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Mörderliebe
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eBook501 Seiten6 Stunden

Mörderliebe

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Über dieses E-Book

Eine mysteriöse Mordserie stellt die Ermittler vor ein Rätsel. Jedes der Opfer wurde auf eine andere grausame Art getötet. Gibt es eine geheimnisvolle Verbindung zwischen ihnen? Für das ländliche Kommissariat eine Herausforderung. Also holt man sich den erfahrenen Ermittler Zacharias Weinfeld aus der Stadt. Gemeinsam mit seiner Kollegin Karla Albrecht versuchen sie verzweifelt, den Mörder zu stoppen, der ihnen immer einen Schritt voraus ist.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum11. Mai 2018
ISBN9783742738790
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    Buchvorschau

    Mörderliebe - Elke Maria Pape

    Prolog

    Es ist an der Zeit zu handeln.

    Jetzt.

    Es gibt keinen Grund mehr zu warten.

    Im Gegenteil.

    Die Zeit drängt!

    Warum, werden Sie mich fragen, und ich habe keine Antwort darauf.

    Warum gerade jetzt?

    Irgendwie habe ich das Gefühl, meine Zeit ist begrenzt. Was diese Zeit begrenzt, weiß ich nicht genau. Wie gesagt, ein Gefühl.

    Und die Sehnsucht vielleicht. Die Sehnsucht nach ihr, die ich nicht mehr aushalte. Ich beobachte sie jetzt fast täglich. Wann immer es meine Zeit erlaubt. Jede Faser meines Körpers verzehrt sich nach ihr. So stark und intensiv, dass es schmerzt.

    Haben Sie schon einmal eine solche Sehnsucht verspürt, die Ihnen körperliche Qualen bereitet?

    Ja?

    Dann wissen Sie, wovon ich spreche.

    Sie ist einfach das schönste Geschöpf, das Gott je erschaffen hat.

    Ob ich an Gott glaube, wollen Sie wissen?

    Ja, wenn ich sie sehe, weiß ich, dass es ihn geben muss.

    In meinen Träumen habe ich alles genau geplant. Allerdings mehr in den Tagträumen. Nachts kann man das nicht so genau steuern. Da scheinen die Ereignisse, die ja noch keine Ereignisse sind, einen regelrecht zu überrennen. Gutes und Böses, alles miteinander in beliebiger Reihenfolge vermischt.

    Aber am Tag, da kann ich planen. Obwohl ich wütend darüber bin, dass alles so lange dauert. Ich fühle mich zuweilen wie ein Leistungssportler, der monate- oder jahrelang für einen Wettkampf trainiert, und der jetzt heiß ist, absolut heiß auf das Spiel der Spiele.

    Nur dass das, was kommt, kein Spiel ist. Sondern grausame Realität. Wenn überhaupt, dann ein Spiel um Leben und Tod.

    Ein Spiel, in dem der Sieger schon fest steht.

    Ich!

    Ich bin der Sieger.

    Und sie natürlich, die Frau, die ich so sehr liebe. Ich würde sogar sagen, dass sie auf dem Siegertreppchen ganz oben steht. Da gebe ich mich gerne mit dem zweiten Platz zufrieden.

    Bronze wird es in diesem Fall nicht geben.

    Nur sie und ich, nur wir beide.

    Die Vorbereitungen sind weitestgehend abgeschlossen. Es fehlen nur noch ein paar Kleinigkeiten.

    Aber der Teufel steckt ja bekanntlich im Detail, das weiß jeder, der je vor so einer schwierigen Aufgabe stand. Da gibt es einiges zu beachten, dass sich im Laufe der Zeit oder auch spontan noch ergibt.

    Weil es mehr als ein Mensch ist!

    Ein paar, die das Zeitliche segnen.

    Die Reihenfolge steht schon fest. Aber ich brauche natürlich auch ein bisschen Glück auf meiner Seite. Im Großen und Ganzen bin ich aber optimistisch, dass alles gut klappt.

    Sie fragen nach der Überwindung?

    Sicher, aus Ihrer Sicht durchaus eine berechtigte Frage.

    Aber ich habe schon einmal getötet.

    Ja, nur einmal und Sie werden zweifelnd anmerken, dass das ja keine wirkliche Routine darstellt.

    Einmal ist kein Mal, wie man so schön sagt, nicht wahr?

    Aber für mich gilt das nicht, glauben Sie mir.

    In Gedanken hat jeder von Ihnen schon einmal gemordet, geben Sie es zu!

    Den Chef, den meist als aller erstes.

    Die Ehefrau oder den Ehemann.

    Oder irgendeinen Konkurrenten, jemand der einem im Wege steht.

    Und da ist die Grenze, verstehen Sie?

    Es geht über die Gedankenwelt nicht hinaus.

    Es verlässt den Kopf nicht.

    Jedenfalls bei den meisten.

    Und ich überschreite genau diese unsichtbare Grenze.

    Wie gesagt, ich habe sie bereits überschritten.

    Also kommen Sie mir nicht mit Überwindung.

    Das Einzige, das ich wirklich beachten muss ist, dass ich, während ich die Dinge tue, die getan werden müssen, meine Gefühle einigermaßen unter Kontrolle habe.

    Hass ist kein guter Ratgeber!

    Und ich muss genau an die Vorbereitungen denken, das ist wichtig. Das Wetter spielt auch eine Rolle, deshalb habe ich den Winter gewählt. Da wird es früh dunkel. Ein nicht zu verachtender Punkt. Wer nimmt schon Notiz von dunklen Gestalten, die durch die Straßen ziehen?

    Hat Jack The Ripper auch schon für sich genutzt.

    Lachen Sie gerade?

    Ja, ich bin ganz Ihrer Meinung, der Vergleich ist wohl ein bisschen zu weit hergeholt.

    Und so viele andere Dinge sind noch wichtig. Man kann das Verhalten von Menschen nur bedingt voraussehen.

    Sind sie an dem Tag wirklich dort, wo man sie vermutet, oder haben sie plötzlich andere Pläne?

    Wenn es endlich so weit ist, machen sie Probleme?

    Wehren sie sich?

    Rufen sie um Hilfe?

    Oder werden sie einsehen, dass sie keine Chance mehr haben?

    Dass sie sterben werden, sterben müssen.

    Dass sie die Quittung für das bekommen, was sie getan haben. Die Endabrechnung!

    Also, so gesehen ist das hier wirklich ein Prolog, eine einführende Szene vor dem ersten Akt.

    Und damit ist alles gesagt.

    Und wenn Sie über mich in der Zeitung lesen, denken Sie daran, dass diese Dinge nicht ohne Grund geschehen.

    Es gibt immer einen Grund. Und das ist sie. Für sie tue ich das alles und deshalb fällt es mir nicht schwer. Sie ist der Anfang und das Ende all meiner Träume und Hoffnungen, all meiner Liebe und Treue.

    Ob sie es zu schätzen weiß, ich vermute, dass Sie das anmerken wollen.

    Diese Frage macht Ihnen zu schaffen, hab ich Recht?

    Ob sie es überhaupt will?

    Ich könnte jetzt sagen, ja, ich bin mir sicher, dass sie es will.

    Aber bin es das wirklich?

    Auch ich bin ein Mensch, der zweifelt. Ich bin kein Monster, mir gehen die gleichen Gedanken durch den Kopf, zermürbende Grübeleien, ob das Ganze auch richtig ist.

    Aber dann sehe ich sie und dann ist sie da, die Sicherheit.

    An diese Augenblicke erinnere ich mich dann und weiß, dass es kein Zurück mehr gibt.

    Es hat nie einen anderen Menschen für mich gegeben. Das ganze Leben nur einen Menschen zu lieben, was kann man sich anderes wünschen, da stimmen Sie mir doch zu?

    Na also, wusste ich es doch.

    So verschieden, wie Sie denken, sind wir gar nicht.

    Und wenn ich genau darüber nachdenke, ich werde doch schon jetzt anfangen. Trotz der Hitze!

    Ich könnte gesehen werden, warnen Sie mich eindringlich!

    Das ist nett gemeint.

    Aber machen Sie sich keine Sorgen.

    Ich werde gesehen und bin doch unsichtbar.

    Morgen, schon morgen werde ich zuschlagen!

    Was bleibt mir noch zu sagen?

    Außer vielleicht, dass ich auf ein bisschen Unterstützung von Ihnen hoffe, sei es auch nur in Gedanken.

    Wünschen Sie mir Glück!

    Kapitel 1

    Er schätzte, es waren mindestens dreißig Grad! Hier im Auto geschätzte fünfzig.

    Lässig hielt er beide Hände am Lenkrad und fuhr in die scharfe Rechtskurve. Schweiß rann ihm von der Stirn. Verdammt, dachte er, die letzten heißen Sommertage im August! Das Wetter kann einem noch mal richtig zusetzen. Mehrmals versuchte er seinen massigen Körper in dem Autositz hin und her zu schieben um an seine Hosentasche heranzukommen. Endlich zog er das Taschentuch heraus und wischte seine schweißnasse Stirn ab. Diese letzte Sommerhitze war mörderisch.

    Sein Blick fiel auf seinen Ehering. Wer hätte das gedacht, dass ausgerechnet er heiraten würde, dachte er amüsiert. Wahrscheinlich nicht einmal er selbst . Keine Ahnung, warum ihm das in diesem Moment durch den Kopf ging. Aber mit Gaby hatte er es einigermaßen gut getroffen, das musste er zugeben. Gut, sie war nicht die Schlaueste aber sie hatte doch gute Hausfrauen - und Mutterqualitäten, wenn man nicht zu hohe Ansprüche stellte. Es taugte sowieso nichts, wenn eine Frau zu schlau war. Diese sogenannten Emanzen mit ihrem intellektuellen Gequatsche, das hielt doch kein Mann auf Dauer aus. Seine Frau wusste wenigstens, wo ihr Platz war.

    Zufrieden reckte er seinen fetten Bauch nach vorne in Richtung Lenkrad.

    Vor allen Dingen konnte sie gut kochen. Eine Frau, die nicht kochen konnte hätte er sowieso nicht geheiratet, Schwangerschaft hin oder her. Als Gaby damals ungeplant schwanger wurde, hatte er sich überhaupt nicht mit dem Gedanken anfreunden können, Vater zu werden. Aber es war halt passiert, was sollte man machen.

    Doch letztendlich konnte er nicht klagen. Er hatte nicht mehr den Stress mit den Weibern und konnte sich nebenher ein wenig unverbindlich umsehen. Ein paar, die willig waren, gab es schließlich immer. Bei dem Gedanken grinste er vor sich hin. Als er den Wald erreichte wischte er sich erneut mit dem nassen Taschentuch übers Gesicht. Die Hitze war einfach unerträglich, aber Gott sei Dank war er ja in fünf Minuten zu Hause. Er hoffte, dass ihm sein Chef endlich ein Firmenauto mit Klimaanlage zu Verfügung stellen würde. Wenigstens ab nächsten Sommer. Doch dieses Arschloch hatte ihm unmissverständlich klargemacht, dass er dafür noch einige Abschlüsse an Land ziehen müsste.

    Er schnaubte wütend. Vielleicht sollte ihm dieser Idiot mal erklären, wie er das anstellen sollte. Die Leute waren heutzutage vorsichtig geworden. Sie kauften nicht mehr einfach so teure Landmaschinen. Die Bauern in seinem Bezirk mussten mit jedem Euro rechnen. Wenn er daran dachte, wie viele Verkaufsgespräche er in letzter Zeit vergeblich geführt hatte, kein Wunder, wenn er mit diesem Schrottauto vorfahren musste.

    Alles sinnlos. Sein Chef wollte es einfach nicht kapieren.

    Er gab Gas und raste durch den Wald. Um diese Zeit war hier nicht viel los. Da konnte er noch mal austesten, was die alte Mühle noch hergab.

    Die engen Kurven schlängelten sich einige Kilometer durch den Wald. Dort hinten, wenn man genau hinsah, konnte man durch eine Lichtung schon die ersten Häuser des Dorfes sehen, in dem er zuhause war.

    Jetzt wollte er einfach nur noch abschalten! Hoffentlich hatte Gaby sich um den Garten gekümmert. Wenn man ihr nicht alles dreimal sagte, dann kapierte diese Frau es nicht. Sie konnte so verdammt faul sein. Er dachte an das gekühlte Feierabendbier, das ihn hoffentlich erwartete und an den Schweinebraten, den er heute Morgen extra seiner Frau in Auftrag gegeben hatte. Bei dem Gedanken lief ihm das Wasser im Mund zusammen.

    Trotzdem konnte er nicht verhindern, dass seine Gedanken wieder abschweiften zu den roten Zahlen, in denen der Betrieb zweifelsohne steckte. Er schlug mit der Hand aufs Lenkrad. Verdammter Mist, er hatte Feierabend. Schließlich war er mehr als zwanzig Jahre in der Firma. Sie würden schon nicht wagen, ihn raus zuwerfen. Er musste diesen Druck loswerden, am besten sofort. Er grinste. Wofür war eine Ehefrau schließlich da? Das Essen konnte noch ein bisschen warten. Hinterher hatte er umso mehr Hunger, das war klar.

    Die nächste Kurve war die letzte vor dem Dorf. Lang gezogen und dunkel. Der Wald war an dieser Stelle dicht bewachsen. Er erinnerte sich, wie sie als Kinder hier immer im dichten Unterholz Verstecken gespielt hatten, zugegeben ein bisschen unheimlich war es schon, aber das war ja gerade das Spannende gewesen. Ein paar Jungen hatten richtig Schiss gehabt, die hatten sie besonders tief in den Wald geschickt und sie manchmal zurückgelassen, einfach so! Er musste grölend lachen, als er sich an die zitternden, vor Angst schlotternden Gestalten erinnerte, die irgendwann nach Hause geschlichen waren, als sie endlich aus dem Wald herausgefunden hatten.

    Diese blöden Schwächlinge!

    Er musste so lachen, dass er fast heulen musste. Na also, dachte er. Meine gute Laune ist wieder da. Wird schon werden mit der scheiß Arbeit, schließlich würde er immer wieder auf die Beine fallen, egal was passierte. Ihm konnte keiner so schnell was anhaben.

    Verdammter Mist, was sollte das denn?

    Er presste hektisch den Fuß auf die Bremse und hatte Mühe, den Wagen bei der hohen Geschwindigkeit unter Kontrolle zu bringen. Kurz nach der Kurve bekam er den alten Mercedes durch eine Vollbremsung mit quietschenden Reifen zum Stehen. Der Ruck war so gewaltig, dass seine Arbeitstasche vom Beifahrersitz in den Fußraum knallte.

    Der Mann kam mit schnellen Schritten auf ihn zu.

    Ach so, dachte er erleichtert.

    Er wollte gerade seine Scheibe herunterdrehen, um zu fragen, was los war.

    Da sah er die Waffe!

    Was um alles in der Welt…..?

    Er tastete mit der Hand über den Beifahrersitz, in der Hoffnung, dass der Mann es nicht sah, suchte sein Handy, bis im einfiel, dass es in seiner Tasche war.

    Und die lag auf dem Boden.

    Er starrte wieder nach vorne, seine Augen weiteten sich vor Panik.

    Der Mann kam immer näher und trotzdem schien sein Gesicht immer unklarer zu werden.

    Es stimmte, es stimmte, was alle sagen.

    Was er schon mehrmals gelesen hatte und sich, zugegeben, darüber lustig gemacht hatte, das Leben spielt sich noch einmal vor dem Auge ab. In einem Bruchteil von Zehntelsekunden konnte er alles ganz genau erkennen, seine eigene Kindheit im Dorf, wie er spielend mit kurzen Hosen nach der Schule nach Hause rannte, die Hochzeitsfeier mit seiner Frau und die Geburt seines Kindes. Alles, einfach alles rauschte in rasender Geschwindigkeit an ihm vorbei.

    Mein Kind, oh mein Gott, er sah das zarte Gesichtchen des Mädchens vor sich und dann der Schuss, wahnsinnig laut, wie ein Urknall, ohrenbetäubend und gleichzeitig der gigantisches Schmerz.

    Und dann kam nur noch die Dunkelheit.

    Kapitel 2

    Endlich allein! Aber ist allein wirklich gut? Bedeutet allein Angst oder bedeutet zu zweit noch mehr Angst?

    Rosemarie war nicht mehr in der Lage, Unterschiede festzustellen.

    Sie hatte immer Angst.

    Sie weinte wieder, obwohl sie gar nicht weinen wollte. Sie lag zusammengerollt wie eine kleine Katze auf dem dunkelrot geblümten Sofa in der Küche. Soweit zusammengerollt möglich war. Die Verletzung am Oberschenkel schmerzte höllisch und sie hoffte inbrünstig, dass die Wunde sich diesmal nicht infizieren würde und sie einen Arzt aufsuchen musste. Wie beim letzten Mal, als der Arzt ihr unangenehme Fragen gestellt hatte, sie seine mitleidigen Blicke aushalten musste und sich erneut eine ihrer vielen, haarsträubenden Ausreden hatte einfallen lassen. Bloß das nicht.

    Diesmal hatte er mit einer Eisenstange zugeschlagen. Härter als je zuvor. Seine gezischten Laute schwebten noch im Raum: „Wage es morgen bloß nicht zu humpeln! Du weißt, wie ich das hasse, wenn meine Frau krank spielt." Sein Adamsapfel hatte sich dabei hoch und runter bewegt. Ein untrügliches Zeichen, dass er es ernst meinte. Aber in seinen Augen hatte Rosemarie dieses verräterische Funkeln entdeckt.

    Die pure Freude am Quälen!

    Die Eisenstange hatte er als kleines Mitbringsel von der Arbeit mitgebracht. Also genau genommen geklaut. Rosemarie quälte sich Muskel für Muskel vom Sofa. Langsam, ganz langsam, dann war der Schmerz nicht ganz so schlimm. Sie schleppte sich in Richtung Badezimmer. Nicht humpeln, um Himmels Willen nicht humpeln. Bis morgen musst du das üben! Niemand darf es merken! Sie schwitzte. Sie schwitzte immer, wenn sie unter Druck stand. Ein kalter Waschlappen würde jetzt gut tun. Rosemarie ließ das Wasser laufen und benetzte ihre heiße Stirn. Mach das Wasser aus! Nicht so viel Wasser benutzen. Sie erschrak vor ihrer eigenen inneren Stimme. Der Druck, der von ihr kommt war allerdings zu ertragen, das Schwitzen zu kontrollieren. Das andere Schwitzen war schlimmer.

    Das Angstschwitzen!

    Es kriecht den Rücken hoch. Unten fängt es an, knapp über dem Po. Dann bewegt es sich langsam aber stetig höher, bis es am Haaransatz angekommen ist. Dort bleibt es sitzen. Kein nasser Waschlappen, kein tiefes Durchatmen, kein Zählen irgendwelcher Dinge um sich abzulenken bekommt es da wieder weg. Es gibt auch noch die andere Angst, die Schockangst. Die so plötzlich über einen kommt, dass der Körper keine Zeit hat, auf die Schnelle die Schweißattacken zu bilden. Dann fühlte sich die gesamte Haut an, als wäre sie von tausenden Nadelstichen befallen, die sich alle gleichzeitig erbarmunsgslos einbrennen.

    Nur für Sekunden. Danach erfolgte eine Art Lähmung, die es einem unmöglich machte, zu handeln. Man glaubte, nicht mehr richtig atmen zu können, als würde man gleich unweigerlich ersticken. Rosemarie kannte alle Formen der Angst. Es gab Dinge, die sie auslösten. Blicke wie Eis, Worte wie Pfeile, Gesten der Demütigung und das Umdrehen des Schlüssels in der Wohnungstür, wenn er heimkommt.

    Wenn es nicht so wehtun würde hätte sie beinahe gelacht bei dem Wort „Heim".

    Kapitel 3

    Die Uhr zeigte 5 Minuten vor Acht, als Karla Albrecht an diesem Morgen zu ihrem Arbeitsplatz kam. Das Gebäude der Polizei lag am Ende der kleinen Fußgängerzone. Eine alt ehrwürdige Immobilie aus den 20iger Jahren. Zigmal renoviert hatte es einen sehr eigenen Charme, da aus jedem Jahrzehnt etwas dazugekommen war. Karla schimpfte leise vor sich hin, als sie bemerkte, dass einige der ohnehin schon wenigen Angestelltenparkplätze durch eine Baustelle blockiert waren.

    Die war doch gestern noch nicht da! Wahrscheinlich wieder irgendein Rohrbruch oder ähnliches. Sie war jetzt 20 Jahre bei der Truppe und hatte sich inzwischen zwar schon an die ewigen Bau- und Renovierungsmaßnahmen gewöhnt, aber wenn sie morgens keinen Parkplatz fand, konnte sich ihre Laune doch schon mal nach unten bewegen. Gott sei Dank konnte sie mit ihrem kleinen Auto in einer Minilücke parken. Sie quetschte sich durch den schmalen Platz, den sie noch zum Aussteigen zu Verfügung hatte und schloss ab. Die Kühle des Morgens tat gut nach der Hitze der letzten Tage. So langsam konnte man den herannahenden Herbst erahnen und Karla war froh darüber. Dieses Herumwälzen und Wachliegen in verschwitzen Laken hatte sie satt und die kalte Luft tat den Gedanken gut und machte den Kopf frei. Die vergangene Nacht, oder das von ihr übrig blieb, hatte sie bei Stefan verbracht und er hatte großes Verständnis gezeigt wie immer, hatte keine Fragen gestellt, denn er wusste oder ahnte zumindest die Anstrengungen, die ihr Job bei der Kripo mit sich brachte.

    Und doch ertappte sie sich immer öfter bei dem Gedanken, dass seine Bemühungen, sich für ihre Arbeit zu interessieren oft aufgesetzt und ein wenig geheuchelt rüber kamen. Vielleicht war sie auch einfach nur überarbeitet, dachte sie.

    Sie war jetzt schon 3 Minuten zu spät dran und hetzte zur Eingangstür. Einer der Arbeiter von der Baustelle pfiff anerkennend hinter ihr her. Karla lächelte gequält. Aber irgendwie freute sie sich auch darüber, schließlich war sie nach dem Vorfall gestern Nacht erst um ein Uhr ins Bett gekommen, und sie fühlte sich schrecklich mit ihren Augenringen und den etwas zerzausten Haaren an diesem Morgen. Also was soll’s, dachte sie sich und lächelte dem Arbeiter mit dem schönst möglichen Lächeln zu, das sie an diesem Morgen aufbringen konnte.

    Dann verschwand sie in der Eingangstür und lief die zwei Etagen hoch, wo sich die Räume der Kriminalpolizei befanden. Oben angekommen, atmete sie tief durch und ging, einen Morgengruß murmelnd, an ihren Kollegen vorbei in Richtung Schreibtisch. Ihre Büroecke war durch eine Glaswand und eine Tür von den anderen Büroplätzen abgetrennt. So war sie immer über alles im Bilde, konnte sich aber auch zurückziehen, wenn sie es wollte oder wenn Personen zum Verhör kamen. Verhörräume wie in den Großstädten gab es hier leider nicht.

    Am Schreibtisch angekommen knallte sie ihre große Beuteltasche auf den Tisch, zog ihre Jacke aus und ließ sich auf den Schreibtischstuhl plumpsen. Durch die Scheibe konnte sie sehen, wie ihr Kollege Reinhard Köhler demonstrativ auf seine Uhr schaute. Auch er war gestern Nacht erst spät nach Hause gekommen, er schaffte es aber immer wieder trotz solcher Einsätze am nächsten Morgen jugendlich frisch auszusehen. Das lag wahrscheinlich an dem vielen Sport den er so trieb! Karla winkte ihn zu sich herüber. „ Reinhard., rief sie. „Gehen wir doch noch einmal die Sache von gestern Abend im Detail durch. Reinhard Köhler kam forschen Schrittes in ihr Büro und zog sich einen Stuhl an ihren Schreibtisch. Er musterte Karla mit seinen hellgrauen Augen: „Na, ausgeschlafen?, fragte er und grinste, sodass sich sein rechter Mundwinkel und die linke Augenbraue gleichzeitig hoben, was seinem Gesicht jedes Mal einen seltsamen Ausdruck verlieh. Karla hatte mal mit einigen Kollegen auf einer bierseligen Weihnachtsfeier versucht das nachzuahmen. Es war ihnen nicht gelungen. Sie winkte ab: „Frag nicht, lass uns arbeiten!

    Gemeinsam studierten sie die Unterlagen des Unfalls, der sich gestern Abend gegen 19.00 Uhr auf einer Landstraße rund 4 km von hier ereignet hatte. Der Notruf kam so gegen 19.15 bei der hiesigen Polizeiwache an.

    Eine ältere Dame hatte aufgeregt in den Hörer gerufen, dass sie einen Toten gefunden hatte. In ihrer Aufregung und ihrem Schock hatte sie sich zunächst endlos darüber ausgelassen, von wo sie kam, dass sie mit ihren Hunden im Wald spazieren war, wo doch so schönes Wetter war, wo sie nun hinwollte und das ihr Mann zu Hause wartete, usw. Der Beamter in der Notrufzentrale hatte mit einer geschulten Geduld immer wieder auf sie eingeredet, dass sie sich doch beruhigen möge und genau sagen soll, wer sie ist, wo sie ist und wen sie denn gefunden hatte. Sie hieß Irene Müller war 78 Jahre alt, wohnte in einem benachbarten Dorf und hatte auf der Rückfahrt mit ihrem Auto plötzlich mitten auf der Fahrbahn kurz hinter ein paar Kurven einen Mercedes stehen sehen. Um ein Haar wäre sie aufgefahren, sie konnte im letzten Moment bremsen und kam hinter dem Wagen zu stehen. Sie dachte noch, wer ist so blöd, die Unfallstelle nicht abzusichern in einer solch kurvenreichen Strecke. Irene Müller überlegte nicht lange, fuhr ihren alten Toyota rechts ran, schaltete die Warnblinkanlage an und stieg aus. Ihre zwei Schäferhunde hinten im Auto spürten wohl, dass etwas nicht in Ordnung war und krochen hinten auf dem Rücksitz an die Scheibe und begannen lauthals zu bellen. Sie sah jetzt, da sie von hinten an den Mercedes heranging, dass am Steuer des Wagens jemand zusammengekrümmt saß.

    Unruhe machte sich in ihr breit und ihr Herz begann bis zum Hals zu hämmern. Sie blieb stehen. Was mach ich jetzt, überlegte sie noch, während sie zögernd zu dem Wagen ging. Soll ich zuerst meinen Verbandskoffer aus dem Auto holen? Und was erwartet mich? Liegt dort jemand blutüberströmt und schwer verletzt? Oder hatte dieser jemand vielleicht einen Herzinfarkt oder Schlaganfall, röchelt vielleicht, stöhnt um Hilfe?

    Sie merkte, dass sie flüsternd mit sich selbst sprach. Hunderte Gedanken schossen ihr in Sekundenschnelle durch den Kopf, während ihre beiden Hunde, die ihre Anspannung sicherlich bemerkten, pausenlos, mittlerweile fast hysterisch, bellten.

    Langsam mit fast bedächtigen Schritten bewegte sie sich um das Auto herum. „Hallo?, rief sie. „Hallo, sind Sie verletzt? Kann ich Ihnen helfen? Hallo! Das Rufen half ihr, sich ein wenig zu beruhigen, so wie bei einem Kind, das laut ruft und lärmt, wenn es einen dunklen unheimlichen Keller betritt. Nun sah sie den Mann.

    Er war extrem dick. Das fiel ihr komischerweise zuerst auf. Und er war definitiv tot.

    Starke Kopfschmerzen setzten schlagartig ein und das Bellen ihrer Hunde wurde plötzlich zu einem alles über tönendem Geräusch. Sie überwand sich, den Mann, der seitlich etwas zusammen gesackt hinter dem Lenkrad saß, mit der Hand ein wenig anzufassen, seinen Kopf etwas gerade zu schieben, um zu sehen, ob nicht doch noch etwas zu machen war, ob sie nicht irgendwas helfen konnte, obwohl ihr Verstand ihr schon lange gesagt hatte, dass nichts aber auch gar nichts diesem Menschen noch helfen würde.

    Auf dem Hemd des Mannes hatte sich ein großer Blutfleck gebildet. Mit aller Kraft schob sie seinen großen schweren Kopf in eine gerade Position -- und blickte in starre, weit aufgerissene tote Augen.

    Auf diesen Anblick war sie trotz allem nicht vorbereitet gewesen. Irene Müller stolperte zwei Schritte zurück, schnappte hechelnd nach Luft und beugte sich vornüber, bis sie einigermaßen atmen konnte. Ihre Hunde bellten unaufhörlich. Aber sie sah es als ihre Pflicht an, sich in einem Notfall wie diesem zusammen zu reißen. Als sie sich wieder aufrichtete und sich zwang noch einmal hinzuschauen, bemerkte sie, dass in der Windschutzscheibe ein Loch war, von wo aus sich kleine Risse in alle Richtungen der Scheibe verteilten. Vielleicht ein Steinschlag, überlegte sie. Aber mit so gravierenden Folgen? Ich muss Hilfe holen! Sie stolperte zurück zu ihrem Toyota, riss die Tür auf und kramte wild in ihrer Handtasche. Schließlich hatte sie ihr Handy in der Hand. Die Hunde bellten immer noch. „Ruhig!, herrschte sie ihre Schäferhunde an. „Seit endlich ruhig! Überrascht über die plötzliche Lautstärke ihres sonst so sanftmütigen Frauchens verstummten die Hunde augenblicklich und legten sich mit reumütigen Blicken auf die Rückbank. Irene Müller wählte mit zittrigen Händen die Notrufnummer.

    „Tja., sagte Reinhard Köhler. „Das muss ziemlich heftig für die alte Dame gewesen sein. Sie hat mir gestanden, dass sie trotz ihres hohen Alters noch nie einen Toten gesehen hat. Karla dachte an gestern Abend zurück, wie sie und Reinhard an diesen Ort mitten im Wald gerufen wurden. Es war schon 19.30 und sie wollten gerade Feierabend machen, als der Anruf kam. Zwei Beamte von der Polizeistreife, die aufgrund des Anrufes von Irene Müller zur Unfallstelle gefahren waren, hatten ziemlich schnell gemerkt, dass es sich eben nicht um einen normalen Unfall handelte. Ihnen waren sofort das Loch in der Scheibe und das seltsame Verletzungsmuster des Mannes aufgefallen und sie hatten die Kriminalpolizei informiert.

    Als Reinhard und Karla in dem Waldgebiet ankamen hatten ihre Kollegen bereits den Rest der Landstraße gesperrt. Einer der Streifenbeamten, ein stattlich wirkender älterer Beamter, den Karla von anderen Einsätzen kannte, kam auf sie zu. Er begrüßte sie mit einem kräftigen Händedruck. „Das müsst ihr euch mal anschauen., sagte er. „ Das ist kein normaler Unfall. Die Scheibe, die Verletzung des Mannes! Sieht eher wie ein Schuss aus! „ Okay. Karla zog sich ein Paar Handschuhe über. „Wir werden sehen. Sie haben hoffentlich nichts angefasst? „Ich nicht., antwortete der Beamte. „Aber die Dame dort drüben. Er zeigte auf Irene Müller, die in einiger Entfernung noch immer stark zitternd an ihr Auto gelehnt stand. „Na ja, sie hat halt gedacht, dass sie ihm noch helfen konnte. Daher hat sie seinen Kopf bewegt. „Ja, ja..., erwiderte Karla. „Wir werden uns die Sache erst mal ansehen." Zusammen mit Reinhard ging sie zu dem Mercedes herüber.

    Karla schluckte. Es kostete doch immer wieder Überwindung, sich einen Toten genau anzusehen.

    Gott sei Dank kam das nicht zu häufig vor. Schweigend untersuchten sie den Mann. Sein Kopf lag zurückgebeugt im Nacken und es schien, als starrten seine Augen zur Wagendecke. Karla knöpfte vorsichtig die oberen Knöpfe von seinem Hemd auf. Durch das viele, bereits geronnene Blut fühlte sich das Hemd an, als wäre es aus Pappe und würde jeden Augenblick zerbrechen.

    „Unser Kollege hat Recht. Informiere bitte den Rechtsmediziner. Karla wandte sich Reinhard zu, der die Scheibe untersuchte. Er nickte: „ Ja, dies hier ist eindeutig ein Einschussloch!

    Kurze Zeit später waren bereits die angeforderte Spurensicherung und der zuständiger Kollege von der Gerichtsmedizin eingetroffen. Karla und Reinhard überließen ihnen das Feld und gingen auf Irene Müller zu, um sie noch einmal genau zu den Geschehnissen zu befragen. Viel bekamen sie nicht aus ihr heraus. Eine junge Polizeibeamtin mit einem langen blonden Zopf, der geflochten unter ihrer Polizeikappe hervorlugte stand ihr zur Seite und tätschelte beruhigend den Arm der Frau. Behutsam sprach sie auf die alte Dame ein, die noch immer unter Schock stand. Da sie nicht mehr in der Lage war, ihr Auto zu fahren, wurde ein Kollege damit beauftragt, sie und ihre beiden Hunde nach Hause zu bringen, wo sie von ihrem Mann bereits erwartet wurde. Mehr konnte man im Moment nicht tun.

    Reinhard und Karla wandten sich wieder den Kollegen der Kriminaltechnik zu. Einer der vermummten Männer in den weißen Schutzanzügen kam auf sie zu. In der Hand hielt er den Führerschein des Toten, den er im Handschuhfach gefunden hatte. Karla sah ihn sich genau an. „Hier., sagte sie zu Reinhard Köhler. „Der Mann wohnte hier ganz in der Nähe. Nur ein Dorf weiter. In fünf Minuten wäre er zu Hause gewesen. Er heißt Fritz Olischewski und ist 41 Jahre alt. War 41 Jahre alt., verbesserte sie sich.

    „41? Reinhard wunderte sich. „Ich hätte ihn bedeutend älter geschätzt. Mein, Gott! Ich kann mir jetzt schon denken, was uns gleich erwartet, wenn wir die Adresse aufsuchen. Eine in Tränen aufgelöste Ehefrau und wahrscheinlich noch ein paar kleine Kinder, die auf ihren Papa warten. Karla nickte. In solchen Momenten hasste auch sie ihren Job.

    Es dämmerte schon, als sie später in Richtung des nächsten Dorfes fuhren, wo Fritz Olischewski gelebt hatte. Die Spurensicherung war abgeschlossen, der Wagen des Mannes zur Untersuchung abgeholt und die Leiche in das nächste Gerichtsmedizinische Institut transportiert worden. Karla merkte, dass Reinhard, wahrscheinlich unbewusst, sehr langsam fuhr, um möglicherweise die Zeit bis zur Überbringung der schrecklichen Nachricht noch ein bisschen hinauszuzögern. In dem kleinen Dorf mit rund fünfhundert Einwohnern war es nicht schwer, die Adresse zu finden, obwohl mittlerweile fast schon die Dunkelheit eingesetzt hatte.

    Bei dem Haus handelte es sich um ein Reihenhaus, welches in der Mitte einer Dreiergruppe stand. Alle drei Häuser hatten kleine, aber pedantisch gepflegte Vorgärten, so als wollten sich die Besitzer gegenseitig übertrumpfen in der Auswahl der Sträucher und Blumen. Bei dem Haus der Olischewskis kamen noch unzählige, etwas kitschig angehauchte Tonfiguren dazu, die überall auf dem Beet und am Treppenabsatz herumstanden. Karla schellte und sah schemenhaft durch das dunkle Glas der Haustür einen Kinderbuggy im Flur stehen. Ihr wurde ganz mulmig ums Herz. Zunächst hörten sie nichts, aber nach nochmaligem Schellen ging im Haus eine Tür auf und man konnte eine zierliche Frauengestalt erkennen, die sich zögerlich Richtung Haustür bewegte.

    „Ja bitte? Eine Frau, dunkelhaarig, Anfang 30, hatte die Haustür einen Spalt breit geöffnet und schaute erstaunt auf Karla Albrecht und Reinhard Köhler. „Frau Olischewski?, fragte Karla. Die Frau nickte. „Mein Name ist Karla Albrecht und das ist mein Kollege Reinhard Köhler. Wir sind von der Kriminalpolizei. Beide zeigten ihre Ausweise, die Frau Olischewski sorgfältig betrachtete. „ Können wir hereinkommen? Wir müssen mit Ihnen reden. Frau Olischewski gab ihnen die Ausweise zurück, machte jedoch keine Anstalten die Haustür weiter zu öffnen.

    „Mein Mann ist noch nicht da!, sagte sie. „Muss wahrscheinlich wieder länger arbeiten. Ich weiß nicht, ob ihm das recht wäre, wenn ich Sie hereinlasse. „Das geht schon in Ordnung., sprach Karla in einem sanften Tonfall. „Bitte, wir müssen mit Ihnen reden! Jetzt öffnete sie die Tür und Karla und Reinhard folgten ihr in das Haus. Frau Olischewski ging voran in Richtung Wohnzimmer. Reinhard blickte sich um. Das Haus war genauso penibel sauber und aufgeräumt wie der Vorgarten. Er fühlte sich in solchen Häusern äußerst unwohl und er hatte außerdem Angst vor der Reaktion der Frau. Ein Blick auf seine Kollegin sagte ihm, dass es ihr genauso ging. Beide hatten schon öfters Todesnachrichten überbracht, und doch war es jedes Mal anders. Manche Angehörigen brachen völlig zusammen, weinten oder schrien hysterisch, andere wurden unnatürlich ruhig und starrten an die Wand, schienen die Nachricht nicht wahrnehmen zu wollen. Es gab sogar welche, die schienen erleichtert zu sein oder im schlimmsten Falle sogar froh.

    Frau Olischewski zeigte keine von diesen Reaktionen. Im Grunde genommen reagierte sie überhaupt nicht. Sie blieb auf ihrem Sofa sitzen, schaute die beiden Kriminalbeamten mit genau demselben neutralen Blick an, den sie schon vorher aufgesetzt hatte, bevor Karla ihr behutsam den Tod ihres Ehemannes mitgeteilt hatte. Die Schusswunde hatten sie erst mal nicht erwähnt. „Kann ich Ihnen denn etwas zu trinken anbieten, einen Tee vielleicht. Für Kaffee ist es ja schon ein bisschen spät. Ich muss leise sein in der Küche. Unsere Tochter Pia schläft schon, wissen Sie, aber einen Tee kann ich Ihnen schnell machen. Sie stand auf und wollte zur Küche gehen. Karla sprang auf und nahm ihre Hand. „Frau Olischewski, haben Sie verstanden, was wir Ihnen mitteilen wollten? Ihr Mann ist tot. Bitte bleiben Sie doch sitzen. Sie müssen sich jetzt erstmal um sich selbst kümmern. Bitte sagen Sie uns die Telefonnummer eines Verwandten oder Nachbarn, den wir benachrichtigen können!

    Die Frau gab ihnen ein wenig zögerlich den Namen einer Nachbarin, und Reinhard Köhler ging aus dem Haus, um bei der genannten Frau zu klingeln. Eigentlich war er sogar froh, dass er kurz aus der Situation heraus kam.

    Am Nachbarhaus öffnete ihm eine resolut wirkende, zirka sechzigjährige Frau im Jogginganzug, die, als sie die schlimme Nachricht hörte, sofort bereit war, mitzukommen. „Oh Gott, die arme Frau!, murmelte sie vor sich hin, wobei sie forschen Schrittes vor Reinhard Köhler zum Nachbarhaus ging: „Was soll sie jetzt nur machen, das Kind ist ja noch so klein. Und Frau Olischewski ist doch so unselbstständig. Ihr Mann hat immer alles geregelt, müssen Sie wissen! Reinhard Köhler ging mit ihr zusammen zurück zum Haus der Olischewskis, öffnete die angelehnte Haustür und führte die Nachbarin in das Wohnzimmer, wo Frau Olischewski immer noch völlig regungslos auf dem Sofa saß, während Karla Albrecht ihre Hand hielt. Die beiden Kriminalbeamten versuchten noch, ein paar Fragen loszuwerden, und fanden so heraus, dass der Familienvater bei einer Firma für Landmaschinen als Vertreter gearbeitet hatte und viel unterwegs war, ansonsten aber, so sah es aus, ein völlig normales und ruhiges Leben geführt hatte. Schließlich mussten sie ihr, auch wenn es ihnen unsagbar schwer fiel, mitteilen, dass ihr Mann erschossen wurde und nicht durch einen Unfall ums Leben kam.

    Während die Nachbarin schreckensbleich die Hand an ihren Mund presste, blieb Frau Olischewski stumm und zeigte erneut keinerlei Reaktion.

    Ihre zarten Hände lagen gefaltet in ihrem Schoß. Ihre schmale Gestalt bot einen zerbrechlichen Eindruck und

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