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Wortgeschichten: Wörter, die mir zugefallen sind
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Wortgeschichten: Wörter, die mir zugefallen sind
eBook516 Seiten3 Stunden

Wortgeschichten: Wörter, die mir zugefallen sind

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Über dieses E-Book

«Wie gehen Gedanken? Gar nicht, sagt der junge Mann zum Kommissar. Gedanken können nicht gehen, denn sie haben keine Beine. Aber Gedanken kommen, fliegen einem zu, drängen sich auf. Manchmal, wenn ich gehe oder laufe, im Zug sitze, die Zeitung lese, Nachrichten höre. Wörter, die sich herauslösen, aus einem Text, sich verselbständigen, oder sich einfach zu einem gesellen, unverhofft, aus dem unergründlichen Geflecht der Erinnerungen, als Geistesblitz, als Assoziation aufgrund eines Anblicks, eines Geruchs, eines Geräuschs, eines Windhauchs, bewusst oder unbewusst, scheinbar zusammenhanglos. Man ist einen Moment perplex, lässt es vorbeiziehen. Oder man schreibt es auf, will mehr darüber wissen. Manchmal auch einfach, weil es schön klingt.» (Katrin Züger)
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum25. Nov. 2019
ISBN9783750472716
Wortgeschichten: Wörter, die mir zugefallen sind
Autor

Katrin Züger

Katrin Züger, 1952 geboren. Studium der Germanistik, Philosophie und Komparatistik sowie der Betriebsökonomie FH. Von 1996 bis 2011 an der Universität Zürich tätig, daneben Lehraufträge an der Universität Zürich in Linguistik und Unterricht an der Schule für Angewandte Linguistik SAL in Zürich. Diverse Fachpublikationen. Von 2011 bis 2016 eigenes Schreibbüro «Text und Kontext». Von 2014 bis 2017 Projektleiterin 100-Jahr-Jubiläum der Zentralbibliothek Zürich. 2012 er­schien ihre erste literarische Veröffentlichung «Meine Welt hat in einem Schächtelchen Platz», 2013 «Strandsteine in der Atacama», 2015 «Flaches Land», 2016 «Wolkig, zeitweise Sonne», 2018 «Tongasoa» und 2019 der erste, 2021 der zweite Band mit «Wortgeschichten». Katrin Züger lebt in Aeugst am Albis.

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    Buchvorschau

    Wortgeschichten - Katrin Züger

    Man kann unmöglich wissen, warum das eine passiert und das andere nicht.

    Doggybag, Rucola, Balconette, Matmatah. Wörter, die kommen und gehen. Ohne erkennbaren Anlass tauchen sie auf und versinken im selben Moment in ihrer eigenen Sprachlosigkeit.

    Andreas Neeser, Zwischen zwei Wassern

    In Wallisellen las ich zum ersten Mal in meinem Leben das Wort Hochregallager.

    Franz Hohler, Frühlingsspaziergang

    Ich starrte den Mann, der neben dem Bett stand, an, dunkler Teint, dunkle Augen, buschige Brauen, weisser Kittel, umgehängtes Stethoskop, und der Mann streckte mir die Hand hin und sagte glasklar Grüezi. Es ist merkwürdig, vielleicht auch ein wenig beschämend, wie dieses eine Wort mich belebte, wie es sich in meiner Seele sofort verknüpfte mit der Vorstellung von Qualität, mit Gefühlen des Aufgehoben- und Gerettetseins.

    Markus Werner, Bis bald

    Er sammelte die Steine, und weil ihm dabei langweilig wurde, gab er ihnen Namen. Und als ihm die Namen ausgingen, gab er ihnen Worte. Und als ihm irgendwann klar wurde, dass es auf seinem Grund und Boden mehr Steine gab, als er Worte kannte, begann er eben von vorne.

    Robert Seethaler, Ein ganzes Leben

    Warum dann also den Tukuhnikivatz besteigen? Weil ich es so möchte. (…) Und schliesslich, weil ich den Namen mag. Tukuhnikivatz, in der Sprache der Ute-Indianer: «Wo die Sonne weilt.»

    Edward Abbey, Die Einsamkeit der Wüste

    Inhalt

    Vorwort

    JANUAR: GEFUNDENES

    1 Schachtelhalm

    2 Herbstzeitlose

    3 Lesestein

    4 Schächtelchen

    5 Postkarte

    6 Lehrbienenhaus

    7 Schnecke

    8 Gräser

    9 pfriemlich, lanzettlich, linealisch

    10 Moderkäfer

    11 Fliegenpilz

    12 Weidenbohrer

    13 Röhricht

    14 Sommervogel

    15 Rotkopfwürger

    16 Violetter Rötelritterling

    17 trophische Kaskade

    18 Neandertaler

    19 Laterit

    20 Sand

    21 Ucluelet

    22 Goldfisch

    23 Nachtabsenkung

    24 Löli

    25 bärbeissig

    26 Raufhandel

    27 Larifari

    28 Forsanose

    29 pastos

    30 Schieber

    31 Fortschrittsbalken

    FEBRUAR: ZUGELAUFENES

    32 Rotbuche

    33 Queller

    34 Mürbeteig

    35 Dschelada

    36 Marmolata

    37 Wildebeest

    38 Korkeiche

    39 Berberitze

    40 Grütze

    41 Hülsenfrüchte

    42 Ricoter

    43 Büsi

    44 San Bernadino

    45 Fahrgeschäft

    46 Wellenschliff

    47 Retardkapseln

    48 Hautriss-Schutzfilm

    49 Kanüle

    50 Anstösser

    51 Dachvorsprung

    52 Grümpel

    53 warten

    54 hemmungslos

    55 unverblümt

    56 mängisch

    57 unwegsam

    58 hellhörig

    59 wehleidig

    60 herzlos

    MÄRZ: AUFGESTÖBERTES

    61 Huflattich

    62 Oranger Knirps

    63 Montafoner Steinschaf

    64 Tonle Sap

    65 Krav Maga

    66 Teff

    67 Album

    68 Zettels Traum

    69 Scherenschnitt

    70 Kataster

    71 Zahnpasta

    72 Kärcher

    73 Gräslikon

    74 Orplid

    75 Konnetabeln

    76 Stöckchen

    77 reduzierte Knitterbildung

    78 Spannbügel

    79 Hohlraumversiegelung

    80 nichtflüchtiger Speicher

    81 Kalotte

    82 Schlendrian

    83 finnische Albträume

    84 unbeschuht

    85 ausgehen

    86 lockerbeerig

    87 ostinatohaft

    88 blümerant

    89 schludrig

    90 munzig

    91 Schlagloch

    APRIL: HERGEWEHTES

    92 Wolke

    93 Gischt

    94 Wettercharakter

    95 Rückseitenwetter

    96 Tagesgangwetter

    97 Niederungen

    98 Mistral

    99 ungehalten

    100 Stubenfliege

    101 Moderlieschen

    102 Kriechender Günsel

    103 Schmetterlingshaft

    104 Ahorn

    105 Melchsee-Frutt

    106 Stanserhorn

    107 Transhumanz

    108 besorgt

    109 Anziehsachen

    110 Strada del Fuoco

    111 Tamariske

    112 Tamarinde

    113 Geschöpf

    114 Lucy

    115 Tajarin

    116 Marmelade

    117 Schopf

    118 Andacht

    119 Schachtexpress

    120 Lakalut

    121 Brutparasitismus

    MAI: WOHLGEFÄLLIGES

    122 Viamala

    123 Timanfaya

    124 Katahdin

    125 Atchafalaya

    126 Tramontana

    127 Atacama

    128 Caramel

    129 Ambrakischer Golf

    130 Scharlachspint

    131 Obsidian

    132 anthrazit

    133 Schesaplana

    134 Catalina

    135 Kalabinth

    136 Hallimasch

    137 Waldameisen

    138 Wimpernschlag

    139 Erdbeere

    140 Regenbogen

    141 Arcobaleno

    142 Morning Glory

    143 Da Nang

    144 Anakonda

    145 Halibela

    146 Kaliber

    147 Randale

    148 Meteorwasser

    149 Regenereignis

    150 Schermen

    151 Cabeza de carrera

    152 Radwechsel

    JUNI: LIEBENSWERTES

    153 vorig

    154 amigs

    155 imfall

    156 ausgelassen

    157 salzigmollig

    158 ameisenhaft

    159 Flugsand

    160 Gott

    161 Sinn des Lebens

    162 Brösmeli

    163 Quetschprüfung

    164 Fremdkörperfalle

    165 Frostschutzmittel

    166 Daseinsintensität

    167 puppig

    168 Blattschuss

    169 Ernährungsfehler

    170 Dienstleistungsservice

    171 Frühstücksangebot

    172 Ganzheitliche Therapiepraxis

    173 Affenfelsen

    174 Brombeerstrauch

    175 Kontamination

    176 Meuchelmord

    177 Floskelmonster

    178 Gugus

    179 Fliessband

    180 Stockplatsch

    181 Arsendosen

    182 Krämpelchen

    JULI: HINTERGRÜNDIGES

    183 Geländer

    184 Karabiner

    185 Odradek

    186 Wellblech

    187 Beat

    188 Gestüt

    189 Rabatte

    190 Meerrettich

    191 Brei

    192 Schnee von gestern

    193 Halma

    194 Gänsefüsschen

    195 Pfeifenerde

    196 Blauwal

    197 Geleise

    198 Frühlingsputz

    199 Schlittelweg

    200 Kellerassel

    201 Fabian

    202 genussfreudige Postur

    203 dann ist es zu spät

    204 nahtlos

    205 fürwahr

    206 entgelben

    207 zunderobsi

    208 weleweg

    209 vermisst

    210 entsorgen

    211 mehrwertsteuerpflichtig

    212 schlotzig

    213 suppig

    AUGUST: RÄTSELHAFTES

    214 Erdkrümmung

    215 Schneeball

    216 Meringues

    217 Artemia

    218 Krautsaum

    219 Ruderalfläche

    220 Moellonsteine

    221 Wendehals

    222 lückig

    223 Regenwurm

    224 Gemelk

    225 Pointer

    226 Mutzli

    227 Flugzeug

    228 Nichtschwimmer

    229 Zahl

    230 Kreuz des Südens

    231 Schlitten

    232 Ebbe und Flut

    233 Gemurmel

    234 Faustbrot

    235 Erinnerung

    236 Ruhestifter

    237 Gesicht

    238 Polier

    239 Topogeny

    240 unredlich

    241 ausbüxen

    242 lohfarben

    243 schmunzeln

    244 behäbig

    SEPTEMBER: FRAGWÜRDIGES

    245 Gottesanbeterin

    246 Talmi

    247 Unkraut

    248 Pech

    249 Unterfangen

    250 Gläubiger

    251 Verzehr

    252 Piano

    253 Werktätige

    254 Waschbeutel

    255 negative Wohnsitzauflage

    256 Veloabstellverbot

    257 kabellos

    258 wieselhaft

    259 schneeschippen

    260 unhintergehbar

    261 Schärfentiefe

    262 Fahrnis

    263 Aushub

    264 Wandelhalle

    265 Krawall

    266 Habseligkeiten

    267 Firlefanz

    268 Cheib

    269 Störenfried

    270 Gelübde

    271 unkaputtbar

    272 Chabis

    273 bäumig

    274 konturenreich

    OKTOBER: UNGEKLÄRTES

    275 Wildnis

    276 Klänge

    277 Orang-Utan

    278 Samen

    279 Intensivstation

    280 Kabelsalat

    281 Gefängniswort

    282 Cantucci

    283 Formosa

    284 Kohlendreieck

    285 Durchmesserlinie

    286 Zeitverlust

    287 der zerbrechliche Wald

    288 überstürzt

    289 Klimarat

    290 Plunder

    291 Härdöpfel und Heubeeri

    292 numen

    293 gschpässig

    294 Einerkolonne

    295 Fideli

    296 Biohacking

    297 erschöpft

    298 Sommer

    299 Flexibilität

    300 Weg

    301 Hoger

    302 Goasse

    303 Tolggen

    304 Misophonie

    305 Strategie

    NOVEMBER: UNERHÖRTES

    306 Wegwarte

    307 Verzasca

    308 Kompostwurm

    309 Lidranddrüse

    310 Erdbebenertüchtigung

    311 Schabernack

    312 Leinenpflicht

    313 Kesselflicker

    314 Schauer

    315 leere Signifikanten

    316 Affront

    317 das Leben in die Enge treiben

    318 Sprüche

    319 Flause

    320 Zwieback

    321 Röhrli

    322 Hümpeler

    323 Finken

    324 wifeln

    325 Obacht

    326 Schattenwurf

    327 Langeoog

    328 schwarzes Wasser

    329 Hirse

    330 Futteral

    331 Genfer Gelöbnis

    332 Treibsand

    333 Häme

    334 zartschmelzend

    335 sesselhaft

    DEZEMBER: HINTERSINNIGES

    336 Autofiktion

    337 Quergelesenes

    338 Nichts

    339 Lützelflüh

    340 Rossignol

    341 Schnaps

    342 Nimmersatt

    343 Glücksverstärker

    344 Minutenei

    345 Schrott

    346 Baby

    347 abenand

    348 schiefern

    349 spazieren

    350 Nasshaftkraft

    351 Strumpfhose

    352 Gegenwärtigkeit

    353 Seidenpapier

    354 Kranführer

    355 Genderkrampf

    356 Kaugummi

    357 Malutensilien

    358 Dschungel

    359 Schoggigesetz

    360 Fifeli

    361 Gützli

    362 Schmutzli

    363 Gekreisch

    364 Höhle

    365 Kühlwasser

    366 Schnittlauch

    Index und Referenzen

    Vorwort

    Wie gehen Gedanken? Gar nicht, sagt der junge Mann zum Kommissar. Gedanken können nicht gehen, denn sie haben keine Beine. Aber Gedanken kommen, fliegen einem zu, drängen sich auf. Manchmal, wenn ich gehe oder laufe, im Zug sitze, die Zeitung lese, Nachrichten höre. Wörter, die sich herauslösen, aus einem Text, sich verselbständigen, oder sich einfach zu einem gesellen, unverhofft, aus dem unergründlichen Geflecht der Erinnerungen, als Geistesblitz, als Assoziation aufgrund eines Anblicks, eines Geruchs, eines Geräuschs, eines Windhauchs, bewusst oder unbewusst, scheinbar zusammenhanglos. Man ist einen Moment perplex, lässt es vorbeiziehen. Oder man schreibt es auf, will mehr darüber wissen. Manchmal auch einfach, weil es schön klingt.

    Larifari. Das Wort ist da, ich weiss nicht woher und warum. Kesselflicker. Transhumanz. Scherenschnitt. Minutenei. Plunder. Ucluelet. Pech. Korkeiche. Halibela. Meteorwasser. Mein liebstes Wort ist «Kanalfernsehen». Weil es irritiert, wenn es auf einem Kastenwagen voller Geräte und Werkzeuge steht, und dann beflügelnde Assoziationen weckt. Mein zweitliebstes Wort ist «Atacama». Oder «Taklamakan». Oder «Kalahari». Es könnte auch «Baum» sein, weil man auf Bäume klettern kann. Oder «blau», meine Lieblingsfarbe. Oder «Buch», weil ich Bücher mag. Eigentlich habe ich gar kein liebstes Wort.

    Manche Wörter sind so schön und richtig, dass man sie ans Herz drücken möchte. Atacama, Catalina, Yamasca, Aoteaora, Taganana, Malatesta, Acantilado, Karnataka, Marikana, Okavango, Tamina, Sitatunga, Akaroa, Alessi, Taklamakan, Matanuska, Salamanca, Almagest, Carrara, Malbec, Amaranth, Tallahassee, Kalahari, Malarone, Andromeda, Tuscaloosa, Viamala, Matapédia, Annalena, Nenana, Atalanta, Tanana, Alexandra, Cavardiras, Tramontana, Atchafalaya, Tavanasa, Timanfaya, Astana, Kandahar, Marketa, Alabama, Misrata, Shenandoah, Travertin, Arakanga, Waldeinsamkeit …

    Aber was ist ein schönes Wort? Eines, mit dem sich schöne Erinnerungen verbinden? Eines mit einer berührenden Lautfolge? Eines, bei dem Wort und Ding übereinstimmen? Eines, dessen Bedeutung für uns von besonderer Bedeutung ist? Adler zum Beispiel, Bergmolch, Confiserie, Dinosaurier, Fenchel, Giraffe, Hängematte, Luftibus, Orca, Polarlicht, Rätsel, Siebensachen, Tarzan, Wanderzirkus, Zierfisch. Vielleicht finden wir Wörter auch einfach nur schön, weil sie uns vertraut sind. Und vergessen, dass sie Menschenwerk sind. Manchmal richtige Kunstwerke. Regenbogen, Sehnsucht, Reisefieber, Cremetörtchen, Sommersonnensonntag, Diebstahlsicherung, Produktivitätsrente, Schienenersatzverkehr, Niederschlagsereignis, aus bestehenden Wörtern zusammengesetzt, aber so, dass sie schwerelos ineinander übergehen und verschmelzen.

    Gibt es hässliche Wörter? Oder sind es die Inhalte, die wir nicht mögen? Schwanger, Baby, Sale, Blutwurst, Gulasch, Kutteln, Voressen, Rumpf, Bürzel, Stilikone, Impfzwang, Stuhluntersuchung, gekröpfter Nordanflug. Wörter und Wendungen, mit denen sich romantische Stimmungen wirkungsvoll untermalen lassen: Kehrichtverbrennungsanlage, Verfügbarkeitsproblematik, Ergänzungsleistungen, Therapiezieländerung, Beschaffungsmarktportfolio, emergente Formierung von Strategien, Umstrukturierung der bestehenden Wissensbasis, Evolution von sozialen Systemen als selbstorganisierender, autopoietischer Prozess. Flora und Fauna, wer verpasst ihnen diese Namen? Spinnweben-Hauswurz, grosskopfige Gemswurz, Fetthennensteinbrech, einköpfiges Ferkelkraut, gelbe Platterbse, aderiger Scheibenbecherling, warziger Drüsling, spitzkehliger Kahlkopf, eingesenkter Sandborstling, schmutziger Stacheling, Graubürzel-Singhabicht, Gabelracke, Neuntöter, Isabellwürger, Schwarzstirnwürger, Büffelkopfwürger. Der Würger, kein wütender Unhold, sondern eine sympathische Vogelfamilie aus der Ordnung der Sperlingsvögel, klein bis mittelgross, oft mit auffällig kontrastreich gefärbtem Gefieder. Der Büffelkopfwürger, ein ausgesprochen hübscher, wohlklingender, orangeroter, kleiner Vogel, zumindest das Männchen, das Weibchen etwas weniger bunt, aber ebenso friedfertig, wie mir scheint, nicht bei uns heimisch, sondern weit entfernt, irgendwo in Ostasien.

    Ich habe irgendwann begonnen, Wörter zu sammeln, jeden Tag eins, mal zwei oder drei, mal ein paar Tage keins, habe sie aufgeschrieben, Überlegungen angestellt, Nachforschungen betrieben, mit Geschichten verknüpft. Ergibt 366 Wörter (für ein Schaltjahr). Manchmal sind es auch Wortgruppen. Hier ist das Resultat.

    Januar: Gefundenes

    1 Schachtelhalm

    Mila geht zu einem Wäldchen am Ufer des Sees. Sieht Blässhühner an der Arbeit. Der Nebel lichtet sich, die Sonne bricht durch. Der frisch gepflügte Acker ist von Krähen und Staren bevölkert. Unverwüstliche Gänseblümchen säumen den Weg. Kaum geköpft, wachsen sie wieder nach. Noch ist Sommer. Spätsommer. Mücken tanzen im Sonnenlicht. Ein Mäuschen wagt sich hervor, schnuppert hier und da, begleitet Mila ein Stück, bevor es wieder im Unterholz verschwindet. Dort locken die roten Beeren das Aronstabs. Sie sind giftig, doch der Aasgeruch ist verschwunden. Von ferne ist das Lachen eines Grünspechts zu hören. Oder ist es ein Eichelhäher? Eine Ringelnatter schlängelt sich durch das Blattwerk der Seerosen. Ein toter Igel liegt zusammengerollt am Wegrand. Das Schilf steht jetzt so dicht, dass es den Durchgang von beiden Seiten bedrängt. Schachtelhalme mischen sich darunter, erstaunlich mächtige, versuchen die Schilfrohre zu übertrumpfen. Lebende Fossilien, stolze Zeugen alten Lebens, als es noch keine Menschen gab. Wachsen seit dreihundert Millionen Jahren auf der Erde, fast unverändert, nur an Grösse haben sie eingebüsst, waren einmal bis zu dreissig Meter hohe Bäume, bildeten die ersten Wälder der nördlichen Hemisphäre und vermoderten dann zu Steinkohle. Doch mir scheint, sie holen auf, wachsen dichter, höher. Vom See ist kaum etwas zu sehen. Die Teichrohrsänger, die im Frühling gerne von Stängel zu Stängel hüpfen und ihren leisen, rhythmischen Gesang erklingen lassen, sind nicht mehr zu hören, und die Iris, die leuchtend blau aus dem durchsichtigen Grün hervorstachen, sind längst verblüht und protzen jetzt mit dicken Kapselfrüchten.

    2 Herbstzeitlose

    Sieh mal, die Blume da. Diese Blässe. So einsam und so früh im Jahr. Ende Juli ist es erst. Wagt sich frühreif hervor. Denkt vielleicht, es ist schon Herbst. Aber es ist noch Sommer, könnte nicht mehr Sommer sein, so warm, so trocken, so anhaltend. Doch dann, im September, als ich wieder vorbeikomme, hat sie die Artgenossinnen mobilisiert, die Wiese ist nun gesprenkelt voll, ein Gewimmel und Gewusel aus hellgrünem Gras und lila Blüten. Sind aus dem Sommerschlaf erwacht. Herbstzeitlosen. Aber warum Herbstzeitlosen? Weil der Herbst so zeitlos ist oder die Herbstzeit lose? Ich frage die, die zuerst da war. Weil wir nicht wie alle anderen sind und im Frühling und Sommer blühen, sagt sie, sondern erst im Herbst, die Zeitlosen eben. Weisst du, dass es auch einmal anders war, dass die Zeitlosen die Blumen im frühen Frühling waren, Krokusse und so, und dass wir irgendwann beschlossen, das Blühen auf den Herbst zu verlegen, einfach so, weil es uns gefiel, und also zu den Herbstzeitlosen wurden? Und wusstest du, dass wir zwar im Herbst blühen, aber erst im Frühling die Blätter und die Früchte spriessen lassen? Gerne werden wir deshalb mit dem Bärlauch verwechselt, der nicht giftig ist, wir Herbstzeitlosen sind es aber umso mehr. Ich mag Herbstzeitlosen, weil ich den Herbst mehr mag als den Sommer.

    3 Lesestein

    Liegen auf Wiesen, Weiden und Äckern herum. Durch Verwitterung verloren sie die Verbindung zum Ursprungsgestein. Erosion, bodenmechanische Vorgänge und Bodenbearbeitung beförderten sie an die Erdoberfläche. Wenn sie die Bodenbearbeitung stören oder die Produktivität der bearbeiteten Fläche mindern, werden sie durch «Ablesen» beseitigt und an den Feldrändern gesammelt. In besonders steinreichen Gegenden werden sie zu Lesesteinhaufen, Lesesteinwällen oder Trockenmauern aufgeschichtet. Da durch die fortschreitende Bodenerosion und durch Frosthub (vor allem in den eiszeitlichen Lockergesteinen) laufend neue Steine an der Erdoberfläche «nachwachsen», muss immer wieder neu «abgelesen» werden. Lesesteinhaufen sind Lebensräume für Kriechtiere, Insekten, kleine Säugetiere und Pflanzen. In vielen ländlichen Regionen werden Lesesteine neben Bruchsteinen zum Bau von Häusern, Speichern und Unterständen verwendet.

    Jeden Sommer begeben sich junge Leute auf die Baumgartenalp zuhinterst im Glarnerland und befreien sie vom Geröll, das Lawinen und Murgänge im Winter aufs Weidegebiet getragen haben. Am Ende liegen riesige Säcke voller Felsbrocken verstreut herum, von Weitem zu sehen, und warten auf den Abtransport durch den Helikopter, denn wer sonst vermag diese tonnenschwere Last den steilen Berg hinunterzubefördern. Die Baumgartenalp, eine der ältesten Alpen des Kantons, Anfang vierzehntes Jahrhundert zum ersten Mal schriftlich erwähnt, in einem Inventar des Klosters Säckingen. Hier soll es die längste durchgehende Trockenmauer des Alpenraums geben, tausend Meter lang. Seit Jahrhunderten hält sie das Vieh davon ab, über die Felswand zu stürzen. Seit einiger Zeit steigt die Wertschätzung für das traditionelle Mauerwerk, das aus Lesesteinen ohne Bindemittel errichtet wird. Jetzt soll die Trockenmauer auf der Baumgartenalp Meter für Meter saniert werden.

    4 Schächtelchen

    Es liegt auf dem alten Sekretär, von den Vorfahren überliefert, von kundiger Hand restauriert. Steht an der Wand unter der hölzernen Wendeltreppe und bietet bereitwillig Platz für allerlei Krimskrams. Vorräte zum Beispiel, in der obersten Schublade, die wie die darunterliegenden die ganze Breite des Möbels einnimmt, Kaffee, Tee, Zucker, die eine oder andere Konservendose, Würzmischungen. Bilderrahmen in der zweiten Schublade, darin gerahmt selbst gezeichnete Zeichnungen, für die gerade kein Bedarf zum Aufhängen besteht. Zuunterst Schildmützen, mitgebracht von Reisen, verbunden mit Reminiszenzen – Anza-Borrego Desert State Park, Alaska, Museum of Northern Arizona, Antelope Island State Park, Grand Canyon, New York Marathon, Friends of Cape St. Mary’s, Armada Argentina Base Orcadas, Yukon Gold, Calanais Isle of Lewis, Death Valley California, Seward, Iceland, Western Au stralia, South Georgia Antarctic Isle, L’Anse aux Meadows, I climbed Gros Morne, Newfoundland and Labrador.

    Hinter der Arbeitsfläche beidseits drei kleinere Schubladen, gefüllt mit Brillen, Brillenetuis, Brillenreinigungstüchern, Uhren, Portemonnaies, einer Taschenlampe. Dazwischen Fotobücher der letzten Reisen, Peru, Patagonien, Madagaskar, Äthiopien, China, Laos, Vietnam, Kambodscha, Südafrika, Lesotho, eSwatini, Botswana, ordentlich gestapelt. Darüber ein Tablar mit weiteren Erinnerungsstücken, ein gebasteltes Kerzengefäss aus weissem Material, Gips vielleicht, mit farbigen Glastupfern, Geschenk von irgendwem, sieht nach Kinderhand aus, ein kleiner, grauer Porsche Cayman, eine hölzerne Ente, ein wollenes Schaf, ein winziges Glücksschweinchen aus weissem Porzellan mit grünen Kleeblättern bemalt.

    Auf der oberen Abdeckung ein Bastkorb voller Mineralien und Fossilien – Feuersteine von der Kreideküste Rügens, Gneise aus dem Valle Verzasca, Obsidiane und Lavasteine aus Island, Stücke von Schwefelstein, Sandrose, Aragonit, Malachit, Trilobit, Glossopteris, versteinerte Hölzer und ein Säckchen Trommelsteine aus dem amerikanischen Südwesten. Daneben ein halbes Dutzend weiss-gelb bemalte Grenzsteine unterschiedlicher Grösse, je nach Höhe des Passes, Trophäen erfolgreich bewältigter Radtouren in den Pyrenäen, zwei holländische Häuser, Präsente von KLM für Business-Class-Gäste, ursprünglich mit Schnaps gefüllt, das Modell eines alten, senfgelben Touristenbusses aus dem Yellowstone National Park, ein weisser Fahrmischer mit dem Logo von Holcim, und eben das Schächtelchen, aus Holz, sieben auf fünf Zentimeter, honiggelb bemalt, darauf ein Vogel, dunkelblau-hellblau-gelb mit rotem Schnabel, papageiartig, schaut eher betrübt aus der Wäsche. Im Schächtelchen derselbe Vogel als Puzzle, fünf Teile. Ein Produkt von Swissaid, von taubstummen Kunsthandwerkern aus Mexiko mit viel Freude von Hand gefertigt, mit Warnung: «Achtung! Erstickungsgefahr. Enthält Kleinteile.»

    5 Postkarte

    Ich stehe in der Papeterie, vollgestopft mit wunderbaren Dingen, brauche einen Kugelschreiber und ein Notizheft. Vor mir ein Junge. Zeigt wortlos auf eine Postkarte im Postkartenständer, eine Landschaft im Schnee, ein Berg, ein gefrorener See, weiss gepuderte Tannen, blauer Himmel, eine Sonne, die sich in einen Stern verwandelt hat. Der Verkäufer reicht ihm die Karte, sagt vier Franken. Der Junge legt ihm einen Franken hin. Der Verkäufer nimmt den Franken, gibt dem Jungen fünfzig Rappen zurück. Der Junge nimmt die Postkarte und läuft zufrieden aus dem Geschäft.

    Wer schreibt heute noch Postkarten? Wer bekommt welche? Ich nicht. Woher dennoch die Faszination? Da war ein Wettbewerb. Bitte schenken Sie uns alte Postkarten mit Ansichten aus dem Kanton, mindestens hundert Jahre alt. Schöne Preise zu gewinnen. Die Leute durchsuchten ihre Schätze, sandten Hunderte von Postkarten ein. Zauber der Erinnerung. Bilder von Dörfern, Häusern, Plätzen, Landschaften, Promenaden, Strassen, Wege, deren Namen an vergangene Zeiten erinnern, Stilisierungen, Lupenansichten, Collagen, Panoramablicke, von weit oben auf die bunte Stadt, den türkisblauen Fluss, schneebedeckte Berge am Horizont. Ein Ausschnitt von Welt im A6-Format, koloriertes Schwarzweiss, Fotochrom, möglichst bunt. Die Schönheiten eines Landes verdichtet, wie man sie nie zu sehen bekommt, weil es sie so nicht gibt. Die Texte mussten anfänglich noch vorne auf die Karte geschrieben werden, weil die Rückseite für Adresse und Frankierung reserviert war. Und was schreibt man auf Postkarten? Meist geht es um Ferien, eine Reise, das Wetter, das Wohlergehen. «Liebe Grüsse aus Gran Canaria. Auch im späten Herbst ist es noch sonnig und warm. Faszinierende vulkanische Landschaft. Das Essen ist gut. Das Hotel weniger.» Auf 10,5 mal 14,8 Zentimeter dünnem Karton fehlt der Platz für Ausschweifungen. Es darf auch geflunkert werden, warum auch nicht. Ferien sind immer eine Übertreibung. Einer der meistverkauften Karten der Schweiz ist übrigens seit Jahren der Zürichsee mit Eiger, Mönch, Jungfrau und Matterhorn in den Hintergrund montiert.

    6 Lehrbienenhaus

    Bin schon auf dem Rückweg. Die Sonne hängt senkrecht über mir. Überwinde ein eingezäuntes Gelände mit Esel, Pferdewagen und jungen Obstbäumen, beschauliches Plätzchen, Privatbesitz, Füttern verboten. Oben im Schatten des Waldes ein Holzhäuschen, ein Lager für die Waldarbeiter, dachte ich stets, jetzt steht aber da, in frischen, glänzenden Lettern: Lehrbienenhaus, betrieben vom lokalen Bienenzüchterverein. Wusste nicht, dass es so etwas gibt. Frage mich, wer da ein und aus geht. Bienen. Und sonst?

    Bienen. Soziale Wesen, wie Ameisen und Menschen, und doch anders. Klug, feinfühlig, lernfähig, manchmal sogar kritisch. Können besser riechen als Hunde, sich kilometerweite Wege merken, Honig produzieren und sich tanzend mit ihren Schwestern über Futterquellen unterhalten. Nehmen fliegend die Umgebung wahr, Felsen, Blumen, Bäume, Strassen, die Sonne am Himmel, mit ihren Facettenaugen, die keine Linsen haben, aber ein paar Tausend Einzelaugen, jedes mit Hunderten von Rezeptoren ausgestattet. Damit sehen sie einerseits mehr als wir, nämlich alles in einem Radius von zweihundertsiebzig Grad, andererseits weniger, weil die Dinge erst in grosser Nähe scharf gestellt werden. Die Sonne ist

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