Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Tödlicher Bestseller
Tödlicher Bestseller
Tödlicher Bestseller
eBook254 Seiten3 Stunden

Tödlicher Bestseller

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Eine brotlose Autorin wird von ihrem eigenen Buch so gefesselt, dass sie es um jeden Preis zu einem Bestseller machen möchte. Dazu bedarf es einiger sehr ungewöhnlicher Recherchen, denn sie glaubt, dass sie nur wirklich Erlebtes schreiben kann. Begleitet wird sie dabei ungewollt von einem schizophrenen Verleger, einer egoistischen Psychologin und manch anderen eigenartigen Personen. Wie weit geht sie? Ist sie als Thrillerautorin auch bereit zu töten? Nur um das Buch in die Charts zu bringen. Oder schafft es einer ihren Weg aufzuhalten. Dies ist bereits der dritte gemeinsame Thriller der Co-Autorinnen Pfolz-Grüneweg und Spannung ist auf jeden Fall garantiert.
SpracheDeutsch
HerausgeberKarina Verlag
Erscheinungsdatum12. März 2017
ISBN9783961647316
Tödlicher Bestseller

Mehr von Karin Pfolz lesen

Ähnlich wie Tödlicher Bestseller

Ähnliche E-Books

Darstellende Künste für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Tödlicher Bestseller

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Tödlicher Bestseller - Karin Pfolz

    123

    1. Christine

    »Das glaub ich einfach nicht! Es hat wirklich funktioniert!«

    Mein Mund verzieht sich zu einem diabolischen Grinsen, als ich die Bildschirmansicht meines PCs vergrößere. Es stimmt. Tatsächlich.

    Doch lange kann ich mich an dem Anblick nicht erfreuen, denn das Klingeln des Telefons reißt mich aus meinen Gedanken. Gleichzeitig piepst eine SMS und eine Mail nach der anderen rauscht herein.

    »Gratuliere!«

    »Wie wunderbar!«

    »Ein Traum geht für dich in Erfüllung!«

    »Gehen wir feiern?!

    »Nun bist du reich!« ...

    Klar, natürlich, kaum scheint mein neues Buch auf Platzierung eins im Bestsellerranking auf, schon sind sie alle da, die Blutsauger. Vor einem Jahr, da waren sie sich zu schade, meinen Gruß zu erwidern. Wollten mit der armen Schreiberin nichts zu tun haben. Aber jetzt, da wittern sie das Geld, krabbeln aus ihren Löchern. Zwar sitze ich hier in meinem Haus vollkommen alleine, trotzdem kann ich regelrecht sehen, wie ihre gierigen Hände aus dem PC und dem Handy herauskommen und sich mir entgegenstrecken. Interessant nur, wie die alle herausgefunden haben, wer hinter dem Pseudonym steckt.

    Bereits nach zehn Minuten Durchsehen der Nachrichten bin ich so erschöpft, dass ich mir einen Kaffee zubereite und mich einfach auf den Diwan sinken lasse. Doch das Gepiepse und Klingeln der Geräte macht mich wahnsinnig, also stehe ich noch einmal auf und drehe die Töne alle ab. Genug ist genug.

    Mit beiden Händen halte ich die Tasse mit der warmen Flüssigkeit. Meinen Kopf lehne ich nach hinten und schließe die Augen. Es beginnt eine Reise in die Vergangenheit. Ich gehe in der Zeit zurück, bis zum Beginn des Schreibens an meinem heutigen Bestseller.

    Ein Jahr zuvor

    Das Untermietzimmer ist so schmuddelig und winzig, dass ich in diesem Raum nur atmen kann, wenn ich schreibe und mit voller Konzentration in den Text auf meinem Laptop abdrifte. Als Alternative bleiben mir nur Alkohol oder Drogen, aber beides benebelt die Sinne. Damit fällt es für mich aus, denn ich liebe es, wenn ich bei klarem Verstand bin.

    Mein Leben ist so fad, so öde, also schreibe ich an einem Thriller. Ein Spiel der Worte, Raffinessen der Spannung, die immer hoch bleiben muss. Der Leser soll es nicht schaffen, dieses Buch aus der Hand zu legen. Soll, so wie ich selbst beim Schreiben, oftmals in die Irre geführt werden, soll nicht ahnen können, was als Nächstes passiert. Wie immer arbeite ich ohne Konzept, ohne Notizen. Personen erfinde ich im Augenblick, um sie im nächsten wieder ins Nirwana der Worte verschwinden zu lassen. Orte entstehen oder versinken, je nach meiner eigenen Laune. Es ist etwas Wunderbares, wenn aus Phantasie eine Geschichte entsteht.

    Es ist nicht mein erstes Buch; ich bin praktisch schon Profi im Schreiben. Was meiner Geldbörse allerdings bisher nicht viel einbrachte und mir nur dieses schäbige Zimmer als Unterkunft ermöglichte. Aber diesmal ... ich spüre es bei jedem Wort. Diesmal wird es ein Bestseller. Bald ist es soweit, dass ich die ersten dreißig Seiten habe, dann kann ich beginnen, es Verlagen anzubieten. Eine Liste mit den wichtigsten habe ich bereits zusammengestellt. Sogar die Kuverts für den Versand und die Begleitschreiben sind vorbereitet.

    Kurz gleitet mein Blick durch das Zimmer. Die vergilbten Tapeten kleben nur noch in Fetzen an der Wand, als Beleuchtung hängt eine einzelne Glühbirne schief von der Decke. Das einzige Fenster ist mit einem schmutzigen Karton zugeklebt, den ich laut Vermieter nicht entfernen darf. Als Bett dient eine Klappmatratze, die auch schon sauberere Zeiten hinter sich hat. Die Eingangstüre zu meinem Reich ist vollkommen schwarz und verkohlt, da es hier einmal brannte, die Türe aber nie renoviert wurde. Alles in allem ein recht schmuckes Zuhause.

    Die Hauptfigur in meinem Manuskript entgeht nur knapp dem Sturz von einer Klippe und muss sich gegen zwei vermummte Angreifer zur Wehr setzen. Natürlich schafft sie das und mit einer kleinen Hinauszögerung des Kampfes gelingt es mir, dass ich auf das Ende der Seite dreißig komme. Die erste Hürde ist genommen. Noch ein weiteres Mal lese ich Zeile für Zeile durch, prüfe die Formatierung und fahnde nach Tippfehlern. Schon kann ich den Drucker starten und das leise surrende Geräusch seiner Arbeit lässt mich lächeln. Endlich beginnt mein Weg. Der Weg einer hochgeachteten, bestens bezahlten und grandiosen Bestsellerautorin.

    2. Der Beobachter

    Der Sommer geht und der Herbst naht mit kleinen Schritten.

    Ich liebe diese Nächte, sie sind einzigartig. Wenn die Sonne untergeht, spürst du, wie ein warmes Lüftchen weht, zart streichelt es dich, gibt dir Raum zum Atmen. Keine schwüle Hitze, die einem den Schweiß den Rücken herunterrinnen, aber auch keine Kälte, die dich frieren lässt. Es ist wunderbar hier in der Dunkelheit auf dieser Bank. Perfekt um der Beobachter, der Späher zu sein. Alleine, nur die Sterne sehen mir zu, wie ich an diesen Platz verweile.

    Der Tag fordert alles an Geduld von mir, das Licht und seine Helligkeit zu ertragen. Dabei wandern, egal was ich tue, meine Gedanken immer wieder zurück zu diesem Platz. Die Unruhe, wenn langsam die Dämmerung einsetzt, ist für mich kaum zu ertragen. Doch dann umhüllt mich der Mantel der Finsternis, und ich spüre ein Glücksgefühl, denn nun ist es so weit. Die Nacht und ich werden eins. Ich, als ihr Geschöpf, gehe, um meinen Auftrag zu erfüllen.

    Jetzt ist der Moment gekommen, dass ich endlich zu ihr darf.

    Seit Stunden sitze ich hier, schaue nach oben zu dem erleuchteten Fenster im zweiten Stock. Sehe die Frau, wie sie geschäftig hin- und herläuft. Manchmal bleibt sie stehen und schaut aus dem Fenster. Dabei erkenne ich, dass sie telefoniert und unablässig zu reden scheint. Ein Lächeln liegt auf ihrem Gesicht und sie sieht zufrieden aus. Auch ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. Gleichzeitig schüttle ich leicht meinen Kopf. Wie naiv doch manche Menschen sind, sie genau wie all die anderen! Die Vorhänge geöffnet, geben sie jedes Detail ihrer kleinen, privaten Welt kund. Auf den Gedanken, dass dort unten jemand sein könnte, der genau diese kennenlernen möchte, um sie für sich zu nutzen, kommen sie nicht.

    Natürlich gibt dies auch ihr die uneingeschränkte Sicht, den Blick frei auf das Geschehen auf der Straße. Aber selbst wenn sie sich anstrengte, sie könnte mich nicht entdecken. Die Straßenlampe neben mir ist schon seit ewigen Zeiten kaputt. Irgendjemand hat das Glas und die Glühbirne zerstört. In dieser Gegend macht sich niemand die Mühe, sie zu reparieren. Die nächste Lichtquelle ist weit genug entfernt, um nicht einmal einen Schimmer von Helligkeit auf mich zu werfen.

    »City of Angels« – laut dröhnt die Musik von 30 Seconds to Mars in meinen Ohren. Ich brauche das, um zu vermeiden, von all den Geräuschen, die mich umgeben, abgelenkt zu werden. Ich kenne die Bedeutsamkeit, dass jedes Detail, das meine Augen entdecken, im Verstand gespeichert werden muss. Nur mit vollster Konzentration ist dies möglich. Störende Autogeräusche oder auch nur ein zu laut gestellter Fernseher lenken mich ab. Die Wellen der Musik hingegen untermalen das, was ich sehe.

    Wenn es dort oben nichts zu entdecken gibt, lass ich meine Gedanken schweifen, sehe anderen Menschen in ihren Wohnungen zu, wie sie vor den Fernsehern sitzen. Ich denke darüber nach, was es wohl sein könnte, das heute ihrer Unterhaltung dient. Eine Serie wie »Criminal Minds« oder auch ein spannender Thriller? Immer wieder faszinierend für mich diese Treuherzigkeit derer, die sich Morde und die damit verbundenen Opfer und Täter anschauen. Sie sind gefangen in dem, was dort über den Bildschirm flimmert, aber sobald sie den An- und Ausknopf drücken, ist das, was sie gesehen haben, aus ihren Köpfen verschwunden. Sie gehen ihren normalen Leben nach und kämen nie auf die Idee, vielleicht selbst eines Tages zum Opfer zu werden.

    Egal ob sie in der Dunkelheit alleine durch die Straßen radeln und jedem ohne Bedenken ihre Haustür öffnen. Sie ahnen nicht, dass der nette Handwerker, Postbote oder auch der nervige Nachbar, der sein könnte, der ihrem Leben ein Ende setzen will. Sie fühlen sich in Sicherheit, bis ihnen jemand, wie ich es bin, begegnet und die Erkenntnis, dass die Welt nicht nur aus guten Menschen besteht, für sie zu spät kommt. Auch ich liebe gute Thriller –Bücher, Filme oder Fernsehserien. Sie bleiben jedoch in meinem Kopf verankert. Für mich sind sie das beste Lehrmaterial, um Fehler zu vermeiden, die meinem Unterfangen ein Ende bereiten würden.

    Beinahe hätte ich das Pärchen, das einige Schritte von mir entfernt auf dem Bürgersteig läuft, nicht bemerkt. Arm in Arm gehen sie dicht aneinander geschmiegt und halten immer wieder an, um sich zu küssen. Ein schöner Anblick, glücklich verliebte Menschen, selbst für mich. Allerdings habe ich nicht die Zeit, ihn zu genießen.

    Mechanisch ziehe ich mir die Kapuze meines schwarzen Pullovers tiefer ins Gesicht. Auch wenn heute Nacht nichts passiert, ist es immer besser, dafür zu sorgen, dass niemand dein Gesicht sieht. Die Gefahr, dass er sich zu einem späteren Zeitpunkt daran erinnert, ist zu groß. Ich verstehe mein Handwerk und weiß, was ich zu tun habe, um Problemen aus dem Weg zu gehen. Bei meinem sagen wir mal, etwas ausgefallenem Hobby lernt man dies sehr schnell. Tarnung ist davon eines der wichtigsten Details, darum auch der schwarze Kapuzenpulli. Schwarz ist eine unauffällige Farbe, nicht so grell wie Gelb oder hell wie Weiß. Mit ihr verschwindest du am Tage in der Masse der Menschen, da fast jeder so etwas trägt. Und des Nachts verschmilzt du mit der Dunkelheit. Die Vorzüge der Kapuze habe ich ja bereits erläutert.

    Das Pärchen zieht herumalbernd an mir vorbei und würdigt mich keines Blickes. Es ist wie immer, ich bin für sie nur ein langweiliger Schatten, den sie, sobald sie mich gesehen haben, sofort wieder vergessen. Genau so, wie ich es möchte.

    Kurze Stille, dann beginnt das nächste Musikstück auf meiner Playlist: »Die Wölfe sind los« von Casper. Ich liebe dieses Lied, denn es spornt mich an. Genau das bin ich, ein Wolf und ich will Blut sehen. Jedoch ein einsamer. Ein Rudel wäre nur hinderlich. Doch manchmal wünsche ich mir, es wäre anders. Eine Partnerin an meiner Seite, ähnlich wie Bonnie und Clyde, gemeinsam gegen die Langeweile kämpfen. Bisher ein Traum, so absurd und unrealistisch, dass ich kaum darauf zu hoffen wagte. Aber dann traf ich sie.

    Immer noch geht die Person meines Begehrens in ihrer Wohnung auf und ab. Es muss etwas wirklich Aufregendes in ihrem Leben passiert sein, denn sie fuchtelt häufig mit einer Hand in der Luft herum. Ich freue mich für sie, denn Aufregung ist ein gutes Gefühl – Langeweile kann tödlich sein. Zwar nicht für mich, aber für andere, wenn sie mich überkommt. Die Frau dort hinter dem Fenster nahm mir sehr oft in den letzten Monaten meine Langeweile und ersetzte sie durch Spannung.

    Bei unserem ersten Kontakt hätte ich niemals vermutet, dass so eine Person, nichtssagend und blass, dazu fähig wäre. Allerdings je öfter sie meine Wege kreuzte, umso mehr bemerkte ich ihre Veränderung. Waren ihre Schritte am Anfang auf dem Pflaster der Straße stolpernd und die Schultern vornüber gebeugt, läuft sie jetzt wie eine Königin. Aufrecht und stark, so als gehörte die Welt ihr allein.

    Genau diese Frau knipst dort oben gerade das Licht in ihrer Wohnung aus.

    Zu früh zum Schlafengehen, also rechne ich damit, dass sie noch fortgeht. Und richtig, nur Minuten später öffnet sich die Haustür und Christine tritt aus ihrer Wohnung. Nebenbei erwähnt – von der ich übrigens der Eigentümer bin. Ich kenne jedes Zimmer, jede Ecke und jedes Detail ihrer Einrichtung. Natürlich, denn ich bin ja der Besitzer. Aber alles, was meine Angebetete in den Räumen verändert hat, kenne ich ebenso. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, sie zu betreten, wenn Christine nicht da war. Und manchmal, wenn sie schlief, besuchte ich sie auch.

    Eilig läuft Christine die Straße runter, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ich stehe auf, recke meine Glieder, um meinen Rücken zu dehnen. Allmählich merke ich doch, dass die Zeit an mir nagt. Mein bisheriges Leben hatte zu viele anstrengende Phasen.

    Aber jetzt ist nicht der richtige Moment für Selbstmitleid.

    Ich beeile mich, aufzubrechen, um ihr zu folgen.

    Die Nacht der Entscheidung ist gekommen. Es gibt keinen Aufschub mehr. Ich muss Christine gegenübertreten, um die Richtige zu treffen. Doch bis dahin würden noch viele Stunden vergehen, das weiß ich bereits jetzt.

    In allem, was sie tut, lässt sie sich Zeit. Ich rechne auch heute Nacht damit, dass es wieder so sein wird. Stunden, in denen ich die Chance habe, Erinnerungen an unsere gemeinsame Vergangenheit zum allerletzten Mal in meinen Verstand Revue passieren zu lassen. Alles noch einmal zu erleben, bevor das Ende da ist.

    3. Christine

    Immer wieder ist es für mich aufregend, wenn ich die Blätter eines neuen Manuskriptes an Verlage sende. Die Chancen, dass mein Buch angenommen wird, stehen bei weniger als fünf Prozent. Dazu kommt noch, dass es Monate dauert, bis eine Antwort eintrifft. Wenn ich überhaupt eine bekomme. Denn es ist inzwischen üblich, dass viele Verlage nicht mehr antworten. Außer man legt ein frankiertes und beschriftetes Rückkuvert bei, dann senden sie zumindest das Manuskript wieder zurück. Nun, auch das ist ein Zeichen der Ablehnung, wenn sich meine Einreichung nach vielen Wochen wieder im Briefkasten findet. Trotzdem kann ich nicht anders, als weiter zu schreiben. Es ist einfach mein Weg und den muss ich gehen. Ich glaube an das, was ich schreibe. Meine Gedanken, Gefühle, Phantasien –verpackt in Zeilen, die noch mit der einen oder anderen Wahrheit verbunden sind.

    Meine bisherigen Veröffentlichungen musste ich selbst finanzieren und eingespielt haben sie mir die Kosten bisher nicht. Diesmal muss es einfach klappen, dass ich einen ordentlichen Verlagsvertrag bekomme, denn ein weiteres Buch kann ich mir nicht mehr leisten. Meine gesamten Rücklagen sind aufgebraucht, mein Konto überzogen, die Kreditkarte gesperrt und mit der Miete bin ich seit drei Monaten im Rückstand.

    Mein alter Drucker hat es geschafft. Ein ganzer Stapel bedrucktes Papier liegt am Boden verstreut, da das Gerät kein Ablagerungsfach mehr besitzt. So spuckt er nach einem endlos erscheinenden Druckvorgang die Blätter einfach in hohem Bogen aus dem Ausgabeschlitz ins Nirwana meines Zimmerbodens. Ich sammle die Seiten ein und sortiere sie. Endlich kann ich die Briefumschläge fertig befüllen. So oft habe ich diese Tätigkeit in meinem Leben schon gemacht, aber diesmal fühlt es sich anders an. Wie der Beginn von etwas Neuem, etwas sehr Unbekanntem. Jetzt liegen sie vor mir, die fertigen Briefe und warten darauf, dass ich sie auf die Reise schicke. Unmöglich, dass ich bis zum nächsten Tag warte. Zwar ist der Weg zum Postamt ziemlich weit und mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erreichbar, doch das ist mir egal. Mit einer Hand packe ich die Briefe, mit der anderen die Wohnungsschlüssel und meine Tasche und mache mich auf den Weg.

    Der kalte Wind lässt mich augenblicklich erschauern, sobald ich die Türe zur Straße öffne. Natürlich vergaß ich in meiner Aufregung, eine Jacke mitzunehmen. Es war schon spät und zurückzugehen, um das Teil zu holen, würde vielleicht bedeuten, dass das Postamt schließt, bevor ich es erreiche. Also durchhalten, so bin ich wenigstes gezwungen, rasch zu gehen. Immerhin bringt mir das nicht nur den Vorteil der schnelleren Geschwindigkeit, sondern auch eine höhere Körperwärme.

    An anderen Tagen wähle ich den etwas längeren Weg, den, der rund um den kleinen Wald führt, der sich zwischen der Fußgängerzone und meiner Wohnung befindet. Aber heute muss ich auch auf die helle Erleuchtung verzichten, denn die Zeit und die Kälte drängen mich. Trotz der bereits völligen Dunkelheit wird wohl das schwache Licht meines Mobiltelefons ausreichen müssen. Der Weg, der durch diesen Wald führt, ist nicht asphaltiert, sondern nur ein natürlich entstandener Pfad. Dies macht das Gehen im Finstern nicht gerade einfach. Allerlei Gestrüpp wächst von allen Seiten in den Weg und kratzt an meinen Beinen. Jeder meiner Schritte muss gut überlegt sein, denn zu den Unebenheiten kommen noch die Wurzeln der Bäume, die ihre Ausläufer über diesen Pfad legen. Bereits nach der ersten Biegung bereue ich meine Entscheidung, diese Abkürzung zu nehmen. Immer weniger Licht dringt zu mir durch, so kann ich nicht rasch vorwärtsgehen, sondern muss den Weg ertasten. Wenigstens ist der Wind hier etwas abgeschwächt, sodass ich nicht so friere.

    »Verdammte Scheiße!« Ich stolpere über einen Ast, die Briefumschläge rutschen mir aus der Hand und ich lande bäuchlings auf der Erde. Mühsam und fluchend rapple ich mich wieder auf. Zwei der Umschläge landeten in einer Wasserpfütze, die anderen sind in das Gebüsch neben dem Weg gesegelt. Jetzt muss ich das Ganze auch noch aufsammeln. Das Handy hat den Sturz nicht wirklich überlebt. Zwar funktioniert die Taschenlampenfunktion noch, aber das Display ist vollständig zerbrochen. Meine Knie schmerzen vom Aufprall, die Handflächen sind aufgeschürft. Damit ich die Umschläge aus dem Gestrüpp holen kann, brauche ich beide Hände; so halte ich meine Lichtquelle mit den Zähnen. Mit einer Hand drücke ich die Äste zur Seite, mit der anderen versuche ich, meinen Schatz zu bergen. Doch irgendwo harkt es fest, ich bekomme es nicht frei. Anziehen möchte ich nicht, da es sonst zerreißen könnte. Also muss ich runter, auf meine schmerzenden Knie. Inzwischen ist mir sowieso alles egal, denn das Postamt erreiche ich kaum mehr, bevor es schließt.

    Wo das nur festhängt? Der Akku lässt auch schon nach, so ist das Licht nur noch ein schwacher Schimmer. Etwas Schweres liegt auf dem verklemmten Eck. Ich taste danach und will es wegschieben. Es ist länglich und rund. Zuerst denke ich, dass es sich um ein Stück eines Baumstammes handelt, doch das Material fühlt sich weicher an – und kalt. Meine Augen gewöhnen sich an die Dunkelheit. Jetzt kann ich es erkennen. Es ist ein Bein. Ein weibliches Bein, das in einem Stöckelschuh steckt.

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1