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November
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eBook136 Seiten2 Stunden

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Über dieses E-Book

1836 verliebte sich Gustave Flaubert (1821–1880) in eine ältere Frau, die den jungen Mann lange als große, platonische Liebe beschäftigte und sein Schreiben inspirierte. In der 1842 veröffentlichten Erzählung „November“, einem seiner frühesten Werke, klingen einige der damit verbundenen Erfahrungen an.
Den jugendlichen Erzähler lässt der frühreife Autor Flaubert in erotischen Tagträumereien vom Erwachen sexueller Begierde erzählen, die jedoch unerfüllt bleibt, bis er der erfahrenen Marie begegnet. Sie, die als 16-Jährige mit einem deutlich älteren wohlhabenden Mann verheiratet wurde und die im Gegenzug zur Ableistung ihrer ehelichen Pflichten sexuelle Freiheit erlangte, berichtet ihm von ihren erotischen Erfahrungen, ohne dass sie je 'dem Richtigen' begegnet wäre. Im kurzen dritten Teil überlässt es Flaubert dem fiktiven Herausgeber, die in Sachen Liebe bis zum bitteren Ende unerfüllte Lebensgeschichte des Protagonisten zu erzählen, die – angesichts des Publikationsdatums erstaunlicherweise – einige Parallelen zu des Dichters eigener Biografie aufweist.
SpracheDeutsch
Herausgeberred.sign Medien
Erscheinungsdatum10. Nov. 2014
ISBN9783944561356
November
Autor

Gustave Flaubert

Gustave Flaubert (1821–1880) was a French novelist who was best known for exploring realism in his work. Hailing from an upper-class family, Flaubert was exposed to literature at an early age. He received a formal education at Lycée Pierre-Corneille, before venturing to Paris to study law. A serious illness forced him to change his career path, reigniting his passion for writing. He completed his first novella, November, in 1842, launching a decade-spanning career. His most notable work, Madame Bovary was published in 1856 and is considered a literary masterpiece.

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    Buchvorschau

    November - Gustave Flaubert

    Ich liebe den Herbst; diese traurige Jahreszeit eignet sich gut für Erinnerungen. Wenn die Bäume keine Blätter mehr haben, wenn der Himmel in der Dämmerung noch die rötliche Färbung bewahrt, die das verwelkte Laub vergoldet, dann ist es so süß zu erleben, wie alles, was eben noch in uns brannte, erlischt.

    Ich bin gerade heimgekommen von meinem Spaziergang durch die leeren Wiesen, am Rand der kalten Gräben, in denen sich die Weiden spiegeln. Der Wind ließ die kahlen Zweige pfeifen. Manchmal schwieg er und dann setzte er plötzlich wieder ein. Jetzt zitterten die kleinen Blätter, die noch an den Büschen hängen, von Neuem, das Gras erschauderte, indem es sich zur Erde beugte, alles schien fahler und eisiger zu werden. Am Horizont verlor sich die Sonnenscheibe in der Weiße des Himmels und durchdrang ihn ringsumher mit ein wenig sterbendem Leben. Ich fror und hatte fast Angst.

    Ich habe hinter einem grasigen Hügel Schutz gesucht; der Wind hatte aufgehört. Während ich auf der Erde saß, an nichts dachte und den Rauch in der Ferne betrachtete, der aus den Hütten aufstieg, da stand auf einmal, warum, das weiß ich nicht, mein ganzes Leben vor mir wie ein Gespenst, und zusammen mit dem Geruch des trockenen Grases und der toten Wälder empfand ich wieder den bitteren Duft der Tage, die nicht mehr sind. Meine armen Jahre zogen an mir vorbei, als würden sie vom Winter in einem klagenden Sturm davongetragen. Etwas Furchtbares wälzte sie in meiner Erinnerung, mit einer Wut, die wilder war als der Wind, der die Blätter über die friedlichen Pfade jagte. Eine seltsame Ironie streifte sie und machte sie mir zum Schauspiel; und dann flogen alle wieder davon und verloren sich in einem düsteren Himmel.

    Sie ist so traurig die Jahreszeit, in der wir uns befinden, als wollte das Leben mit der Sonne verschwinden; Schauder läuft einem über die Haut und dringt hinein ins Herz, alle Geräusche erlöschen, die Horizonte werden fahl, alles will schlafen oder sterben. Bald sah ich die Kühe heimziehen, sie brüllten in den Sonnenuntergang hinein, der kleine Junge, der sie mit einem Dornenstock vor sich hertrieb, zitterte und fror in seinem Anzug aus Leinwand. Sie glitten über die feuchte Erde, als sie den Hügel hinuntergingen, und zertraten ein paar Äpfel, die im Gras liegen geblieben waren. Die Sonne warf ein letztes Licht hinter die verschwommenen Hügel, in den Häusern im Tal wurden die Lichter angezündet, und der Mond, das Gestirn des Taus, das Gestirn der Tränen, begann zwischen den Wolken zu erscheinen und sein bleiches Gesicht zu zeigen.

    Lange habe ich mich an meinem verlorenen Leben geweidet. Mit Freude habe ich mir gesagt, dass meine Jugend vergangen sei, denn es ist eine Freude, wenn man fühlt, wie einem die Kälte ins Herz dringt; man betastet es mit der Hand wie einen Herd, der noch glimmt, und kann dabei sagen: Es brennt nicht mehr. Langsam habe ich alles aus meinem Leben noch einmal in meinem Geist erlebt: Gedanken und Leidenschaften, Tage der Freude und Tage der Trauer, erregende Hoffnung und herzzerreißende Angst. Alles habe ich wiedergesehen wie jemand, der die Katakomben besucht und langsam nach rechts und links schaut, wo Tote in langen Reihen liegen. Wenn ich die Jahre zähle, so bin ich noch gar nicht lange auf der Welt, aber ich habe doch schon zahlreiche Erinnerungen, die auf mir lasten, mich bedrücken, wie die Greise bedrückt werden von all den Tagen, die sie gelebt haben. Manchmal will es mir scheinen, als lebte ich schon seit Jahrhunderten, als schlösse mein Sein die Reste von tausend vergangenen Leben in sich. Warum das? Habe ich geliebt? Habe ich gehasst? Habe ich etwas gesucht? Das bezweifle ich noch. Ich habe außerhalb jeder Bewegung, jeder Tätigkeit gelebt, ohne mich zu regen, habe weder Ruhm noch Vergnügen, nicht Wissen noch Geld erstrebt.

    Von dem, was nun folgt, hat nie jemand etwas erfahren, jene, die mich jeden Tag sahen, ebenso wenig wie die anderen. Sie waren für mich wie das Bett, in dem ich schlafe, und das auch nichts von meinen Träumen weiß. Und ist übrigens das menschliche Herz nicht eine große Einsamkeit, in die niemand eindringt? Die Leidenschaften, die es bewegen, sind wie die Reisenden in der Sahara. Sie ersticken, und ihre Schreie werden jenseits von ihr nicht vernommen.

    Schon in der Schule war ich traurig. Ich langweilte mich, allerlei Feuer brannte in mir, glühende Sehnsucht nach einem wilden und erregenden Leben verzehrte mich, ich träumte von Leidenschaften … am liebsten hätte ich sie alle gehabt. Hinter dem zwanzigsten Lebensjahr lag für mich eine ganze Welt aus Licht und Duft. In der Ferne sah ich ein Leben voller Glanz und lautem Triumph. Es war wie in einem Märchen, wo in den verschiedenen Gemächern die Diamanten unter dem Feuer der goldenen Leuchter funkeln. Ein Zauberwort lässt die verzauberten Türen sich in ihren Angeln bewegen, und je weiter man geht, desto tiefer taucht das Auge in herrliche Perspektiven, deren Blendung uns lächeln und die Augen schließen lässt.

    Irgendwie begehrte ich etwas Herrliches, das ich aber mit keinem Wort hätte benennen können, doch sehnte ich mich ganz bestimmt und unaufhörlich danach. Glänzende Dinge habe ich immer geliebt. Als kleiner Junge drängte ich mich durch die Menge an die Tür der Jahrmarktskünstler, um die roten Tressen und Schnüre ihrer Diener und die Bänder und Zügel ihrer Pferde zu sehen. Lange blieb ich vor dem Zelt der Gaukler stehen und bestaunte ihre weiten Hosen und die gestickten Halskragen. Ach! Ganz besonders liebte ich die Seiltänzerin mit ihren langen Ohrgehängen, die sich um ihren Kopf bewegten, ihr schweres Halsband aus den bunten Steinen, das gegen ihre Brust schlug. Mit unruhiger Gier betrachtete ich sie, wenn sie sich hinaufschwang bis zu den Lampen, die zwischen den Bäumen hingen, und wenn ihr Kleid mit dem Saum aus goldenen Plättchen sich klatschend bei jedem Sprung in der Luft bauschte. Das waren die ersten Frauen, die ich geliebt habe. Mein Geist quälte sich, wenn er an die seltsam geformten Schenkel dachte, die in den prallen, rosafarbenen Hosen steckten, an die geschmeidigen Arme, die mit Ringen geschmückt waren, und die sie auf dem Rücken knacken ließen, wenn sie sich nach hinten beugten, bis die Federn ihres Turbans die Erde berührten. Die Frau, die ich schon zu erraten versuchte (in jedem Alter denkt man an sie: als Kinder betasten wir mit naiver Sinnlichkeit die Brust der großen Mädchen, die uns küssen und auf den Arm nehmen; mit zehn Jahren träumt man von der Liebe, mit fünfzehn erlebt man sie, mit sechzig hegt man sie immer noch, und wenn die Toten in ihrem Grab an etwas denken, dann nur daran, wie sie unter der Erde das Grab erreichen, das in ihrer Nähe ist, um das Leichentuch der Verstorbenen zu heben und sich in ihren Schlaf zu stehlen) – die Frau war mir also ein lockendes Geheimnis, das meinen armen Kinderkopf verwirrte. An dem, was ich empfand, als eine von ihnen zufällig ihre Augen auf mich heftete, ahnte ich schon, dass etwas Verhängnisvolles in diesem erregenden Blick lebte, der den menschlichen Willen dahinschmelzen lässt, und hierüber war ich entzückt und erschrocken zugleich.

    Wovon träumte ich an den langen Abenden im Studiersaal, wenn ich, den Ellbogen auf mein Pult gestützt, zusah, wie der Docht in der Flamme wuchs und jeder Tropfen Öl in den Napf fiel, während meine Kameraden ihre Federn über das Papier knirschen ließen und man von Zeit zu Zeit das Geräusch eines Buches hörte, in dem man blätterte oder das geschlossen wurde? Ich beeilte mich, schnell mit meinen Aufgaben fertig zu werden, um mich ganz diesen meinen geliebten Gedanken hingeben zu können. Ich versprach es mir im Voraus mit dem ganzen Reiz eines wirklichen Vergnügens; zuerst zwang ich mich, daran zu denken, wie ein Dichter, der etwas schaffen und die Inspiration heraufbeschwören will. Ich drang möglichst weit in meinem Gedanken vor, betrachtete ihn von allen seinen Seiten, stieß vor bis in seine Tiefe, kam zurück und begann wieder von Neuem. Bald war es ein wildes Rennen der Einbildungskraft, ein wunderbarer Sprung aus der Wirklichkeit hinaus, ich schuf mir Abenteuer, legte mir Geschichten zurecht, baute mir Paläste, in denen ich wie ein Kaiser lebte, ich grub in allen Diamantminen und schüttete die kostbaren Steine eimerweise auf den Weg, über den mein Fuß schritt.

    Und wenn der Abend gekommen war, wenn wir alle in unseren weißen Betten mit den weißen Vorhängen lagen, und der Aufseher im Schlafsaal auf und ab ging, dann vergrub ich mich noch tiefer in mich selbst, verbarg mit unsagbarer Wonne den Vogel, der mit den Flügeln schlug, und dessen Wärme ich in meiner Brust fühlte. Es schien mir, dass sie mich singend in die Welt stießen, dass sie jeden Augenblick meines Lebens grüßten und zu mir sagten: »Nach den anderen! Nach den anderen! die da noch kommen! Lebe wohl! Lebe wohl!« Und wenn das letzte Beben verklungen war, wenn mein Ohr nicht mehr summte, wenn es hörte, dann sagte ich mir: »Morgen schlägt dieselbe Stunde, aber morgen ist es ein Tag weniger, ein Tag mehr nach da hinten, nach dem Ziel, das glänzt, nach meiner Zukunft, nach dieser Sonne, deren Strahlen mich überschwemmen, und die ich dann mit meinen Händen berühren werde…« und ich sagte mir, dass das noch lange dauern würde, und fast weinend schlief ich ein.

    Gewisse Worte verwirrten mich, das Wort Frau und mehr noch das Wort Geliebte. Ich suchte die Erklärung des ersten in den Büchern, den Stichen und den Bildern. Am liebsten hätte ich den weiblichen Gestalten der Bilder die Hüllen vom Leib gerissen, um etwas zu entdecken. An dem Tag, an dem ich alles erriet, überkam mich zuerst verwirrende Wonne, wie eine letzte Harmonie war sie, aber schon bald wurde ich ruhig und lebte von nun an mit größerer Freude, empfand eine Regung des Stolzes, indem ich mir sagte, dass ich ein Mann sei, ein Wesen, dazu bestimmt, eines Tages eine eigene Frau zu haben. Das Wort »Leben« war mir bekannt, es war fast, als wenn ich schon mitten in ihm schwämme und schon etwas seiner Freuden genösse. Mein Wunsch ging nicht weiter, und ich war zufrieden, das zu wissen, was ich wusste. Was eine Geliebte angeht, so war sie für mich ein satanisches Wesen, und schon das Magische ihres Namens versenkte mich in tiefe Ekstasen: Für ihre Geliebten vernichteten und gewannen die Könige Provinzen, für sie knüpfte man die indischen Teppiche, für sie bearbeitete man das Gold, formte den Marmor, für sie brachte man die ganze Welt durcheinander. Eine Geliebte hat Sklaven mit Fächern aus Federn, um die Mücken zu verjagen, wenn sie auf seidenem Sofa ruht. Mit Geschenken beladene Elefanten warten auf ihr Erwachen, Sänften tragen

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