Blaubeerzeit: Schicksalsstern über den Schären
Von Pia Engström
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Über dieses E-Book
Lenas Rückkehr nach Schweden steht unter keinem guten Stern: Bei einem Unfall am Flughafen verletzt sie einen Mann. Er bittet sie, ihm zu helfen, und so zieht Lena mit Patrick Södergren in sein Haus am Meer. Manchmal ist er kalt und abweisend, dann wieder zärtlich und aufregend - Lena ahnt nicht, dass sie sich gerade in ihren größten Feind verliebt …
Pia Engström
Pia Engström liebt das wunderbare Schweden über alles – das ist wohl auch der Grund, warum sie den Handlungsort für ihre Geschichten hier ansiedelt. Dennoch packt ihren Mann und sie ab und an das Fernweh, und sie haben schon Reisen in einige entlegene Winkel der Erde unternommen. Die Liebe zur ländlichen Umgebung hat sie jedoch nie vergessen, und so verbringt sie möglichst viel Zeit in der freien Natur. Schon als kleines Mädchen wusste sie, was sie später einmal werden wollte: Prinzessin oder Schriftstellerin. Da der erste Wunsch sich nur schwerlich realisieren ließ, hat sie umso härter daran gearbeitet, sich zumindest den zweiten zu erfüllen – inzwischen mit beachtlichem Erfolg.
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Buchvorschau
Blaubeerzeit - Pia Engström
PROLOG
Ingrid Södergren lächelte versonnen, als sie den Umschlag mit ihrem Testament und drei kleineren Briefkuverts ihrem Anwalt übergab.
„Und Sie sind sich wirklich sicher, dass es eine gute Idee ist, dem Glück ihrer Neffen ausgerechnet auf diese Weise auf die Sprünge helfen zu wollen?", fragte dieser skeptisch.
Natürlich wusste Ingrid, dass es ein sehr drastischer Weg war, den zu beschreiten sie sich entschlossen hatte. Doch sie wusste einfach keine andere Lösung, um ihren drei Jungs endlich die Augen zu öffnen.
Die Art und Weise, wie sie ihr Leben lebten, konnte auf Dauer nur ins Unglück führen. Firma und Beruf waren nicht alles. Es gab noch andere wichtige Dinge, die Patrik, Mattias und Lars aber zu Ingrids Leidwesen konsequent ignorierten.
Sie hatte lange versucht, mit mahnenden Worten und Vernunft auf die drei einzuwirken – erfolglos. Nun blieb ihr keine Zeit mehr, weiter so zu verfahren.
Die Ärzte gaben ihr nur noch wenige Monate.
Aber wie sollte sie in Frieden gehen, solange sie nicht alles unternommen hatte, um ihre Jungs endlich auf den rechten Weg zu führen?
Die drei sollten endlich ihr Glück finden. Und wenn sie mit ihrer kleinen List dazu beitragen konnte, dann wollte sie es tun.
Ihre Neffen würden Augen machen, wenn sie erfuhren, welche Klausel sie ihrem Testament hinzugefügt hatte.
Vor allem Patrik, der Älteste …
1. KAPITEL
Es regnete in Strömen.
Die Scheibenwischer des silbernen Volvos arbeiteten auf Hochtouren. Dennoch schafften sie es kaum, der Wassermassen Herr zu werden, die vom Himmel herabstürzten. Obwohl es gerade einmal kurz nach drei war, also mitten am Tag, herrschte nur trübes Dämmerlicht. Die bedrohliche schwarze Wolkendecke hing so tief, dass sie die Wipfel der Buchen, die die Straße säumten, fast zu berühren schienen.
Lena Öberg kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, doch sie nahm die Welt außerhalb des Wagens nur als verschwommenes Zerrbild wahr. Sie hielt das Lenkrad so fest umklammert, dass die Knöchel ihrer Finger weiß hervortraten. Und jedes Mal, wenn ein Blitz vom Himmel zuckte und die Landschaft um sie herum für den Bruchteil einer Sekunde in gleißende Helligkeit tauchte, schrak Lena zusammen.
Sie hasste Gewitter.
Sie hasste es, bei diesem Wetter hier draußen unterwegs zu sein.
Nein, sie hasste es, überhaupt hier sein zu müssen!
Schweden …
Es war Jahre her, seit sie zum letzten Mal ihre Heimat besucht hatte. Hier ganz in der Nähe, in der kleinen Stadt Mölleby, war sie aufgewachsen. Und als sie dieser vor neun Jahren, mit gerade einmal achtzehn, den Rücken gekehrt hatte, da war es für immer gewesen.
So zumindest der Plan.
Doch nun war sie wieder hier – und im Grunde entsprach das schlechte Wetter ziemlich genau ihrer augenblicklichen Stimmung. Kaum zu glauben, dachte sie, dass noch vor etwas mehr als vier Wochen der Himmel für mich voller Geigen hing. Was für ein naives Dummchen ich doch war …
Unwillkürlich musste sie an Ioannis denken, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Dabei ärgerte sie sich über sich selbst. Dieser Schuft war es nicht wert, dass sie seinetwegen auch nur eine einzige Träne vergoss.
Ebenso wenig wie Thalia …
Lena atmete tief durch und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. Als sie wieder klar sehen konnte, bemerkte sie, dass sie, ohne es zu merken, auf die linke Fahrbahn geraten war. Sie wollte gerade gegenlenken, als plötzlich grelles Scheinwerferlicht sie blendete.
Erschrocken keuchte Lena auf.
Sie zögerte nur einen winzigen Augenblick – und doch lange genug, um die Katastrophe nicht mehr aufhalten zu können, die jetzt ihren Lauf nahm. Zwar schaffte sie es noch, dem Motorrad, das auf sie zugeschossen kam, auszuweichen, doch sie sah im Rückspiegel, wie der Fahrer der Maschine auf der regennassen Straße die Kontrolle verlor und ins Schleudern geriet.
Einen Moment lang schien er das schwere Motorrad noch aufrecht halten zu können – doch dann kippte die Maschine unter ihm weg, stürzte halb auf ihn und rutschte dann in Richtung Straßengraben, wo sie mit sich wild in der Luft drehenden Reifen liegen blieb.
„Oh Gott!"
Instinktiv trat Lena das Bremspedal durch, was zur Folge hatte, dass auch sie um ein Haar die Gewalt über den Volvo verloren hätte. Nur die Sicherheitstechnik des Fahrzeugs verhinderte, dass ihr ein ähnliches Schicksal widerfuhr wie dem Motorradfahrer – der mitten auf der Straße lag und sich nicht rührte.
Das Herz hämmerte Lena bis zum Hals. Ein ersticktes Stöhnen entrang sich ihrer Kehle. Oh nein! dachte sie entsetzt. Nein, nein, nein!
Mit zitternden Fingern öffnete sie die Fahrertür des Volvo und stieg aus. Ihre Knie waren so weich, dass sie im ersten Moment nicht sicher war, ob sie überhaupt einen Schritt vor den anderen würde setzen können.
Wider Erwarten schaffte sie es doch.
Innerhalb weniger Sekunden war sie bis auf die Haut durchnässt, denn der Regen hatte nicht nachgelassen.
Halb rannte, halb taumelte sie zu dem Motorradfahrer und ging neben ihm in die Knie. „Hej!", stieß sie mit erstickter Stimme hervor. „Sind Sie in Ordnung? Es tut mir so leid! Ich wollte das nicht, ich …"
Doch sie erhielt keine Antwort. Ihr Unfallgegner lag regungslos da. Unter dem Motorradhelm mit dem geschlossenen Visier konnte sie sein Gesicht nicht erkennen. Offenbar aber war er bewusstlos. Oder gar … Schlimmeres? Panik keimte in Lena auf. Das durfte nicht sein!
Sie zwang sich, Ruhe zu bewahren.
Okej, Lena, was jetzt? Denk nach!
Es schien ihr unglaublich schwer, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Sie hockte im strömenden Regen, das nasse Haar hing ihr wirr ins Gesicht, und sie war innerlich wie gelähmt. Das alles kam ihr so unwirklich vor. Fast, als wäre es nur ein böser Traum, aus dem sie jeden Moment erwachen würde.
Dann, endlich, wusste sie wieder, was sie zu tun hatte: Lena zückte ihr Handy und wählte die Notrufnummer.
„Bitte, stieß sie mit vor Kälte und Schock klappernden Zähnen hervor, als sich am anderen Ende der Leitung eine Frauenstimme meldete. „Sie müssen uns helfen. Es hat einen Unfall gegeben …
„Wie viele Finger sehen Sie?", fragte die Ärztin, die ihre blonden Locken im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst trug, und hielt Lena ihre Hand in Victory-Pose vor die Nase.
„Zwei, antwortete Lena und fuhr sich seufzend übers Haar. „Ich bin in Ordnung
, sagte sie dann. „Ehrlich. Keine Kopfschmerzen, kein Schwindelgefühl und somit auch keine Anzeichen eines Schädel-Hirn-Traumas. Ein schwaches Lächeln huschte über ihre Lippen, als sie den überraschten Blick ihres Gegenübers bemerkte. „Ich habe eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht – aber das ist schon eine kleine Ewigkeit her.
„Nun, wenn das so ist, entgegnete die Ärztin, die laut Namensschild an ihrem weißen Kittel den Namen Doktor Jacobsson trug, „wissen Sie ja auch, dass erste Symptome häufig erst Stunden nach einem Unfall auftreten können. Im Augenblick stehen Sie noch unter Schock, und es wäre mir wirklich lieber, wenn Sie heute Nacht zur Beobachtung bei uns bleiben würden – nur zur Sicherheit.
Lena seufzte. Sie befand sich in einem kleinen Untersuchungszimmer in der Notaufnahme des Krankenhauses, zu dem die Ambulanz den bewusstlosen Motorradfahrer und sie gebracht hatte. Eigentlich war sie nur mitgefahren, um in Erfahrung bringen zu können, wie es ihrem Unfallgegner ging. Doch als sie erst einmal eingetroffen war, hatten die Sanitäter darauf bestanden, dass sie sich ebenfalls untersuchen ließ.
„Wie geht es …? Sie zuckte mit den Achseln, denn sie kannte den Namen des Motorradfahrers nicht. „Er wird die Sache doch überstehen, oder?
Doktor Jacobsson lächelte. „Keine Sorge, er ist im Grunde relativ glimpflich davongekommen. Ein paar Prellungen, ein verstauchtes Bein – nichts, was sich nicht wieder richten ließe."
Lena atmete auf. Sie hatte gar nicht gemerkt, wie angespannt sie die ganze Zeit gewesen war. „Ist er denn inzwischen wieder bei Bewusstsein?"
„Ja, er ist schon kurz nach Ihrer gemeinsamen Ankunft im Krankenhaus wieder ansprechbar gewesen. Die Ärztin neigte den Kopf zur Seite. „Er wartet momentan im Nebenraum darauf, dass ihm eine Schiene angelegt wird. Wollen Sie vielleicht zu ihm?
„Ginge das denn?"
„Kommen Sie."
Als Lena von der Untersuchungsliege kletterte, spürte sie dann doch ein leichtes Schwindelgefühl, sagte aber nichts. Vermutlich war es ohnehin nur der Schock. Einen solchen Unfall steckte niemand einfach so weg. Der Körper brauchte eine ganze Weile, um ein derartiges Erlebnis zu verarbeiten.
Sie folgte der Ärztin hinaus auf den Korridor und blieb zunächst draußen stehen, als diese die Schiebetür zum Nachbarzimmer öffnete. „Herr Södergren, hier ist Besuch für Sie."
Der Motorradfahrer saß, ein Bein angewinkelt, das andere ausgestreckt, auf einer Untersuchungsliege. Das schwarze Leder seiner Hose war auf der rechten Seite bis zur Mitte des Oberschenkels aufgetrennt worden, um das Bein besser untersuchen zu können. Er trug noch immer seine schwarz-rote Motorradjacke, doch der Helm lag jetzt neben ihm auf dem Tisch.
Es war das erste Mal, dass Lena ihn ohne Helm sah – und der Anblick ließ ihr Herz für einen Moment stocken.
Er besaß strenge, scharf geschnittene Züge mit markanten Wangenknochen und einer etwas zu großen Nase, was seiner Attraktivität jedoch keinen Abbruch tat.
Seine Augen waren die faszinierendsten, die Lena je im Leben gesehen hatte. Die Farbe war eine ungewöhnliche Mischung aus Blau, Grau und Grün, und schien von Sekunde zu Sekunde die Nuance zu wechseln. Sie musste energisch blinzeln, um sich von dem Anblick loszureißen. Beschattet wurden diese unglaublichen Augen von Wimpern, die ebenso dunkel und dicht waren wie sein Haar. Die unbändigen Wellen schienen ihren eigenen Willen zu haben – jedenfalls sah es nicht so aus, als versuchte er auch nur, sie in irgendeine Form zu bringen. Doch das war auch nicht notwendig. Ihm stand es genau so, wie es war.
Forschend musterte er sie, und zunächst schien es, als würde er sich nicht an Lena erinnern. Doch dann fingen seine Augen, die im grellen Neonlicht der Deckenbeleuchtung nun ein helles Graublau besaßen, an zu blitzen.
„Ach, Sie sind das!"
Lena atmete tief durch und zwang ein Lächeln auf ihre Lippen. „Ja, ich bin es – und ich bin hier, um mich bei Ihnen zu entschuldigen. Hören Sie, dieser Unfall war allein meine Schuld, und …"
„Allerdings ist er das!, fiel er ihr barsch ins Wort. „Dank Ihnen werde ich die nächsten Wochen nur auf Krücken durch die Gegend humpeln können. Ist Ihnen eigentlich klar, was Sie angerichtet haben? Wo, um Himmels willen, haben Sie Ihren Führerschein gemacht?
„Wie ich bereits sagte, setzte sie noch einmal neu an, wobei es ihr nicht leichtfiel, ruhig zu bleiben – achtzehn Jahre unter einem Dach mit ihrem Vater hatten sie gelehrt, nicht einfach alles widerspruchslos zu erdulden. „Es tut mir leid, dass ich Sie in diese Situation gebracht habe. Wenn es irgendetwas gibt, das ich für Sie tun kann …
Ein Arzt betrat den Raum. „So", erklärte er, nachdem er offenbar zu dem Schluss gekommen war, dass Lena zu seinem Patienten gehörte. „Wir werden Ihnen jetzt die Schiene anlegen, Patrik. Haben Sie jemanden