Was passt, braucht nicht passend gemacht zu werden: Im Schlüssel liegt der Zauber
Von Daniela Noitz
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Buchvorschau
Was passt, braucht nicht passend gemacht zu werden - Daniela Noitz
1. Eine Entscheidung
„Nanu, was ist das denn?", entfuhr es mir unwillkürlich, als ich plötzlich einen kleinen Gegenstand knapp vor mir im Gras aufblitzen sah. Prüfend sah ich mich um. Ich war alleine, hier mitten in der Au, an diesem warmen Sommerstag. Niemand hatte mich gehört. Niemand konnte mich hören. Weitab von allem, was störend oder irritierend sein hätte können. Vor allem weg von all den Menschen, die mich ständig fragten, was ich denn jetzt vorhätte mit all dem Leben, das ich durchstehen musste. Und mit gerade mal 19 Jahren hat man eine noch ganze Menge davon zu leben.
„So jung!", ereiferten sie sich zu sagen, diese Menschen, die wohlmeinenden und die weniger wohlmeinenden. Die wohlmeinenden, das waren all die Tanten und Großmütter und sonstigen weiblichen Anverwandten, jenseits dessen, was man als zukunftsfähig hätte sehen können. Sie pflegten es geradezu zu zelebrieren, die Zukunft anderer, die sie selbst nicht mehr hatten, zu besprechen, durchzukauen wie einen alten, harten Keks.
„Wir haben schon alles hinter uns", pflegten sie zu sagen, weil sie alles gemacht hatten, wie es sich gehört, mit dem Heiraten und Kinder bekommen und auf die Kinder schauen und auf den Mann schauen und all dem Klimbim.
„Das war eben so, damals, sagten sie, „Das kann man nicht ändern.
Und dann schwärmten sie von der Vergangenheit. Wahlweise auch von der Zukunft, allerdings nur von der anderer, wie sich von selbst versteht. In dem Fall hatte also ich den Schwarzen Peter gezogen, denn sie ließen sich weidlich über meine Zukunft aus. Oder das, was sie als meine Zukunft sahen.
„Matura hat sie gemacht!, hieß es da, „Aber jetzt wird es Zeit Arbeit zu finden.
So die Meinung der einen Gruppe.
„Aber nein, sie ist so ein kluges Mädchen, sie wird sicher eine höhere Schule besuchen", meinten die anderen.
„Können tut sie ja schon, weil heutzutage ist das ja nicht mehr so, so, wie zu unserer Zeit, ergänzte die erste Gruppe, „Aber sie soll halt nur aufpassen, dass sie nicht zu gescheit wird. Es wird dann schwierig einen passenden Mann zu finden.
„Das ist wohl wahr, musste die andere Gruppe wohl oder übel zugeben, „Die Männer haben es nicht so mit den gescheiten Frauen. Aber vielleicht läuft ihr ja einer auf der höheren Schule über den Weg.
„Alle Möglichkeiten haben die jungen Mädchen heutzutage, können tun was sie wollen", fügten die ersten kopfschüttelnd, und wohl auch ein wenig neidisch, hinzu.
„Wie wahr, ganz anders als zu unserer Zeit", meinten die anderen zustimmend. Und beide Gruppen einigten sich auf einen eindeutigen, tiefen Seufzer, der nichts anderes bedeuten sollte, als dass sie sich eigentlich nur auf eine schöne Hochzeit mit all dem wunderbaren Gebäck freuten, eine glänzende Braut und einen guten Braten.
„Jetzt kann sie schauen was sie mit sich anfängt", meinten die weniger Wohlmeinenden. Dem war eine gewisse Schadenfreude zu entnehmen. Obwohl es der Wahrheit eigentlich recht nahe kam, denn der große Tag meiner Matura war mittlerweile drei Wochen vorbei. Das Ereignis war ausgiebig gefeiert worden, und seitdem tat ich nichts als hier zu sitzen und über meine Zukunft nachzudenken.
„Wäre es nicht langsam an der Zeit, dass Du etwas anfängst?", hatte mein Vater am Morgen gepoltert. Ich enthielt mich einer Antwort, denn selbst bei großzügiger Betrachtung was die Nachdenkzeit nach Abschluss eines umfangreichen Lebensabschnittes betraf, konnte man sagen, ja, es war tatsächlich langsam an der Zeit. Und mein Vater verfügte ganz gewiss nicht über eine großzügige Betrachtungsweise diesbezüglich. Die Antwort blieb mir dennoch erspart, denn er hatte es schon wieder eilig. Wichtige Geschäfte riefen. Mir war es ganz recht. Meine Mutter gefiel sich darin, mich wie üblich darauf hinzuweisen, dass ich doch auf meinen Vater hören solle, denn der wisse schließlich am besten über das Leben Bescheid. Damit hatte sie ihrer Pflicht und Schuldigkeit Genüge getan und widmete sich wieder ausführlich ihren eigenen Problemen. Kurz sah ich ihr dabei zu, aber es wirkte alles so angestrengt und anstrengend, dass ich es bereits nach wenigen Minuten nicht mehr mitansehen konnte wie sich die arme Frau plagte. Deshalb beschloss ich etwas dagegen zu unternehmen. Ich verließ das Zimmer. Danach das Haus. Mit einem Buch gewappnet begab ich mich in die Au, setzte mich ins Gras und dachte an die Zukunft. Aber was sollte das sein, die Zukunft?
Ein Leben zu führen. Ein Leben, wie man es eben so kennt. Man muss sich eingliedern. Ins Berufsleben, denn ohne ein Leben, das man mit Beruf erfüllt, hat man kein Geld um sich sein Leben zu erfüllen. Dabei ist noch gar keine Rede von all den Wünschen, die man hegt, sondern bloß einmal diese banalen Dinge wie die Beseitigung des Hungers zu finanzieren oder den Erhalt einer passablen Unterkunft, in die man sich vor der Welt ebenso, wie vor Hitze oder Kälte zurückziehen kann. Ein wenig würde ich diesen Einstieg in ein Leben mit Beruf noch hinauszögern können, indem ich mich doch zum Besuch einer höheren Schule entschlösse, wie die wohlmeinenden Stimmen unter den weiblichen Anverwandten angedacht hatten. Doch selbst wenn ich diesen Schritt unternähme, vorausgesetzt, ich könnte mich für eine Studienrichtung entscheiden, bedeutete es doch nichts weiter als einen Aufschub, sofern ich mich nicht direkt aus dem Studium ins Mutter- und Ehefrauendasein stürzen wollte. Und das wollte ich ganz bestimmt nicht.
Nun, so weit war ich in meinen Überlegungen also bereits gediehen, indem ich eines für mich kategorisch ausschließen konnte. Doch beruhte dieses Ergebnis tatsächlich auf einer Überlegung oder war es nicht vielmehr so, dass ich das bloß nicht wollte? War das nicht eher etwas, was aus dem Bauch kam? Natürlich