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Venturia (Band 2): Glanz und Bürde
Venturia (Band 2): Glanz und Bürde
Venturia (Band 2): Glanz und Bürde
eBook380 Seiten5 Stunden

Venturia (Band 2): Glanz und Bürde

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Über dieses E-Book

Vier Monate sind vergangen … vier Monate, in denen Tia versucht hat, in ein neues Leben zu finden – was ihr einfach nicht gelingen will. Sie musste einen Mann heiraten, den sie nicht liebt. Lebt in einem fremden Schloss, das sie nicht ihr Zuhause nennen kann, und fühlt diesen Schmerz, bei dem es keine Aussicht auf Linderung gibt. Eine unerwartete Begegnung auf dem Dorfmarkt reißt sie allerdings schlagartig aus ihrer Lethargie. Gibt es doch noch Hoffnung für Venturia? Oder ist es nur die unbändige Sehnsucht nach einem guten Ende, die sie nach jedem Strohhalm greifen lässt?
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum15. Mai 2020
ISBN9783038961284
Venturia (Band 2): Glanz und Bürde

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    Buchvorschau

    Venturia (Band 2) - Regina Meißner

    Inhaltsverzeichnis

    Titel

    Informationen zum Buch

    Impressum

    Widmung

    I – Über Lügen und Machtansprüche

    II – Über ein Wiedersehen bei Kerzenschein

    III – Über das Verschweigen der Vergangenheit

    IV – Über verschneite Städte und Winterkälte

    V – Über das, was eine Mutter weiß

    VI – Über das Ergebnis einer langen Suche

    VII – Über einen Plan mit Schwächen

    VIII – Über einen sonderbaren Mann in einem sonderbaren Haus

    IX – Über verborgene Wahrheiten unter der Erde

    X – Über Hoffnungen, Euphorie und das, was danach kommt

    XI – Über letzte Worte und eine Reise ins Ungewisse

    XII – Über ein altes Gefühl an einem neuen Ort

    XIII- Über ein Leben in Gefangenschaft

    XIV – Über eine Enthüllung im Mondschein

    XV – Über verlorene Seelen in einem Haus am Stadtrand

    XVI – Über das, was nie ganz von uns geht

    XVII – Über Erinnerungen und eine ungewisse Zukunft

    XVIII – Über eine Wiedergeburt aus toter Asche

    XVIV – Über bekannte Gesichter und eine Geschichte, die sich wiederholt

    XX – Über einen ereignisreichen Morgen und die Stunden danach

    XXI – Über ein Fest in der Nacht

    XXII – Über das Leben, den Tod und wie es danach weitergeht

    XXIII – Über Neuigkeiten, alte Missverständnisse und einen gefährlichen Plan

    XXIV – Über ein Zaubermittel und den Gedanken an Veränderung

    XXV – Über den ewigen Schlaf

    XXVI – Über den selbst gewählten Tod

    XXVII – Über zwei Menschen und die Zeit, die vergehen muss

    XXVIII – Über eine Taube und das Leben nach dem Tod

    Dank

    Regina Meißner

    Venturia

    Band 2: Glanz und Bürde

    Fantasy

    Venturia (Band 2): Glanz und Bürde

    Vier Monate sind vergangen … vier Monate, in denen Tia versucht hat, in ein neues Leben zu finden – was ihr einfach nicht gelingen will. Sie musste einen Mann heiraten, den sie nicht liebt. Lebt in einem fremden Schloss, das sie nicht ihr Zuhause nennen kann, und fühlt diesen Schmerz, bei dem es keine Aussicht auf Linderung gibt. Eine unerwartete Begegnung auf dem Dorfmarkt reißt sie allerdings schlagartig aus ihrer Lethargie. Gibt es doch noch Hoffnung für Venturia? Oder ist es nur die unbändige Sehnsucht nach einem guten Ende, die sie nach jedem Strohhalm greifen lässt?

    Die Autorin

    Regina Meißner wurde am 30.03.1993 in einer Kleinstadt in Hessen geboren, in der sie noch heute lebt. Als Autorin für Fantasy und Contemporary hat sie bereits viele Romane veröffentlicht. Weitere Projekte befinden sich in Arbeit.

    Regina Meißner hat Englisch und Deutsch auf Lehramt in Gießen studiert. In ihrer Freizeit liebt sie neben dem Schreiben das Lesen und ihren Dackel Frodo.

    www.sternensand-verlag.ch

    info@sternensand-verlag.ch

    1. Auflage, Mai 2020

    © Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2020

    Umschlaggestaltung: Jaqueline Kropmanns

    Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röllig

    Korrektorat 2: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick

    Satz: Sternensand Verlag GmbH

    ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-127-7

    ISBN (epub): 978-3-03896-128-4

    Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

    Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    Für alle, die in ein Leben gezwungen wurden,

    in dem sie sich nicht zu Hause fühlen:

    Ihr werdet euren Platz finden.

    Und für Levon III.

    I – Über Lügen und Machtansprüche

    Vier Monate später

    Herzogtum Ulindo

    Tiana Anastasia Valeria Serena Minné.

    Mein Name war eine bunte Reise durch unsere Blutlinie und setzte sich aus Tanten, Cousinen und Großmüttern zusammen. Vor allem aber war mein Name eine Lüge. Eine Lüge, mit der ich viele Jahre gelebt hatte und zu der auch jetzt, da alles in Schutt und Asche lag, wieder übergegangen wurde, um meiner Existenz Sinn und Struktur zu verleihen.

    Ich beobachtete das Schneegestöber, das sich vor meinen Augen hinter der Scheibe abzeichnete, sah Abertausende Flocken, die sich um ihre eigene Achse drehten und engelsgleich zu Boden glitten. Irgendwo tief in mir drin gab es noch immer das ungestüme Kind, das nach draußen laufen, einen Schneemann bauen und sich am Zauber des Winters erfreuen wollte. Doch an die Stelle des sorgenfreien Mädchens war eine junge Frau getreten, die an Tagen wie diesen glaubte, das Gewicht der Welt auf ihren Schultern zu tragen.

    Ich wandte mich vom Fenster ab und nahm auf dem weißen Stuhl Platz. Am Tisch vor mir lag eine Stickerei, die mir als Zeitvertreib diente. Und obwohl ich jegliche Art der Handarbeit in Bel Aniz gelernt und beherrscht hatte, konnte ich mich nicht auf das komplizierte Muster und die vielen verschiedenen Farben konzentrieren, sodass meine Stickerei einem heillosen Durcheinander glich. Kurz überlegte ich, dem Ganzen noch eine Chance zu geben, entschied mich aber dagegen.

    Die Tage in Ulindo waren lang, die Nächte oft schlaflos. Ich wusste nicht, worauf ich hinarbeitete, ob ich überhaupt noch ein Ziel hatte oder die Monate an mir vorbeizogen, ohne dass ich in der Lage war, ihnen eine Bedeutung zu verleihen.

    Ein Gähnen kam über meine Lippen. Gelangweilt wanderte mein Blick durch das große Zimmer, das oberflächlich gesehen viele Möglichkeiten bot, sich die Zeit zu vertreiben.

    An der Wand standen Dutzende Bücherregale, in denen mehr Geschichten auf mich warteten, als ich je lesen konnte. Im hinteren Teil des Zimmers war eine Staffelei aufgestellt, mit einer leeren Leinwand bestückt, sodass man sofort mit dem Malen beginnen konnte, wenn man nur wollte. In einer Kiste, die ihren Platz unter dem großen Fenster hatte, fand ich Wolle und Stricknadeln. Außerdem gab es Briefpapier, mehrere Federn und ein Tintenfässchen, um selbst kreativ zu werden.

    Ich wollte etwas tun – irgendetwas. Aber sobald ich mich auf eine Sache zu konzentrieren versuchte, schweiften meine Gedanken ab, krallten sich an verbotenem Terrain fest und ließen sich nicht mehr kontrollieren. Dunkle Augen tauchten in meiner Erinnerung auf. Ein Lächeln, das nur mir galt. Ein Name, der sich auf meine Zunge schleichen wollte: Rabeo. Er hatte mein Herz erobert – und jetzt fand ich es in tausend Teile zersplittert vor. Auch wenn die Ereignisse in Venturia einige Monate her waren, fühlte ich den Schmerz, als wären sie gestern geschehen. Ich sah die verbrannten Häuser, das vernichtete Dorf, hörte die Schreie der Verwundeten … aber vor allem erblickte ich ihn – Rabeo. Wie er vor mir lag, leblos und kalt.

    Weil ich zu frieren begann, stand ich vom Stuhl auf und nahm auf dem runden Teppich Platz, der vor dem Kamin lag, in dem das Feuer flackerte. Ich schlang die Arme um meinen Oberkörper und beobachtete das Flammenspiel, das sich in roten, orangen und gelben Tönen zeigte. Missmutig schob ich die Lippe vor, konnte die dunklen Gedanken, die meinen Kopf wie ein kriegerisches Volk einnahmen, nicht mehr aufhalten und gab mich ihnen hin. Erst als die Tür hinter mir aufgerissen wurde, zuckte ich zusammen und drehte mich um.

    »Herzogin Tiana«, hörte ich die Stimme meiner Gesellschafterin Iskret. »Darf ich mich zu Euch gesellen?«

    Mühsam erhob ich mich von meinem Platz vor dem Feuer und verdeutlichte Iskret durch eine Handbewegung, dass sie eintreten durfte. Wir nahmen an dem Tisch Platz, auf dem die Stickerei lag.

    Iskret trug ein dunkelgrünes Kleid, das sie noch blasser erscheinen ließ, als sie ohnehin schon war. Am Anfang hatte ich mich gefragt, ob sie sich jemals unter freiem Himmel aufhielt. Ihre hellblonden Haare waren im Nacken zu einem Zopf zusammengefasst. Freundlich lächelte sie mich an.

    »Wie geht es Euch?«, wollte sie wissen und machte gute Miene zum bösen Spiel.

    Ich schaute an Iskret vorbei und verlor mich wieder im Flockenmeer vor der Fensterscheibe.

    »Euer Ehemann wird in ein paar Stunden zurückkehren. Das Küchenpersonal ist bereits mit Eurem Abendessen beschäftigt«, fuhr Iskret fort, als ich ihr keine Antwort gab.

    Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sie ihre Hände im Schoß verschränkte und die Schultern anspannte.

    »Zulah wird sich um Eure Garderobe kümmern und Euch frisieren. Ihr müsst von Freude erfüllt sein, Herzog Samél nach so langer Zeit wiederzusehen, nicht wahr?«

    Ja, das müsste ich. Ich hatte Samél aufgrund seiner Regierungsgeschäfte über zwei Wochen nicht mehr getroffen. Nach der Hochzeit hatten wir jeden Tag und jede Nacht miteinander verbracht. Von ihm getrennt zu sein, war fremd für mich, weil ich mich an seine Anwesenheit gewöhnt hatte. Dennoch konnte ich nicht sagen, dass ich ihn vermisste. Ihm gehörte ein Teil meiner Gedanken, ein kleines Arsenal in meinem Kopf, aber niemals mein Herz.

    Ich merkte, wie mich Iskret musterte. Am Tag, als wir uns kennenlernten, hatte sie mir erzählt, wie sehr sie sich freue, endlich wieder ihrer Arbeit als Gesellschafterin nachgehen zu dürfen. Wir waren etwa im gleichen Alter, und von Zeit zu Zeit, als mich mein schlechtes Gewissen plagte, hatte ich mir wirklich Mühe gegeben. Iskret konnte nichts für das, was mir widerfahren war. Nichts lag mir ferner, als ihr die Freude an ihrer Arbeit zu nehmen.

    Jedes Mal, wenn sie mich ansah und sich unbeobachtet wähnte, erkannte ich die Enttäuschung in ihren grüngrauen Augen. Sie hatte sich sicherlich jemanden gewünscht, der gesprächsfreudiger war. Jemanden, der seine Sorgen und Nöte mit ihr teilte und wie eine Freundin für sie war. Ein Teil von mir wollte, dass es gut zwischen uns lief. Man hatte mich in dieses Leben hineingezwungen, wieso gab ich also nicht einfach mein Bestes und nahm es hin? Wieso akzeptierte ich Iskrets Versuche, mich zu beschäftigen, nicht und verbrachte schöne Stunden mit ihr?

    Ich war wütend auf mich, dass ich immer wieder gegen mich selbst verlor. Und während mein Blick aus dem Fenster glitt und sich in der Sanftheit des Winters verfing, hörte ich Iskret seufzen.

    Kommentarlos griff sie nach der Stickerei, verbesserte meine Fehler und legte den Rahmen wieder auf den Tisch. Normalerweise bemühte sie sich länger um eine Konversation, doch wahrscheinlich glaubte sie nicht mehr, dass ich die Mühe wert war. Irgendwann würde ich mich bei ihr entschuldigen.

    Seit dem Tag, der mein Leben für immer verändert hatte, waren vier Monde vergangen. Vier lange Monate, die ich am Rande der Verzweiflung verbracht hatte, in denen ich mich mit Hoffnung herumschlagen musste, weil sie sich einfach nicht töten ließ, und schließlich kapituliert hatte.

    Denn Rabeo kehrte nicht mehr zurück. Niemand von den Venturen tat es. Sie waren tot. Gestorben durch den Befehl meines Vaters.

    Ich schluckte und ballte die Hand zur Faust. In mir wütete ein Sturm, der mit jedem Tag, an dem nichts geschah, wuchs.

    »Iskret«, fing ich an, und meine Gesellschafterin musterte mich überrascht.

    »Eure Hoheit?« Sie setzte sich aufrechter hin und legte den Kopf schief.

    »Warst du schon einmal in einer Situation, die im echten Leben abgeschlossen war, aber deine Gedanken konnten sie nicht loslassen? Und je länger du dich damit beschäftigst, desto verrückter wirst du? Du suchst und suchst nach einer Lösung – auch wenn du dir sicher bist, dass es keine gibt?« Ich rang nach Atem.

    Iskret schaute mich verwundert an. So viel hatte ich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesprochen. Verlegen räusperte ich mich.

    Erst dann schien die Gesellschafterin über meine Worte nachzudenken.

    »Mein Vater ist vor vielen Jahren an einer heimtückischen Krankheit gestorben«, sagte sie schließlich. »Auch als er schon tot war, konnte ich nicht aufhören, nach einem Heilmittel zu suchen. Ich war wie besessen davon, ihn gesund zu machen, dass ich gar nicht gemerkt habe, dass es schon zu spät war.« Kurz lächelte sie mich an, dann blickte sie auf ihre Hände.

    »Wie hast du es geschafft?«, wollte ich wissen. »Wie ist es dir gelungen, loszulassen?«

    »Es war nicht einfach«, gab Iskret zu. »Aber es ging irgendwann nicht mehr anders. Ich musste weitermachen. Ich habe die Stellung am Hof bekommen und konnte mich auf andere Dinge konzentrieren.«

    »Du glaubst also, es ist die Ablenkung, die hilft?« Ich stützte den Kopf auf meine Hände und presste die Lippen aufeinander.

    »Ablenkung auf der einen Seite«, sagte Iskret und nickte. »Und die Gewissheit, dass es vorbei ist. Dass man ohnehin nichts mehr tun kann und die beste Möglichkeit darin besteht, sein Leben weiterzuführen.«

    Ich hob den Blick und sah sie offen an. Um ehrlich zu sein, wusste ich so gut wie nichts über Iskret, ich hatte mich nie mit ihrer Person beschäftigt. Doch die Art und Weise, wie sie die Augen zusammenkniff und den Mund öffnete, um etwas zu sagen, ihn aber gleich wieder schloss, zeigte mir, dass sie mindestens genauso neugierig auf meine Vergangenheit war wie ich jetzt auf ihre.

    »Mit Verlaub«, kam es schließlich doch über ihre Lippen. »Ich habe manchmal im Gefühl, dass Ihr nicht glücklich seid. Dass Ihr etwas mit Euch herumtragt, das Euch nach unten drückt … die ganze Zeit.«

    In meinem Kopf suchte ich nach einer Antwort, gleichzeitig wusste ich nicht, wie viel ich ihr verraten durfte. Iskret rutschte näher an den Tisch heran.

    »Herzog Samél ist ein gut aussehender Mann, der über ein großes Stück Land regiert. Jede andere Frau würde sich glücklich schätzen, an seiner Seite zu sein, aber Ihr …« Bevor Iskret zu Ende sprechen konnte, presste sie sich die Hand vor den Mund, wohl wissend, dass sie gegen jegliche Etikette verstoßen würde, wenn sie ihre Zweifel äußerte.

    Doch ich machte mir nicht mehr viel aus Regeln und Vorgaben, weswegen ich mich über den Tisch beugte und nach Iskrets kalten Händen griff. »Scheu dich nicht, mir die Wahrheit zu sagen. Ich will sie hören.« Ermutigend sah ich meine Gesellschafterin an, aber sie wirkte nicht überzeugt. »Bitte«, fügte ich hinzu, was sie schließlich erweichte.

    »Wenn Herzog Samél Euch anschaut, wirkt er wie der glücklichste Mann auf der Welt. So als hätte er genau die Frau gefunden, nach der er sein Leben lang gesucht hat. Er ist bis über beide Ohren in Euch verliebt.«

    Unter anderen Umständen hätte ich gelächelt, doch gerade machten mich ihre Worte nur traurig.

    »Fahr fort, Iskret«, trug ich ihr auf.

    Meine Gesellschafterin rutschte unsicher auf ihrem Stuhl hin und her. Dann räusperte sie sich. »Während der Herzog Euch liebt, wie ein Mann seine Frau nur lieben kann, sehe ich nicht dieselben Gefühle in Euren Augen.« Für den Bruchteil einer Sekunde senkte sie den Blick, nur um mich dann entschlossener anzusehen. »Wenn Ihr ihn anlächelt, wirkt es immer etwas gekünstelt. Traurig beinahe, so als wolltet Ihr etwas für ihn empfinden, aber es gelingt Euch nicht.« Über ihre eigenen Worte schüttelte sie den Kopf. »Es tut mir leid, Herzogin Tiana«, sagte sie entschuldigend. »Ich weiß nicht, was heute mit mir los ist.«

    Ich nickte unverfänglich. Eins stand fest: Ich würde Iskret nicht sagen, dass sie mit ihren Theorien den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. In der Öffentlichkeit gab ich mir alle Mühe, die glückliche Ehefrau zu mimen, doch sobald ich allein war, brach die Wahrheit über mir zusammen.

    »Ich freue mich darauf, ihn wiederzusehen«, verkündete ich und nickte noch einmal, um mich selbst davon zu überzeugen.

    Es gab tatsächlich unzählige Dinge, die ich an meinem Mann schätzte. Herzog Samél war ein herzensguter Mensch und es hätte mich weitaus schlimmer treffen können.

    Wenn ich an den Ball vor einigen Monaten zurückdachte, überfiel mich jetzt noch eine Gänsehaut. Die Männer, die meine Eltern als geeignet empfunden und eingeladen hatten, kamen in meinen Augen zu einem Großteil einer Beleidigung gleich. Entweder waren sie zu alt, zu jung oder hatten sonderbare Marotten an sich, an die ich mich gar nicht näher erinnern wollte. Samél war die Ausnahme gewesen. Vielleicht nicht der Interessanteste, aber der Anständigste. Der mit dem größten Herzen.

    Ich kam nicht umhin, auch an Rabeo zu denken. Sein breites Grinsen tauchte vor meinem inneren Auge auf. Damals … es schien so lange her. Und doch klangen seine Worte noch immer in mir nach. »Seid Ihr auf der Flucht oder habt Ihr gezielt nach mir gesucht?« Ich hatte ihn nicht gesucht und dennoch gefunden.

    Ehe die Erinnerungen an ihn mein Innerstes erreichten und den alten Schmerz hervorriefen, verscheuchte ich die Gedanken.

    Entschlossen klopfte ich mir den Staub vom Kleid und schob den Stuhl nach hinten. »Ich wäre bereit für meine Garderobe«, gab ich Iskret zu verstehen, die eilig aufstand und mir die Tür nach draußen öffnete.

    Wie ein Schatten lief sie hinter mir her, als ich durch die verschlungenen Korridore des Schlosses irrte. Es hatte mehrere Wochen gedauert, um mich zurechtzufinden. Von außen wirkte der Palast klein und nicht sonderlich geräumig, aber innen erwartete einen ein Labyrinth aus Gängen und Treppen.

    Getrieben lief ich durch den Flur, auch wenn bis zum Abendessen noch genügend Zeit war. Dennoch erschien die Aussicht, dass sich jemand um meine Haare und eine neue Garderobe kümmerte, verlockender als die Alternative, die darin bestand, dass Iskret weiterhin meine Gedanken las und ich diese nicht mehr loswerden konnte.

    Vor dem Ankleidezimmer, das sich im zweiten Stockwerk befand, blieb ich stehen und wartete, bis Iskret mir die Tür geöffnet hatte. Einer von Saméls Dienern ging an uns vorbei, groß gewachsen und in eine Uniform gekleidet, die zu Hause in Bel Aniz nur Edelmänner trugen. Kurz streifte sein Blick Iskret, länger blieb er an mir hängen.

    Würde ich mich je daran gewöhnen? Obwohl ich seit fast vier Monaten hier lebte, wurde ich noch immer gemustert, als wäre ich ein Fremdkörper, der nicht recht nach Ulindo passen wollte. Dabei lag das Herzogtum nicht mehr als einen Tagesritt von Bel Aniz entfernt.

    Das Ankleidezimmer in meinem neuen Zuhause erinnerte mich schmerzhaft an Madame Rochers Nähstube. Doch im Gegensatz zu Madame war die hiesige Schneiderin ein Klappergestell mit rahmenloser Brille und spitzem Kinn. Nicht ein Mal hatte ich sie lächeln gesehen, noch weniger verstand sie Spaß.

    Ich seufzte, als ich ihren drahtigen Rücken vor einer Schneiderpuppe stehen sah.

    »Trohna?«, erklang Iskrets Stimme neben mir. »Herzogin Tiana ist bereit, für das Abendessen eingekleidet zu werden.«

    Die Schneiderin drehte sich um und musterte uns aus ihren Habichtaugen. Ihr Alter konnte ich nur schätzen, ging aber davon aus, dass sie jenseits der fünfzig war. Trohna trug ein umständliches Kostüm, das sich eng an ihre knochige Gestalt schmiegte und sie optisch in die Höhe reckte.

    Mit einer Handbewegung bedeutete sie mir, einzutreten. Iskret neben mir räusperte sich, woraufhin ich sie entließ. Ich hörte, wie die Tür hinter mir zufiel.

    Ich nahm auf dem Stuhl Platz, den die Hofschneiderin mir zurechtgerückt hatte. Kommentarlos ging sie zu einem der großen Kleiderschränke und förderte ein dunkelgrünes Gewand zutage, das am Oberteil mit schwarzem Stoff verziert und an der Hüfte gerafft war. Die Mode aus Ulindo glich der aus Bel Aniz – immerhin eine Sache, an die ich mich nicht erst gewöhnen musste.

    »Ich habe dieses Kleid für das Abendessen ausgesucht«, sagte die Schneiderin mit einer Stimme, die mich an raues Papier denken ließ.

    Ich musterte das Kleid kurz, nickte und stand auf. Umständlich ließ ich mir von ihr aus der Robe helfen. Vor einem der großen Spiegel, dessen Rahmen mit Stuck verziert war, schlüpfte ich in das dunkelgrüne Gewand, das mit meinen schwarzen Haaren harmonierte.

    Ich hatte gelernt, dass Trohna zufrieden war, wenn sie keinen Kommentar von sich gab, denn Lob verließ ihre Lippen nicht.

    Als ich wieder saß, sprühte sie mich mit dem Parfüm ein, das ich über die Monate zu hassen gelernt hatte, weil es süßlich roch und mich an die billigen Wässerchen erinnerte, die meine Tante immer aufgetragen hatte.

    Mit geschickten Handbewegungen puderte sie mein Gesicht und bürstete mein Haar. In Ulindo waren die Frisuren streng und hochgesteckt.

    Ich biss mir auf die Lippen, weil Trohna meinen Kopf unsanft hin und her riss, während sie die Knoten aus meinem Haar löste. Routinemäßig drehte sie die einzelnen Strähnen am Nacken ein und türmte sie auf meinem Kopf auf, wo sie mit Bändern und Spangen zusammengefasst wurden.

    »Ihr seid fertig, Herzogin«, sagte die Schneiderin schließlich und gab mir Zeit, mich im Spiegel zu mustern.

    Die neue Tiana glich der alten. Ich war von einem Hof an den anderen gekommen und musste mich nicht erst an die Etikette gewöhnen. Wenn man mich ansah, die junge Frau mit dem rabenschwarzen Haar und den dunkelblauen Augen, könnte man meinen, dass es die Zeit in Venturia nie gegeben hätte.

    Entschlossen straffte ich die Schultern und bedankte mich bei Trohna, die dabei war, das Kleid, das ich vorher getragen hatte, in einem Korb zu verstauen.

    Ich wartete einige Sekunden auf ihre Antwort, stellte aber schnell fest, dass ich keine erhalten würde. Also stand ich auf und verließ das Schneiderzimmer schweigend.

    Erst als ich die Tür hinter mir zugezogen hatte, konnte ich aufatmen.

    II – Über ein Wiedersehen bei Kerzenschein

    Die lange Tafel, an der ich Platz genommen hatte, war üppig mit den erlesensten Kostbarkeiten gedeckt, die deutlich mehr als zwei Menschen sättigen könnten. Dennoch war sie nur für mich und Samél hergerichtet. Ich wartete bereits eine halbe Stunde auf ihn und blickte abwechselnd auf meine Hände hinab, die ich im Schoß verschränkt hatte, und auf den Silberteller, der noch leer vor mir stand. Rund um die Tafel hatten sich Diener aufgestellt, die ebenfalls auf Saméls Rückkehr warteten.

    Es war Sitte und Tradition, dass sie auch bei den Mahlzeiten anwesend waren, doch glücklicherweise hatte sich Samél schon an unserem ersten gemeinsamen Abend dagegen gewehrt, weswegen ich den Moment, in dem sie endlich verschwanden und mich in Ruhe ließen, kaum abwarten konnte.

    Sanfter Kerzenschein erhellte den Raum. Draußen war die Dunkelheit bereits eingekehrt, der Schneefall tobte jedoch noch immer. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie die Tür aufgerissen wurde. Nefeto, einer der Diener, die im Rang höhergestellt waren, schob sich in den Raum, doch der Mann mit dem schulterlangen blonden Haar und den dunkelbraunen Augen ließ ihn nicht seine Arbeit erledigen, sondern quetschte sich an ihm vorbei und lief geradewegs auf mich zu.

    Auf Saméls ebenmäßigem Gesicht lag ein Strahlen. Jedes Mal, wenn ich merkte, wie sehr er mich liebte, wurde der Kloß in meiner Kehle größer.

    »Endlich!«, flüsterte er, als er mich erreicht hatte und vor mir auf die Knie sank. Er griff nach meinen Händen und hauchte einen Kuss darauf. »Mir kommt es vor, als hätte ich dich ein ganzes Leben lang nicht mehr gesehen.« Ergriffenheit hatte sich auf seinem Gesicht ausgebreitet, die auch mich nicht kaltließ.

    Und auch wenn meine Liebe nicht ihm galt, hatte ich ihn in den letzten Monaten doch sehr in mein Herz geschlossen. Ich brachte ein aufrichtiges Lächeln zustande.

    »Lasst mich und meine Frau jetzt allein«, schallte Saméls Stimme durch den Raum. Ungeduldig sah er die Bediensteten an, die sich eilig entfernten.

    Wir würden sie heute nicht mehr brauchen, höchstens dann, wenn das Essen vorbei war und sie das Geschirr in die Küche räumen mussten.

    Als der Letzte von ihnen den Salon verlassen und die Tür hinter sich zugezogen hatte, stand Samél auf und zog mich vom Stuhl hoch. Wenn er lächelte, entstanden Grübchen um seine Mundwinkel, die ihm etwas Jugendliches verliehen. Es lag ein Strahlen in seinen Bernsteinaugen, das mich gleichzeitig fröhlich und traurig stimmte.

    Samél strich mir über die Wange und trat näher auf mich zu. Ich versank in seiner Umarmung, die so viel mehr zum Ausdruck brachte als die amourösen Empfindungen, die er für mich hegte. Da waren Sicherheit, Wärme und das Gefühl, zu Hause zu sein.

    Ja, auch ich freute mich, ihn wiederzusehen. Nur auf eine andere Art und Weise.

    Ich schloss die Augen, als er seine Lippen auf meine presste. Ich kämpfte gegen die Tränen an, die wie selbstverständlich über meine Wangen liefen. Vielleicht lag es daran, dass ich ihn nicht verletzen wollte. Vielleicht war es aber auch die Tatsache, dass mich jede seiner Berührungen so sehr an Rabeo erinnerte, dass ich fast daran zerging.

    Mühsam blinzelte ich die Tränen weg und öffnete meine Augen. »Es ist schön, dass du wieder hier bist.«

    »Wie lang einem doch sechzehn Tage vorkommen können«, stimmte er mir zu und strich mir die Tränen von den Wangen, während er lächelte. Anscheinend nahm er an, dass ich aus Freude geweint hatte. »Ich bin jeden Abend mit dem Gedanken an dich eingeschlafen.« Samél griff nach meinen Fingern, umschloss sie fest in seiner Hand. Dann schaute er mir tief in die Augen.

    Nach einer Weile, in der wir uns schweigend angesehen hatten, nahm der Herzog auf dem Stuhl mir gegenüber Platz und goss uns Rotwein in die silbernen Kelche. Seine Bewegungen, Berührungen und Blicke waren zu meinem Alltag geworden und ein großer Teil von mir hatte sich so an ihn gewöhnt, dass ich ihn sehr mochte. Aber das machte die Dunkelheit und den Weg, wie wir zueinandergefunden hatten, nicht ungeschehen.

    Gedankenverloren nippte ich an meinem Wein und nahm den ersten Löffel der Lauchsuppe, die dampfend vor mir stand.

    Ich hatte meinen Ehemann vor nicht allzu langer Zeit auf dem ersten und einzigen Ball getroffen, den meine Eltern in Bel Aniz veranstaltet hatten. Sie wollten diese Festivitäten nutzen, um mich an den Mann zu bringen, was letztlich auch funktioniert hatte, wenn auch ganz anders als zunächst geplant.

    Samél war mir neben fünf anderen Männern vorgestellt worden und der Abend zu kurz gewesen, um ihn näher kennenzulernen und mir ein detaillierteres Bild von ihm zu machen. Aber er war – im Gegensatz zu den meisten der anderen Heiratskandidaten – eine gute Wahl. Trotzdem hatte ich an diesem Abend nicht mit dem Gedanken gespielt, ihn zu heiraten, was letztlich auch nicht aus freien Stücken geschehen war.

    Ich schluckte schwer, als ich in meiner Suppe rührte. Über den Tisch hinweg musterte mich Samél besorgt.

    »Ist in der Zeit, in der ich weg gewesen bin, etwas vorgefallen?«, fragte er mich hellhörig.

    Schnell schüttelte ich den Kopf. »Es ist alles in Ordnung«, beteuerte ich, und nicht zum ersten Mal wünschte ich mir, alles mit ihm teilen zu können.

    Das menschliche Herz war nicht in der Lage, unendlich viel Gewicht zu tragen, und ich wusste nicht, wie lange ich noch durchhalten würde. Was hätte ich für einen Vertrauten gegeben, für jemanden, bei dem ich vollkommen offen sein durfte!

    Ich ließ die Schultern hängen.

    »Schmeckt dir die Suppe nicht?«, riet Samél. »Wenn du möchtest, rufe ich nach Ditram, damit er sie nachsalzt und …«

    Ich hob die Hand. »Das Essen ist wunderbar«, stellte ich klar. »Ohnehin komme ich mir durch die ganzen Speisen schon richtig verwöhnt vor.« Ich lachte gekünstelt, aber Saméls besorgter Blick blieb bestehen.

    Er war nicht dumm – und manchmal, wenn ich in seine Augen schaute, hatte ich das Gefühl, dass er etwas in mir sah, das ich ihm nicht zeigen wollte. Dabei kannte der Herzog nur die offizielle Version meiner Geschichte. Jene, die mein Vater mir eingebläut und auch an die Öffentlichkeit getragen hatte. Laut ihm hätte ich nach dem ersten Ball Zeit gebraucht, um mich zu sammeln und meine Entscheidung zu treffen. Meine Entführung am Abend sei nur eine Farce der Hofnarren gewesen, die sich einen Spaß erlauben und die Gäste unterhalten wollten. Als ich wieder in Bel Aniz war, hätte ich mir sofort Gedanken über die Heiratskandidaten gemacht und mich gegen weitere Tanzveranstaltungen entschieden, weil ich mein Herz längst an Herzogsohn Samél aus Ulindo verloren hätte.

    Glücklich gab mein Vater meinen Entschluss an das Volk und meinen zukünftigen Gemahl weiter, weil ich mich nicht dazu in der Lage sah und mich mit dem letzten bisschen Stolz, das mir geblieben war, dagegen sträubte.

    Einen Tag später zog ich nach Ulindo, ebenso abrupt fand die Hochzeit statt. Samél freute sich über meine vermeintliche Entscheidung, wenngleich er sich auch überrascht über die Dringlichkeit zeigte, mit der der Bund der Ehe geschlossen werden musste.

    An einem Tag im Frühherbst heiratete ich einen Fremden. Samél gab mir das Versprechen, für immer an meiner Seite zu sein, und meine Lippen versiegelten den Schwur.

    Wenn ich auf meine Hochzeit zurückblickte, breitete sich Leere in meinem Kopf aus. Ich hatte die Prozession nur halb mitbekommen, war überfordert und hilflos gewesen. Man verlangte von mir, eine Rolle zu spielen, die ich nicht erfüllen konnte und die sich wie ein zu enges Korsett um meinen Körper schnürte.

    Wenn ich an die Trauung zurückdachte, erinnerte ich mich an den penetranten Geruch von Rosen, den ich auch Tage danach noch in der Nase hatte. Ich dachte an Saméls beigefarbenen Anzug, der perfekt mit seinem vollen blonden Haar

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