Kleine Mutmachgeschichten
Von Heidi Dahlsen, Christine Erdic, Britta Kummer und Karin Pfolz
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Buchvorschau
Kleine Mutmachgeschichten - Heidi Dahlsen
Pfolz
Nicki
Christine Erdiç
Es ist ein wunderschöner Sommertag. In dem kleinen Kobolddorf dort im hohen Norden Norwegens, wo die Wälder so tief sind, dass kaum ein Mensch je einen Fuß hineinsetzt, ist das Leben schon lange erwacht. Auf der Lichtung mit den niedlichen erdbraunen eierförmigen Häuschen tummeln sich Kobolde jeder Altersgruppe und die Luft ist erfüllt von Gekicher, Geschwätz und melodischem Gesang.
Nepomuck läuft hinter einem Ball her und schießt ihn mit voller Wucht ins Tor. Alles brüllt und applaudiert. Der kleine Kobold mit dem hochstehenden schwarzen Haar ist in seinem Element und so merkt er erst ziemlich spät, dass sich etwas Besonderes im Dorf tut. In das bisher leerstehende Haus am Waldrand zieht eine Familie ein. Ist das aufregend! So etwas kommt schließlich nicht alle Tage vor. Nepomuck ist drauf und dran, das Spiel Spiel sein zu lassen, so groß ist die Neugier des pfiffigen Kobolds. Doch er muss sich gedulden. Zwischendurch schielt er immer wieder zum Haus hinüber und versucht herauszubekommen, wie viele Kinder die neue Familie hat. Vier springen munter umher, ein fünftes Kind wird getragen. Es scheint schon recht groß zu sein und Nepomuck fragt sich, ob es krank ist. Endlich ist das Spiel vorbei und inzwischen sind auch andere Dorfbewohner aufmerksam geworden und treten neugierig näher.
Doch die neue Familie ist bereits in ihrer Behausung verschwunden. Enttäuscht schauen die Fußballspieler einander an. Nach geraumer Zeit kommen endlich zwei kleine Jungen und zwei etwas größere Mädchen auf den Platz gestürmt.
„Hallo, ich bin Tamara. „Nadine.
„Philip. „Ich heiße Herold.
Schnell werden die Neuankömmlinge integriert und gemeinsam spielen sie nun alle wieder Fußball. Niemand sieht das traurige kleine Gesicht am Fenster des frisch bezogenen Hauses.
Abends, als Familie Karamio einträchtig am Tisch beisammen sitzt und zu Abend isst, kommt das Gespräch auf die neuen Nachbarn. Nepomuck hat selbst zwölf Geschwister, genauer gesagt: er ist das siebte Kind von dreizehn, wie er immer so stolz behauptet. Die goldene Mitte, sechs vor ihm und sechs nach ihm. Das kleinste, Nellie, ist fast noch ein Baby und Nepomucks absoluter Liebling. Norbert ist der älteste von allen und dann sind da noch Nora, Normen, Nadine, Nils, Nick, Neville, Nikita, Nikolas, Nicole und Nadja.
„Ich dachte zuerst, ich hätte fünf Kinder gesehen, überlegt Nepomuck. „Aber es sind wohl doch nur vier.
Der Vater schüttelt den Kopf.
„Nein, es sind fünf. Aber ich habe gehört, dass eines der Kinder, ein Junge, seine Beine nicht gebrauchen kann."
„Das ist traurig", sagt Nepomuck und wird sehr nachdenklich. Wenn er gehbehindert ist, kann er an den lustigen Spielen der Kobolde, die so gern umhertollen, nicht teilhaben.
„Dann kann er auch kein Fußball mit uns spielen", sagt Nikita bedauernd.
„Er vermag vieles nicht", bestätigt Mutter, die Nellie auf dem Schoß hat und füttert. Das kleine Koboldmädchen schmatzt vergnügt. Die köstlichen Blaubeerpasteten sind ihr Leibgericht.
„Nicht laufen, springen, klettern oder tanzen, das muss schlimm sein!", ruft Nora entsetzt.
Für einen Kobold ist es fast undenkbar, still zu sitzen. Nepomuck hat ein weiches Herz, er nimmt sich fest vor, sich um den behinderten Jungen zu kümmern. Doch er wird schon bald aus seinen Gedanken gerissen. Nach dem Essen holt Vater seine Fidel hervor, Mutter singt lustige Koboldlieder und die Kinder tanzen wild durch das kleine Haus, das nur aus einem einzigen ovalen Raum besteht, der der Familie gleichzeitig zum Schlafen und Wohnen dient.
Normalerweise spielt sich das Leben der Kobolde draußen auf der Lichtung ab, aber es hat plötzlich heftig zu regnen begonnen. Wie viel schöner ist es doch, wenn sie alle gemeinsam speisen und musizieren. Sie sind ein lustiges und geselliges Völkchen, das immer zu Späßen aufgelegt ist. Durch das schlechte Wetter bedingt muss nun auch die offizielle Begrüßung der Neuankömmlinge auf den neuen Tag verschoben werden.
Am nächsten Morgen ist Nepomuck schon früh wach. Mit einem flotten Satz springt er aus dem Gemeinschaftsbett und nur knapp an Vaters stattlichem Bauch vorbei. Norbert liegt auf dem Rücken und gibt leise Pfeifgeräusche von sich.
‘Wie eine Lokomotive’, denkt Nepomuck und verkneift sich das Lachen. Dann schleicht er leise zur Tür und entwischt nach draußen.
Vor dem Haus am Waldrand sitzt ein Junge auf dem Boden und Nepomuck schlendert langsam auf ihn zu. „Guten Morgen. Ich bin Nepomuck und wohne auch hier im Dorf." Der Fremde blickt auf, sein Gesicht ist freundlich, aber die braunen Augen blicken irgendwie traurig.
„Auch dir einen schönen guten Morgen. Ich heiße Nicki." Er bewegt sich ein Stück mit Hilfe seiner Arme vorwärts und lässt die Beine dabei hinterherschleifen.
„Wie ist das passiert?", fragt Nepomuck mitfühlend und setzt sich neben den etwa gleichaltrigen Jungen.
„Ich hatte einen Unfall, als ich noch klein war. Aber ich erinnere mich gar nicht mehr daran", antwortet Nicki. Sie unterhalten sich eine Weile und Nepomuck erfährt, wie schwierig alles ist, wenn man nicht laufen kann und fast immer auf fremde Hilfe angewiesen ist. Die Familie ist in den letzten Jahren schon ein paarmal umgezogen, aber richtigen Anschluss hat Nicki nie gefunden, wahrscheinlich weil er nicht mitmachen kann bei den meist sehr aktiven Spielen der anderen Koboldkinder. Und so ist er für sie dann eben eher uninteressant.
Langsam wird es lebendig im Dorf und die Lichtung füllt sich. Lachend und plaudernd werden Krüge mit Quellwasser und Saft herangeschleppt. Auf der noch leicht feuchten Wiese werden Tücher ausgebreitet und der verlockende Duft von frisch gebackenen Pfannkuchen zieht über den Platz. Nepomuck schnuppert genießerisch.
„Frühstück! Ich liebe Pfannkuchen! Hoffentlich gibt es auch Blaubeeren dazu."
Nickis Familie kommt aus dem Haus und alle nicken Nepomuck freundlich zu, bevor der behinderte Junge von seinem Vater huckepack hinunter auf den Platz getragen wird.
Dort gibt es eine feierliche Begrüßung durch den Dorfältesten, der die neue Familie vorstellt und herzlich willkommen heißt. Erst danach nehmen alle auf Baumstümpfen oder dem Rasen Platz und vertilgen fröhlich ihre Pfannkuchen. Nepomuck sitzt zufrieden neben seinem neuen Freund. Nebst anderen Obstsorten gibt es auch seine geliebten Blaubeeren. Kobolde sind mit ganz wenigen Ausnahmen reine Vegetarier, aber sie lieben alles Süße, egal ob Kekse, Kuchen, Obst oder Pasteten. Auch Nicki schmaust vergnügt. Er fühlt sich wohl, für einen Moment hat er all seine Sorgen vergessen.
Nellie kommt auf ihren dicken Beinchen angerannt und brabbelt etwas. Nepomuck zieht ihr den Schnuller aus dem Mund.
„Ich kann ja gar nichts verstehen!", ruft er lachend und stellt zufrieden fest, dass auch Nicki zaghaft lächelt.
„Haben", sagt Nellie und greift nach Nickis Pfannkuchen. Der lässt sie nur zu gerne abbeißen und die Kleine strahlt ihn vergnügt an. Die ersten zarten Freundschaftsbande sind geknüpft.
Nach dem Frühstück spielen die Jungen wieder Fußball und die Mädchen vergnügen sich mit Huppeseilen und Gummitwist. Jeder ist irgendwie in Bewegung und sogar die kleine Nellie küselt mit den jüngeren Koboldkindern fröhlich über die Wiese.
„Schau, Nepomuck, sie spielen Fußball. Willst du nicht mitmachen?", ermuntert Nicki seinen neuen Freund. Nepomuck zaudert. Gern würde er mitspielen, aber dann ist Nicki ja wieder allein. Er schüttelt den Kopf.
Plötzlich hat er eine Idee und beginnt von seiner Familie zu erzählen. Nicki hört mit glühenden Ohren zu, vor allem, als Nepomuck von seinem großen Abenteuer berichtet. Das ist noch gar nicht so lange her.
Damals sollten die Kobolde dem Weihnachtsmann in seiner Werkstatt ein wenig zur Hand gehen, denn die Wunschlisten der Kinder wurden von Jahr zu Jahr länger und Nepomuck bettelte so lange, bis er mit den älteren Geschwistern mitdurfte. Schon die Schlittenfahrt nach Finnland, wo die Werkstatt des Weihnachtsmannes versteckt liegt, war aufregend. Und dann erst der Aufenthalt beim Weihnachtsmann!
„Oh, wie gerne würde ich das alles auch einmal sehen", sagt Nicki mit leuchtenden Augen.
„Nächstes Mal nehme ich dich mit", verspricht Nepomuck und berichtet, wie er aus Versehen in einem der Weihnachtspäckchen landete und unbemerkt auf dem Schlitten des Weihnachtsmannes seine lange Fahrt in die Menschenwelt antrat.
„Hattest du denn gar keine Angst?"
„Anfangs schon. Aber dann entdeckte ich neben mir eine Tüte mit Süßigkeiten. Da war ich abgelenkt. Die Pralinen waren aber