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Manchmal erdrückt es mich, das Leben
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Manchmal erdrückt es mich, das Leben
eBook317 Seiten4 Stunden

Manchmal erdrückt es mich, das Leben

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Über dieses E-Book

Ein Thriller aus dem Leben, denn es erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die in die Falle tappte und sich nach der Hochzeit nicht an einem liebenden Ehemann erfreuen durfte, sondern sich dieser als Gewalttäter entpuppte. Psychischer Druck, Erniedrigungen und ein täglicher Überlebenskampf sind nun der Alltag. Wie schafft die Protagonistin es, aus dieser Hölle zu entkommen?
Ein lebensnahes Buch, dass den/die LeserIn mitnimmt und in die Rolle der jungen Frau schlüpfen lässt.

Die Autorin wird oft von TV, Radio und Printmedien eingeladen, um den Menschen zu beschreiben, warum die Öffentlichkeit bei familiärer Gewalt einfach nicht wegsehen darf und wie wichtig es ist, dass die Regierung die notwendigen Mittel zur Verfügung stellt.
SpracheDeutsch
HerausgeberKarina Verlag
Erscheinungsdatum19. Feb. 2019
ISBN9783965087880
Manchmal erdrückt es mich, das Leben

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    Buchvorschau

    Manchmal erdrückt es mich, das Leben - Karin Pfolz

    Nachwort

    1. Nur die Treppe

    „Manchmal erdrückt es mich, das Leben", denke ich, als mich ein weiterer Schlag ins Gesicht trifft. Der plötzliche Schmerz macht meine Beine unsicher, ich gerate ins Wanken. Jedoch spüre ich keinen Schmerz, realisiere es nicht in der Wirklichkeit. Meine Muskeln geben nach, blockieren die Koordination des Gleichgewichtes. Ich kann mich nicht mehr auf der obersten Stufe der Treppe halten, stürze – wie bei einem Kopfsprung ins kalte Wasser – die Stiege hinab.

    Mir ist, als wäre das nicht mein Körper, der diese Stufen hinunter fällt. Trotzdem merke ich die mehrmaligen Richtungswechsel, die durch das Aufprallen an den Seitenwänden entstehen. Doch ich fühle von dem Schmerz noch immer nichts. Hitze steigt in mir auf, und dieses wahnsinnige Kribbeln in der Magengegend – verursacht durch den Adrenalinschub und das Aufsteigen der nicht unter Kontrolle zu kriegenden Angstgefühle.

    „Schläge, immer wieder", denke ich. Doch werde ich in diesem Augenblick nicht von einem anderen Menschen geschlagen, sondern die Stufen, die Kanten und die Winkel der Treppe bohren sich in meinen Körper. Es knackst irgendwo in mir, in der Nähe der Rippen. Ein weiterer tauber Schmerz durchzuckt meinen Körper.

    Dann das Ende der Bewegung. Keine polternden Geräusche, keine Aufpralle mehr.

    „Nur nicht bewegen", denke ich und bleibe, wie ich bin, liegen. Die Zeit vergeht. Es kommt mir vor, als ob ich bereits Stunden bewegungslos verharre – doch es sind nur wenige Sekunden. Alles in mir fühlt sich an, als würde es in Zeitlupe passieren. Jeder Herzschlag, jede Muskelreaktion scheint Ewigkeiten zu dauern. Vielleicht muss ich mich nie wieder bewegen, nie wieder meinen Herzschlag spüren und es ist endlich vorbei – für immer! 

    Doch die Realität holt mich ein. Ich weiß, dass bei den nachfolgenden Bewegungen die Schmerzen zu spüren sein werden. Wenn diese Hitze und Verlangsamung meines Körpers nachlässt, dem Schmerz alle Türen geöffnet sind.

    Langsam kommen bei mir die Geräusche, die ich zuerst nicht zuordnen kann, an. Erst leise, dann immer lauter und lauter, bis ich begreife, dass es das Schreien ist. Das hysterische Schreien von dem Menschen, dem ich bis vor kurzem vertraute.

    Das für mich unbegreifliche, unfassbare Schreien dröhnt immer lauter. Für meine Seele sind diese Schreie Schmerzen. Das Ertragen, der auf mich niederprasselnden unbegreiflichen Vorwürfe, ist wesentlich ärger als die Schläge für meinen Körper. Denn ich kann nicht verstehen, was der Auslöser dieser Taten ist.

    Noch immer versuche ich bewegungslos zu bleiben. Kaum zu atmen – nur zaghaft versuche ich Sauerstoff in meinen Körper zu bringen.  Meine Gedanken überschlagen sich in einem Durcheinander der Erinnerungen und die Frage – die ich mir selbst so oft stelle aber unbeantwortet bleibt – nimmt überhand.

    „Was war heute? Was ist so Ungewöhnliches passiert, dass seine so heftig war?".

    2. Ein paar Stunden davor

    Es ist ein sonniger Frühlingstag und ziemlich warm für diese Jahreszeit. Ich liebe diese frühmorgendlichen Momente im Garten. Denn die Ruhe und gleichmäßige Bewegung der Natur wirkt ausgleichend auf meine Seele. Schon der Anblick der aufgehenden Sonne, das Hören der ersten Vogelstimmen, der frische Tau auf den nackten Füßen; das ist für mich Leben. Jeder Tag ist ein Neubeginn – bringt Hoffnung, Frieden und verwischt die Gedanken an Vergangenes.

    All diese wunderbaren Gefühle und Eindrücke wirken auf mich ein. Ich sitze im taufeuchten Gras, mit einer Tasse dampfendem Kaffee, genieße das Kitzeln der Sonnenstrahlen auf meiner Nase.

    Nur kurz kann ich das auf mich wirken lassen. Denn Augenblicke wie diese sind selten für mich. Nur wenige Minuten diese Stille und Reinheit einatmen ... doch heute ist viel zu erledigen, also löse ich mich los, von der Zufriedenheit und gehe ins Haus, um meine Vorbereitungsliste abzuarbeiten.

    Kurz darauf, nachdem ich meinem Mann das Frühstück ans Bett brachte, starte ich die Arbeiten in der Gartenvorbereitung.

    „Ach, sind die schwer, denke ich, als ich die Klapptische und Bänke aus dem kleinen Anbau schleppe. „Diese Konstruktion kann sich nur ein Mann ausgedacht haben, der das nicht selbst aufstellen muss!. „Autsch!, wenn ich diese Tische aufstelle, zwicke ich mir immer die Finger ein. Diese komischen Klemmvorrichtungen sind extrem verblödet. Aber ein wenig leichter fällt mir die Arbeit, wenn ich so in Gedanken in mich „hineinmatschgere.

    Nach einiger Zeit gelingt es und die Tische stehen an ihrem Platz. Obwohl der Weg vom Haus aus ein wenig weiter ist – wenn ich später serviere – entscheide ich mich, die Tische mitten auf der Wiese aufzustellen, gleich neben dem Gartenteich mit seinem kleinen Wasserfall. Das Plätschern des Wassers wirkt angenehm, sicher auch für die Gäste und meinen Mann, und so hoffentlich für eine ruhige Stimmung sorgen.

    Jetzt kommt der angenehme Teil der Vorbereitungen. Liebevoll decke ich die Tische mit Tischdecken und Blumensträußen, befestige alles gut mit Klammern und Steinen. Ich möchte nicht, dass bei Wind die Deko durch den Garten segelt und womöglich noch im Teich landet.

    „Alles muss perfekt werden, sodass es keinerlei Beanstandungen des faulen Herrn Gemahl geben kann. Heute wird es mir gelingen, den Tag ohne die gewohnte Lieblingsbeschäftigung meines Mannes zu verbringen", denke ich fröhlich. Ich bewundere mein Werk und spaziere, mit einem Korb bewaffnet, in den Gemüsegarten.

    „Bestimmt sind frische Tomaten reif und auch Salat wird sich finden, denke ich. So ist es auch und ich finde sogar einige große Gurken. „So ein Glück. Die Schnecken waren diesmal langsamer als ich. Stolz bringe ich meine Beute in die Küche.

    Kein Geräusch aus den Schlafräumen dringt zu mir. Beruhigt beginne ich meine Küchenvorbereitungen und widme mich den Tomaten, um den Salat vorzubereiten.

    3. Ruhe vor dem Sturm

    „Meine Chancen auf einen ruhigen Abend stehen gut."

    Es haben sich einige unserer Bekannten zum „Grillen im Grünen" angemeldet. Das erweckt bei mir die Hoffnung, dass mein Mann beschäftigt sein wird, um mit seinen angeblichen Kochkünsten zu prahlen. Da wird er keine Zeit haben, um auf mich loszugehen.

    Das Lustige an der Sache ist nur, dass er nicht kochen kann. Er kann nicht einmal ein paar Würstchen zubereiten. Sie platzen schon auf, wenn er sie ansieht. Das darf natürlich keiner wissen, denn er erzählt immer, dass er die Küche bei uns ganz alleine „schupft. Er ist einfach der beste Koch aller Zeiten. Soll er nur damit prahlen. Mir ist das alles egal. Hauptsache, er hat seine Befriedigung in Sachen „Angeben, das sorgt für ein bisschen Ruhe.

    Die Arbeit geht mir gut von der Hand. Der Brotteig ist bereits im aufgehen und alle Beilagen und Gedecke kann ich erledigen, ohne, dass ich mir dabei immer über die Schulter blicken lassen muss, oder mir das Geplapper anhören, dass dies und das anders gemacht gehört. Denn in seinen Augen kann ich einfach nichts richtig machen. Das war immer so und wird sich niemals ändern. Ein Mensch, der stänkern will, der tut es auch.

    „Aber heute nicht, denke ich mir, „heute bin ich bereits seit fünf Uhr früh auf den Beinen und kann alles wunderbar einteilen. Heute wird er nichts zu beanstanden haben.

    „Ach, die Kohlen!" Ich laufe in den Garten, hole die Kohlen aus dem Gerätehäuschen und bringe diese zur Grillstelle. Rasch häufe ich die Kohlen in die Grillmulde, vergrabe gekonnt den Anzünder. Mein Mann braucht nur noch die Flamme daran halten und alles andere erledigt sich wie von Zauberhand.

    Erledigt, alles fertig.

    Sogar die Kartoffeln habe ich vorgekocht und in Folie gewickelt, damit sie schneller fertig sind. Endlich ist es geschafft. Nun kann ich endlich unter die Dusche schlüpfen, aus mir noch ein halbwegs ansehnliches Wesen zaubern, bevor die Gäste kommen. Was wäre das für ein Anblick, wenn mein Mann ein so abgearbeitetes, verschwitztes Weib vorzeigen muss. Außerdem hätte er damit ein Problem. Er müsste erklären, warum ich so abgearbeitet aussehe und er so frisch. Wo doch er das ganze Essen vorbereitet hat und ich mich ausgeruht habe, von der anstrengenden Arbeitswoche.

    „Erst elf Uhr, das klappt gut", sage ich zu mir und laufe ins Bad. Die ersten Gäste haben sich für zwölf Uhr dreißig angemeldet.

    4. Der Koch

    Ich stehe unter der Dusche und genieße das warme Wasser auf meiner Haut. Was für ein angenehmes Gefühl. Der Geruch von Reinheit und Wohlfühlen verbreitet sich im Badezimmer. Ich liebe es. Es entspannt sofort. Der anstrengende Vormittag zieht an mir vorüber, als sei er nicht gewesen. Mit geschlossenen Augen lasse ich das Wasser über mich fließen. Fast könnte ich glauben, dass alle Last und aller Kummer damit von mir gewaschen werden, einfach im Abfluss verschwinden.

    „He, du Wahnsinnige, was ist das für ein Lärm, in aller Früh! Der Mann reißt verschlafen die Badezimmertür auf und will auf mich losstürmen, doch es gibt noch „Schutzengel. Im selben Augenblick läutet das Telefon und er verschwindet aus dem Badezimmer.

    „Glück gehabt, das vergisst er bestimmt wieder", hoffe ich und beende das angenehme Bad so schnell wie möglich, um mich nicht in die Fänge des Löwen zu begeben. Das Badezimmer ist der denkbar ungünstigste Ort, um einen Angriff abzuwehren, noch dazu, wenn alles voll Dampf und rutschig ist. Es ist mir lieber, wenn ich sicheren, festen Boden unter meinen Füßen habe. Leider hat das Wasser mein Leid nicht weggespült. Es wäre zu schön gewesen.

    Mein Mann hat es sich in der Zwischenzeit im Wohnzimmer bequem gemacht und telefoniert lustig vor sich hin. Es hört sich nach einem angenehmen Telefonat an. So schleiche ich vorbei, lächle kurz zu ihm hinüber, damit er sich beachtet fühlt. Es soll den Anschein erwecken, dass ich nicht weiß, dass er mit seiner Freundin telefoniert. Es macht die Sache nicht besser, wenn es durchsickert, dass es mir seit langem bekannt ist, dass er eine Liebhaberin hat und wer sie ist. Er ist sehr fest von sich selbst überzeugt und der Meinung, dass er geschickt genug ist, das vor mir geheim zu halten. Naja, schon ein bescheuertes Denken, wo er doch offen vor mir mit dieser Schlampe telefoniert. Er denkt doch wirklich, dass ich total verblödet bin und nichts bemerke.

    Sehr schnell mache ich Kaffee für meinen Mann fertig. Stelle diesen vor ihm auf den Tisch, verschwinde gleich wieder in der Küche. So glaubt er, dass ich nicht lauschen könne. Das gibt mir die Gelegenheit, aus seinem Blickfeld zu kommen und in ungreifbare Entfernung abzutauchen.

    Es vergeht die Zeit, während ich die letzten wichtigen Handgriffe erledige. Ich sehe und höre nichts von meinem Mann - bis es an der Tür läutet.

    Dennoch, obwohl der Mann im Moment ruhig wirkt und keinerlei Zeichen eines tätlichen Angriffes auf mich zu spüren sind, beschleicht mich langsam der Gedanke, dass es gut ist, dass mein kleiner Sohn dieses Wochenende bei seinen Großeltern ist. Die Ruhe wird nicht von langer Dauer sein wird.

    „Hey, schön, dass du da bist!", höre ich ihn rufen.

    Ich reiße das Geschirrtuch aus meinem Gürtel, welches ich als Küchenschürze verwende, damit ich darunter gleich perfekt gekleidet sein kann. Es soll für die Gäste aussehen, als bewundere ich all die kulinarischen Werke meines Mannes in der Küche.

    Die ersten Gäste betreten die Küche und sind hellauf begeistert:

    Wow, toll! Das hast du alles selbst gemacht, dass ein Mann so etwas kann!, rufen sie aus.

    Ich drücke mich in die Ecke und lächle. Mein Mann steht in der Mitte seiner Freunde und lässt sich als Spitzenkoch feiern. Er genießt das sehr. Ich atme erleichtert auf. Ein zufriedener Mann lässt seine Frau in Ruhe.

    Er nimmt das Tablett mit dem marinierten Fleisch in die Hand und stolziert in den Garten zum Grillplatz. Die Kohle ist perfekt vorgeglüht. Er macht hinter seinem Rücken eine Handbewegung, damit mir klar ist, dass ich die Salate und anderen Utensilien in den Garten auf die Tische transportieren muss. Selbstverständlich so unauffällig wie möglich, damit keiner der Gäste es bemerkt.

    Da alle Gäste - natürlich beste Kumpel dieses Mannes - sich um ihn scharen, kann ich unbemerkt vorbeischlüpfen und alles auf die Tische schmuggeln.

    Mein Mann stellt sich sehr »wichtig« an, als er die Fleischstücke auf den Grill legt, mit Bier aufgießt und seine Grillweisheiten erzählt – und vergisst die Fleischstücke zu wenden. Leider verbrennen so einige Stücke, die er mit einer geschickten Bewegung der Grillzange in die glühenden Kohlen versenkt.

    Die Gäste bemerken das nicht, da er durch sein angeberisches Erzählen die ganze Aufmerksamkeit auf seine Worte lenkt. Wenigstens das kann er. Mich wundert immer, dass die Freunde diese Angebereien unterhaltsam finden, ich selbst kann das nur als ausgesprochen peinlich sehen.

    Die gegrillten Stücke darf ich dann, hochoffiziell, auf Platten legen und an die Tische bringen.

    Fröhlich ist die Gesellschaft, alles lacht, das Bier gluckert und es wird zufrieden gegessen.

    Der Platz neben dem Teich war eine sehr gute Wahl. Dadurch habe ich im Haus meine Ruhe und werde nicht laufend beobachtet, wenn ich weitere Handgriffe für die kulinarische Zufriedenheit der Gäste meines Mannes erledige. All die Wunderwerke aus der Küche meines Mannes werden genüsslich verspeist. Stundenlang wird gefeiert und es ist mir unverständlich, wie so viel Alkohol in diese Menschen hineinpasst.

    Doch dann passiert es. Es ist wird langsam dunkel. Die Sicht im unbeleuchteten Garten wird schwächer. Die paar Kerzen auf den Tischen reichen nicht aus, um alles zu beleuchten.

    Dass die Tische so weit vom Haus entfernt sind, rächt sich jetzt. Fünf Stufen sind zu überwinden und die Terrasse überqueren, um die leeren Gefäße in die Küche zu bringen.

    Ich stolpere mit einem Tablett voller Gläser über die letzte Stufe und schaffe es gerade noch, alles halbwegs gerade zu halten und nicht zu stürzen.

    Doch eines der Gläser fängt gefährlich zu schwanken an. Allen Bemühungen zum Trotz kippt es, fällt vom Tablett und zerbricht. Ein angstvoller Blick zu den Gästen.

    „Gott sei Dank, keiner hat es bemerkt, denke ich, doch dann streift mein Blick den meines Mannes. Er hat es gesehen, wirft mir einen ernsten Blick mit zusammengepresstem Mund zu. Für mich dauert dieser Blick stundenlang, auch wenn es in Wahrheit nur hundertstel Sekunden sind. Sicherheitshalber verschwinde ich, so schnell es geht, ins Haus. „Am besten ich wasche einmal das Geschirr und bringe in der Küche alles in Ordnung. Dann freut er sich vielleicht und es passiert nichts.

    Eine lange Weile ist das auch so, die Gäste sind ausgelassen. Mein Mann feiert und trinkt, es wird gelärmt und gelacht und keiner denkt mehr an den kleinen Vorfall. Niemand – außer einem.

    Umso höher der Alkoholspiegel, desto höher das Erinnerungsvermögen. Oft habe ich den Eindruck, dass mit zunehmenden Promille im Blut die Erinnerung verwischt und verändert wird. Dass aus einem Glas, welches zerbrochen ist, ein ganzer LKW voll Gläser wird.

    Das Ende der Feier naht. Meine Anspannung steigt.

    Andere Menschen können dem Ende einer solchen Feier mit Ruhe und Gelassenheit, sowie der Vorfreude auf die bald kommende Erholung entgegensehen. Bei mir ist dies anders, bei mir steigt die Angst und Panik an, denn dann bin ich alleine mit diesem Mann. Kein anderes Lebewesen ist dann in der Nähe, um einzugreifen, wenn bei ihm wieder die „Sicherungen durchbrennen und er nicht weiß, was er anrichtet. „Tschüss, bis zum nächsten Mal, war nett wie immer. Deine Frau kann stolz auf einen so fleißigen Mann sein! Diese Salate, diese Sauce, und erst die Würze des Fleisches – grandios!, höre ich die Männer rufen, als sie sich verabschieden.

    „Die sind alle blind!", denke ich und höre, wie mein Mann mir zuruft, dass er noch mit den Gästen in ein Lokal gehen werde:

    „Warte nicht auf mich, du musst arbeiten morgen."

    „Der Witz war gut", denke ich. Er kann ja ausschlafen.

    Mein Mann hat vor einiger Zeit seinen gut bezahlten Job gekündigt. Wozu soll er auch arbeiten? Es reicht doch, wenn seine Frau arbeitet. Außerdem zahlt das Arbeitsamt sowieso ein schönes Gehalt. Das sind so die Gedanken dieses Menschen.

    Ich mache mich an die Arbeit, um Garten, Grillplatz und Küche in den ursprünglichen Zustand zu versetzten. So verbringe ich die nächsten drei Stunden.

    Mühsam ist es, so spät in der Nacht, alle Altlasten im Garten aufzuspüren, aber ich will und kann mir keinen Fehler erlauben – wenn mein Mann zurückkommt, muss alles aufgeräumt und perfekt aussehen. Ich pirsche, bewaffnet mit einer Taschenlampe und einem großen Tablett, durch den Garten. Möchte alles finden und sei es ein noch so kleiner Papierschnipsel.

    Gerne will ich wieder in Ruhe schlafen können und vielleicht habe ich das Glück, dass er lange wegbleibt, ich mit der Arbeit fertig werde und einschlafen kann, bevor er nach Haus kommt. Vielleicht weckt er mich heute nicht. Hoffnung stirbt niemals, auch für mich nicht.

    5. Home Sweet home

    Um drei Uhr früh werde ich brutal aus dem Schlaf gerissen. Mein Mann ist nach Hause gekommen und steht voll betrunken vor meinem Bett:

    „Auf, du faules Pack, du wagst es, schlafen zu gehen und der Geschirrspüler ist noch nicht ausgeräumt!", schreit er mich an und beginnt, an meinen Füßen zu ziehen.

    Ich bin unfähig, auch nur ein Wort herauszubringen. „Bitte, bitte lass das einen Traum sein. Lass mich endlich in die Wirklichkeit zurück", geht es durch meinen Kopf und ich versuche, mich am Rand des Bettes festzuklammern.

    „Raus!, brüllt er wieder und zieht und zerrt an meinem Bein, „Du elendes Weib, heraus!

    Immer weiter schreit er und immer mehr zieht und reißt er an meinem Bein. Meine Kraft in den Händen lässt nach, ich kann mich nicht mehr an dem Bettgestell festhalten. Mit einem lauten Krachen poltere ich auf den Boden.

    Der erste Fußtritt trifft genau in den Magen, perfekt gezielt. Der Schmerz weckt mich endgültig auf. Zu meinem Erschrecken erkenne ich, dass ich mich in der Wirklichkeit befinde.

    Ich will nur weg, weg aus dem Bereich, wo er mich treffen kann. Ich versuche, unter das Bett zu kriechen, das gelingt mir nicht. Er zerrt mich an meinem Bein in Richtung Lichtschalter. Er hat gerne Beleuchtung, dann kann er sehen, was er anrichtet.

    Ein perverses, teuflisches Grinsen umspielt sein Gesicht. Der Anblick ist so erschreckend und grauenvoll, dass es lähmend auf mich wirkt. So stark, dass ich nicht fähig bin, auch nur einen Muskel in meinem Körper zu bewegen oder anzuspannen, geschweige denn eine Abwehrhaltung einzunehmen. Mein ganzer Körper wirkt wie leblos.

    Er braucht das Licht, um genau zielen zu können. Um mich dort mit seinen Schlägen und Tritten zu treffen, wo es kein anderer Mensch sehen kann.

    Er muss ziemlich genau sein, um mich nicht so zu verletzten, dass es mich unfähig macht, die Arbeiten im Haus erledigen und meinen Job zu machen. Es träfe ihn schon sehr, wenn er eine Putzfrau bezahlen müsste. Er selbst würde niemals einen Handgriff erledigen. Trotzdem muss immer alles perfekt sein und kein Staubkörnchen darf sich auf ein Möbelstück verirren.

    Ich bin ganz still. Versuche, mich so weit unter Kontrolle zu bringen, dass ich mich an irgendetwas festhalten kann, während er mich durch das Vorzimmer in Richtung Badezimmer zerrt.

    Doch er hat mehr Kraft als ich und so schafft er es. Reißt meinen Körper herum, um sich das zu nehmen, wovon die Herren der Bierrunde den gesamten Abend geplaudert haben. Nicht den kleinsten Versuch von mir, zu entkommen, lässt er zu. Die harten Fliesen drücken sich in meinen Rücken, die Schläge prasseln auf mich nieder. Wieder probiere ich, mich in eine andere Richtung zu winden. Stoße dabei unabsichtlich mit meinem Knie in seinen Bauch. Vor Zorn reißt er mich in die Höhe, stößt mich aus dem Raum, genau auf die Stiege zu. Dann trifft mich der erste Faustschlag ins Gesicht.

    Das erste Mal, dass er sich nicht unter Kontrolle hat. Er achtet diesmal nicht darauf, wohin er schlägt.

    Es ist ihm in seinem Zorn vollkommen egal, was und wo er trifft. Hauptsache, er trifft die Person, die ihre Arbeit nicht vollständig erledigt hat.

    Immer mehr verwandelt sich sein Gesicht in eine tobende, verwunschene Fratze. Verzerrt, ekelerregend und unberechenbar. Kein Funke Vernunft oder Überlegung ist mehr da. Ich schließe die Augen und versuche mich an den Gedanken zu klammern, dass ich überleben will. Mein Kind braucht mich. Egal was dieser Mann mir antut, ich muss hier lebend heraus. Und vor mir da befinden sich die Stufen in den Abgrund ...

    6. Die Maske

    „Es ist schon phantastisch, denke ich „was ein gutes Make-up alles kann.

    Ich betrachte mein Spiegelbild und bin von meinem morgendlichen Werk ziemlich begeistert. Nicht den kleinsten blauen Fleck erkennt man im Gesicht. Alles gut überdeckt.

    „Also los, zur Arbeit."

    Ich habe das Glück, dass mein Arbeitsbereich ganz nahe an der Eingangstüre des Reisebüros ist und durch das immer herrschende Zwielicht erkennt man nicht gleich etwas Ungewöhnliches in meinem Gesicht. Die Kollegen werden denken, dass es ein Schatten sein könnte. Schon alleine der Gedanke, dass ich endlich das Haus verlassen darf, lässt in mir ein wenig Fröhlichkeit aufkommen. Die gestrige Nacht habe ich überlebt. Alles andere zählt nicht wirklich, das kann verdrängt werden. Solange ich atmen und denken kann, solange werde ich dies alles durchstehen.

    Heute habe ich es besonders schön, da ich den ganzen Tag Dienst habe und am Abend noch aufs Land fahren kann, um meinen kleinen Sohn abzuholen.

    So habe ich mindestens zwölf Stunden ohne eine Angriffsmöglichkeit und ich kann mein geliebtes Kind in die Arme schließen.

    Wenn diese kleinen Arme sich um meinen Hals legen und ich einen dicken Schmatz auf die Wange bekomme, dann gibt es keinen Schmerz auf der Welt, den ich nicht ertragen könnte. Nur um diesen Augenblick und dieses „Mami, ich hab dich sooo lieb", erleben zu dürfen.

    Vielleicht ergibt sich beim Abholen meines Sohnes die Gelegenheit, mit meiner Schwiegermutter zu sprechen, wenn mein Schwiegervater nicht in der Nähe ist. Vielleicht weiß sie einen Rat, wie ich die Situation verbessern kann. Es kann doch kaum sein, dass eine Mutter nicht ahnt, wie ihr Kind sich als Erwachsener entwickelt hat. Vielleicht war mein Mann als Kind schon so aufbrausend und brutal. Es wird Zeit, dass ich das herausfinde.

    Der Tag ist toll im Büro. Viel Arbeit, um auf andere Gedanken zu kommen.

    Meine Lieblingskunden sind von ihrer Mexikoreise zurückgekommen und besuchen mich, um mir die schönen Erlebnisse zu erzählen. Sie bringen mir auch ein kleines Päckchen mit als Dankeschön. Das Leben kann auch gute Seiten haben.

    Als ich das Ehepaar vor mir so ansehe, denke ich mir: „Die beiden sehen so glücklich miteinander aus, ob es hier genauso ist wie bei mir? Ist das alles nur Schein und Lüge und wenn die Tür hinter ihnen zugeht, dann schlägt auch dieser Mann zu?"

    Auf einmal bin ich durcheinander und vollkommen verwirrt, entschuldige mich und verschwinde kurz in den Bürokeller, wo sich die Kaffeeküche der Angestellten befindet. Langsam glaube ich, dass irgendetwas in meinem Leben nicht ganz richtig läuft. Ich werde den Gedanken nicht mehr los, dass das Verhalten meines Mannes nicht so sein kann, wie das bei anderen Männern ist.

    Doch dieser Arbeitstag geht vorüber und so fahre ich die Strecke aufs Land. Dies bedeutet zwar noch zwei

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