicht fällt. Es gibt mittlerweile sehr viele sehr gute Gründe, das Hirngespinst Ab-in-die-weite-Welt bleiben zu lassen. Dennoch kappen wir im August 2012 nochmals die Leinen; da sind wir 57 beziehungsweise 45 Jahre alt. Schon bei der Rückkehr von unserer zweiten Weltumsegelung vor knapp drei Jahren stand fest: Wir wollen wieder los. Nur wann, war die große Frage. Im Herbst, beim Bau des Kachelofens in unserer kleinen Wohnung in Puchberg am Schneeberg, fiel die Entscheidung: „Nächsten Winter sind wir auf den Kanaren!" Die Dynamik, die so ein Satz auslöst, ist enorm. Als ob nach langem Mistwetter die Sonne durchbrechen würde. Ein Energieschub, der hilft, den Berg an Reisevorbereitungen zu bewältigen.

    Unsere Nomad, eine Sonate Ovni 41, Baujahr 1988, optisch gut in Schuss, soll wieder für mehrere Jahre unser Zuhause sein und uns sicher über die Ozeane tragen. Das bereitet, bei aller Vorfreude, erhebliche Sorgen. Ist nicht alles zu schwierig? Zu kostspielig? Zu schnell nach der letzten Reise oder gar zu spät im Leben? Mag sein. Aber das Verlangen ist größer als die Bedenken.

    Über zwei Jahre lang, fast eine Ewigkeit, stand unser Boot in der Marina Sant’Andrea an Land. Wir hatten Nomad aus Zeitgründen vernachlässigt. Aber ein Boot duldet Faulheit nicht. Segelschiffe leben und wollen ständig umsorgt werden. Somit steht ein komplettes Refit an. Wir krempeln die Ärmel hoch und legen uns mit dem Know-How von über 20 Jahren und 100.000 Seemeilen ordentlich ins Zeug. Unsere Welt dreht sich um Schleifmaschinen, Schraubenschlüssel, Ventile, Schläuche, Nieten, Wassersammler, Sperrholz, Schoten, Segel, Motordichtungen und weiß der Kuckuck was. Nomad ist aus Alu. Das ist gnadenlos, verlangt Hingabe und an Deck einen Schutz aus Lack. Aber es gibt so viel mehr zu tun als schleifen und lackieren. Die größte Gefahr: sich in unwichtigen Arbeiten verzetteln und den Zeitpunkt des Aufbruchs immer wieder verschieben. Deshalb kürzen wir die Projekte radikal auf Essentielles und stellen Schnickschnack sowie Kosmetik hintenan. Meine neue Küchenarbeitsplatte muss daran glauben, auch der sehnlichst gewünschte Wassermacher bleibt auf der Strecke. Gott sei Dank überlagert unsere Euphorie viele Probleme, denn jede aufgerissene Wunde fördert neue Blessuren zutage. Und: Jedes Projekt dauert doppelt so lange wie geplant und kostet auch doppelt so viel. Doch die Arbeitsmoral geht auch bei 40 °C in der Kajüte nicht verloren, nicht beim komplizierten Einbau des neuen Motors und nicht beim langwierigen Auswechseln von Wanten, Stagen, Fallen und Schoten. Für Freunde und Familie gelten wir längst als verschollen; verschollen in einer Schiffswerft in Italien.

    Werftarbeiten in der Marina Sant’ Andrea/Italien

    Wie viele Monate unseres Lebens haben wir auf einem Werftgelände verbracht? Umgeben von Arbeitstischen, Ersatzteilen, Zangen, Schleifpapier, Lacktöpfen, Spachteln und Pinseln. Umzingelt von abgelegten Masten, aufgerollten Wanten, Kabeln, Schläuchen und Generatoren. Aber mit unserem Projekt sind wir in guter Gesellschaft: Überall in der Marina arbeiten Segler mit Blauwasserambitionen an ihren Booten, mit unterschiedlichen Stressbelastungen, Zeithorizonten – und unterschiedlichem Erfolg:

    Peer und Uli zum Beispiel haben zehn Jahre lang an einer stählernen, 15 Meter langen Reinke namens Voodoo Chile gebaut. Jetzt sind sie im Endspurt und müssen in atemlosen sechs Monaten den kompletten Innnenausbau fertigstellen, weil der Abfahrtstermin mit Gästen bereits fixiert ist. Peer arbeitet fast rund um die Uhr und findet trotzdem immer wieder Zeit, zu helfen, wenn es wo klemmt. Im Schatten des Bootsrumpfes steht ein betagter Wohnwagen, in dem uns Uli oft bekocht.

    Am anderen Ende des Geländes sägt, schleift und lackiert Mike, ein Einzelkämpfer, der, zurückgekehrt nach einem langjährigen Karibik-Trip, seinen Wharram-Katamaran Mother Ocean komplett zerlegt hat und jetzt gemächlich Stück für Stück wieder zusammenbaut. Sieht aus wie bei IKEA oder ein Puzzle mit zu vielen Teilen. Ob er es je wieder zusammensetzen wird? „Im Sommer geht sie wieder zu Wasser, sagt Mike abends überm Bier. „Wirklich? Da ist aber noch so viel …? – „Ich habe keine Jahreszahl genannt."

    Eine lange Zwangspause muss Gerald einlegen, der seine Amel Sharky Pesce d’Oro ebenfalls für eine Langfahrt vorbereitet hat. Seine Träume nehmen ein abruptes Ende, als er beim Gleitschirmfliegen abstürzt und sich das Kreuz bricht.

    Schmerzlich scheitern sehen wir Helmut und Monika, die aus einer alten Phantom 32 ein neues Schiff machen wollten, über zu viel Perfektionismus und Ausrüstungsideen den Weg verloren haben und schlussendlich ihre Träume begraben und ihr renoviertes Schiff verkaufen müssen.

    Ab und zu kommen sie alle zu uns an Bord, wir hocken gemeinsam im Cockpit und schlürfen Kaffee. Wir helfen einander mit Tipps und Anregungen, drehen gedankenverloren an Winschen und referieren über die Eigenschaften von nichtrostendem Stahl oder Aluminium und wie man dem verfluchten Salzwasser die Stirn bieten kann. Wir palavern über die Kornaten, die Inselwelt Griechenlands und die Karibik, als würden wir morgen früh ablegen. Wir vergessen, dass unsere Schiffe hoch und trocken an Land stehen, Lichtjahre entfernt von einer Abfahrt. Jahre später wird mir Peer von der Voodoo Chile verraten, dass die Zeit in der Sant’ Andrea und die Kameradschaft unter den Yachties zu seinen schönsten Erinnerungen zählen. Doch aller Gemütlichkeit zum Trotz, da draußen warten das Meer und die Aussicht, bald aufbrechen zu können. Und dafür tun wir alles. Es folgen 999 Handgriffe und endlose Listen. Monatelang rackern wir ohne Pause. Gefühlt: Tag und Nacht. Die Zeit drängt und Nomad verschlingt sehr viel mehr Geld als gedacht.

    Immer wieder müssen wir herbe Rückschläge hinnehmen. Wolf überschlägt sich mit dem Fahrrad über die langen Gabeln eines Containerstaplers und bricht sich drei Rippen. Das setzt ihn zwölf Wochen lang außer Gefecht und verzögert unsere Abreise erheblich. Bin unendlich dankbar, dass meinem Kapitän bei dem Unfall nichts Schlimmeres passiert ist. Wie zerbrechlich unser Glück ist.

    Nicht zu unterschätzen ist der Papierkram zu Hause. Verbindungen, die wir zu lösen versuchen, haften wie Blutegel. Telefonverträge und Versicherungen, die man nicht von heute auf morgen kündigen kann, Zeitungsabonnements oder Clubmitgliedschaften. Auch meine Bank will nicht kapieren, dass ich für längere Zeit weg bin. Noch Monate später klingelt in Südspanien das Handy und ein neuer Betreuer will mich zu einem Kundengespräch einladen. Überall klemmt es – Nomaden passen nicht ins System.

    Anfang August, am letzten Abend vor der Abreise, sitzen wir mit Freund Mike im Fornace, unserem Lieblingslokal in San Giorgio. Der Wirt stellt die zweite Flasche Hauswein auf den Tisch, Mike schenkt nach und prostet uns zu: „Ich beneide euch. Ich fühle mich alles andere als beneidenswert. An Bord ein gigantisches Durcheinander aus Kisten, Werkzeug und noch nicht eingebauter Ausrüstung. „Morgen wollen wir los?, frage ich mich kopfschüttelnd. „Sind wir wahnsinnig?" Mein Herz klopft. Irgendetwas tanzt in meinem Bauch. Ich trinke einen großen Schluck Rotwein. Einen sehr großen.

    Tausend Dinge gehen mir durch den Kopf: Was haben wir vergessen? Wird alles funktionieren? Wieso habe ich nicht Spanisch gelernt und mein Schul-Französisch aufpoliert? Sind wir gegen alle Seuchen geimpft? Haben wir uns von allen Freunden verabschiedet? Ist es nicht absurd, mit einem 24 Jahre alten Boot stürmische Ozeane überqueren zu wollen? Wird unsere knappe Bordkasse ausreichen? Warum wissen wir immer noch nicht, wohin die Reise geht? Wir haben keinen Plan. Wir werden scheitern.

    Am nächsten Morgen ist die Panik fort. Wie selbstverständlich steuere ich Nomad raus in den Fiume Corno. Ja, es ist eine Befreiung. Die schwierigste Hürde jeder großen Reise ist genommen – der Absprung. Unfassbar, dass wir nach drei Jahren Landleben wieder unterwegs sind! Meine Augen füllen sich mit Tränen, verschwommen ziehen Schilf bestandene Ufer vorbei, dann windschiefe Dalben, die uns durch die Lagune von Marano lotsen. Zwei Angler sitzen auf Plastiksesseln in einem winzigen Boot und winken.

    „Prosecco!", ruft Wolf und es klingt wie eine Mischung aus Sehnsucht und Kommando. Wortlos übergebe ich dem Capitano das Steuer, klettere in die Kombüse und hole die eiskalte, bauchige Anselmi-Flasche aus dem Kühlschrank. Den ersten Schluck spenden wir Neptun, dann prosten wir einander zu. Als mir bewusst wird, dass wir am Beginn eines neuen Kapitels stehen, überläuft mich Gänsehaut, als perle der Prosecco durch meine Adern. Dieses Gefühl nennt man wohl Glück. Wie weit werden uns Fernweh und Wind tragen? Nach zwei Weltumsegelungen weiß ich, dass ein unberechenbares Leben auf uns wartet. Es wird Erfüllung, aber auch Entbehrungen mit sich bringen, intensiv und fordernd, manchmal frustrierend, aber stets bereichernd sein. Auf zu neuen Horizonten. Auf ins Abenteuer.

    Aufbruch zur dritten Reise

    NEUE ZIELE IN ALTBEKANNTEM REVIER

    Adria

    Die Euphorie des Aufbruchs dauert genau eine Stunde. „Hörst du das?, fragt Wolf. „Vielleicht klappert der neue Vari-Prop? – „Klingt eher wie eine lose Wellenanode." Munteres Rätselraten. Bei höherer Drehzahl wird das Scheppern beängstigend laut. Motor aus. Wir treiben vor der Einfahrt von Porto Buso. Weit sind wir nicht gekommen. Vorbei, bevor es begonnen hat? Haben wir uns übernommen? Wir kramen Taucherbrille und Flossen aus der Backskiste. Ein Blick ins trübe Adriawasser genügt. Der Propeller ist nach nur drei Monaten im Flusswasser komplett mit Seepocken bewachsen. Während Wolf mit Spachtel und Drahtbürste die Schiffsschraube abschabt, schrubbe ich den englischen Rasen vom Antifouling. Willkommen im Blauwasser-Alltag.

    Auf die durchaus verständliche Frage, wohin es eigentlich gehen soll, haben wir bislang nur vage geantwortet. Wir wissen es selbst nicht genau. Vor allem wollen wir weg – Ziele und Routen werden sich beim Segeln ergeben. Wir folgen einer groben Richtung, haben aber keine bestimmte Destination im Auge, kein festgelegtes Programm. Unsere Art zu reisen ist Improvisation. Bei leichter Brise segeln wir in einen kitschigen Sonnenuntergang. Der volle Mond hängt wie ein Lampion über Istrien.

    Der zweite Morgen auf See beginnt mit einem Reffmanöver. Wolf weckt mich aus dem Tiefschlaf, Nomad stampft hoch am Wind durch die bewegte Adria. Das neue Raudaschl-Groß zieht wie eine Lokomotive. Acht Knoten am Wind! Mit dieser Power im Rigg können wir endlich die Wanten nachspannen, auch in Lee sollen sie nicht schlackern. Und Splinte nicht vergessen! Wolf schenkt Nomad in diesen ersten Tagen viel Aufmerksamkeit. Jedes ungewöhnliche Geräusch wird analysiert und die Arbeitsliste täglich länger. Kompasslicht kaputt, Großschotblock verkantet, Klemme der Genuareffleine blockiert, Luk über Mittelschiff ist noch immer undicht – und zwar seit Jahren.

    Dann der Schock: Wasser in der Bilge! Wolf kniet vor den geöffneten Bodenbrettern und starrt in die schwappende Brühe. Tauche sofort den Zeigefinger ein und koste: eindeutig salzig. Reißen den restlichen Kajütboden raus, verfolgen wie Detektive das feine Rinnsal bis ins Vorschiff, leeren die Stauräume unter der Bugkoje und entdecken die Quelle des Übels im Bug: Irgendwo sickert Wasser durch feine Korrosionslöcher. Genau orten können wir sie nicht. Technische Macken gehören zu jeder Langfahrt. Worauf ich nicht eingestellt war: Dass sie so rasch tauchen. Das versetzt meinem Optimismus einen Dämpfer. Welche Ursache gibt es für die Elektrolyse? Werde ich mich je wieder sicher fühlen auf unserem Boot? Wolf versucht mich zu beruhigen. „Das erledigen wir beim nächsten Werftaufenthalt." Bis dahin schmieren wir von innen Unterwasser-Epoxy über die vermeintlichen Stellen. Oberflächenkosmetik; das Leck bleibt, meine Bedenken auch. Muss mich erst wieder daran gewöhnen mit Unzulänglichkeiten zu leben.

    Hoch am Wind durch die Adria (li.), gute alte Papierseekarte, Wolf checkt Rigg in Peschici (re.)

    Schon lange wollen wir zu den Tremiti Inseln, Wendepunkt der bekannten Regatta Cinquecento per Due. Also Kurs Südsüdost. Wolf sitzt mit dem Bedienungshandbuch vor dem neuen Raymarine C90 Plotter und tippt den ersten Wegpunkt ein. Auch elektronische Navigation will gelernt sein. Dennoch liegen die guten, alten Papierseekarten samt Kartenzirkel am Navitisch. Nicht nur aus nostalgischen Gründen. Die Positionskreuzerln in der Karte lassen wir uns nicht nehmen. Gehören wir zu den Ewiggestrigen? Ich erinnere mich an unsere erste Weltumsegelung. Bis in die Karibik navigierten wir nur mit Sextant und HO-Tafeln, die Meilen zählte ein Walker Schlepplog. Seither hat sich viel geändert. GPS, AIS, modernste Navigationssysteme, aber auch eine wachsende Abhängigkeit von der Technik. Wolf meint, wir müssen unsere Sinne weiterhin schärfen und dürfen nicht blind der Bordelektronik vertrauen. Die könne schließlich jederzeit ausfallen.

    Manche Eilande bleiben von Seglern unbeachtet. Winzige Flecken auf der Seekarte, die aber oft genug mit einer spannenden Vergangenheit oder einem einsamen Ankerplatz punkten. Und mit jenem prickelnden Gefühl, neues Terrain zu erkunden. Am Abend liegen die Tremiti Inseln vor unserem Bug; Felshügel in der Adria. Lassen den Anker in der Cala Turcha der Isola Caprara fallen und uns selbst hundemüde in die Kojen. Die Anspannung der ersten Nachtfahrten seit langem liegt hinter uns und weicht dem Glücksgefühl der Ankunft. Ich bin mir sicher, dass uns das Segeln immer noch Leben und Welt bedeutet.

    Morgenritual: Kopfsprung ins Hellblaue und ohne Badeleiter aus dem Wasser auf die Heckplattform. Das In-den-Stütz-Schnellen fällt etwas plump aus – wir sind eindeutig außer Form. Wieder Wind auf die Nase. Ostsüdost mit 15 bis 20 Knoten. Null Bock zum Gegenankreuzen. Zehn Seemeilen vor Vieste entdeckt Wolf per Zufall durchs Fernglas ein weißes Dorf auf einem Felsen, darunter eine Hafenmole. Peschici, dieses Kleinod, ist in unserem nautischen Handbuch nicht erwähnt. Wir lieben spontane Ziele, man hat keine Erwartungen, lässt sich einfach überraschen. Wir ankern neben dem kleinen Fischerhafen vorm langen Sandstrand. Etwas rollig, dafür gratis. Und laut. Der Sommerhit 2012 „Nossa! Nossa!" dröhnt aus übersteuerten Lautsprechern. Beachparty ab 17 Uhr, das gilt für ganz Italien.

    Achterlicher Wind durch die Straße von Otranto

    INSELHÜPFEN

    Ionisches Meer

    Gut 200 Seemeilen sind es vom Sporn des italienischen Stiefels bis Griechenland. Anfangs das Übliche. Brise weg, dümpeln, Motor an. Kurzes Lüfterl, Segel hoch, Motor aus. Wechsel im Stundentakt. Erst gegen Mitternacht gibt der Wind Gas. Vorwindkurs, Groß und Fock an Steuerbord, Letztere dicht geholt, weil Nomad dann weniger geigt, Genua an Backbord ausgebaumt. Segeln wie im Passat, ein Traum. Mit neun Knoten pflügt Nomad durch die Straße von Otranto.

    In Othonoi waren wir noch nie. Bei gut 30 Knoten schrammen wir ums Eck, dann eine Fallböe, die sich gewaschen hat. Schwert hoch, wir tuckern in den hintersten Winkel der Bucht Ammos. Trotz der herben Begrüßung schließen wir das Inselchen sofort ins Herz. Dorf, Kirche, Taverne, der erste Bissen Moussaka, dazu ein Schluck Retsina – endlich wieder Hellas! In den Fünfziger- und Sechzigerjahren ereilte Othonoi das Schicksal vieler griechischer Inseln. Die Bewohner wanderten aus, da es keine Arbeit gab und das Leben als Fischer und Landwirt hart war. Doch seit den Neunzigern kehren viele regelmäßig zurück, nutzen die alten Häuser als Sommersitz. Dann erwacht die Insel aus ihrem Dornröschenschlaf.

    Hafen der Insel Kastos

    50 Seemeilen im Südosten die Insel Paxos. Die Bucht von Lakka ist so vollgestopft mit Booten, dass wir nur mehr in der Einfahrt, quasi auf offener Reede, ein Platzerl finden. Wo ankern wir in zehn Jahren? Werden dann noch mehr Yachten unterwegs sein? Oder stagniert der Segelsport bereits? Wenn Herbert Lerchl, der gemeinsam mit seiner griechischen Frau Johanna seit 1986 Skorpios Yachtcharter in Nydri auf der Insel Levkas betreibt, vom Griechenland der Siebzigerjahre erzählt, hängen wir an seinen Lippen. Damals lag er in den meisten Buchten alleine vor Anker. Wir schauen immer wieder gerne bei ihm vorbei, liegen am kleinen Schwimmsteg, genießen den Luxus von Waschmaschine, schnellem WIFI und bestem Trinkwasser.

    Die Ionischen Inseln zwischen Levkas, Ithaka, Meganissi, Kalamos und Kastos bilden ein perfekt geschütztes Revier mit kurzen Segeldistanzen. Inselhüpfen vom Feinsten. Hat beinahe schon Tradition: 1997 mit Susi Q, 2002 und 2009

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1