triste: Schmerz und Heilung
Von Katrin Sell
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Buchvorschau
triste - Katrin Sell
Inhalt
Dich vergessen
Energien
Und immer weiter
Selbstermutigung
Anblicke
Raum und Weite
Zufuhr an Gedanken
Einsichten
Insolenz
Dunkle Materie
Therapeutische Erkenntnisse
Der Poetin Trotz
Abspaltung
Hoher Ton
Reibung und Anpassung
So stürmisch
Erwartung und Ernüchterung
Ungewollte Bilanz
Syrien
Entstehung
Tagesanbruch
Liebesmüh
Vor sieben
Ingrimm
Mögliche Gesundung bei gleichbleibenden Verhältnissen
Nach vierzig
Gewissen
Körpereigen
Wahnsinn, Versuch einer kurzen Beschreibung
Die Verrückte
Berufswechsel unter Wahrung des Stolzes
Verweigerte Akzeptanz
Aufschrei
Verschmelzung
Sonnenfinsternis
Herzweh
Kurze Verständigung über Träume
Zeitweiliges Entrinnen
Spätere Tage
Körperunlust
Agonie
Reale Gestalt
Heimkehrender Soldat
Drohende Verkündigung
Unterboden
Annäherung ans Subjekt
Strafbar
Formulierung von Erinnerung
Fühlbar
Ausbleibende Abrechnung
Morgenröte
Aussicht
Angemessener Protest
Unterwegs
Assoziationen über Liebe, Erbitterung und Poesie
Tirade
Sinn
Ohnmächtig
Winterlichter
Die Gedanken sind frei
Martyrium
Anklage und Flucht
Hörsturz
Perspektiven
Verbleiben ein paar unbezwingbare Realitäten
Nachtrag
Katrin Sell
triste
Schmerz und Heilung
Texte
1. Auflage
Copyright © 2020 Katrin Sell
www.literaturbraut.de
Alle Rechte vorbehalten
Gestaltung Peter Ahrens artwork Berlin
www.peterahrens.net
Dich vergessen
Während jeder schreitet, in ein Blütenfeld oder in Gruben und Aushöhlungen,
in seinen Tag hinein, wie ein Tag sein kann als Wiederholung oder Ereignis,
rinnt Wasser verstohlen im Hintergrund, als unterdrückter Schmerz,
in dessen Zwerchfell ein Atmen ist, auch ein Schrei, meinetwegen
von jener Art, die hervorbrechen will, doch nicht zu den einfachen
Dingen passt. Denn stell dir vor, plötzlich sprichst du von glühenden Namen
und der erwürgten Braut, sprichst von Erinnerungen und grausamen
Umständen, denen nichts entnommen werden konnte, außer einer fieberhaften
Krankheit und dem Verlust von tausend Küssen.
Es bedeutet weiter und sprich nur von Dingen, von gekauften Kleidern
und Kaffeetassen, von Terminen und Autobahnen. So ist es. Sich die
Oberfläche zu eigen zu machen, und das Geschrillte selbst niederschreien
oder sich abwenden vom Gekrächze der eigenen inneren Stimme
und das ohne Mitleid, was heißt, den Schmerz bei sich selbst ausrotten,
ihn verschlingen und sich irgendwo hintreiben lassen.
Und Tau kommt dann vielleicht, auch ein frisches Gewächs,
das dem versehrten Morgen einen Anreiz gibt, die verdunkelten Straßen
zu vermeiden; und wie jemand zu sein, der nicht mehr fragt: Warum dies?
Das nennt sich Strategie und braucht den Kopf, ärztliche Verordnungen und Willen
zur Überwindung; die starke, rosige Hand, auch den Roboterarm, der öfter
empfindungslos über Rosen streift, damit nicht alles Eindruck und Sanftheit ist.
Ja, ein Lächeln, wenn nichts gelingt.
Hier sind Wochen, in denen man an einem Dorn festhing und die niedergetrampelte
Angst von Neuem kam, es nicht zu schaffen, was so scheinbar existiert
zwischen Kaffeehausluft und Fußballplatz, eben dieses Leben, befreit und nicht
in Nächten verschüttet.
Jeder Winkel der Seele, ihr weiches Mark, klammert sich
an mir fest, dich nicht auszusortieren wie zerstörten Hausrat, dabei bist du
das wasserlose Gras und stumm wie hundert Tote zu mir und sprichst von Terminen
wie andere von ihren Kindern. Eitle Füchsin, sagt etwas in mir, denn ich kenne
dich als Zwielicht und habe dir deine Bücher hinterhergetragen und dich verehrt
wie ein Knabe die schlaksige Abiturientin.
Das geht so durch die Tage, eine niedergerungene Leidenschaft, von der niemand
hören will, nicht einmal du selbst.
Energien
Blendender Tag, eigentlich. Irgendetwas müsste es zu heben oder
zu werfen geben; die bunten Kugeln eines Clowns oder die verwitterten
Kohlköpfe in den Auslagen der Gemüsehändler.
In dieser Sekunde jagt eine Flamme durch den Körper: Dich müsste es geben,
mit deinem rührseligen roten Lippenstift, damit ich in dein Haus gehen kann,
wie ein halber Mond, knapp an der Erfüllung vorbei. Es bliebe danach
eine erneute Freude und immer ein Davor.
Doch da liefen einem die Nerven davon. Ja, ich habe gespürt
und hatte gehabt. Hatte das romantische Palaver und die offene Frage,
die Schwerelosigkeit und den klaren Verstand, der sich im Nachdenken bildet.
Deshalb geht dieser Morgen so dahin, mit seiner waghalsigen Wucht.
Nennt es Erfüllung, was es auch war. Trotzdem bleibt ein bettelndes Tier
in den Eingeweiden und ein bohrender Drang, der fordert und schraubt
und auf Einfälle pocht, etwa, den Kopf durch Wände zu schieben und
die Makler zu verdreschen. (Gleich einen ganzen Haufen, ihr versteht.)
Jemand hatte die Vorstellung, und es gefiel mir sehr, eine Weile auf
Bäumen zu leben. Da wären dann andere Einsichten, die braucht man doch,
eine andere Art, ein anderes Sitzen, Fassen und Gehen,
andere Erkenntnisse wie verborgen gehaltene Flügel.
Jedoch: Oft bleiben ein Aufschrei, eine Pappel und ein Fänger im Tor,
mit seinen verschwitzten Schuhen.
Irgendwann kommt der Zwang, sich zu verteidigen.
Was hast du gemacht?
Mitunter lässt sich sagen: Leuchter zerbrochen und Schatten gesehen.
Doch immer ist da eine aggressive Hektik und manchmal
das Irre hinter Vorhängen und eine Glocke ohne Seil.
Dich quält er auch, der manische Moment, stürzen zu wollen und
herauszubrechen. Wenn die Kraft aus den Poren fließt, kommen
die Möglichkeiten, kleine widerspenstige Reize sind es, mit viel Größe
und Geschrei. Ach, es bleiben Reste einer unvollendeten Idee,
wie silberne Zöpfe liegen sie auf Dachböden.
Und immer weiter
An diesem weißen Morgen – eine kleine Übertretung sei erlaubt,
es ist Abend, und der ist, von einem flüchtigen Stern abgesehen,
dunkel. Was geht einen die Wirklichkeit von mondsüchtigen Poeten an?
Inmitten der Poesie ist es fatal,
sich nach dem Befinden des Schreibenden zu erkundigen. Der schüttelt
oft Nester aus und spricht von Inspiration.
Heute wurde irgendwo das Leben von unerschrockenen Männern
auf Papier gedruckt. Die habe ich von ferne gesehen.
Ihr lebenslanger Mut blieb niemandem verborgen, denn ihre Flugzeuge
flogen höher als andere, und ihre Augen sahen mehr als üblich.
Bei so was möchte man sich die Fingernägel benagen
und an dunkle Kinosäle denken.
Dort läuft ein unerschütterlicher Held durch Wände, ist in Shanghai oder Bombay.
Und
lässt sich von Seilen herab auf den Planeten fallen.
Ein Beifall für ihn, denn er kann auch Rebhühner verschlingen.
Ein weit glänzendes Abenteuer wird es heute geben,
denn der Morgen ist immer noch weiß, und die Fische beißen gut.
(Das will man so.)
Wenn man still sitzt, von mir aus auf Dünen oder in Couchgarnituren,
fallen einem manchmal die eigenen Beine auf,
die Muskelpartie, die weiche Haut an den Waden, und es denkt sich, wie es
sich so denkt, die Prinzessin zu befreien, ihre fabelhaften weißen Füße zu küssen.
Ach ja, seufzt es, immer wieder das: das passive Weib.
Ich gebe zu, und auch du, kleiner Bruder neben mir,
mit der geliebten Sonne überm Kopf, bist nicht frei
davon, etwas retten zu wollen, feministisch korrekt diesmal und
mit kleinen Hunden auf den Armen.
Da stehe ich, nackt, manchmal, mit einer tödlichen Waffe in der Hand,
und halte Ausschau nach dem Gegner: