Nachtaufnahme: Schritte und Geräusche
Von Katrin Sell
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Buchvorschau
Nachtaufnahme - Katrin Sell
In Vergessenheit
Geblieben ist: Ein Aufzählen von Angelegenheiten folgt, Räume und Plätze kommen hinzu, wie das Warten in Abflughallen, und Zeug, das niemand mehr sehen will, diese Erinnerungen, schlimm und verwirrend,
weil sie öde Bürostühle kennen und verschluckte Gegenstände und am Ende ein Schweigen,
jenes,
das die unaussprechlichen Namen in seiner Brust behält. Denn manches ist besser nicht zu denken.
Ja, vielleicht kann man sich mit einem Funkeln am Morgen begnügen und es weitertragen bis zum Abend.
Gegen die Zeit und ihre Verluste kommt nur das beste Wetter an, wie überhaupt das Denken auf schöne Witterung aus sein soll. Leicht und gemäßigt darf es sein, wie ein südwestlicher Wind, und sich nicht vergraben zwischen Wirtschaft und Papieren.
Bisweilen wünscht man sich, dass nichts bliebe, nicht diese zurückgelassenen Haare auf Kopfkissen,
diese angebissenen Baguettes und Fingernägel in Waschbecken.
Dann stelle ich mir Räume vor, kahl und ins Vergangene gefallen; nur aus einer Ecke dringt es leise, ein Raunen vielleicht, davon berichtend, was gewesen war: Blut und Sperma und pralle Tage bis in das anbrechende Morgengrauen hinein.
Vorüber war dann alles.
Warum nicht?
Denn die Nächte hatten sich verbraucht,
und
in den Schößen der Frauen waren nur Ausdünstungen geblieben.
Das Verschwinden kann wie ein lautloses Schiff gleiten.
Isabels Löwe
Wie unüberhörbar können Stimmen und Geräusche sein,
wie das Kratzen auf Blechen und grünen Tafeln!
Sie kommen von draußen her, als hätten sich die Dinge gegen den Morgen verschworen, sammeln Schreie und verstimmte Klaviere,
und
Worte gehen umher alten Stiefeln ähnlich, hörbar noch in Bienenwaben und Sand.
In den schläfrigen Augen der traurigen Isabel schlummert das Feuer des Nachts, in dem sie selbst war.
Erfasst von einer Wut führte sie ihren brüllenden Löwen spazieren, aggressiv und tötend, dann schweißgebadet und klebrig am Schluss.
Irgendjemand musste sterben, denn unter ihren schmerzvollen Haaren hatte sich etwas eingenistet,
das nach erfahrenen Beleidigungen und Kränkungen roch. Wie ein Stausee war sie, Isabel, gärend schließlich und angewidert von falschen Berührungen und Küssen.
Eine beschwerliche Passivität hatte sie neben Küchengeschirr und Staubsaugern alt gemacht.
Formlos und umhergetrieben war sie, zwischen Atemstößen keine Klänge mehr spürend. Doch da war ein Verlangen, sehr irdisch, nach Intensität und Gerechtigkeit: Den blanken Seelen darf nicht verziehen werden, rief sie, den schmierigen Dealern und Armeeröcken, den gleichgültigen Köpfen und Lügnern, den Fettwänsten, Frauenschändern und Mackern.
Keine Sanftheit legte sich auf die Stirn von Isabel, als die Nacht durch Wände kroch und sie schlafen wollte, so wie man eben schläft, schwer und etwas plump, um den Zorn nicht zu merken, die drängende Verzweiflung, da wenig Besseres ist und die Hände
zu klein.
Ich bin sind Worte, sie können bedeuten: Hier bin ich, immer noch, ohne schweigenden Mund,
gleich einem Aufstand gegen alles.
Denn war er nicht schon längst geplant, dieser schrille Laut, der herausplatzt aus dem immer unruhigen Blut?
Gute Isabel, ich verstehe dich.
Apologie einer Spezies
Das fragwürdige Glück ist weiter verschollen und
die Eberesche schüttelt ihre Zweige in den Himmel.
Wie gehabt, bleiben in der Ferne die monströsen Versprechen und ein ängstliches Begehren. Wenn ein Tag zieht, vorbei am Geröll eines fremden Herzens,
das keine Zuwendung will, verweilt eine Wolke beim armen Träumer. Er nennt die Dinge bei ihrem Namen, denn er ist ein Narr mit seinen blanken Augen und seinem Anisgeruch.
Und unterirdisch wuchern die Rosen mit erneuter Sanftheit, um noch einmal den Aufbruch zu wagen, hinaus aus den Schmerzen und dem frühen Rückzug. Noch immer sind Stimmen und Teppiche da sowie die Normalität von Glastüren und Plastikbechern.
Sich festhalten an der stummen Materie, die ihren Wandel durch uns vollzieht: Du musst durchhalten, wenn auch niemand kommt; und nur Frachtschiffe
sind voll Kohle und Ruß, wie aus abgelebten
Jahrhunderten.
Nein, sagt manchmal der Träumer, obwohl sich etwas regt, wie auferstanden. Sein Herz ist träge geworden, und Maden sichtete man schon an seinen Rändern. Und selbst, wenn in den Verstecken
seines Ichs Erschütterungen von Tänzern fühlbar werden, lächelt er nur knapp.
Welchen Anreiz gibt es, wenn die Erfüllung Trauer trägt, weil sie die roten Münder fraß? Zu viel Erdigkeit, zu viel Planet und Stoff, zu viel Hinterher, Verbrauch und klebrige Dinge.
Im Wollen soll das Glück enthüllt werden. Ganz Geist dann, gleitet wie ein Schwan. Wäre alles nur gleitend und leise, hätte Federn und lange Schleppen!
Von Ahnungen kann der Träumer erzählen,
den vielen, die in Bäuchen schwimmen, sich verlieren an den Drähten eines einfachen, harten Tages; denn die anbrechende Dämmerung ist nicht sein